Wolfgang Drexler

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Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In Artikel 11 unserer Landesverfassung steht:
Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung.
Jetzt wollen wir einmal untersuchen, ob das in Baden-Württemberg so ist.
Es ist in Baden-Württemberg natürlich nicht so.
Natürlich ist es nicht so. – Internationale Studien machten bereits im Jahr 2000 deutlich, dass in Baden-Württemberg die soziale Herkunft über den Bildungserfolg entscheidet.
Ja, im Jahr 2000 war das schon. 2004 wurde eine UNICEF-Studie veröffentlicht, die das bestätigte und sogar
noch vorhersagte, in Baden-Württemberg werde es noch schlimmer werden, der soziale Faktor werde dort eine noch größere Rolle spielen. Das heißt, man hat in den vergangenen fünf Jahren auf diesem Gebiet nichts gemacht.
Das baden-württembergische Schulsystem zeichnet sich auch dadurch aus, dass ein Großteil der Kinder, die in die Schule kommen, nicht Deutsch können oder Deutsch nicht verstehen. Man schätzt diese Zahl auf 25 bis 30 %. Aus der PISA-Studie geht weiter hervor, dass 20 % der Kinder im Alter zwischen 15 und 16 Jahren, die unser Schulsystem durchlaufen haben, Deutsch nicht verstehen oder nicht verstehen, was sie auf Deutsch lesen.
Es geht überhaupt nicht um bessere Punkte. Wenn Sie nach Nordrhein-Westfalen umziehen wollen, dann gehen Sie dort hin und machen Sie dort Politik. Ich will in BadenWürttemberg Politik machen. Hier geht es um baden-württembergische Kinder
und um das baden-württembergische Schulsystem, Herr Kollege. Darum geht es. Und Sie erklären sich offensichtlich mit diesen Daten einverstanden, die sich in fünf Jahren nicht verändert haben.
Sie haben nicht erreicht, dass im Kindergarten die Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren nun endlich Deutsch lernen, wie das im europäischen Ausland für die jeweilige Muttersprache üblich ist. Nichts haben Sie unternommen, außer ein paar Versuchen. Sie haben nicht erreicht, dass die Bedeutung der sozialen Herkunft für den Schulerfolg allmählich abnimmt, weil Sie nicht in den Ganztagsschulbereich eingestiegen sind. Sie haben die Modelle, die Sie eingeführt haben, Herr Kollege – Stichwort G 8 –, sogar noch verschärft. Ich komme nachher auf die neuesten Vorschläge zurück, die der Herr Minister dazu gemacht hat.
Im „Handelsblatt“ wird heute Lothar Späth zitiert. Es ist ja immer gut, wenn man bei Lothar Späth manches nachliest. Lothar Späth sagt, heute im „Handelsblatt“ – das trifft euch natürlich, das muss euch treffen; da vergeht euch das Lachen – nachzulesen:
Weg von einem Bildungssystem, das zu stark darauf ausgerichtet ist, überdurchschnittliche Schüler von unterdurchschnittlichen zu trennen, hin zu einem System, das individuelle Schwächen ausgleicht und Talente fördert.
Das ist die Aufgabe eines Schulsystems und nicht das, was Sie hier machen.
Was haben Sie gemacht?
Ich komme jetzt auf das G 8 zu sprechen. Genau das, was wir vor 14 Tagen hier zur Abstimmung gestellt haben, hat jetzt der Minister angekündigt – zwar nicht alles, aber Teile davon. Er hat Stunden von Klasse 5 und Klasse 6 nach oben verschoben und hat die zweite Fremdsprache zur Diskussion gestellt. Vor 14 Tagen haben Sie alle dagegen gestimmt, als wir diese Vorschläge zur Abstimmung gestellt haben.
Auch haben Sie nicht akzeptiert, dass es sich um eine Ganztagsschule handelt. Deswegen müssen Sie da im baulichen Bereich und auch im pädagogischen Bereich etwas machen. Auch müssen wir uns nach wie vor noch über die Stofffülle unterhalten.
Das Schlimme bei Ihnen ist, dass Sie nicht aus Überzeugung handeln. Sie machen es vielmehr aufgrund des Drucks wegen der Wahl. Denn der Herr Minister hat ja noch einen Brief an alle Eltern geschrieben und darin geäußert: Eigentlich ist alles in Ordnung, nur sollten die Eltern doch bitte mehr Vertrauen in ihre Kinder haben und ihren Kindern auch die Verantwortung lassen, dass sie in diesem Fall so zur Schule gehen.
Innerhalb kurzer Zeit schmeißen Sie all das, was Sie den Bürgern gesagt haben, über den Haufen und machen genau das, was wir vor 14 Tagen hier beantragt haben – noch nicht ganz, aber Teile davon.
Jetzt komme ich zur Ganztagsschule. Darüber hörte man gestern etwas ganz Tolles. Zunächst einmal haben Sie die Sache fünf Jahre lang abgeblockt. 2001 haben Sie begonnen, und bis heute – im Jahr 2006 – ist nicht sehr viel passiert, außer an Brennpunktschulen,
außer dass der Bund ein Programm aufgelegt hat, außer dass Sie jetzt ein Programm von 2006 bis 2015 aufgelegt haben.
Jetzt kommen wir einmal zu den neuen Lehrerstellen. Die hat der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung ja
noch abgelehnt. Da hat er – das war, glaube ich, im Juli vergangenen Jahres – nur von Ehrenamtlichen gesprochen. Jetzt kommen die neuen Lehrer – im Übrigen erst kurz vor der Wahl angekündigt. Das finde ich ja schön.
Nur: Jetzt gehen wir doch einmal auf die 1 840 Lehrerstellen zu. Das sind Lehrerstellen, die irgendwie aufgrund zurückgehender Schülerzahlen frei werden.
Hören Sie doch einfach einmal zu!
Das Problem ist: Sie hören nicht zu und machen dann Sachen, die, wie jetzt auch wieder, nach Murks aussehen. Sie machen viel Murks. Denn eines ist doch klar: Hätten Sie auf unsere Vorschläge bzw. auf das, was die Eltern oder die Lehrerverbände gesagt haben,
reagiert, hätten Sie nicht eine ganze Generation von Schülerinnen und Schülern als Versuchskaninchen beim G 8 missbrauchen müssen.
Das ist doch das Problem: Ständig werden hier Kinder als Versuchskaninchen missbraucht.
Wir wollen heute von Ihnen wissen: Wie viele Stellen werden bis 2011 überhaupt frei? Da gibt es ja ganz unterschiedliche Berechnungen. Nehmen Sie zum Beispiel die Berechnung des Statistischen Landesamts. Da kommen Sie auf 2 000 frei werdende Lehrerstellen aufgrund zurückgehender Schülerzahlen bis 2011.
Jetzt hören wir, dass davon 1 840 Lehrerstellen für Ganztagsschulen weggenommen werden sollen. Wir wollen wissen: Wann kommen die? Wir haben ja schon 200 Ganztagsschulen. Die werden offensichtlich überhaupt nicht mit Lehrerstellen bedacht. Die sind schon jetzt in Betrieb – nicht die Brennpunktschulen, sondern die, die jetzt gerade gebaut werden. 200 sind jetzt schon da. Im vergangenen Jahr haben sie nichts gehabt. Sie kriegen wohl dieses Jahr auch nichts. Ob sie im nächsten Jahr etwas kriegen, wissen wir auch nicht. Es wird nur eine Zahl in die Diskussion geworfen. Es werden wie immer Schlagzeilen produziert.
Was kommt unten heraus? Wie viele werden denn frei? Wir hören da die gigantischsten Zahlen von Stellen, die bis 2011 frei werden. Sie müssen ja noch 1 100 Stellen pro Jahr bis 2008 zur Verfügung halten, damit Sie die Vorgriffsstundenmodelle abarbeiten können. Wo sind die 1 100 Stellen drin?
Weiter: In einem Land, das 2 800 000 Schulunterrichtsstunden ausfallen lässt, nehmen Sie 800 Lehrerstellen weg, die wir dringend für die Unterrichtsversorgung brauchen, und ziehen sie heran, um ehrenamtliche Jugendbegleiter zu bezahlen. Das ist doch ein Irrsinn. Wenn keine Schulstunde ausfallen würde, wäre dies richtig. Aber bei uns fallen massiv Schulstunden aus.
Heute, nicht irgendwo aus der Zeitung, wollen wir wissen: Wie viele werden frei? Was wird für dieses Modell, was für die ausgefallenen Stunden verwendet, damit überhaupt diejenigen aus solchen Familienverhältnissen eine Chance haben, bei denen die Eltern nicht das Geld haben, Nachhilfe zu bezahlen, bei denen die Eltern nicht die Chance haben, nachmittags zu helfen, damit diese Kinder nach ihrer Begabung gefördert werden und nicht wegen ihrer sozialen Herkunft nachher nicht für einen höheren Bildungsabschluss qualifiziert sind?
Vielen Dank.
Herr Minister Rau, Sie haben die Fragen, die wir gestellt haben, wieder nicht beantwortet.
Wir wissen weder, wie viele Lehrerstellen in den Jahren bis 2011 frei werden, noch was die 200 Ganztagsschulen, die aufgrund des Bundesausbauprogramms im letzten und in diesem Jahr eingerichtet wurden – dieses Jahr kommen noch welche hinzu –, zu erwarten haben. Die Ganztagsschulen haben hier eigentlich nichts zu erwarten. Denn die Lehrerstellen können ja selbst nach Ihrer Berechnung noch gar nicht zur Verfügung stehen. Keine Antwort!
Sie haben auch keine Antwort darauf gegeben, wie viele Lehrerstellen insgesamt frei werden, wie Sie das angesprochene Vorgriffsstundenmodell bezahlen wollen, wie Sie diejenigen Lehrer, die später frei werden, zur Kompensierung des Unterrichtsausfalls einsetzen wollen. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt. Der Unterrichtsausfall ist ein Problem – das können Sie nun wirklich nicht bestreiten – an den baden-württembergischen Schulen.
Sie haben auf all diese Fragen keine Antwort gegeben, sondern nur eine Zahl in den Raum gestellt. Sie haben auch keine Antwort auf die Frage gegeben, was mit den neu hinzukommenden Ganztagsschulen geschieht. Das heißt, die neuen Schulen bekommen entweder gar nichts Zusätzliches, oder sie erhalten lediglich Unterstützung durch Ehrenamtliche. Pädagogische Hilfe bekommen sie in den nächsten zwei, drei Jahren auf jeden Fall nicht. Dann fängt es an.
Aber dann wollen Sie ja zuerst verstärkt den Grund- und Hauptschulbereich bedenken. Da können wir uns ja noch
einigen. Aber Sie machen nichts Zusätzliches, damit die Schulen, die jetzt schon umgebaut wurden, auch tatsächlich ein besseres pädagogisches Angebot bekommen. Keine Antwort, keine Zahlen! Insofern werfe ich Ihnen auch vor, dass das, was Sie gestern vorgestellt haben, ein reiner Wahlkampfgag war. Das war ein reiner Wahlkampfgag. Die Fragen, die wir stellen und die doch auch wichtig sind, können Sie offensichtlich nicht beantworten.
Wenn der Ministerpräsident sagt: Alle frei werdenden Lehrerstellen werden wieder besetzt – Herr Schebesta hat es auch gesagt –, dann muss ich sagen: 800 Lehrerstellen werden nicht wieder besetzt. 800 Lehrerstellen mit einem Äquivalent von 40 Millionen € werden anders, nämlich für Beschäftigte im Ehrenamt, verwandt.
Man kann sich ja darüber unterhalten, dass man das vielleicht zusätzlich machen muss und machen kann. Aber bitte nicht zulasten der Lehrerstellen, die gebraucht werden, um andere Dinge zu machen. Das ist doch der Punkt.
Wir haben im letzten Jahr 20 Millionen € für diese Zwecke für die Ganztagsschulen beantragt. Das wäre auch sinnvoller gewesen.
Wer hat denn den Zwischenruf gemacht? Sie haben doch innerhalb von neun Jahren die Schulden im Haushalt von Baden-Württemberg fast verdoppelt.
Hören Sie doch auf, von Schulden zu reden! Sie haben ja sogar die Zinsen, die das Land bis zum Jahr 2017 bekommt, verkauft. Ich kenne überhaupt niemanden, der das privat macht. Vielleicht Sie. Aber das haben Sie hier – –
Was? Die Zinsen verkauft? Nein, das haben sie nicht gemacht, zumindest aber nicht in Verbindung mit Krediten, die sie aufgenommen haben. Versuchen Sie doch einmal, der Öffentlichkeit dieses Modell zu erklären.
Sie haben also keine Zahlen genannt. Vielleicht können Sie uns nachher beantworten, wie das aussehen soll. Wir wissen nicht, wann ein Rückgang der Schülerzahlen eintritt und welche Folgen dies voraussichtlich haben wird. Darüber sagen Sie überhaupt nichts, Herr Noll. Auch Sie konnten das nicht beantworten.
Lassen Sie mich etwas zur Gerechtigkeit sagen, Herr Minister. Wenn aufgrund der Schulsituation in Baden-Württemberg ein Kind aus einem Akademikerhaushalt eine vierfach höhere Chance hat, Abitur zu machen, als ein Kind aus ei
nem Arbeitnehmerhaushalt, dann ist das nicht gerecht, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir wollen doch gar nicht, dass alle Kinder Abitur machen. Wir wollen aber, dass sie die Chance dazu haben.
Diese Chancen aber bietet dieses Schulsystem nicht. Ungerechtigkeit, Herr Minister, beginnt schon früher. Sie beginnt nicht erst in der Berufsschule. Ungerechtigkeit beginnt für ein Kind schon mit der Frage, ob es mit seinen Deutschkenntnissen in die Grundschule gehen kann und ob ihm seine Eltern helfen können oder nicht.
Natürlich kann die Schule nicht alles ausgleichen. Das behauptet überhaupt niemand, und das haben auch wir nie behauptet. Aber ein möglichst hoher Einsatz ist notwendig, damit die Chancengleichheit, die Chancengerechtigkeit gewährleistet ist, sodass jemand auch dann dieselben Chancen hat, wenn die Eltern nicht helfen können oder nicht das Geld haben, um Nachhilfe zu bezahlen. Nur darum geht es.
Wir sagen: In den letzten fünf Jahren ist hierzu nichts passiert.
Jetzt kriegen wir einige Dinge an den Kopf geworfen. Jetzt sage ich Ihnen noch einmal etwas: Wenn die 800 Lehrerstellen, um die es hier geht – darauf legen wir jetzt schon Wert; denn es geht ja immer darum, wer was gesagt hat –, nicht wieder besetzt werden und die Mittel dafür in den Ganztagsschulen zum Beispiel für Blumentöpfe verwandt werden, dann bleiben sie auch in den Schulen.
Sie wollen mir doch nicht erklären, dass ein Lehrer gleichbedeutend wie ein Jugendbegleiter ist. Wollen Sie mir das erklären?
Weil er den Lehrern, die wir an den Schulen brauchen, nicht genau gleichwertig ist, kann man das nicht als Ersatz nehmen, Herr Noll.
Wir wollen von Ihnen deshalb heute wissen, woher die 1 840 Lehrerstellen kommen sollen. Was machen Sie mit den anderen zurückgehenden Zahlen? Wie viele Lehrerstellen sind für das Jahr 2006 für die schon vorhandenen Schulen geplant?
Wie viele Lehrerstellen sind für 2007 geplant? Das alles ist von Ihnen nicht klar gemacht worden. Wie machen Sie es mit dem Vorgriffsstundenmodell? Was tun Sie gegen die fast drei Millionen ausfallenden Schulstunden? Über diese Themen haben wir einmal hier diskutiert und dabei von Ihnen gehört, dass aufgrund der zurückgehenden Schülerzahlen eine ausreichende Zahl von Lehrern für diese Aufgaben eingesetzt werden. Davon aber ist überhaupt keine Rede mehr. Ich höre, dass der Herr Kultusminister letzte Woche in Südbaden erklärt hat: 8 000 Lehrerstellen
das steht sogar in der „Badischen Zeitung“ – würden frei werden. Ich sage das nur. Wir haben uns erkundigt. Wenn die Zahl stimmen würde, könnten wir uns darüber unterhalten. Aber da wir es nicht wissen, haben wir jetzt einmal beim Statistischen Landesamt nachgefragt: Durch die laut Berechnungen zurückgehenden Schülerzahlen kommen wir auf knapp 2 000 frei werdende Lehrerstellen bis zum Jahr 2011. Das kann also auch nicht sein. Aber ich gehe davon aus, dass das Kultusministerium bessere Zahlen hat. Diese Zahlen will das Parlament heute erfahren. Nur dann können wir überhaupt beurteilen, was Sie gestern gegenüber der Presse erzählt haben.
Herr Minister, die individuelle Förderung in baden-württembergischen Schulen ist halt in den letzten Jahren gekürzt worden. Das ist ja das Problem. Sie haben im Zeitraum 2004/2005 sogar den Stütz- und Förderunterricht für Ausländer und Aussiedler in den Schulen gekürzt. Wenn Sie also von individueller Förderung sprechen, müssen Sie sagen, dass Sie diese in den letzten Jahren in den baden-württembergischen Schulen gekürzt und nicht verstärkt haben. Das, was Sie jetzt gerade von sich gegeben haben, ist völlig falsch.
Dazu liegen auch Zahlen von Realschulen und von Hauptschulen vor. Wenn wir uns also darauf einigen können, dass Förderung sein muss, dann müssten Sie, wenn das, was Sie sagen, stimmt, ständig die Förderkurse erhöht und nicht gekürzt haben.
Das Zweite: Sie haben vorhin von Chancengleichheit gesprochen. Was sagen Sie denn dazu, dass von den 16 000 BVJlern, also denjenigen, die durch das Berufsvorbereitungsjahr gegangen sind, 80 % im Anschluss keinen Ausbildungsplatz bekommen?
Was sagen Sie denn dazu? Das ist doch nicht erfolgreich. 80 % der 16 000 BVJler in unserem Land bekommen keinen Ausbildungsplatz.
Da kann man doch nicht von Gerechtigkeit sprechen. Da muss man doch fragen: Warum ist das so?
Was wird dagegen gemacht? Sie machen nichts dagegen. Das ist unser Problem mit der Gerechtigkeit.
Dann noch etwas: Was uns jetzt ganz stutzig macht, ist, dass Sie die Zahl von 8 000 Lehrerstellen, die aufgrund zurückgehender Schülerzahlen frei werden, heute nicht wiederholen. Ich sage Ihnen jetzt: In der „Badischen Zeitung“ vom 21. Februar stand: „Land will 8 000 frei werdende Stellen in den Schulen umschichten“. Wir haben uns gestern – am 21. Februar – erkundigt, und Frau Kister von der „Badischen Zeitung“ hat gestern ausdrücklich bestätigt, dass Minister Rau am vergangenen Freitag, dem 17. Februar, auf einem Bildungsforum die Zahl 8 000 rechnerisch frei werdender Stellen genannt hat.
Jetzt frage ich: Warum wurden diese Stellen gestern nicht genannt, und warum erwähnen Sie sie hier nicht? Was wird da wieder vorbereitet? Sie haben uns auch immer noch nicht die Frage beantwortet, Herr Minister, was denn bei den 200 Ganztagsschulen passiert, die es jetzt gibt.
Wir haben zurzeit 200, gebaut mit Mitteln des Bundesprogramms. Dieses Jahr kommen weitere hinzu. Was ist denn mit denen? Die bekommen jetzt gar nichts. Sie haben letztes Jahr schon nichts bekommen, und sie bekommen dieses Jahr auch nichts. Sie können gar nichts bekommen, weil die Schülerzahlen, wenn überhaupt, erst 2008 oder 2009 zurückgehen. Dann kommt etwas herein. Aber dann gibt es ja andere Verpflichtungen.
Deswegen: Sagen Sie uns doch einmal die Zahl! Dann kann das Parlament darüber debattieren, ob das, was Sie machen, sinnvoll ist.
Wir sagen: Wir müssen zusätzliches Geld in die Hand nehmen, um den Ganztagsschulen jetzt die Möglichkeit zu geben, ihr pädagogisches Personal einzurichten.
Wir können doch damit nicht bis 2007, 2008 oder 2009 warten.
Die Frage nach den 8 000 stellen wir noch einmal, und wir wollen heute auch wissen, was bei den 200 jetzt bestehenden Ganztagsschulen passiert. Sie beantworten diese Fragen nicht, und ich kann deshalb nur sagen: Sie haben dafür offensichtlich kein Konzept.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das G 8 ist von der Regierung so eingeführt worden, dass ein großer Teil der Eltern und ein großer Teil der Schüler der Auffassung sind, dass sie diese Schulart nicht überstehen. Wir haben am vergangenen Samstag eine Anhörung von Eltern durchgeführt. Wir wurden im Landtag faktisch überrannt. Wir mussten 600 Eltern absagen.
Fast 700 Eltern waren hier im Hause. Wir können ja nur das berichten, was die Eltern uns sagen. Die Eltern sagen: Wenn unsere Kinder, die mit guten Empfehlungen aus der Grundschule kommen, ohnehin schon die Schwierigkeit haben, am Gymnasium neu anzufangen, so kommt jetzt auch noch das G 8 dazu. Sie sind teilweise völlig hilflos.
Hören Sie einmal zu! – Sie überlegen sich, die Kinder abzumelden. Im Übrigen gibt es schon zahlreiche Fälle, in denen das gemacht wurde. In Feuerbach – so ist uns erzählt worden – gehen 26 Kinder, die eine Empfehlung für das Gymnasium haben, wegen G 8 nicht in das Gymnasium, sondern auf die Realschule.
Ich berichte nur.
Am Anfang der gesamten Debatte haben Sie gesagt, die SPD habe die Eltern aufgehetzt. Weit gefehlt. Wir haben genau das aufgenommen, was die Eltern uns gesagt haben. Dann ist bei der letzten Debatte gesagt worden, einzelne Abgeordnete würden die Eltern mit Veranstaltungen aufhetzen. Darum geht es gar nicht.
Wenn Sie die Eltern anhören würden – zum Teil hat das der Kultusminister auch gemacht; er hat sich auch bewegt, wenn ich es richtig sehe –, müssten Sie wie wir sagen, dass man das G 8 doch ganz anders hätte einführen sollen, zum Beispiel so, wie es der Landeselternbeirat vorgeschlagen hat, nämlich in Phasen, sauber übersetzt. Dann wäre doch das alles nicht gekommen. Eine gute Sache, sage ich Ihnen, hat man in den Sand gesetzt. Es wird jetzt ganz mühsam werden, das wieder aus dem Sand herauszuholen. Deswegen haben wir in unserem Änderungsantrag auch eine Reihe von Vorschlägen gemacht, was man jetzt tun müsste. Man muss nach unserer Meinung die Verdichtung der Lerninhalte in der fünften und sechsten Klasse rückgängig machen
und stattdessen die Verdichtung in den höheren Klassen machen.
Da müssen Sie sich einmal erkundigen. Die Verdichtung findet dadurch statt, dass 34 bis 35 Wochenstunden für Elfjährige vorgesehen sind
und, wie uns berichtet wird, fünf bis zehn Stunden zusätzlich für Hausaufgaben aufgewendet werden müssen.
Da sage ich Ihnen: Das ist unmöglich. Die Eltern berichten uns, dass sie abendelang und an Wochenenden den Kindern bei den Schularbeiten helfen. Wir wissen doch, dass gerade in unserem Schulsystem die Fragen, was für eine Note die Schüler haben oder auf welche Schule sie gehen, extrem von der sozialen Herkunft abhängig sind. Das wollen wir doch bekämpfen. Zumindest bin ich bisher davon ausgegangen, dass Sie das auch wollen.
Und jetzt machen Sie eine Reform, bei der es notwendig ist, dass die Eltern den Schülern helfen oder genügend Geld haben, um den Nachhilfeunterricht zu bezahlen. Wenn beides nicht gegeben ist, können die Schüler das G 8 fast nicht überstehen. Das ist die Frage, die Sie beantworten müssen.
Sie müssen sich überlegen, die zweite Fremdsprache erst für höhere Klassen anzubieten. Sie müssen sich überlegen, die Bildungspläne hinsichtlich der Stofffülle zu überarbeiten. Sie müssen sich überlegen, die Vergleichsarbeiten nicht als Klassenarbeiten zu benoten. Und Sie müssen sich überlegen, zusätzliche Mittel in die Gymnasien zu geben, damit das überhaupt bewältigt werden kann.
Wenn mir Eltern unter Tränen sagen: „Ich melde jetzt mein Kind ab“ – –
Es war so. Sie müssen mit den Eltern reden! Reden Sie mit den Eltern!
Da muss man nicht lachen. Entweder Sie reden mit den Eltern, dann müssen Sie es umsetzen, oder nicht.
Das sind keine Einzelfälle. Das ist Ihr Trugschluss. Sie sagen, das seien Einzelfälle. Wir sagen, das ist der überwiegende Teil der Eltern.
Der Landeselternbeirat sagt dies auch.
Schule muss auch noch Spaß machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU.
Schule muss auch noch Spaß machen, natürlich. – In anderen Ländern wie in Finnland
ist es so: Wenn Kinder Nachhilfeunterricht nehmen, liegt das nicht am Kind oder am Elternhaus, sondern an der Schule. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
Sie projizieren das auf die Kinder und die Eltern. Die sind Ihrer Meinung nach schuld, wenn die Kinder es nicht schaffen. Das ist falsch. Sie müssen das herumdrehen.
Zum Schluss noch eines: Denken Sie doch einmal darüber nach: Wenn Kinder 40 bis 45 Stunden in der Woche – –
Das ist kein Blödsinn.
Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Die Kinder können neben der Schule nichts mehr machen. Sie werden vom Musikunterricht, vom Sportverein abgemeldet.
Die Lehrerinnen und Lehrer erzählen uns, dass nachmittags nichts mehr stattfinden kann. All das sind Berichte und keine Erfindungen.
Das sind doch keine Verelendungstheorien. Seien Sie ruhig! Sie verstehen gar nichts von diesem Thema. Sie verstehen wirklich nichts von diesem Thema.
Mich hat ein Vater nachdenklich gemacht, der gesagt hat,
sein Kind sei zuerst mit Begeisterung und mit Leuchten in den Augen ins Gymnasium gegangen
ja, klar; dass Sie da nicht mitkommen, ist mir schon klar; Sie haben weder Leuchten in den Augen, noch leuchtet bei Ihnen sonst etwas; das ist mir auch klar –,
und jetzt hat es kein Leuchten mehr in den Augen. Sorgen wir dafür, dass unsere Kinder in Baden-Württemberg auch in Zukunft Leuchten in den Augen haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Herr Kultusminister, Ihr letztes Wort können wir nur bestätigen: dass die Privatschulen in BadenWürttemberg für alle da sind und auch dass diese Schulen viele pädagogische Entwicklungen vorweggenommen haben und in Zukunft auf diesem Gebiet sicherlich noch das eine oder andere tun werden.
Aber man muss schon einmal darüber nachdenken, wo wir heute in der Finanzierung der Privatschulen stehen. 1988 bis 1992 war das Verfassungsgericht angerufen – da waren die FDP/DVP und die SPD dabei. Da wurde festgestellt, dass die Finanzierung nicht verfassungsgemäß ist.
In der großen Koalition haben wir den Baukostenzuschuss für die Privatschulen auf 41 % erhöht. Gleichzeitig haben wir 1996 vereinbart, dass in der nächsten Legislaturperiode das Bruttokostenmodell kommen soll.
Von 1996 bis 2001 ist gar nichts passiert, außer dass die Zuschüsse im Baukostenbereich bei den Privatschulen wieder bis auf 37 % reduziert wurden.
Im Herbst 2004 hat man dann in einer Nacht- und Nebelaktion den Antrag der SPD auf Einführung des Bruttokostenmodells bei CDU und FDP/DVP so umgedreht, dass er bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde, und hat pro Schüler erhebliche Zuschüsse gestrichen.
Jetzt will ich Ihnen etwas sagen. Wir hatten dann mehrere Diskussionen zwischen den Fraktionsvorsitzenden. Leider ist nur der Kollege Kretschmann da. Damals, 2003, waren Herr Oettinger und Herr Pfister als Fraktionsvorsitzende da, und Herr Kretschmann und ich saßen mit ihnen bei einer großen Veranstaltung der freien Schulen, der Waldorfschulen in Stuttgart vor Hunderten von Eltern auf dem Podium. Da haben Herr Pfister und Herr Oettinger zugesagt, dass bis März 2004 ein Gesetzentwurf mit dem Bruttokostenmodell und genauen Vorschlägen, wie das gemacht wird, vorgelegt werde.
Es ist nichts gemacht worden. Im vergangenen Herbst – Herr Kultusminister, da waren Sie selbst auf dem Podium; Sie haben sich da sehr zurückgehalten – hat Herr Noll von der FDP/DVP immer gesagt, er habe hier den Gesetzentwurf,
und hat den Eindruck erweckt: Demnächst geht es los. Nun ist es ja fast eine Sensation, dass wir jetzt einen Gesetzentwurf vorliegen haben – den hätten wir schon im Herbst 2004 haben können –, in dem das Bruttokostenmodell festgesetzt wird. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf zeigt keinen einzigen Schritt. Er zeigt nicht, wann denn welcher Schritt im Hinblick auf das Bruttokostenmodell gemacht wird. Das kann man doch nicht machen!
Wir können doch nicht einen Gesetzentwurf verabschieden und sagen: „Zukünftig machen wir das Bruttokostenmodell“, aber dazu, wann das eintritt, steht in diesem Gesetzentwurf kein Wort.
Deswegen werden wir zu den Beratungen einen Änderungsantrag einbringen, gemäß dem wir im September 2006 auf eine Bemessungsbasis von 70 %, im September 2007 auf 75 % und im September 2008 auf 80 % der Kosten eines Schülers an einer öffentlichen Schule gehen wollen. Das kann das Parlament heute beschließen, genauso wie wir andere Beschlüsse auch fassen können.
Erst dann stellt sich an Sie die Frage, ob Sie die vielfachen Versprechungen, die Sie den Privatschulen und den Waldorfschulen gegeben haben, heute einlösen, und zwar vor der Landtagswahl und nicht irgendwann nach der Landtagswahl.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aussprache beantragt, weil die Affäre um Sozialminister Renner exemplarisch zeigt, dass einfache Anstandsformen in dieser Landesregierung von Ministern offensichtlich nicht mehr wahrgenommen werden
und dass auch Ministerpräsident Oettinger offenbar keinen Wert mehr auf diese einfachen Anstandsregeln legt.
Am 12. Juli letzten Jahres hat der Herr Sozialminister bei einem Treffen anlässlich einer Fraktionsvorstandssitzung der CDU mit der katholischen Kirche eine Auseinandersetzung mit dem Herrn Weihbischof gehabt. Darauf soll Bischof Fürst zu diesen beiden hingelaufen sein und jovial gefragt haben: „Was schimpfen Sie denn so mit meinem Weihbischof?“ Darauf hat der Herr Sozialminister geantwortet: „Was mischen Sie sich ein? Zeugen Sie doch erst einmal selber Kinder.“
Es geht hier nicht um die Frage des Zölibats, es geht nicht um die Frage der Homosexualität, und es geht auch nicht um andere Fragen,
über die man mit Religionsgemeinschaften in der Sache diskutieren kann – auch hart diskutieren kann, Herr Kollege: hart in der Sache, aber nicht hart und beleidigend in der Form. Das geht nicht, Herr Kollege.
Das geht nicht. Es geht dabei nicht allein um Herrn Renner.
Ich weiß gar nicht, warum Sie sich aufregen. Sie hätten ihn doch halten können, wenn Sie der Meinung sind, das wäre okay gewesen. Dann hätten Sie ihn doch halten sollen.
Führen Sie doch jetzt keine heuchlerische Debatte! Erst ihn fallen lassen und dann hier klatschen.
Am 11. Oktober hat der Ministerpräsident von diesem Vorgang erfahren
mit der Bitte, sich einzuschalten. Denn der Herr Sozialminister hat sich nicht entschuldigt. Was hätte man denn normalerweise, wenn man auch nur normale Anstandsformen beherrscht, gemacht? Man hätte womöglich noch am selben Abend zum Bischof gesagt: „Das war ein Ausrutscher. Ich entschuldige mich ausdrücklich.“ Man hätte das auch im Juli noch machen können; man hätte es auch im August oder im September machen können; man hätte es aber auch noch im Oktober machen können.
Er hat sich erstmals am 27. Januar entschuldigt, meine sehr verehrten Damen und Herren, und zwar unter massivem Druck der Öffentlichkeit und aus Angst, andernfalls aus dem Ministeramt zu fallen. Was ist das für eine Entschuldigung?
Der Herr Ministerpräsident hat gegenüber der FAZ erklärt, das erste Mal habe sich Herr Renner am 27. Januar beim Bischof entschuldigt. Das steht in der FAZ. Das ist ein wörtliches Zitat.
Von daher müssen wir davon ausgehen, dass es so war.
Wir wollen heute wissen, warum der Ministerpräsident die Situation eigentlich nicht ganz normal entschärft hat – so, wie man so etwas eben entschärft. Er hat es am 11. Oktober erfahren, und er hätte diese Situation doch sehr schnell entschärfen können. Er hätte Herrn Renner sagen können: „Komm, wir gehen zum Bischof und regeln das.“ Das ist nicht passiert. Das ist bis zum 27. Januar nicht passiert. Da muss man sich dann schon fragen, was denn der Ministerpräsident von der ganzen Sache gehalten hat.
Hat er gedacht, das sei unwichtig? Hat er gedacht, das sei nicht notwendig? Oder hat er mit Herrn Renner gesprochen und gesagt: „Mach’s!“, und dieser hat es nicht gemacht? Es wäre doch einmal interessant, zu erfahren, wie das gewesen ist. Hier geht es doch nicht um irgendein Parteiamt. Hier geht es um den Sozialminister des Landes Baden-Württemberg. Im Übrigen war Herr Renner innerhalb von vier Jahren bereits der dritte Sozialminister! So sieht Ihre Sozialpolitik im Übrigen auch aus.
Der Ministerpräsident hat nichts gemacht. – Herr Kollege Wieser, als ich die Zeitung las, habe ich erfahren, dass Sie vor sieben Monaten bei einem Treffen dabei gewesen seien, bei dem das ausgeräumt worden sei. Das war ein wörtliches Zitat von Ihnen.
Da waren Sie bei diesem Treffen dabei. Ein solches Treffen mit dem Bischof und Herrn Renner hat bisher niemand bestätigt. Mit wem Sie zusammengesessen sind, weiß ich nicht, aber nicht mit den beiden.
Jetzt zur nächsten Situation. Wenn man sich bis zum Januar nicht entschuldigt – – Das kann man ja machen oder nicht, oder man kann sagen, das war nicht wichtig; aber dann muss man dazu stehen. Am vergangenen Mittwoch war der Herr Ministerpräsident noch der Auffassung, das sei nicht wichtig, das habe sich erledigt und man brauche nichts zu machen. Drei Tage später auf dem Parteitag hat er gesagt, Minister Renner habe zurücktreten müssen. Was ist denn da passiert? Es geht doch hier um den Sozialminister, um ein Ministeramt. Was ist denn zwischen Mittwoch und Samstag passiert, dass er am Mittwoch noch zur Auffassung kam, Renner müsse nicht zurücktreten, und dies am Samstag dann doch für notwendig hielt? Vielleicht kann man das noch erfahren.
Aber das ist gar nicht die Frage.
Das nächste, was mir bei dieser Inszenierung aufstößt, ist die Frage, wie man eine Entschuldigung vorbringt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was für eine Entschuldigung war denn das? Ist sie unter Druck zustande gekommen? Ist sie aus eigenem Antrieb gekommen, aus eigener Einsicht? Warum ist denn die Entschuldigung gekommen? Ist sie gekommen, weil man zum Beispiel sonst aus der Regierung herausfliegt?
Jetzt kommt’s: Man hat eine Entschuldigung inszeniert. Man hat die Presse auf 17:30 Uhr bestellt. Man ist mit öffentlichem Tamtam zum Bischof gegangen und hat dann die Entschuldigung vorgetragen. Was ist denn diese Entschuldigung wert? Und dass sich der Bischof dann nicht hinstellt und ein gemeinsames Bild machen lässt – er in der Mitte, rechts der Ministerpräsident und links Herr Renner –, war doch wohl klar. So wollte sich der Bischof nicht vom Staatsministerium instrumentalisieren lassen. Dass er das nicht gemacht hat, ehrt ihn. Ansonsten hat er die Entschuldigung angenommen. Aber das ist doch nicht sein Fehler gewesen. Es war doch ausschließlich der Fehler des Ministerpräsidenten, das auf diese Art und Weise gemacht zu haben.
Im Übrigen: Wenn der Herr Ministerpräsident der Auffassung ist, man hätte den Minister halten sollen, hätte er dies tun müssen. Wäre er der Auffassung gewesen, der Minister solle gehen, hätte er auch dies entsprechend umsetzen müssen. Er hat das Ganze in einem Maße inszeniert, das man im Grunde nicht zulassen kann.
Der Fall Renner ist ja kein Einzelfall gewesen. Seit 2001 ist Minister Renner einschließlich des ehemaligen Ministerpräsidenten Teufel das achte – die Landesregierung hat elf Mitglieder – Mitglied der Landesregierung, das nicht mehr im Amt ist.
Ja, das ist doch klar. Zwei wurden von der Staatsanwaltschaft verfolgt und verurteilt, ein Ministerpräsident wurde weggemobbt, ein Minister ging zu Rothaus, ein anderer ging zur Toto-Lotto GmbH, wieder ein anderer hat sich aus dem Amt „geohrfeigt“.
Das ist doch eine Kette von Fällen. Man muss doch sagen: Das, was bei dieser Landesregierung vorgeht, ist nicht mehr normal. So benimmt man sich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich kenne nicht so viele Bischöfe. Aber einer, der viele Bischöfe kennt, ist Erhard Eppler. Er hat gestern gesagt:
Ich kenne Bischof Fürst ganz gut. Er ist einer der klügsten und aufgeschlossensten und vielleicht sogar humorvollsten Bischöfe in Deutschland,
wobei ich Protestanten mit einbeziehe.
Da kennt er sich nun wirklich gut aus.
Mit ihm in einen solchen Konflikt zu kommen und ihn nicht ausräumen zu können, das ist eine große Kunst.
Das ist eine große Kunst.
Diesem Wort kann man sich nur anschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer ständig die Vorbildfunktion von Eltern einfordert, wer ständig die Vorbildfunktion von Jugendleitern einfordert, wer ständig die Vorbildfunktion von Lehrern einfordert, der muss auch einmal die Vorbildfunktion der Politik einfordern und erfüllen.
Das macht die Landesregierung in keinem Fall.
Es gab zum Fall Renner viele Leserbriefe. Einen davon will ich vorlesen:
Was sich für einen aufmerksamen Zeitungsleser seit Monaten auffallend verändert hat, ist der neue Stil der Landesregierung. Bei einem groß gefeierten Geburtstag glänzt unser aller Ministerpräsident mit einer vergnüglich verbalerotischen Rede. Ein Sozialminister fällt zumindest durch hippes Outfit und flotte Sprüche auf.
Sorge bereitet inzwischen der Eindruck, dass Politik eher inszenierter Wirbel, Windbeutelei zu sein scheint, wo sie doch von zielführend hilfreicher Wirkung sein sollte.
Nein, das war Dr. Hans Peter Rieder aus Stuttgart.
Ein weiterer Leserbrief in der Zeitungsspalte daneben:
Der Herr Ministerpräsident hätte die erneute verbale Entgleisung seines Freundes und Ministers erkennen müssen und die Angelegenheit ohne viel Wirbel aus der Welt schaffen können. Aber vielleicht war Herr Oettinger in den letzten Monaten zu viel mit dem Zählen beschäftigt, bevor er einige Freunde bei Geburtstagsfeiern zu Meistern des Seitensprungs ernennen konnte.
Zum Glück ging am Freitag die Lachnummer – hier von einem Funken Kulturkampf zu reden ist ein Witz – endlich zu Ende …
Die Landes-CDU ist in Nöten, weil in ihrer Führungsriege einige Leute sind, die offensichtlich den Benimmunterricht verschlafen haben. Vielleicht aufgrund des von Herrn Oettinger beklagten frühen Unterrichtsbeginns.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Herr Präsident, ich bin der Auffassung, dass ich, nachdem der Ministerpräsident das Wort ergriffen hat, von der Regelung der Geschäftsordnung Gebrauch machen kann, als Fraktionsvorsitzender jederzeit auf den Ministerpräsidenten antworten zu können.
Herr Präsident, dann muss ich aber darauf hinweisen, dass Sie vorher „zehn Minuten Redezeit“ gesagt haben, und diese zehn Minuten haben wir eingehalten mit der Maßgabe, dass die normale Regelung gilt, wenn der Herr Ministerpräsident nochmals spricht. Dann hätten Sie darauf hinweisen müssen, dass – –
Das ist doch klar.
Wenn er die Geschäftsordnung anders auslegt und uns dann das Wort für nicht länger als die zunächst vorgesehenen zehn Minuten gibt, sondern dies auf die direkte Antwort auf den Ministerpräsidenten beschränken will, dann muss darauf aufmerksam gemacht werden.
Gut, dann muss ich schnell machen.
Wir haben über Herrn Renner kaum etwas gesagt.
Der Herr Ministerpräsident hat keinen Ton darüber gesagt, warum er ab 11. Oktober die Sache nicht aus der Welt geschafft hat. Das hätten wir erfahren wollen. Darüber wollten wir etwas wissen. Er hat keinen Ton darüber gesagt, dass er seit 11. Oktober in dieser Angelegenheit nichts gemacht hat – bis jetzt nichts. Wir hätten gern gewusst, warum Sie, Herr Ministerpräsident, da nichts gemacht haben.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer neuen Vorstellung hinsichtlich der Lehrer sagen. Sie sind jetzt auf ein ganz ande
res Thema eingegangen. Sie haben erst vor 14 Tagen bei der IHK, bei Herrn Gall in Neckarsulm erzählt, ein Drittel der Lehrer werde die Schule behalten, ein Drittel der Lehrer werde eingespart und ein Drittel – das war ja bisher immer Ihre These – werde umgesetzt. Was Sie jetzt sagen, nämlich dass alle Lehrer, die aufgrund sinkender Schülerzahlen frei werden, in der Schule eingesetzt werden, ist völlig neu. Das finden wir toll. Nur: Herr Ministerpräsident, dies war unser Vorschlag. Dass Sie jetzt unseren Vorschlag beim Thema Ganztagsschule aufnehmen, finden wir toll, aber schmücken Sie sich da nicht mit fremden Federn!
Und jetzt zu Lahr.
Darüber reden wir nachher noch. Aber eines ist klar: Wenn Sie den Stuttgarter Flughafen nicht in die Überlegungen einbeziehen, ist seine Kapazität 2011 erschöpft, und Sie brauchen dann eine neue Landebahn. Sind Sie dafür? Das müssen Sie nachher sagen.
Doch, weil zum Beispiel Verkehr von Stuttgart nach Söllingen verlagert werden kann.
Der Herr Zundel, das ist richtig. Aber eines ist klar, Herr Mappus: Frankfurt hat es mit einer Flughafenkonzeption gemacht. Vor drei, vier Jahren hatte der Flughafen Hahn jährlich 300 000 Passagiere, jetzt sind es 4 Millionen. Es geht also. Darüber werden wir nachher noch diskutieren.
Aber jetzt noch einmal zum Thema: Der Herr Ministerpräsident hat mit keinem Wort erzählt, was er ab 11. Oktober gemacht hat. Er hat es schleifen lassen. Wir haben überhaupt nichts mehr gegen Herrn Renner gesagt, sondern wir sagen deutlich – –
Ja, natürlich, wir haben dazu nichts gesagt. Wir haben das zur Kenntnis genommen. Wir haben gerügt, dass er sich erst sieben Monate später entschuldigt hat; das war unserer Meinung nach falsch. Aber dass der Ministerpräsident nichts gemacht hat – von 11. Oktober bis Mitte Januar nichts! –, das ist der eigentliche Skandal. Da muss man sagen: Das ist keine Meisterleistung, sondern das ist für das Land katastrophal, weil jetzt der nächste Minister weg ist.
Im Übrigen haben Sie den Rücktritt gefordert, nämlich Herr Müller, wenn ich zitieren darf.
Ich habe ihn auch gefordert.
Herr Mappus: „Die Zusammensetzung des Kabinetts ist Sache des Ministerpräsidenten.“ Herr Müller: „Auf einen solchen Schwachsinn wäre ich nicht gekommen. Wenn mir das passiert wäre, wüsste ich, was ich zu tun hätte.“
Also hören Sie mit Ihrer Heuchelei auf! Wir haben heute lediglich deshalb eine Debatte, weil ein Minister zurückgetreten ist, und eine solche Debatte zu führen ist Aufgabe des Parlaments. Liebe Kollegen von der FDP/DVP, wenn Sie nicht mehr hören wollen, dass zwei ehemalige Minister aus Ihren Reihen von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden, dann müssen Sie das von der Tagesordnung absetzen. Das hat aber nichts mit Heuchelei zu tun.
Das hat damit zu tun, wie sich Politiker in der Öffentlichkeit aufführen sollten. Straffällig, lieber Herr Kollege Noll, sollten sie nicht werden. Das ist das Thema. Deswegen werden wir die Tatsache so lange wie möglich in dieser Legislaturperiode ansprechen. Wenn acht Minister, den Ministerpräsidenten eingerechnet, in einer Legislaturperiode verschwinden, dann ist es sehr wohl Aufgabe des Parlaments, wenn der achte zurücktritt, dies zum Thema zu machen. Deswegen haben wir es heute auch gemacht.
Herr Müller, wenn wir von ungeklärten Fragen sprechen, muss ich sagen, dass Sie jetzt eine ganze Reihe ungeklärter Fragen aufgeworfen haben. Sie wissen doch genau, dass die Internationale Energieagentur die Verfügbarkeit von Natururan auf gerade einmal 40 bis 60 Jahre schätzt.
Natürlich! Diese offizielle Mitteilung gibt es und wird im Übrigen auch von der Bundesregierung verbreitet, von der von unseren beiden Parteien gemeinsam gestellten Bundesregierung.
Wenn Sie nicht in die Schnelle-Brüter-Technologie einsteigen wollen – ich gehe nicht davon aus, dass Sie das wollen; in Kalkar gibt es davon eine 10-Milliarden-DM-Ruine –, dann bleibt überhaupt nichts anderes übrig, muss ich Ihnen sagen, als aus dieser Technologie auszusteigen.
Öl ist noch rund 80 Jahre lang billig förderbar, wobei wir unter „billig förderbar“ einen Preis von rund 60 Dollar pro Barrel verstehen. Aus der Ölnutzung müssen wir langfristig auch aussteigen. Das müssten doch auch Sie sehen. Da ist doch nichts mehr drin. Also müssen wir uns doch gemeinsam auf eine Alternative verständigen.
Uran ist keine Alternative; jedes weitere Kraftwerk wird uns Schwierigkeiten machen – selbst wenn es in China gebaut wird –, weil wir bald kein natürliches Uran mehr haben.
Im Übrigen will ich Ihnen, weil Sie immer auf die Preise schauen, auch noch sagen, dass China und Indien im letzten Jahr Uran und Öl massiv eingekauft haben, bis zu 10 % mehr. Die sind in der Zwischenzeit unsere größten Konkurrenten. Also war doch das, was die alte Bundesregierung gemacht hat, richtig: Raus aus dem Öl und raus aus der Kernenergienutzung, weil das Atom-Uran nicht mehr lange reicht.
Natürlich! Sie können doch nicht eine ganze Volkswirtschaft auf ein falsches Pferd setzen.
Jetzt können wir uns darüber unterhalten, ob wir, wenn wir jetzt abschalten, die Umstellung auf erneuerbare Energien, die Erhöhung der Energieeffizienz und Energieeinsparungen schneller schaffen als wenn wir das tun, was Sie verkünden, nämlich die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen und die Gewinne abzuschöpfen und den erneuerbaren Energien zugute kommen zu lassen, damit die schneller kommen. Das geht überhaupt nicht.
Das geht nach der EU-Richtlinie nicht. Das sagt die Bundesregierung. Lesen Sie das doch einmal! Die Bundesregierung hat ein Schreiben an Frau Merkel vorliegen, in dem die EVUs klar erklärt haben, dass der Strompreis unabhängig davon gemacht wird, wie lange die Atomkraftwerke noch laufen. Das heißt doch nichts anderes, als dass sie sich da nicht hineinreden lassen wollen. Was soll denn die Debatte?
Sie werden auch kein Geld in erneuerbare Energien investieren.
Was heißt hier „Abwarten“? Das steht im Koalitionsvertrag drin.
Jetzt komme ich noch zu etwas anderem, was mir großes Kopfzerbrechen bereitet: Es wird überhaupt nichts verändert. Deswegen ist das hier ja eine Geisterdebatte. Es wird gar nichts verändert! Und wenn Herr Oettinger oder die baden-württembergische CDU so viel in die Kernkraft investieren wollte, hätte er wenigstens bei den Koalitionsverhandlungen dabei sein sollen. Wissen Sie, wer aufseiten der CDU mit der SPD in die Koalitionsverhandlungen gegangen ist?
Doch, das interessiert: Müller, Saarland; Thoben, NRW; Riesenhuber MdB; Schauerte MdB und Wiesheu, Bayern. Da hätte ich schon erwartet, dass unser Ministerpräsident, der erklärt, wir könnten nur mit längeren Laufzeiten überleben, sich dort an den Koalitionsverhandlungen beteiligt und die Argumente der regierenden CDU und der FDP/DVP Baden-Württembergs mit einbringt.
Aber lassen Sie mich das noch sagen: Die EVUs haben vor drei Tagen erklärt, sie bauten bis 2011 Kraftwerkskapazitäten im Umfang von 11 000 Megawatt. Ich glaube, Herr Kollege Kretschmann hat vorhin einmal die Liste hochgehoben, wo diese neuen Kraftwerkseinheiten überall stehen – nur nicht bei uns. Man findet sie schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen; dort wird erneuert, obwohl natürlich auch bei uns neue Kraftwerke gebaut werden müssen.
11 000 Megawatt! 2009 wird Neckarwestheim abgeschaltet mit gerade einmal 800 Megawatt.
Erzählen Sie hier doch nicht, wir müssten Strom zukaufen; erzählen Sie nicht, die Stromversorgung bräche zusammen. Das ist lächerlich bei einem Verhältnis von 800 gegenüber 11 000 Megawatt.
Jetzt frage ich Sie: Warum setzen Sie eigentlich Ihr eigenes Gutachten nicht um, das im Wirtschaftsministerium liegt? Herr Döring hat 2001 ein Gutachten in Auftrag gegeben – er wollte beweisen, dass der Ausstieg nicht möglich ist –, und in diesem Gutachten, das unter anderem vom Fraunhofer-Institut stammt, steht, dass man in Baden-Württemberg aussteigen kann und dass die Klimaschutzziele dabei eingehalten werden. Man müsse bloß damit anfangen, systematisch umzusteuern.
Warum setzen Sie das nicht um? Sie haben das nie umgesetzt. Dieses Gutachten ist sofort in der Schublade ver
schwunden und nie zur Diskussion gestellt worden. Wir haben es dann über Umwege bekommen.
Es steht auch im Internet, aber Sie setzen es nicht um. Sie, Herr Pfister, erzählen überall, das ginge nicht. Der Herr Ministerpräsident erzählt ebenfalls überall, das ginge nicht. Selbstverständlich geht das – wenn Sie nur wollten. Sie haben fünf Jahre lang nichts gemacht. In den fünf Jahren seit dem Erscheinen des Gutachtens haben Sie nichts umgesetzt.
Sehen Sie sich einmal die erneuerbaren Energien im Strombereich an: Es gibt 16 000 Windenergieanlagen in Deutschland – bei uns gerade einmal 250, weil Sie diese Entwicklung systematisch behindert haben. Der Anteil des Stroms aus Solaranlagen und aus der Windkraft beträgt in BadenWürttemberg 0,3 %. In ganz Deutschland macht allein die Windkraft fast 6 % aus. Was soll dann das Theater, das Sie hier aufführen? Sie investieren gerade einmal in die Große Wasserkraft, und nicht einmal die haben Sie im Bundestag unterstützt. Sie wurde von der rot-grünen Bundesregierung durchgesetzt. Herr Müller, Sie wissen das doch. Sie haben doch in Ihrer Bundestagsfraktion noch dafür geworben, dass zugestimmt wird. Es ist nicht gemacht worden.
Also: Setzen Sie sich auf den Hosenboden,
und setzen Sie um, was in dem Gutachten steht, und zwar schnell. Herr Müller, es genügt nicht, nur zu sagen: „Mit uns können Sie erneuerbare Energien unterstützen, Energie einsparen und Energieeffizienz erreichen.“ Sie machen es nicht! Wenn Sie es wenigstens tun würden, könnte man noch sagen, das sei ehrlich. Aber Sie tun es nicht, und wir liegen meilenweit hinter den Zielen zurück.
Eine Frage will ich auch noch beantworten. In unserem baden-württembergischen Umweltplan steht, dass wir jetzt nur noch 70 Millionen Tonnen CO2 emittieren dürfen. Wir emittieren 79 Millionen Tonnen, 9 Millionen zu viel, obwohl wir 55 % Atomstrom haben. Sie erreichen nicht einmal mit der Kernkraft die Klimaenergieziele, die Sie beschlossen haben. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.