Harald Baumann-Hasske

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Sonntag ist Europawahl. Die nächste Wahl ist immer die wichtigste. Der geneigte Wähler, die Wählerin kennt das schon. Aber etwas ist dieses Mal wirklich anders: Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre in Sachsen, in Deutschland, in Europa und international betrachtet, hat sich seit 2014 eine neue Internationale der Nationalisten entwickelt, die jegliche Form der Zusammenarbeit der Nationen ablehnt, die Europäische Union demontieren und das Europäische Parlament abschaffen will, um wieder Politik aus der Nation heraus zu gestalten, wo sie sich vermeintlich stärker fühlen.
Interessant ist, dass sie sich zur Durchsetzung ihrer nationalistischen Ziele international organisieren, wohl, weil sie begriffen haben, dass man in Europa und der Welt mit nationalen Möglichkeiten nicht weit kommt. Neuerdings verbrüdern sie sich nicht nur mit Herrn Putin, sondern sie nehmen auch gern die Unterstützung von Steve Bannon an, dem Rechtsradikalen und Rassisten aus dem Wahlkampfstaat von Donald Trump. Das ist widersprüchlich. Sie erkennen zwar, dass sie international und multilateral stärker sind, verfolgen aber damit das Ziel, den Nationalismus zu stärken und die multilateralen Institutionen zu schwächen. Aber das ist ihnen egal. Es geht nicht um eine Idee oder um Fortschritt. Am Ende wollen sie Sachsen, Deutschland und die EU schwächen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen.
Dort, wo diese Strömung bereits an der Macht ist, zum Beispiel in Polen, in Ungarn, in Italien – neuerdings nicht mehr in Österreich –, verleugnen sie die Menschenrechte, demontieren den Rechtsstaat, greifen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung an, drängen auf Gleichschaltung der Medien, greifen die Freiheit von Forschung und Lehre an. Obwohl diese Staaten große Profiteure der EU und ihrer Fördermittel sind, verleugnen sie die gemeinsamen Werte und wollen gemeinsame Lasten nicht tragen. Sie schüren Angst und Feindlichkeit gegenüber Fremden und gegenüber Europa.
Meine Damen und Herren, es wird sich am Sonntag also zeigen, ob es der Strömung gelingt, mit manipulierten Informationen Angst zu erzeugen. Sie hat bereits in Großbritannien das Referendum über den Austritt aus der EU auf diese Weise gewonnen und schickt sich trotzdem auch dort an, bei der Europawahl erneut Abgeordnete in das Parlament zu entsenden, das sie abschaffen will. Wir wissen also dieses Mal, mit welchen Mitteln die EU bekämpft werden soll. Das macht diese Wahl wirklich spannend.
Meine Damen und Herren, dabei gibt es in Sachsen, in Deutschland und in Europa weiterhin eine klare Mehrheit für die EU. Die letzte Umfrage ist von Ende des vergangenen Jahres. Da lag die Zustimmung zur EU unionsweit bei 62 %. Der Sachsen-Monitor weist für die EU Zustimmungswerte von 55 bis weit über 70 % aus, je nachdem, um welche Frage es geht. Für die meisten ist nachvollziehbar, dass 70 Jahre Frieden unter Nachbarn, die sich schon immer und über Jahrhunderte alle paar Jahre bekriegt haben, nur durch die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Europäische Gemeinschaft und schließlich die EU gewährleistet werden konnte. Die unterschiedlichen Namen standen und stehen dabei zugleich für jeweils veränderte Kompetenzen der Union.
Die EU ist eine zivilisatorische Meisterleistung. Die weitgehende Übertragung nationaler Kompetenzen auf eine übernationale Ebene, um widerstreitende Interessen in Einklang zu bringen und Konflikte zu vermeiden oder sie politisch und friedlich zu lösen, ist in der Geschichte ohne Beispiel. Schon das sollte mehr als 70 Jahre später ausreichen, ihre Sinnhaftigkeit zu verstehen. Aber das reicht wohl nicht mehr. Die Schrecken der Vergangenheit sind schon nach einem Menschenalter zu weit weg. Der Aufstieg unseres Landes, der Wohlstand und der Standard an sozialer Sicherheit bei uns sind inzwischen selbstverständlich und werden nicht in diesen Zusammenhang gestellt. Wie wir damit weiter umgehen wollen, möchte ich Ihnen gern in einer zweiten Runde erläutern.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Leistung der EU von 70 Jahren Frieden und einem stabilen Rahmen für wirtschaftlichen Aufschwung in West und Ost nicht mehr ausreicht, um von der EU zu überzeugen, dann ist es an der Zeit, das soziale Europa zu stärken und das Soziale der sozialen Marktwirtschaft zum Gegenstand einer europäischen Politik zu machen, die sich bisher wesentlich auf die Entwicklung einer Wirtschafts- und Währungsunion konzentriert hat.
Lassen Sie mich einige wichtige Argumente dafür benennen. Wir wollen die sozialen Rechte in Europa stärken. Uns geht es dabei nicht nur um regional angepasste Mindestlöhne in ganz Europa und auch nicht nur um regional angepasste Grundsicherungen in ganz Europa, sondern etwa auch um einen Fonds zur Absicherung nationaler Sicherungssysteme wie etwa der Arbeitslosenversicherung. In einen solchen Topf wird in guten Zeiten eingezahlt, aus ihm werden Beträge ausgezahlt, wenn es nötig ist, und sie werden zurückgezahlt, wenn eine Krise vorbei ist. Das ist keine Transferunion, sondern ein System der Absicherung von Sicherungssystemen. Private Versicherungen haben seit Jahrzehnten ein solches System von Rückversicherungen entwickelt, um das Risiko großer Katastrophen abzusichern und auf viele Schultern zu verteilen. Niemand käme auf die Idee, ein Unternehmen wie etwa die Münchner Rückversicherung „Munich Re“ als Transfergesellschaft zu bezeichnen.
Wir meinen: Was der privaten Versicherungswirtschaft einleuchtet, sollte für die europäischen Sozialversicherungen ebenfalls entsprechend nutzbar sein. Das bringt soziale Sicherheit in die EU und das leuchtet den Menschen ein. Auch Deutschland ist vor Krisen nicht gefeit, wenn es auch die Krise 2008 recht stabil überstanden hat. Die nächste Krise kommt bestimmt; das ist systemimmanent. Die weitere Vernetzung bringt ein Mehr an Stabilität und sozialer Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger. Das alles ist unter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität möglich.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Reform der Institutionen. Europa sollte noch demokratischer werden. Wir brauchen eine Zuwanderungspolitik, die unsere Werte mit unseren Interessen verbindet. Die Menschen wollen Gerechtigkeit in Europa und gleichwertige Lebensverhältnisse. Mit einem sozialen Europa nähern wir die Lebensverhältnisse deutlich an; wir setzen neue Standards.
Meine Damen und Herren, am kommenden Sonntag entscheidet sich, ob wir Europa um diese Komponente erweitern können, ob wir die Institutionen reformieren können oder ob Europa weiter gegen eine Demontage zu kämpfen hat. Lassen Sie uns gemeinsam, wie es meine Vorredner hier schon getan haben, alle Sächsinnen und Sachsen aufrufen: Gehen Sie zur Wahl, stärken Sie Europa und stärken Sie damit Sachsen!
Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass es hier angeblich um Meinungsfreiheit geht und sich aber der ehemalige Artikel 13 und jetzige Artikel 17 dieser Richtlinie eigentlich mit Urheberrecht befasst, darüber hatten wir, glaube ich, schon gesprochen. Es kann also hier, wenn es um Meinungsfreiheit geht, nur darum gehen, dass eventuell auch bei Meinungsäußerungen Urheberrechtsverletzungen
begangen werden. Darum geht es hier wohl.
Herr Barth, Sie haben eben das Netzwerkdurchsetzungsgesetz so extrem kritisch beschrieben, nur haben Sie dabei mal wieder einige Fake News in die Welt gesetzt; denn es wird von keiner Plattform pauschal alles gelöscht, wie Sie gerade behauptet haben.
Das haben Sie gerade behauptet. Ich glaube, auf den Plattformen wird nach wie vor einiges veröffentlicht, und es wird nicht pauschal alles gelöscht. Das ist schon mal Blödsinn.
Das haben Sie aber gesagt. Das haben Sie wörtlich gesagt; das können Sie nachher im Protokoll nachlesen.
Im Übrigen gibt es beim Bundesamt für Justiz inzwischen eine ganze Reihe von Konfliktfällen, die dort auch gelöst werden – was also bedeutet, dass es offensichtlich auch Auseinandersetzungen zwischen jenen, die etwas auf die Plattformen geschrieben haben, und den Plattforminhabern gibt und dass diese Konflikte dort gelöst werden. Es kann also auch nicht sein, dass die Plattformen alles löschen. Sonst gäbe es die Konflikte ja nicht.
Über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz kann man also trefflich streiten. Ich bin auch nicht immer mit allem einverstanden, was da so verabschiedet worden ist; aber das sind, denke ich, auch Details, über die wir jetzt im Augenblick nicht sprechen müssen. Wir wollen heute über den sogenannten Artikel 13 sprechen und über das, was dazu im Moment auch im Europäischen Parlament verhandelt wird.
Es gibt eine gewisse Konfusion in diesem Bereich. Das ist angesichts dessen, was wir heute hier schon wieder gehört haben, auch nachvollziehbar. Um es klar zu formulieren: Die SPD war und ist gegen Upload-Filter, deshalb steht im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, dass wir keine Upload-Filter wollen. Dass die Bundesregierung trotzdem im Rat einer Regelung zugestimmt hat, die Upload-Filter fordert, scheint einem Kompromiss unter den Mitgliedsstaaten – namentlich mit Frankreich – geschuldet zu sein.
Ich glaube, ganz so absurd ist der Zusammenhang nicht. Ich denke, es ist eine andere Form von Kompromiss. Ich glaube nicht, dass Upload-Filter etwas mit Nord Stream zu tun haben und man mit Upload-Filtern Erdölpipelines filtern kann.
Es scheint allerdings so zu sein, dass auch auf der Ebene des Europäischen Parlaments eine Lösung übrig geblieben ist, dass nicht lizenzierte Werke nicht auf den Plattformen veröffentlicht werden sollen. Das hat das Europäische Parlament gegen die Stimmen der deutschen Sozialdemokraten bestätigt. In der öffentlichen Debatte hat unsere Partei ihren Standpunkt noch einmal bestätigt. Unser Konvent hat beschlossen, dass wir keine Upload-Filter wollen.
Nun wird im Europäischen Rat erneut über Änderungen abzustimmen sein. Die Bundesregierung könnte das Inkrafttreten verhindern, wenn sie sich bei dieser Abstimmung enthält. Wir wollen kein Scheitern dieser Richtlinie, weil wir Urheberrechte schützen wollen, da es viele Menschen gibt, die davon leben und auch weiterhin davon leben können sollen. Aber wir wollen andere Lösungen haben, die auch schon im Gespräch sind. Es geht um Pauschallizenzen nach dem Muster der GEMA oder der VG Wort, und ich denke, dass wir, wenn wir diesen Weg gehen, vernünftige Lösungen finden können. Insofern kann ich Ihre Kritik nur zurückweisen. Ich denke, dass wir in einem ausgesprochen schwierigen Bereich Lösungen finden werden, die die Meinungsfreiheit in keiner Weise beeinträchtigen.
Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag verfolgt einige löbliche Ziele. Wir haben gerade für die sehr viel Sympathie. Aber er ist ein Rundumschlag in so viele unterschiedliche Bereiche, dass er dem eigenen Anliegen gar nicht gerecht werden kann. Im Übrigen beschäftigt er sich auch mit Dingen, die meines Erachten nicht so richtig in den Zusammenhang gehören – darauf komme ich dann vielleicht noch –, sodass wir dem nicht folgen können.
Meine Damen und Herren! Seit vier Jahren ist unsere Staatsministerin für Gleichstellung und Integration im Lande unterwegs, um in vielen Teilen mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich in besonderer Weise nach 1989/1990 benachteiligt fühlen, die Unrecht erlitten haben oder in dem großen Transformationsprozess Eigentum, Beruf oder Orientierung verloren haben. Es ist erstaunlich, was in diesen Gesprächen alles zutage kommt. Sie hat es inzwischen in einem Buch verarbeitet, das 28 Jahre Deutsche Einheit aus dieser Perspektive sehr eindrucksvoll beleuchtet.
Ja, ostdeutsche Arbeits- und Lebensleistungen müssen mehr anerkannt werden.
Insofern ist der Titel Ihres Antrags vollkommen berechtigt.
Zur Treuhandanstalt hat Frau Köpping bereits eine Versöhnungskommission angeregt, um aufzuarbeiten, was insbesondere in den Neunzigerjahren geschehen bzw. seither bekannt geworden ist. Der Deutsche Bundestag hatte – das wurde bereits gesagt – schon Ausschüsse dazu eingesetzt. Da sind Bewertungen vorgenommen worden, über die man heute auch noch einmal nachdenken kann. Ich denke, wir sollten uns darüber klar sein, dass es für alle Beteiligten die erste deutsche Vereinigung war und dass eine Menge Fehler passiert sind, über die man aus der zeitlichen Distanz unabhängig nachdenken kann.
Kommen wir zu einigen Ihrer Forderungen.
Sie wollen eine Angleichung des Tarifniveaus zwischen Ost und West. Ich glaube, ich muss Sie nicht darüber belehren, wie Tarifverträge zustande kommen. Aber was wir alle dafür tun können, ist, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu veranlassen, Mitglieder in Gewerkschaften zu werden und deren Verhandlungskraft in Tarifverhandlungen zu stärken. Wir brauchen gute, branchenbezogene Tarifverträge, die wir dann bei vorliegender Voraussetzung politisch für allgemeinverbindlich erklären können. Aber wir können als Gesetzgeber keine tariflichen Vorgaben machen.
Weil bei den Tarifpartnern auch gerade im deutschen Osten die Not so groß war, hat der Bund den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt und inzwischen angehoben. Ich glaube, dass wir damit eine ganze Menge zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in Ostdeutschland getan haben.
Die Überwindung der Unterrepräsentanz in Führungsetagen. Richtig, wir werden darauf zu achten haben, dass die Führungskräfte der frühen Neunzigerjahre, die demnächst in den Ruhestand gehen, nicht erneut vorwiegend durch Westdeutsche ersetzt werden. Aber ich glaube, dass wir alle das in diesem Hohen Haus im Auge haben werden.
An den Behördenstandorten von Bundesbehörden wird intensiv gearbeitet. Wir sind froh, dass es gelungen ist, einen weiteren Strafsenat des Bundesgerichtshofes nach Leipzig zu holen. Auch der Generalbundesanwalt wird in verstärktem Maße demnächst in Leipzig präsent sein. Das Anliegen, mehr Behördenstandorte nach Sachsen, nach Ostdeutschland zu holen, ist zum Beispiel Teil des Konzepts zum Strukturwandel, den die Kommission vor wenigen Monaten verabschiedet hat.
Die Rentenunterschiede wollen wir zunächst dort in Angriff nehmen, wo das besonders dringend ist, nämlich bei denen, für die eine Grundrente in Betracht kommt. Wir wollen Altersarmut bekämpfen. Wir wollen eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Darüber hinaus kann die Angleichung von Renten weiterhin notwendig und sinnvoll sein. Aber wir wollen erst einmal dort helfen, wo es am dringendsten ist. Ich glaube, das ist das, was man im Moment am ehesten vorantreiben kann.
Im Bereich des Überleitungsrechts der Deutschen Einheit haben wir in diesem Hohen Hause schon zu manchem Teilaspekt wie dem Schuldrechtsanpassungsgesetz, dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz bzw. dem Vermögensrechtsänderungsgesetz oder zu den Erben von Bodenreformland diskutiert. Wir haben wiederholt begründet, warum es nach 30 Jahren sinnvoll sein kann, gerade in diesen Bereichen Rechtsfrieden einkehren zu lassen. Die Fristen, die in diesen Gesetzen enthalten waren, sind ausgelaufen. Ich glaube, wir sollten es dabei bewenden lassen. Wir sollten jedenfalls nicht gesetzlich eingreifen. Dass man das noch einmal aufarbeiten kann, ist eine andere Frage.
Zum Strukturwandel in den Braunkohlerevieren finden gerade Verhandlungen statt. Es stehen im Ergebnis der Kommission erhebliche Beträge zur Diskussion. Sie wissen, dass da in den nächsten Jahren zig Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden sollen.
Ob es sinnvoll ist, in diesem Zusammenhang eine Forderung aufzumachen, Ostdeutschland solle nicht Aufmarschgebiet der NATO für Aggressionen gegen Russland werden, weiß ich nicht. Das ist einer der Punkte, bei dem ich sage: Wenn Sie das in einen solchen Antrag hineinschreiben, dann bezweifle ich, dass Sie ernsthaft wollen, dass dieser Antrag in diesem Haus angenommen wird.
Wir können darüber gern diskutieren. Das ist eine hochkomplexe Diskussion. Dabei geht es aber nicht darum, Unrecht, das Ostdeutschen widerfahren ist, nachträglich wiedergutzumachen und möglicherweise Konflikte zu heilen. Darum geht es hier nicht.
Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, bin ich in meinem erlernten Beruf Rechtsanwalt. Ich habe im Laufe der Jahre eine Kanzlei mit mehreren Rechtsanwälten aufgebaut. Ich habe in diesen Jahren unzählige Mandantinnen und Mandanten gehabt, denen Unrecht widerfahren war, so wie Sie es hier beschrieben haben. Wir haben vielen helfen können. Wir haben vieles erkämpfen können. Vieles ist leider gescheitert.
Wenn ich mit Frau Staatsministerin Köpping im Lande unterwegs bin, erkenne ich viele dieser Probleme wieder. Die meisten sind inzwischen rechtlich nicht mehr lösbar, weil sie verjährt sind. Wir können nur nachträglich versuchen, irgendwo noch etwas anzuerkennen. Wir können ihnen zuhören. Vielleicht kann man irgendwo noch einen bescheidenen Beitrag dazu leisten, dass sie merken, dass sie akzeptiert werden. Ich glaube, viel mehr werden wir nicht tun können, jedenfalls nicht in diesem Bereich.
Seien Sie sicher, dass Frau Köpping diese Schicksale und diese Geschichten im Auge hat. Sie hat angeregt, dass ein Härtefallfonds gebildet wird. Dieser Härtefallfonds könnte dafür sorgen, dass man diesen Menschen noch etwas gewähren kann, damit sie die Anerkennung spüren. Viel mehr wird nicht zu leisten sein.
Wir wollen versuchen, nicht nur zuzuhören, sondern auch wertzuschätzen. Wir wollen überall dort, wo es die Möglichkeit gibt, so viel reparieren, wie es der Spielraum zulässt.
Gleichwohl werden wir diesem Antrag, der ganz andere Dinge und viel mehr will, nicht zustimmen können.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter ist in der Tat ein Thema, das seit vielen, vielen Jahren in der Diskussion ist. Es gibt in diesem Zusammenhang einige Argumente. Diese möchte ich jetzt nicht alle wiederholen, denn sie sind, denke ich, schon weitestgehend gefallen.
Auch wir sind der Meinung, dass es zwischen Sozialarbeitern und Klientinnen bzw. Klienten eine persönliche Beziehung geben kann, die ein Zeugnisverweigerungsrecht rechtfertigt. Diese Nähe ist übrigens in dem eben zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1972 bereits beschrieben. Allerdings hat das Gericht, wie schon vorgetragen wurde, seinerzeit erklärt, dass diese nahe Beziehung bei Sozialarbeit in der Regel nicht besteht.
Übertrage ich diesen Gedanken auf die Fanarbeit, muss ich feststellen, dass es dabei in der Regel nicht um sehr persönliche Vertrauensbeziehungen, sondern um Gruppenbetreuung geht. Gerade für diese Zielgruppe wäre also ein Recht – wenn man die Definition des Bundesverfassungsgerichts anlegt – nicht erforderlich.
Meine Damen und Herren, es gibt aber Bereiche der Betreuung durch Sozialarbeit, in denen das sinnvoll, notwendig und geboten sein kann. Im Bereich der Schulsozialarbeit oder im Bereich der Streetworker kann es sein, dass sich Klientinnen und Klienten unbedingt auf ein aufgebautes Vertrauensverhältnis verlassen können müssen. Für diese Fälle sollte man, auch wenn man dem Ansatz des Bundesverfassungsgerichts folgt, eine Sonderregelung, bezogen auf dieses Vertrauensverhältnis, schaffen. Das könnte dann zum Beispiel auch für Lehrer gelten. Damit müsste aber die Systematik des § 53 StPO verändert werden. So etwas Ähnliches gibt es schon, nicht bezogen auf das Vertrauensverhältnis, aber zum Beispiel für Journalisten in § 53 Abs. 1 Ziffer 5 StPO.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Das wäre ein Zeugnisverweigerungsrecht und keine Zeugnisverweigerungspflicht. Das heißt also, auch wenn wir das Zeugnisverweigerungsrecht erteilen, und es geht um schwere Straftaten oder Ähnliches, kann der Sozialarbeiter/die Sozialarbeiterin natürlich, wenn er/sie will, aussagen. Ich denke, wenn die Strafverfolgung dies erfordert und Straftaten begangen werden, die von großer Bedeutung sind, dann wird der Sozialarbeiter dies auch tun.
Es kann auch, wie in § 53 Abs. 2 StPO vorgesehen, für besonders schwere Straftaten von vornherein eingeschränkt werden. Ich sage einmal: Wenn es um Mord und Totschlag geht, dann kann das Zeugnisverweigerungs
recht verweigert werden. So könnte man differenzieren und auf diese Art und Weise Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern die Arbeit deutlich erleichtern.
Dies würde bedeuten – das ist kompliziert –, dass ein solcher Zeuge in solchen Fällen möglicherweise im Verfahren bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht einen Zeugenbeistand braucht. Aber ich denke, das ist es wert, darüber nachzudenken, denn es würde in der Tat die präventive Sozialarbeit erleichtern. Wenn man dies will, dann sollte man intensiv darüber diskutieren. Ich könnte mir vorstellen, dass so etwas Gegenstand der Justizministerkonferenz sein könnte; denn damit könnte man dieses Problem, das sich auch heute im Saal wieder zugespitzt hat, vielleicht einmal einen Schritt weiterbringen.
Ich empfehle, diesen Weg zu gehen. Einer Bundesratsinitiative mit dem beantragten Inhalt werden wir nicht zustimmen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wesentlichen Punkte sind schon genannt worden. Ich will es nicht unnötig ausdehnen.
Ich will mich auch auf die Entlastung der Vereine und auf das Thema des Versands von Terminslisten in der Gerichtsbarkeit konzentrieren. Ich glaube, dass es in diesem Hohen Haus unstreitig ist, dass wir die Vereine entlasten sollten, und dass wir, gerade wenn es gemeinnützige Vereine sind, gut daran tun, das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen, die jeden Tag Unglaubliches leisten, weiter zu entlasten. Normalerweise muss man diese Gebühren aus Mitgliedsbeiträgen oder aus Spenden finanzieren. Dafür werden aber weder Mitgliedsbeiträge gezahlt noch Spenden geleistet, sondern dabei geht es um die gemeinnützigen Zwecke. Ich sage einmal, Registergebühren sind eigentlich keine gemeinnützigen Zwecke. Von daher ist es nur konsequent, wenn Gemeinnützigkeit besteht, darauf zu verzichten, solche Gebühren zu erheben.
Zum Thema des Versands von Terminslisten. Vielleicht noch einmal ganz deutlich, worum es geht: Bei Gericht gibt es für jeden Tag und für jede Kammer des Gerichts eine Terminsliste, die nach § 169 GVG öffentlich ausgehängt wird. Diese Liste enthält die Uhrzeit, das Aktenzeichen, die Namen der Beteiligten und ein Stichwort zum Gegenstand der Verhandlung. Das ist ungefähr das, worum es geht.
Für Journalisten und für ihre Funktion der Berichterstattung in der Öffentlichkeit ist es wichtig zu wissen, welche Verfahren vor Gericht verhandelt werden, weil sie auf dieser Grundlage darüber entscheiden können, ob sie als Besucher an den Verhandlungen teilnehmen. Es gibt bereits Gerichte, auch in Sachsen, die diese Terminslisten an Journalisten versenden. Das war auch Gegenstand der Anhörung, wie wir sie erlebt haben. Das ist in der Tat datenschutzrechtlich bedenklich; denn es gibt dafür keine Rechtsgrundlage. Deswegen besteht auf jeden Fall Handlungsbedarf.
In der Anhörung wurde vonseiten der Datenschützer mit guten Gründen eingewandt, dass die geplante Regelung, die Listen als Dateien zu versenden, die Gefahr berge, dass aus diesen Dateien Datenbanken generiert würden, die für spätere und langfristige Recherchen gebraucht werden könnten. Davon würden in der Tat die Grundrechte der Betroffenen beeinträchtigt.
Umgekehrt wurde von den angehörten Vertretern der Medien deutlich gemacht, dass sie auf diese Informationen angewiesen seien. Andernfalls werde die Berichterstattung über Gerichtsverfahren so kompliziert und aufwendig, dass eine zuverlässige Information der Öffentlichkeit nicht mehr gewährleistet werden könne. Sie meinen, es gebiete die Freiheit von Presse und Medien sowie die Informationsfreiheit, dass die Berichterstattung
über Gerichtsprozesse nicht nur durch die Öffentlichkeit der Verhandlung ermöglicht werde, sondern dass sie auch durch zugängliche Terminslisten so erleichtert werde, dass eine informierte Teilnahme der Journalisten möglich sei.
Um der Gefahr eines Missbrauchs zu begegnen, gibt es ein gesetzliches Verbot und die Löschungsverpflichtung. Nun ist dagegen zu Recht eingewandt worden – auch von Ihnen, Herr Bartl –, wer dies eigentlich kontrolliere und wie man es kontrollieren solle. Das ist in der Tat ein berechtigter Einwand. Damit muss man umgehen. Es wird wahrscheinlich nur dann ernsthaft kontrolliert werden, wenn es einmal auffällt, dass jemand über Daten verfügt, die er eigentlich auf keinem anderen Weg bekommen haben kann, unter anderem bei Personen, die ansonsten nicht in Erscheinung getreten sind, außer dass sie irgendwann einmal auf der Terminsliste standen. Auch das ist aber schwer nachvollziehbar – klar.
Wir haben erwogen, den Empfehlungen aus Bayern – Sie haben den bayerischen Datenschutzbeauftragten zitiert – zu folgen und die Terminslisten in anonymisierter Fassung, also ohne Namen, zu versenden. Wir haben uns am Ende aber dafür entschieden, diesen Weg nicht zu gehen, weil der Informationsgehalt für die Journalistinnen und Journalisten damit in der Tat gering wäre. Wer die Terminslisten kennt, der weiß es. Mit einem Aktenzeichen kann der Laie in der Regel nichts anfangen. Die üblichen kurzen Stichworte, die sich auf der Terminsliste finden, „wegen Forderungen“ – bei Unfallflucht oder so etwas ist es möglicherweise etwas gehaltvoller –, sind nicht sehr informativ. Deswegen meinen wir, dass es in Kauf zu nehmen ist, dass auch die Namen mitversandt werden. Eine Information über Prozesse ohne die Identifikationsmöglichkeit der Beteiligten ist wahrscheinlich von geringem Wert.
Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Die vorgeschlagene Regelung entspricht der bisherigen Praxis und den Regelungen in einigen anderen Bundesländern. Bayern beispielsweise macht es anders. Es gibt aber auch Bundesländer, die es schon ähnlich machen.
Es geht um Daten, die nach den geltenden Gesetzen ohnehin dazu bestimmt sind, die Öffentlichkeit in der Gerichtsverhandlung zu gewährleisten, und nur um diese Daten. Wir sollten immer daran anknüpfen: Es sind Daten, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Nur, es steht bisher auch nicht im GVG, dass sie so zur Verfügung gestellt werden. Wir geben der Informationsfreiheit insoweit in vertretbarer Weise etwas mehr Raum, ohne empfindlich in die Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten einzugreifen. Wir wollen dabei bleiben, der Presse soweit die Arbeit zu erleichtern, wie dies mit Rücksicht auf die anderen Interessen der Beteiligten vertretbar ist.
Wir bitten um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank. Meine Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Fraktion schließt sich dem an. Wir wollen auch, dass dieser Vertrag ratifiziert wird. Der Aufwuchs ist erforderlich, weil in jüdischen Gemeinden offensichtlich mehr Personal
benötigt wird bzw. die bestehenden Personalstellen besser ausgestattet werden sollen.
Wir denken, dass das eine gute Sache ist, und wir freuen uns, dass auch in Sachsen offensichtlich der Bedarf in diesem Bereich steigt. Das zeigt, dass sich trotz gewisser rechtsradikaler und antisemitischer Umtriebe auch in Sachsen Jüdinnen und Juden bei uns wohlfühlen und Bedarf nach Betreuung in der jüdischen Gemeinde haben.
Deswegen sollten wir diesen Schritt tun. Es ist wichtig, dass die jüdischen Gemeinden einigermaßen vernünftig ausgestattet sind, und was der Staat dazu beitragen kann, sollte er tun. Wir bitten also auch um Annahme dieses Gesetzes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben es schon angeschnitten. Wir setzen im Grunde unsere Debatte aus der Aktuellen Stunde von gestern fort. Das ist zum Teil bedauerlich, weil natürlich eine ganze Menge Polemik darin steckt. Wir haben gestern über Law and Order diskutiert. Auch die Regierungserklärung heute ist überschrieben mit „Keine Toleranz“, was ein wenig bedeutet, dass wir weniger differenziert diskutieren und im Grunde
vielleicht schon einen ersten Schritt in den Wahlkampf tun. Ich werde versuchen, das zu vermeiden.
Lassen Sie mich anfangen mit dem, was wir als Sozialdemokraten in diesem Hause genauso sehen wie der Staatsminister in seiner Regierungserklärung, und das ist eine ganze Menge.
Wir meinen, dass der Rechtsstaat es verlangt, dass Straftaten konsequent verfolgt werden. Das Vertrauen in den Rechtsstaat sinkt, wenn das nicht geschieht. Generalpräventiv und spezialpräventiv, also bezogen auf den einzelnen Straftäter, meinen wir, dass in allen geeigneten Fällen das Strafverfahren der Straftat möglichst auf dem Fuße folgen sollte. Der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang ist erforderlich, wenn das Verfahren die präventive Wirkung, die wir ihm zuerkennen, entfalten soll. Das Verfahren selbst wirkt schon präventiv. Es hat keinen Sinn, Akten jahrelang liegen zu lassen, den Eindruck zu vermitteln, es passiere gar nichts, und am Ende möglicherweise wegen Arbeitsüberlastung solche Verfahren auch noch einzustellen. Weisungen des Generalstaatsanwaltes, die dem entgegenwirken, haben unsere volle Unterstützung.
Es ist beeindruckend, dass es seit dem vergangenen Herbst bereits 200 Verfahren gegeben hat – Herr Gemkow, ich glaube, das war die Zahl, die Sie vorhin nannten –, in denen kurzfristig Anklage und Urteil realisiert werden konnten. Wir hoffen, dass die Staatsanwaltschaft auch in Zukunft über das erforderliche Personal verfügen wird.
Wir sind – wie gestern bereits ausgeführt – natürlich nicht der Auffassung, dass eine Rundverfügung des Generalstaatsanwaltes einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz darstellt.
Wir haben aber auch Einwände in Bezug auf die Regierungserklärung.
Keine Toleranz, Herr Gemkow, würde doch bedeuten, dass unsere Justiz bisher gegenüber Kriminellen zu tolerant gewesen wäre, oder es würde bedeuten, dass jemand hier verlangt, dass wir gegenüber Kriminellen toleranter sein sollen. Das eine wie das andere vermag ich nicht zu erkennen.
Sollte es zu einer übergroßen Anzahl ungerechtfertigter Einstellungen gekommen sein, dann doch weniger wegen zu großer Toleranz, sondern wohl eher wegen zu hoher Belastungen und zu wenig Personal in der Vergangenheit. Das gilt auf jeden Fall für die Einstellungen nach § 153 und § 153 a StPO.
Für Einstellungen gemäß § 154 StPO gilt etwas anderes. Da wird eingestellt, weil die Straftat im Verhältnis zu anderen, die gleichzeitig ermittelt und angeklagt werden, wenig ins Gewicht fällt. In diesem Zusammenhang Einschränkungen vornehmen zu wollen halte ich für schwierig.
Ich würde weniger an den Voraussetzungen für die Anwendung arbeiten als vielmehr daran, den Opfern besser
zu kommunizieren, warum dieser Weg beschritten wird. Das Problem scheint mir gerade im Sinne des Opferschutzes dabei zu sein, dass eine sinnvolle Verfügung der Justiz nicht verständlich ist, nicht nachvollzogen werden kann. In diesem Fall müssen wir dafür sorgen, dass die Opfer das verstehen.
Ansonsten ist das Verfahren, zugunsten schwerer Straftaten leichte Straftaten einzustellen, sinnvoll. Sie haben gesagt, dass das im Einzelfall mehr geprüft werden soll. Das halte ich für richtig. Aber wir sollten nicht sagen, dass die Problematik im Verfahren liegt. Die Problematik liegt gerade in diesen Fällen in der Kommunikation gegenüber dem Opfer.
Meine Damen und Herren! Weiterhin müssen wir darüber diskutieren, ob alles, was heute strafbar ist, Straftat bleiben muss oder ob es nicht auch Dinge gibt, die besser als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden könnten. Ein Delikt wie Schwarzfahren, also das Erschleichen von Leistungen, ist im Strafrecht mit einem Unrechtswert belegt, der der Lebensrealität und dem Unrechtsempfinden der Menschen nicht entspricht. Niemand versteht, warum jemand, der mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt rast, nur eine Ordnungswidrigkeit begeht, aber der Schwarzfahrer eine Straftat. Durch einen Schwarzfahrer fühlt sich niemand bedroht, durch einen Raser schon.
Ich gebe zu, dass dieser Zusammenhang weder Gegenstand der Regierungserklärung ist noch in die Kompetenz des Landtags fällt. Aber wenn wir Straftaten konsequent verfolgen wollen, dann müssen wir von Zeit zu Zeit auch darüber nachdenken, was wir eigentlich unter Strafe gestellt haben. Wenn sich in der Bevölkerung niemand von einem bestimmten abweichenden Verhalten bedroht fühlt und die Strafverfolger selbst den Unrechtsgehalt der Taten nicht besonders hoch einschätzen, dann sollte man erwägen, im Bund initiativ zu werden und solches Verhalten eher als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.
Wenn wir die Strafbarkeit so sortieren, dann ist es umso sinnvoller, auf der konsequenten Strafverfolgung zu bestehen, wie wir es tun.
Meine Damen und Herren! Wir sollten nicht in den Irrtum verfallen, dass wir mit Slogans wie „Keine Toleranz“ objektiv mehr Sicherheit erzeugen. Wir sprechen damit das Empfinden der Bürgerinnen und Bürger an und bestätigen sie darin, in Unsicherheit zu leben. Sie leben nicht unsicher. Es ist nicht so. Sachsen war noch nie so sicher wie heute.
Es ist einer der Erfolge der Staatsregierung, dass dem so ist.
Unsere kriminalpräventiven Maßnahmen sind erfolgreich. Die Rückfallquoten, soweit sie erreichbar sind, sind
tendenziell, von Ausnahmen abgesehen, sinkend. Wir haben ein gutes Strafvollzugsgesetz und sind dabei, den Vollzug personell so auszustatten, dass er den im Gesetz formulierten Ansprüchen gerecht wird. Damit können wir mittel- und langfristig die Kriminalität weiter senken. Einen wichtigen Beitrag leistet präventiv die Sozialarbeit überall dort, wo Verhältnisse bestehen, die das Entstehen von Kriminalität begünstigen.
Das alles muss ich gar nicht erklären. Darüber sind wir uns einig. Umso mehr irritieren mich Aussagen wie „Keine Toleranz“.
Meine Damen und Herren! Ausdrücklich begrüßen möchte ich unter vielen anderen richtigen Punkten dieser Regierungserklärung noch einmal die Ausführungen zum Opferschutz. Seit langer Zeit und besonders im vergangenen Jahr haben wir den Opferschutz in den Vordergrund gestellt. Im vergangenen Jahr haben wir hier im Hause einen Antrag – wie ich glaube – einstimmig verabschiedet, in dem wir den Opferschutz ausdrücklich befördern. Ich finde es gut, dass die Staatsregierung in diesem Bereich inzwischen sehr viel auf den Weg gebracht hat. Ich glaube, das ist ein guter Ansatzpunkt, der zur Akzeptanz des Rechtsstaates in der Bevölkerung entscheidend beitragen wird.
Opferschutz muss den hohen Stellenwert, den wir ihm beimessen, erhalten. Das müssen wir unbedingt deutlich machen. Herr Staatsminister, meine Damen und Herren, in dieser Differenzierung unterstützen wir Ihre Regierungsarbeit.
Vielen Dank.
Danke schön. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum sprechen wir heute über Interreg? Ich kann mich den Ausführungen des Kollegen Schiemann weitgehend anschließen; er hat es sehr detailliert ausgeführt, was uns gerade droht. Wenn man es noch einmal allgemeiner formulieren will: Die Europäische Kommission hat die Absicht, in diesem Bereich Kürzungen vorzunehmen; denn sie muss damit kalkulieren, dass der Brexit, über den wir gestern schon ausführlich gesprochen haben, stattfindet und dass in den Haushalt der Europäischen Union deutlich weniger Beträge eingezahlt werden. Deswegen soll unter anderem bei diesem Programm gestrichen werden.
Wir halten das für verfehlt, weil es das Programm ist, das am meisten für die Zusammenarbeit der Menschen diesseits und jenseits kultureller Grenzen tut. In Sachsen hat die Anwendung des Programms begonnen, als die Tschechische Republik und Polen noch nicht zur EU gehörten. Damals waren es EU-Außengrenzen, heute sind es Innengrenzen. Die trennende Bedeutung der Grenze ist zurückgegangen. Diesseits und jenseits gehören wir zu einer EU, teilen ein Wertesystem und betreiben gemeinsam mit anderen Gesetzgebung in Brüssel und in Straßburg. An den Grenzen wird nicht mehr kontrolliert, aber sie markieren den Übergang von Hoheitsgebieten und – noch bedeutsamer – von Kultur und Sprache.
Wenn wir gemeinsam mit unseren Nachbarn Bürgerinnen und Bürger einer Europäischen Union sind, wenn wir miteinander die Einheit in Vielfalt leben wollen, dann müssen wir einander kennen und verstehen lernen. Das ist weiterhin die Aufgabe von Interreg.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich drei kurze Beispiele nennen. Ein Beispiel ist das Programm NEISSE:GO. Das Programm verbindet Länder. Es handelt sich um ein digitales Informationssystem des Verkehrsverbun
des Oberlausitz/Niederschlesien und des Tourismusverbandes Niederschlesien. Es ist ein interaktives Portal zur Planung von Reisen. Alle wichtigen Informationen über Reisewege, Fahrpläne, Reiseziele, Naturschutzgebiete, Kultureinrichtungen, Wanderwege und Radwege sind enthalten und verknüpfbar. Das System wird trinational ausgebaut, um kartografisches Material ergänzt und sprachlich erweitert. Die Förderung durch die EU beträgt rund 667 000 Euro.
Ein weiteres Beispiel: die Verbesserung der Sicherheit durch koordinierte Öffentlichkeitsarbeit im sächsischtschechischen Grenzgebiet. Die Polizeidirektion Chemnitz hat gemeinsam mit den Bezirkspolizeidirektionen in Ústí nad Labem nad Labem und in Karlovy Vary Öffentlichkeitsarbeit gegen grenzüberschreitende Kriminalität und für Prävention organisiert. Es wurden gemeinsame Polizeistreifen und Kontrollen eingeführt. Es gibt gemeinsame Drogenprävention. Es gibt Unterricht an Schulen auf beiden Seiten der Grenze, der gemeinsam durchgeführt wird.
Wie wichtig das ist, wird an der Gefahr von und den steigenden Missbrauchsfällen bei Crystal deutlich. Wir arbeiten eng mit der tschechischen Seite zusammen. Bis zum Jahr 2018 wurden in diesem Bereich von der EU Fördermittel in Höhe von circa 787 000 Euro ausgezahlt.
Ein drittes Beispiel: grenzüberschreitendes Radwegekonzept Görlitz/Zgorzelec – etwas Kleines, aber durchaus Anschauliches. Antragsteller ist der Gemeindebund Zgorzelec in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Görlitz. Mit diesem Projekt soll ein grenzüberschreitender Radweg, der ER 3b, entlang der Neiße gefördert werden. Dieser Radweg soll gebaut werden und touristische Ziele miteinander verbinden und erschließen. Dieses Projekt wird handlich mit 20 000 Euro gefördert. Sie sehen, dass es um ganz konkrete, kleinere, aber auch sehr große Dinge geht. Es gibt eine Vielzahl weiterer Beispiele.
Meine Damen und Herren! Diese Beispiele machen deutlich: Interreg soll das Leben der Menschen in den Grenzregionen erleichtern. Das, was ohne kulturelle und sprachliche Grenze selbstverständlich sein sollte, wird mit Förderung durch Interreg erleichtert. Das Ziel ist ein Zustand, in dem die kulturellen und sprachlichen Unterschiede in einem Europa der Vielfalt bestehen bleiben, aber nicht als etwas Fremdes, sondern als etwas, was man auch jenseits dieser Grenze kennt und was in Bezug auf gute Nachbarschaft und gute Zusammenarbeit bei den wichtigen Herausforderungen in unserer Welt keine Rolle mehr spielen soll.
Deshalb hat Interreg für Sachsen mit seinen langen Grenzen zu Polen und Tschechien eine so große Bedeutung. Deshalb gilt es, die Finanzierung von Interreg zu erhalten. Wir bitten um Ihre Zustimmung.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Justiz, Strafverfolgung, Strafvollzug sind Kernkompetenzen unseres Landes. Deswegen ist es gut und richtig, es in diesem Landtag auch immer wieder zum Thema zu machen.
Law and Order – Recht und Ordnung –, gegen die Begriffe ist erst einmal nichts einzuwenden. Sie werden aber regelmäßig – so auch hier – in einem Kontext gebraucht, der nahelegt, der Staat müsse besonders hart mit Straftätern umgehen, bzw. es wird unterstellt, dass derjenige, der sich auf Law and Order beruft, das so will.
Auch wir als Sozialdemokraten stehen für Recht und Ordnung, sind aber nicht für Härte und Verschärfungen, sondern für konsequente Anwendung der Gesetze.
Der Vorwurf von Law and Order – wir hörten es – speist sich daraus, dass der Generalstaatsanwalt des Freistaates öffentlich erkennen lassen hat, dass er in Zukunft verstärkt Kriminalität, auch Kleinkriminalität, bekämpfen will. Mit Verlaub, meine Damen und Herren – losgelöst von allen Debatten –: Erst einmal ist es sein Job. Er muss dafür sorgen, dass in Sachsen konsequent Straftaten verfolgt werden.
Er will Kleinkriminalität ins Visier nehmen, weil viele Menschen nicht verstehen, warum Ladendiebstähle und Schwarzfahren nicht bestraft werden. Diese Verfahren sollten in Zukunft nicht mehr so leicht eingestellt werden. Er will eine Null-Toleranz-Politik in Sachsen unterstützen. Das würde allerdings voraussetzen, dass in der sächsischen Justiz zu viel Toleranz gegenüber Straftätern besteht, und das, ehrlich gesagt, vermag ich bisher nicht zu erkennen.
Das klingt eher nach politischen Aussagen denn als eine kriminalpolitische Maßgabe.
Die Opposition wendet ein, es gäbe weitaus wichtigere Straftaten, die Strafverfolger sollten sich auf wichtigere Themen und nicht auf Kleinkriminalität konzentrieren müssen.
Ich halte beides für etwas zu kurz gesprungen. Man kann ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Man kann aus Sicht meiner Fraktion durchaus diskutieren, ob es sinnvoll ist, bestimmte Formen der Kleinkriminalität weiterhin überhaupt als Straftaten zu belassen, und ob der Gesetzgeber zum Beispiel das Schwarzfahren künftig nicht besser als Ordnungswidrigkeit verfolgen lässt.
Auch die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit in solchen Fällen kann durchaus sehr unangenehm sein, wie jeder weiß, der schon einmal wegen zu schnellen Fahrens vor Gericht musste. In anderen Ländern gibt es auch dort Verschärfungsverlangen, da soll zu schnelles Fahren zum Vergehen hochgestuft werden – es soll Gefängnis drauf stehen und Ähnliches. Ob das zu dem führt, was man damit beabsichtigt, ist fraglich.
Wir sind eher der Auffassung, man kann darüber reden, ob zum Beispiel Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, ob man also nicht möglicherweise die Dinge so anfasst, wie sie in der Gesellschaft und in der Akzeptanz der Gesellschaft gesehen werden. Gerade beim Schwarzfahren fühlt sich niemand bedroht; der Nachbar wird sich vom Schwarzfahren kaum beängstigen lassen. „Bedroht“ werden die Verkehrsbetriebe.
Um es auf den Punkt zu bringen: Wir können überlegen, ob wir bestimmte Bereiche entkriminalisieren, aber – und das möchte ich betonen – wir müssen uns darüber im Klaren sein: Solange Tatbestände unter Strafe stehen, sollten wir sie konsequenterweise als Straftaten verfolgen.
Wir sollten zusehen, dass wir in unseren Handlungen und Vorgehensweisen konsequent sind, und solange wir Ladendiebstähle als Straftaten haben, müssen wir auch Straftaten verfolgen.
Ja, selbstverständlich.
Man kann darüber diskutieren, ob es in allen Fällen immer konsequent gehandhabt wurde. Ich kann verstehen, wenn man aus politischer Sicht sagt, wir wollen bestimmte Bereiche tatsächlich durch Verfahren ahnden. Wir sollten nicht vergessen, dass ein Teil der Präventivwirkung auch von Verfahren ausgeht, und wenn ich bestimmte Verfahren von vornherein einstelle, dann findet das Verfahren im Grunde nicht statt. Das heißt, die Präventivwirkung des Strafverfahrens wird dabei verfehlt. Man kann darüber nachdenken, ob man das anders handhaben will, und das scheint mir hier geschehen zu sein.
Herr Bartl, da müssen wir uns darüber unterhalten, ob die Kenntnis vom Verfahren die Wirkung schon hat oder ob nicht möglicherweise auch das Verfahren vor Gericht selbst – also die Förmlichkeit, das Erscheinen vor Gericht und vor dem Richter – eine deutliche erzieherische Wirkung besitzt. Ich denke, da ist etwas dran, aber darüber können wir gern diskutieren. Ich glaube, das hat durchaus schon Wirkung, von der meines Erachtens zu wenig Gebrauch gemacht wird.
Ich möchte es in der ersten Runde dabei belassen, Herr Präsident, und werde es nachher fortsetzen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist das Thema schon ziemlich ausdiskutiert. Ich bin auch der Auffassung, dass diese Rundverfügung der Generalstaatsanwaltschaft kein unzulässiger Eingriff in die Justiz und vor allem in die richterliche Unabhängigkeit ist.
Es ist kein Eingriff in die unabhängige Rechtsprechung. Herr Bartl, wenn das so wäre, dann wäre die BundesRiStV, die Sie vorhin zitiert haben, – –
Bundeseinheitlich hin, bundeseinheitlich her, da wird den Gerichten eine Vorgabe gemacht, und zwar unterhalb der gesetzlichen Ebene.
Den Staatsanwälten, na klar, aber das ist doch im Grunde auch eine Anordnung, die keinen Gesetzescharakter hat. Natürlich kann die Staatsanwaltschaft Richtlinien erlassen, mit denen die Vorgehensweise der einzelnen Staatsanwälte im Verfahren Vorgaben bekommt. Dass er letzten Endes im Verfahren selber entscheiden kann, ist eine andere Frage. Insoweit ist der Staatsanwalt vom Richter zu unterscheiden und ist als Teil der Exekutive weisungsgebunden.
Aber in der Tat: Insoweit ist der Staatsanwalt auch vom Richter zu unterscheiden; er ist Teil der Exekutive, und er ist weisungsgebunden. Das ist schon ein Unterschied zum Richter. Ich glaube, dass die Unabhängigkeit der Justiz dadurch nicht beeinträchtigt ist.
Bei alledem möchte ich noch einmal unterstreichen, was vorhin schon erwähnt wurde und mir aber auch sehr wichtig ist: Wir brauchen natürlich für all das, was hier geplant ist, das notwendige Personal in der Justiz und auch bei den Strafverfolgungsbehörden. Zurzeit und im laufenden Haushalt bemühen wir uns darum, für mehr Personal zu sorgen. Aber man muss klar sagen: Mit dem, was als Verfügung des Generalstaatsanwalts in die Welt gekommen ist, wird mehr Personal benötigt werden. Ob das den Kalkulationen zugrunde liegt, die wir beim Haushalt angestellt haben, darüber muss man dann noch einmal nachdenken. Ich glaube, dass dadurch wieder mehr Personal benötigt werden wird.
Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt nicht eine Tour d‘Horizon durch die Europapolitik machen. Da ist viel verbesserungsfähig. Herr Stange, dazu haben Sie eine Menge gesagt, dem ich mich durchaus anschließen kann. Ich meine, wir sollten uns darüber klar werden, was da parallel zu dem passiert, was wir heute hier erleben. Gestern Abend hat das Britische Unterhaus den Vertrag über den Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zum zweiten Mal abgelehnt. In der Folge hat die Europäische Union erklärt, dass es keine Verhandlungsspielräume mehr gibt. Das klingt erst einmal nach hartem Brexit.
Nun wird heute darüber diskutiert, ob es einen harten Brexit geben soll. Ich glaube, es ist kein Blick in die Glaskugel, zu sagen, dass davor alle zurückscheuen werden und es heute im Unterhaus keine Mehrheit für einen harten Brexit geben wird. Der Erfolg wird also sein, dass heute der harte Brexit abgelehnt wird. Das ist vor einigen Wochen schon einmal dagewesen. Dann wird morgen darüber diskutiert werden, wie es denn weitergehen soll. Das „Weitergehen soll“ heißt: Kommt es denn nun Ende des Monats zum Austritt oder kommt es nicht zum Austritt? Und weil das alle scheuen, werden sie auch noch beschließen, dass sie den Antrag stellen werden, den Austrittstermin zu verschieben. Ich glaube, das wird hier weitgehend auf Konsens stoßen. Wohin kommen wir dann? Der Austrittsvertrag wird nicht ratifiziert werden. Einen harten Brexit will auch keiner. Es gibt dann noch ein Drittes, das im Raum steht: Das ist ein weiteres Referendum. Auch das ist jeden Tag in der steten Diskussion.
Ich denke, man kann davon ausgehen, dass es zu einem weiteren Referendum kommen wird. Das wünschen sich auch viele. Man kann damit die Hoffnung verknüpfen, dass sich dadurch etwas Grundlegendes in der britischen Öffentlichkeit ändert. Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre sagen allerdings etwas anderes. Die Erfahrungen sagen: Es ist alles möglich. Und es ist auch möglich, dass ein weiteres Referendum das erste bestätigt. Dann, so glaube ich, haben wir endgültig den Salat. Dann ist nämlich im Grunde die Politik zwischen der Europäischen Union und Großbritannien kaum noch kalkulierbar. Es wird spätestens dann dazu führen, dass in Großbritannien Regierungswechsel, Neuwahlen stattfinden und dann neu verhandelt werden muss.
Das Problem dabei ist dann allerdings auch, dass Großbritannien zunächst nicht an der Europawahl teilnehmen wird. Wir wissen noch gar nicht, wie sich eine Fristverlängerung auswirken soll, denn die Europawahl steht vor der Tür. Wenn Großbritannien an der Wahl nicht teilnimmt, ist für den Fall, dass Großbritannien dann noch in der Europäischen Union wäre, bisher nichts vorgesehen. Also wird das Europäische Parlament darüber noch einmal zu beraten haben, wie es denn mit diesem Sachverhalt umgehen soll. Sie sehen also: Wir haben ein großes Durcheinander auf der europäischen Ebene.
Die Staatsregierung legt hier einen Gesetzentwurf vor, der einen Ausschnitt aus diesen zahlreichen Möglichkeiten beleuchtet. Das Einzige, was man im Moment tun kann, ist, diesen Ausschnitt umzusetzen. Er bezieht sich auf den Austrittsvertrag, der jetzt mit einiger Sicherheit nicht zustande kommt. Trotzdem meine ich, dass es sinnvoll ist, das jetzt umzusetzen, um alles zu tun, was man tun kann, damit das Ganze nach Möglichkeit ohne allzu großes Chaos über die Bühne geht. Das Chaos werden wir trotzdem erleben, fürchte ich. Aber vielleicht wird auch das Referendum noch zu einem anderen Ergebnis führen.
In diesem Sinne kann ich ankündigen, dass auch unsere Fraktion diesem Entwurf zustimmen wird.
Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lassen uns die Freundschaft zu den Angelsachsen nicht vermiesen, auch nicht von einigen Brexiteers. Ich will das jetzt nicht breit ausführen, weil die Tagesordnung lang ist, und gebe meine Rede zu Protokoll.
Wir haben die Debatte zum Brexit-Überleitungsgesetz zum Anlass genommen, noch einmal die Ansicht des Landtags aus unserer Perspektive zu diesem britischen Abenteuer deutlich zu machen.
Wir möchten besonders in der heißen Phase zwischen den Abstimmungen im britischen Unterhaus deutlich machen, wie eng wir uns dem Vereinigten Königreich in Europa verbunden fühlen. Britische Lebensart, britische Kultur sowie die Sprache hatten in den vergangenen sieben Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg großen Einfluss auf europäische, auch auf deutsche Lebensart, Kultur und Sprache. Das galt bis 1989 mehr für die westlichen Bundesländer, war aber schon damals im Osten spürbar, wenn man an die wenigen Auftritte britischer und amerikanischer Bands denkt. In den letzten 30 Jahren ist es stärker geworden.
Die Verflechtungen sind unverkennbar: Deutsche Beiträge zum European Song Contest werden in englischer Sprache gesungen, wir tragen Anzüge und Jacketts im englischen Stil, umgekehrt gehören ein Mini und ein Rolls
Royce heute zu BMW, Bentley zu VW. Mit der Anglisierung unserer Sprache sind wir inzwischen so weit, dass wir eigene Anglizismen erfinden, die auf der Insel niemand kennt. Wussten Sie, dass man unser Wort „Handy“ ins Englische übersetzen muss und dass es dort „mobile phone“ heißt?
Umgekehrt kennen die Briten das Wort „Kindergarten“ und haben dafür auch kein anderes Wort. Wir sind unglaublich anglophil, fühlen uns kaum mit Skandinaviern und Niederländern ähnlich eng verwandt wie mit den Briten, auch wenn die Sprachverwandtschaft dorthin deutlich näher ist. Vielleicht ist das ein Zusammenhang, der es uns so schwer macht zu glauben, dass die Briten sich wirklich von uns scheiden lassen wollen.
Doch zurück zum Ernst der Sache: Das UK ist unser enger Partner nicht nur in der EU, sondern auch in der NATO, in der UNO und einigen anderen Organisationen. Sie finden in unserem Antrag auch einiges zu den bilateralen Wirtschaftszahlen. Die Kernaussage, was immer in den nächsten Wochen und Monaten geschehen mag, ist: Wir wollen, dass die guten und engen Beziehungen zum
Vereinten Königreich bestehen bleiben. Wir betrachten die Britinnen und Briten als unsere Freunde, und das lassen wir uns nicht von einigen Brexiteers vermiesen.
Auch die Europäische Sicherheitspartnerschaft sollte erhalten bleiben, wenn möglich, sollte man sie ausbauen – unter Einbeziehung des UK. Dies gilt umso mehr, wenn
die Führungsmacht der NATO, die USA, ihre Funktion nicht mehr wahrnehmen wollen sollten.
Wir bitten um Ihre Zustimmung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalitionsfraktionen hatten sich zu Beginn der Legislaturperiode vorgenommen, erneut in die Entwicklungspolitik einzusteigen. „Erneut“ deswegen, weil wir – Herr Schiemann hat es eben ausgeführt – zu Beginn der Neuerstehung des Freistaates Sachsen in den Neunzigerjahren schon einmal einen Beschluss des Landtags hatten, wonach in Sachsen 1 D-Mark pro Einwohner für Entwicklungshilfe ausgegeben werden sollte. Das ist zu einem späteren Zeitpunkt leider wieder zurückgenommen worden – wohl wegen knapper Kassen, wenn ich das so formulieren darf. Jedenfalls ist die Idee dann erst einmal nicht weiterverfolgt worden.
Bei uns stand die Erkenntnis im Vordergrund, dass Entwicklungszusammenarbeit für die Zukunft der Menschheit in einer gemeinsamen Welt von grundsätzlicher Bedeutung ist. Das klingt jetzt sehr nach wolkiger Beschreibung, aber ich glaube, dass Entwicklungszusammenarbeit auch eine Aufgabe des Landes, des Freistaates Sachsen, sein muss, wenn man in dieser Welt bestehen will und sich über die Verhältnisse in dieser Welt klarwerden will. Ohne die Kenntnis von Lebensverhältnissen und Bedürfnissen ist es nicht möglich, Verständnis füreinander zu gewinnen, ist es nicht möglich, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, wie eine globalisierte Welt menschenwürdig gestaltet werden kann.
Inzwischen sind andere Erwägungen hinzugetreten. Wir müssen feststellen, dass die wirtschaftlichen, politischen und sonstigen Verhältnisse – Verhältnisse in Bürgerkriegen – unerträgliche Situationen in Ländern der sogenannten Dritten Welt hervorgerufen haben und zu Migration führen, die für viele Menschen in Europa bedrohlich wirkt. Dies motiviert viele Menschen zur Entwicklungszusammenarbeit, die sich sonst weniger dafür interessiert haben. Das ist sicherlich eine Motivation. Wer sich schon lange mit Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt, weiß, dass es das eigentlich nicht sein kann, sondern dass wir eine kontinuierliche Entwicklungszusammenarbeit brau
chen. Aber wir sollten auch die jetzige Motivationslage natürlich nutzen, um Entwicklungszusammenarbeit
voranzubringen.
Mit dem Haushalt 2019/2020 hat der Landtag die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit noch einmal deutlich aufgestockt – Herr Schiemann wies eben darauf hin. Wir haben jetzt insgesamt ungefähr 1,2 Millionen Euro für beide Jahre in den Haushalt eingestellt. Ich denke, das ist noch nichts, worüber man jubeln muss, aber man kann damit etwas anfangen. Wir können die Zusammenarbeit weiter ausbauen. Nachdem der Einstieg in einige Projekte funktioniert hat – nicht nur die Förderung vieler kleiner Projekte, sondern auch zweier etwas größerer Projekte, die Herr Schiemann schon beschrieben hat –, kann man an dieser Stelle jetzt weiterarbeiten. Vor allem kann man die Projektarbeit konkreter ausrichten.
Wir wollen Projekte dafür nutzen, auch mehr Kontakte zu Gebietskörperschaften, zu Gemeinden und Städten in den Partnerländern zu gewinnen. Wir wollen Partnerschaften aufbauen, soweit das möglich ist. Uns schwebt mittelfristig vor, solche Zusammenarbeit auf die kommunale Ebene, auf Städte und Gemeinden, auf Schulen und Berufsschulen, auf Universitäten und Fachhochschulen auszudehnen.
Das klingt jetzt vielleicht ungewöhnlich, aber so etwas gibt es. Rheinland-Pfalz hat das Partnerland Ruanda, Nordrhein-Westfalen hat, glaube ich, das Partnerland Ghana, wenn ich nicht irre. Dort funktioniert eine solche Zusammenarbeit und führt dazu, dass man durch Kontakte auf all diesen Ebenen Verständnis füreinander entwickelt und verlässliche, vertrauensvolle Strukturen schafft, die zu einer echten Entwicklungszusammenarbeit beitragen können.
Denkbar sind Forschungskooperationen, neue Formen von Landwirtschaft, Beherrschung von Flussläufen, Stabilisierung von Grundwasser, aber auch Landschaftsentwicklung, Siedlungsentwicklung, Infrastruktur – alles Stichworte, die bei uns eine Rolle spielen, aber natürlich auch in den Partnerländern, weshalb eine Zusammenarbeit für beide Seiten ausgesprochen fruchtbar sein kann.
Dafür brauchen wir auch weiterhin die Mitarbeit ehrenamtlicher Helfer und Organisationen, deren Arbeit ich noch einmal ausdrücklich würdigen möchte. Gerade die Ehrenamtlichen, die sich aus Überzeugung und Idealismus engagieren, verdienen, wie ich glaube, unseren uneingeschränkten Beifall.
Meine Damen und Herren! Große Ziele, viele Ideen. Anfangen wollen wir mit sehr konkreten Projekten in konkreten Ländern, die noch ausgewählt werden sollen. Es geht um das Definieren von Zielen, um deren Erreichung und um eine Erfolgskontrolle. Es muss nachvollziehbar bleiben, was mit den eingesetzten Mitteln geschieht, damit sie möglichst effektiv eingesetzt werden und möglichst viel Wirkung erzielen.
Ich glaube, das ist ein guter Weg, an dem sich gerade auch der Freistaat Sachsen beteiligen kann. Deswegen bitte ich auf diesem Weg um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für diese ausführliche und sehr sachliche Debatte zu einem so wichtigen Thema.
Ich nehme noch einmal das Stichwort Fluchtursachen auf, da ich den Eindruck habe, dass sich dieses für mein Empfinden etwas zu stark durch die Diskussion gezogen hat. Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es nicht vordergründig um die Bekämpfung von Fluchtursachen, sondern um Entwicklungszusammenarbeit und die Organisation des Zusammenlebens in einer globalisierten Welt. Ich denke, dieser Unterschied ist wichtig. Wir sollten den Leuten nicht erzählen, dass sie Angst haben müssen, dass alle Fremden hierher kommen usw. Wir müssen uns darüber klar sein, dass wir alle in der Welt Verantwortung füreinander haben. Das halte ich für sehr wichtig.
Wie vorhin bereits gesagt, wollen wir eine langfristige Entwicklungszusammenarbeit erreichen, die mit konkreten Projekten beginnt und danach in eine vertrauensvolle Kooperation mit den Behörden, der Zivilgesellschaft und mit den Regierungen vor Ort münden kann. Wir sind gern bereit, über Eckpunkte und Prinzipien, wie das geschehen soll, in diesem Hohen Haus zu diskutieren. Das sollten wir tun, und wir nehmen diese Anregungen gern auf. Ich denke, in den nächsten Monaten wird es genügend Gelegenheiten geben, über solche Themen zu diskutieren.
Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse in Großbritannien – Herr Schiemann sagte es schon – geben Anlass zu großen Sorgen. Es wurde ein Vertrag zwischen der EU und Großbritannien über den Austritt von Großbritannien aus der EU ausgehandelt. Aber das britische Unterhaus akzeptiert ihn nicht und bereitete damit der Premierministerin eine schwere, empfindliche Niederlage. Das scheint sie aber nicht sonderlich zu irritieren; denn trotzdem überstand sie am Folgetag eine Vertrauensabstimmung.
Die Premierministerin wollte einen Plan B vorlegen; aber sie legte nur denselben Plan noch einmal vor und will darüber verhandeln. Doch da ist nicht viel zu verhandeln. 27 Staaten der EU haben dem Vertrag zugestimmt. Wenn er neu aufgeschnürt und neu verhandelt werden würde, dann müsste nicht nur über diejenigen Dinge neu verhandelt werden, die Großbritannien vielleicht wichtig sind, sondern dann gäbe es wahrscheinlich viele andere Interessen, die erneut Berücksichtigung finden würden – eine unendliche Geschichte.
Seit gestern wissen wir, dass sie die sogenannte BackstopKlausel über die Grenze zwischen Irland und Nordirland neu verhandeln will. Doch auch da gilt: Das ist nicht neu, und eigentlich gibt es nichts zu verhandeln. Man erinnert sich an das geflügelte Wort der Premierministerin aus Zeiten, als das erste Referendum stattgefunden hatte und sie immer wieder gefragt wurde, was denn nun eigentlich passieren solle. Die Antwort lautete: Brexit ist Brexit. Mehr Aussage dazu gibt es heute von einer Mehrheit der Tories nicht.
Meine Damen und Herren, es gibt einen Gleichklang zwischen nationalistischen Tories und der nordirischen DUP, der jede Relativierung Nordirlands in Beziehung zur britischen Hauptinsel ausschließt. Es ist eine unversöhnliche Haltung, wie man sie seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 überwunden glaubte. Der Brexit droht die alte Feindschaft wieder aufleben und den Frieden in Nordirland untergehen zu lassen. Der Terror wittert schon wieder Akzeptanz, wie der erste Anschlag aus der vorvergangenen Woche zeigt.
Meine Damen und Herren, Europa wird als Friedensprojekt bezeichnet, das die Völker Europas geeint habe. Manche finden heutzutage dieses Friedensargument nicht mehr sonderlich wesentlich. Dabei verdanken wir der EU,
dass in den Mitgliedsstaaten seit dem Zweiten Weltkrieg keine kriegerischen Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Aber Europa hat nicht nur Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen, es hat auch regionale Konflikte befriedet. Nordirland ist das beste Beispiel dafür. Der Konflikt zwischen Griechenland und Nordmazedonien ist auf dem Weg, ein weiteres zu werden, und Nordirland zeigt, was geschieht, wenn die einigende Kraft Europas geschwächt wird.
Meine Damen und Herren, es droht ein harter Brexit ohne Vertrag. In dieser Situation rechnen eigentlich fast alle Beobachter mit einer Verlängerung der Austrittsfrist. Der Europaausschuss hat in der vergangenen Woche in Brüssel getagt und auch dort von den Beobachtern und zum Teil auch von den Beteiligten die Meinung gehört, dass es wohl auf eine Verlängerung der Austrittsfrist hinauslaufen müsse. Aber die Briten beantragen das nicht. Gestern ist ein Antrag im Unterhaus zu diesem Thema gescheitert. Alles wirkt, als warte im Unterhaus jede Seite auf die andere. Es gilt zu beweisen, wer die besseren Nerven hat. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Aber: Ist der Brexit wirklich ein Spiel? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten da einige verantwortungslose Spieler eine neue Art gefunden, sich die Langeweile zu vertreiben.
Meine Damen und Herren, was bedeutet es für die Wirtschaft? Wirtschaftspolitik hat viel mit Psychologie zu tun. Unternehmen brauchen klare Rechtsverhältnisse, um planen und entscheiden zu können. Diese unglaubliche Hängepartie, die uns die britische Regierung bietet, ist geeignet, die Wirtschaft in Großbritannien und ihre Partner grundsätzlich zu verunsichern. Wenn man daran denkt, mit welchen Mitteln die Entscheidung des Referendums manipuliert wurde, dann ist die große Unsicherheit berechtigt, und die Folgen sind messbar.
2018 sanken die sächsischen Exporte nach Großbritannien um 11 %. – Weiteres trage ich Ihnen in einer zweiten Runde vor.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich auf einige Ausführungen, die uns Herr Beger gerade mitgeteilt hat, eingehen. Er hat unsere ehemalige LabourKollegin Gisela Stuart zitiert.
Sie ist in der Tat nicht der Auffassung, die die Sozialdemokraten in Deutschland und die meisten Sozialdemokraten europaweit vertreten. Wenn sie sagt, keine Regierung wolle in Nordirland einen neuen Konflikt entfachen, dann kann man nur sagen: Sie haben noch nie gesagt, dass sie das wollen. Aber das, was gerade dort passiert und sich in ersten Terrorakten äußert, zeigt deutlich, wohin es steuert.
Eine Rückkehr des Nationalismus führt zu einer Rückkehr von kriegerischen Auseinandersetzungen, meine Damen und Herren. Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass sich dort gerade die Fronten verhärten. Wir haben auch deshalb bisher keine Akzeptanz des BrexitAbkommens, weil sich diese verhärteten Fronten, weil sich die harten Leute in Großbritannien im Moment durchsetzen wollen. Darauf läuft es hinaus.
Wir können nur hoffen, dass es zu diesem Abkommen kommt. Wir können auch hoffen, dass es ein zweites Referendum geben wird. Man muss aber sagen, die Demagogie, mit der für das erste Referendum argumentiert wurde, hat gezeigt, dass ein Teil der britischen Öffentlichkeit nicht bereit ist, fair zu argumentieren.
Die AfD hat kürzlich ein Europaprogramm verabschiedet. Sie hat gesagt, wenn bestimmte Reformbedingungen nicht durchgesetzt werden, solle Deutschland aus der Europäischen Union austreten, wobei – wenn man genau hinschaut – gerade diese Forderungen, die als Reformforderungen formuliert werden, durchaus geeignet sind, eine Beendigung der Europäischen Union herbeizuführen. Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass das EUParlament abgeschafft werden soll. Der Euro soll abge
schafft werden, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik soll abgeschafft werden.
Es ist sehr spannend, was an Forderungen aufgestellt wird. Ich meine, wenn man die EU kritisiert, dann aber sagt, man wolle das demokratischste Organ der Union – das Parlament – abschaffen,
hat man, glaube ich, die ganze Europäische Union nicht verstanden.
Es findet sich kein Wort darüber, wie man im Rahmen der bestehenden Verträge die Europäische Union reformieren möchte. Das will man gar nicht, man will sie abschaffen.
Meine Damen und Herren! Frau Petry,
Sie haben gerade mit dem Satz geendet: Es gibt ein Leben nach der EU. Ich kann dazu nur sagen: Es gibt ohne EU ein Ende von Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa. Dagegen sollten wir uns wehren.
Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartl, ich kann ja verstehen, dass Sie eine ganze Reihe von Bedenken, auch verfassungsrechtlicher Art, hier vorgetragen haben, und diese sind natürlich auch erwägenswert. Nur haben Sie ein wenig den Eindruck erweckt, als sollten alle diese Regelungen für den Jugendarrestvollzug gegen jede Jugendarrestantin und jeden Jugendarrestanten angewendet werden.
Wir haben diese Ausnahmetatbestände nur dann, wenn die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen. Wenn wir für bestimmte Fälle einen Richtervorbehalt einbauen, dann sollten wir, so weit es geht, Grundrechtsverletzungen verfahrenstechnisch ausschließen. Ich bete auch nicht den Richtervorbehalt an als die Musterlösung für alle Grundrechtseingriffe, aber wir sollten uns klarmachen, dass hierfür schon viel getan worden ist.
Wenn Sie sagen, Ihnen gehen die möglichen Grundrechtseingriffe zu weit, dann ist das akzeptabel. Aber sagen Sie bitte nicht, dass wir keine verfahrenstechnischen Voraussetzungen geschaffen hätten.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Herr BaumannHasske, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte eine Zwischenfrage.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Bitte schön, Herr Bartl.
Da haben Sie recht. Ich wollte auch nur klarmachen, dass nicht jeder Jugendarrestant einer solchen Maßnahme unterzogen wird, sondern nur dann, wenn er einen Anlass dafür bietet.
Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz wird der Jugendarrestvollzug in Sachsen endlich auf eine Grundlage gestellt. Dazu sind viele Ausführungen gemacht worden und ich möchte das nicht alles wiederholen. Lassen Sie mich einige Aspekte herausgreifen, die uns als SPD-Fraktion besonders wichtig erscheinen.
Uns als Sozialdemokraten war es ein besonderes Anliegen, dass im Vollzug im Jugendarrest, aber auch im Strafvollzug, im Jugendstrafvollzug und im U-Haftvollzug immer dann, wenn zusätzlich in Grundrechte von Inhaftierten eingegriffen wird, nach einer gewissen Frist nicht nur die Aufsichtsbehörde, sondern auch der Verteidiger informiert wird. Das ist jetzt überall eingeführt worden.
Das Jugendarrestvollzugsgesetz will dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich beim Jugendarrest nicht um Strafvollzug handelt, sondern um eine Strafdrohung, die erzieherisch wirken soll. Man mache sich klar, dass die meisten Betroffenen notorische Schulverweigerer sind und in der Regel nicht länger als zwei Wochen, meist kürzer, im Vollzug verbleiben. Im Zuge der Diskussion habe ich feststellen können, dass die Jugendarrestvollzugseinrichtungen ohnehin häufiger leer stehen und dort überhaupt nicht vollzogen wird.
Meiner Fraktion war es deshalb besonders wichtig, als eines der Vollzugsziele zu formulieren, die Betroffenen mögen zum künftigen Schulbesuch motiviert werden. Sind Schäden verursacht worden, soll die Motivation zur Wiedergutmachung ein wichtiges Ziel sein.
Insgesamt soll sich der Jugendarrestvollzug am Entwicklungsstand orientieren und nicht nur am Alter der Jugendlichen ausgerichtet sein. Der Jugendarrestvollzug wird Trennungen innerhalb der Anstalt kennen; das haben Sie gerade kritisiert. Sie sollen in der Regel acht Stunden nicht überschreiten und anderenfalls der Aufsichtsbehörde und dem Verteidiger mitgeteilt werden. Auch im Regelvollzug für Erwachsene, Jugendliche und in der U-Haft wird es disziplinarische Trennungen geben. Hier wird die Frist der Benachrichtigung auf 24 Stunden gesetzt.
Wir führen in der Erfahrung mit dem U-Häftling al-Bakr die Videoüberwachung in besonderen Zellen ein. Sie dient wesentlich dem Schutz der Betroffenen vor sich selbst, also der Suizidprävention, aber auch der Vermeidung von Fremdgefährdung. Dabei haben wir ausführlich diskutiert, ob eine Stuhlwache in der Zelle durch Bedienstete oder die Videoüberwachung der geringere Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen sei. Darüber kann man sich unter Rechtsgelehrten trefflich streiten. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Videoüberwachung die geringere, für den Betroffenen weniger empfindliche Möglichkeit ist; denn in die Privatsphäre wird so oder so eingegriffen.
Wir halten es auch für sinnvoll, die Überwachung kurzzeitig – bis zu 72 Stunden – aufzuzeichnen, um so eine Begutachtung nicht nur durch den Vollzugsdienst, sondern gegebenenfalls auch durch Psychologen und Ärzte zu ermöglichen. Danach sind die Aufzeichnungen zu löschen. Ich wüsste nicht, warum eine Aufbewahrung von 72 Stunden verfassungsrechtlich deutlich bedenklicher sein sollte als die Aufbewahrung von 48 Stunden. Man kann sich darüber streiten, ob überhaupt aufgezeichnet werden muss. Aber wenn Auffälligkeiten vorhanden sind, dann ist es für eine ordentliche psychologisch-medizinische Begutachtung einfach notwendig, dass ein Facharzt, ein Psychologe die Möglichkeit hat, sich das nachträglich anzuschauen.
Eine Meldung an die Aufsichtsbehörde und an den Verteidiger soll erfolgen, wenn die Videoüberwachung länger als 24 Stunden andauert. Hierzu hatte es im Ausschuss Diskussionen gegeben. Wir gehen davon aus, dass die Videoüberwachung im Regelfall so lange andauern sollte, bis eine Suizidgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Dazu wird eine Übernachtung sinnvollerweise einbezogen werden müssen. Wenn das nicht ausreicht, sollten Aufsichtsbehörde und Verteidiger verständigt werden.
Meine Damen und Herren! Insgesamt scheint mir dieses Gesetz ein gelungener Kompromiss zu sein, um die Ziele des Strafvollzuges bzw. des Jugendarrestvollzuges weiterhin im Sinne der Resozialisierung zu verfolgen. Ich bitte Sie um Zustimmung.