Protocol of the Session on November 14, 2002

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 34. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Heute sind dienstlich verhindert der Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Herr Professor Dr. Frankenberg, sowie Herr Staatssekretär Rückert und – heute Nachmittag – Herr Innenminister Dr. Schäuble.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Haushaltsentwicklung bei Land und Kommunen aufgrund verfehlter Rahmendaten der Bundespolitik – beantragt von der Fraktion der CDU

Es gelten die üblichen Redezeiten von fünf Minuten je Fraktion für die einleitenden Erklärungen und für die zweite Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oettinger.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Zunächst zolle ich den Kollegen Drexler und Kretschmann meinen Respekt dafür, dass sie hier anwesend sind. Alle Achtung!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Heiterkeit der Abg. Dr. Inge Gräßle und Seimetz CDU)

Sie hätten ja auch sagen können: Bei diesen Schlagzeilen des Tages büxen wir aus. Ich mache mir im Rückblick die Stichworte „Wahlbetrug“, „geschönte Zahlen vor der Bundestagswahl“ gar nicht zu eigen; das machen die Tageszeitungen besser, als jeder andere das könnte: „Rabenschwarzer Tag für Deutschland“, „Schwarzer Tag für Rot-Grün“, „Deutschland in schwerer Finanzkrise“, „Finanzminister steht vor Scherbenhaufen“, „Vernichtendes Zeugnis für Rot-Grün“.

(Abg. Drexler SPD, auf die Überschrift eines Arti- kels einer Tageszeitung deutend: „Besser als Wai- gel“! – Heiterkeit)

Klar ist: Deutschland ist seit dem gestrigen Tag ein Sanierungsfall. Ich möchte behaupten, die parlamentarisch-politischen Beratungen der nächsten Jahre werden geprägt sein durch das Datum Mittwoch, 13. November 2002.

(Abg. Seimetz CDU: Schwarzer Mittwoch!)

Wir, liebe Kollegen, leben über unsere Verhältnisse – Baden-Württemberg deutlich weniger als die Länder im Durchschnitt, der Bund deutlich mehr. Wir haben uns noch in den letzten Wochen durch die Bundesregierung im Grunde genommen vorhersagen lassen müssen, alles sei vorübergehend, die Konjunktur werde anlaufen. Bundesminister Eichel sagte noch im Juni des Jahres 2002 wörtlich:

Alle konjunkturellen Daten lassen jetzt erwarten, dass sich die Steuereinnahmen im weiteren Jahresverlauf weiter erholen werden.

Pfeifendeckel!

Mit dem deutlichen Zeichen einer positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und wachstumsfördernden Auswirkungen der Steuerpolitik werden wir 2004 einen nahezu ausgeglichenen Gesamthaushalt haben und ab 2006 ohne Schulden in die Haushaltsberatungen gehen.

Meine Bitte: Gestehen Sie zähneknirschend zu, dass Sie sich getäuscht haben – was Sie ehren würde; von Wahlbetrug rede ich nicht. Dann gehört ab sofort eine völlig nüchterne und objektive, perspektivische Bundespolitik hinzu. Mit dieser Regierungserklärung von Schröder, mit diesem Regierungsprogramm wird der Standort Deutschland weder Arbeitsplätze schaffen noch jemals in die Lage kommen, dass die Haushalte von Kommunen, Ländern und Bund auch nur annähernd ausgleichbar sind.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Pfister FDP/ DVP)

Das Schlimme ist: Ich glaube, Rot-Grün wird vier Jahre lang regieren.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der Grü- nen – Abg. Pfister FDP/DVP: Ist zu befürchten!)

Das heißt, ich mache mir keine Hoffnungen, dass sich da rasch etwas in der Regierungsfarbe verändert. Wir sind also davon abhängig, dass bei Ihren Parteien ab dem gestrigen Tag endlich eine Umkehr geschieht und dieses Konzept, das derzeit gefahren wird, aufgegeben wird. Die Steuerausfälle sollen bundesweit in diesem und im nächsten Jahr 37 Milliarden € betragen. Diese Beträge fehlen uns. In Baden-Württemberg fehlen – der Finanzminister hat es gestern Abend vorgelegt – in diesem Jahr 1 Milliarde € und im nächsten Jahr 1 Milliarde €.

(Abg. Schmiedel SPD: Aha!)

Ein Weiteres: Ich glaube, dass keine konjunkturelle Erholung kommt. Ich glaube, dass wir im Jahr 2002 in einem durchschnittlichen Wirtschaftsjahr sind, schlechter als im letzten Jahr und besser als im nächsten Jahr. Die Prognosen der Wirtschaftsweisen sagen für das nächste Jahr ein Wachstum von gerade noch 1 % voraus. Meine Vermutung ist, dass Deutschland ein Sanierungsfall bleibt, wenn nicht auf allen Ebenen, zuallererst beim Bund, endlich Handlungswille einkehrt.

Wir benutzen die Debatte heute Vormittag primär dazu, um zwei Fragen und eine Bitte an Sie zu richten.

Frage Nummer 1: Werden Sie die Mehrwertsteuer erhöhen? Ja oder nein? Ich glaube, dass die Bürger in den nächsten Wochen zu Recht die Frage stellen werden, ob die entscheidende Verbrauchssteuer, die Steuer für die Haushalte und die Bürger, nämlich die Mehrwertsteuer, bei 16 % bleibt und ob Sie mit allem Einfluss, den Sie haben oder auch nicht, darauf einwirken, dass sie bleibt, wie sie ist, oder ob Sie nach dem 2. Februar eine Erhöhung der Mehrwertsteuer planen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Schmie- del SPD: Was wollen Sie denn?)

Meine Vermutung ist: Sie planen eine Erhöhung um nicht nur einen Prozentpunkt, sondern um zwei Prozentpunkte. Hier müssen Sie ehrlich sein. Sind Sie neben dem, was derzeit steuerpolitisch läuft, willens, ohne Steuererhöhungen in die nächsten Jahre zu gehen, oder kommt in Wahrheit das, was bei Ihnen längst beraten wird, nämlich eine Mehrwertsteuererhöhung? Wie stehen, Kollege Kretschmann und Kollege Drexler, Ihre Fraktionen zu diesem entscheidenden Punkt?

Eine Bitte. Der einzige Sparvorschlag, den ich von Ihnen immer höre, heißt: Verkaufe die Landesbank, veräußere den Landesanteil an der Trägerschaft!

(Abg. Heike Dederer GRÜNE: Von der SPD!)

Noch ist die SPD größer als ihr.

(Abg. Heike Dederer GRÜNE: Aber nicht geschei- ter!)

Der Vorschlag heißt immer: Gehe von 39,5 % auf 25 % zurück! Lieber, geschätzter Kollege Drexler, wer soll denn den Anteil kaufen? Wenn wir ihn auf den Markt werfen wollen, geht das nur in der Rechtsform der AG. Bei der derzeitigen Ausschüttung kauft ihn aber kein Privatanleger. Also ist doch nur eine Veräußerung an die Kommunen, an die Sparkassen in kommunaler Hand möglich. Damit ist der Vorschlag ein Nullsummenspiel. Denn wenn wir uns bereichern würden, würden die Kommunen damit entreichert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Alles, was die Sparkassen bezahlen müssten, würde nämlich den Kommunen und den Landkreisen in Baden-Württemberg im Wert oder in der Ausschüttung fehlen.

Deswegen ist meine Bitte: Lassen Sie diesen Vorschlag außen vor! Er ist nicht neu. Und er ist unseriös. Er kommt immer wieder und löst unsere strukturellen Haushaltspro

bleme überhaupt nicht. Hören Sie bei diesem Punkt auf Dederer & Co. KG. Die Grünen sind in diesem Punkt weiter als Sie.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Birzele SPD: Aber was sagt die FDP/DVP, Ihr Koalitionspartner? – Abg. Drexler SPD: Da klatscht nicht einmal die FDP/DVP! – Abg. Schmid SPD: Aber Sie haben die Umwandlung in eine AG ins Spiel gebracht! – Weitere Zurufe)

Die Liberalen sind in diesem Punkt zumindest im Landtag vernünftiger als Sie.

(Beifall des Abg. Dr. Lasotta CDU – Lachen bei der SPD – Abg. Drexler SPD: Was? Das kann man doch zum Kollegen Pfister so nicht sagen!)

Es mag ja sein, dass dieser Punkt parteipolitisch ab und zu kommt. Aber alle Anträge im Landtag, die eine Veräußerung der Landesanteile an der Landesbank fordern, tragen die Handschrift der SPD und sonst keiner Fraktion.

(Beifall des Abg. Seimetz CDU – Abg. Drexler SPD: Und Sympathie FDP/DVP!)

Ich habe eine weitere Frage an Sie. Ihr Parteifreund Wowereit schlug vor einigen Tagen vor, dass die Beamtenbesoldung, das heißt alles, was im Grunde genommen das Verhältnis des Arbeitsgebers, des Dienstherrn zum Beamten und zu den Angestellten anbelangt, in die Verantwortung der Länder übergeben werden soll. Meine Frage lautet ganz konkret: Wie halten Sie es denn mit dem Weihnachtsgeld und mit dem Urlaubsgeld?

(Abg. Schmiedel SPD: Was wollen denn Sie?)

Sind Sie denn bereit – –

(Zurufe von der SPD)

Augenblick! Augenblick!

(Abg. Schmiedel SPD: Man muss doch konstruktiv sein, auch in der Opposition! – Weitere Zurufe)

Kollege Schmiedel. – Sind Sie denn bereit, wenn die Kompetenz hierfür durch den Bundesrat und den Deutschen Bundestag auf die Länder übertragen wird und wir die Kompetenz nutzen und Einsparvorschläge im Personalbereich vorschlagen, diese mitzutragen,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Schmiedel, nicht eiern, antworten! – Gegenruf des Abg. Braun SPD: Solan- ge Sie nicht wissen, was Sie wollen!)

oder verweigern Sie sich dann genauso billig wie in allen anderen strukturellen Fragen, die in den nächsten Wochen und Jahren auf uns zukommen? Meine Bitte ist: Legen Sie nach dem schwarzen Tag gestern, nach dem Konkurs von Rot-Grün in Berlin, im Landtag von Baden-Württemberg die Karten seriös auf den Tisch.