Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 40. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Vor der Neuordnung der Bund-Länder-Beziehungen in der Bildungspolitik – Aktiv kooperieren, Chancen nutzen! – Drucksache 13/1409
Dazu rufe ich folgende Anträge auf: Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 13/1802, sowie Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/1815.
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: fünf Minuten für die Begründung, zehn Minuten je Fraktion für die Aussprache.
Wer sein Kind auf eine Ganztagsschule schicken will, findet im Raum Stuttgart allenfalls an Hauptschulen in Brennpunktstadtteilen einen Platz. Das ärgert Arbeitgeber und Rektoren.
Meine Damen und Herren, die Tatsache, dass wir fast ausschließlich an Hauptschulen in Brennpunktstadtteilen Ganztagsschulen haben, ärgert nicht nur Arbeitgeber und Rektoren, sondern vor allem auch Eltern und Kinder.
Das gilt nämlich nicht nur für Stuttgart, sondern auch für Mannheim, Freiburg, Karlsruhe oder Spaichingen, das gilt selbst für Biberach.
Anträge von Gymnasien, Realschulen und Grundschulen, selbst von Förderschulen auf Einrichtung von Ganztagsschulen werden vom Ministerium, von Ihnen, Frau Ministerin, abgelehnt. Oft wurden und werden die entsprechenden Anträge schon im Vorfeld von der Schulverwaltung blockiert.
Für die Landesregierung gibt es vor allem zwei Gründe, warum sie diese rückschrittliche Haltung einnimmt. Zum einen ist es ein überholtes Familienverständnis von Herrn Teufel und seiner Kultusministerin –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oh-Rufe von der CDU – Abg. Seimetz CDU: Der Tag fängt gut an mit solch einem Quatsch, den man da hören muss!)
und ich füge hinzu: Die beiden befinden sich im Einklang mit dem Biberacher CDU-Landrat –, ein Familienbild, das da heißt: „Mütter sollen zu Hause bleiben und für ihre Kinder sorgen“
oder – Herr Seimetz, Sie waren ja anwesend –, wie es eine Kollegin von Ihnen im Schulausschuss einmal fragend formulierte – das können Sie ja im Protokoll nachlesen –: „Wollen Sie etwa den Familien die Kinder wegnehmen?“ Das ist Ihre Geisteshaltung.
Ich füge hinzu: Finnland, Schweden und Kanada oder katholische Ganztagsschulen bieten eben ein anderes Schulkonzept an.
Der Punkt ist nur, dass die genannten Länder Spitzenreiter sind, was die Ergebnisse bei der PISA-Studie angeht.
Trotz dieser Tatsache sind Sie nicht bereit, zusätzliche Lehrkräfte für Ganztagsschulen zur Verfügung zu stellen. Sie sind nicht bereit, mehr Geld für Bildung auszugeben, obwohl wir alles andere als Spitzenreiter im internationalen Vergleich sind.
Es war die SPD, die bei den Haushaltsberatungen jeweils zusätzliche Lehrerstellen für die Einrichtung von Ganztagsschulen beantragt hat. Sie haben die Zustimmung dazu verweigert. Neuerdings setzen Sie auch noch Horrorzahlen in die Welt, meine Damen und Herren.
Wer Ganztagsschulen nur an so genannten sozialen Brennpunktschulen oder, wie Sie es formulieren, an schwierigsten Hauptschulen zulässt, wie Sie, Frau Schavan, es tun, hat nicht verstanden, dass längere gemeinsame Lernzeiten bessere Bildungschancen für alle bedeuten. Unter Fachleuten und Praktikern ist völlig unbestritten, dass Kinder und Jugendliche besser lernen, wenn sie mehr Zeit gemeinsam verbringen.
Schauen Sie doch nach Finnland, Schweden oder Kanada, die Länder, die bei der PISA-Studie alle vor uns liegen.
Längere Lernzeiten, sowohl auf die Schuljahre als auch auf den Tagesablauf bezogen, bieten leistungsschwächeren Kindern und Jugendlichen wesentlich bessere Lernbedingungen, wie übrigens Herr Rau kürzlich selbst in einer Pressemeldung bestätigt hat.
Aber auch leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler profitieren gewaltig davon. Wir wissen doch, dass laut PISA fast jeder fünfte Schüler in Baden-Württemberg nicht richtig lesen kann und Schwierigkeiten beim Textverständnis hat. Wir wissen, dass Kinder aus sozial schwachen Familien und aus Migrantenfamilien durch unser Schulsystem häufig benachteiligt sind. Ganztagsschulen sind neben weiteren Maßnahmen eine adäquate Antwort auf diese Benachteiligung.
Selbstverständlich sieht das pädagogische Erziehungs- und Bildungskonzept einer Ganztagsschule anders aus als das einer klassischen Halbtagsschule, selbst dann, wenn die Halbtagsschule noch ein bisschen Betreuung anbieten sollte. Ganztagsschulen sind eben etwas anderes als eine Halbtagsschule mal zwei.
Ganztagsschulen sollen Lern- und Lebensorte sein, die den Vormittagsunterricht überwinden, Lernprozesse rhythmisieren, außerschulische Lernorte und Freizeitaktivitäten einbeziehen, alternative Lernformen wie Projektlernen, altersgemischte Lern- und Freizeitgruppen ermöglichen, selbstständige und eigenverantwortliche Lernprozesse fördern, zusätzliche Interessengebiete erschließen sowie Stütz- und Fördermaßnahmen anbieten. Dies alles ist wesentlich besser in einer Ganztagsschule zu realisieren.
Der von Ihnen, Frau Schavan, so hochverehrte Professor Baumert hat in Berlin im Rahmen des McKinsey-Kongresses am 5. September in Ihrer Anwesenheit gesagt, dass Ganztagsschulen eine Steigerung der Professionalität der Lehrerarbeit und eine Veränderung der Lehrerarbeitszeit mit sich bringen würden. Da hat es Ihnen ja fast die Sprache verschlagen, als Ihr so geliebter Herr Professor Baumert dies festgestellt hat. Denn demzufolge haben Ganztagsschulen auch etwas mit einer besseren Unterrichtsarbeit und einer besseren Schularbeit zu tun.
Lehrkräfte und sozialpädagogische Kräfte müssen kooperieren, da jede Berufsgruppe für sich allein nicht in der Lage ist, adäquate Antworten auf die veränderten Bedingungen zu finden. Voraussetzung für die gemeinsame Arbeit sind aufeinander abgestimmte Konzepte. Dabei betone ich: Nicht die Streichung, sondern der Ausbau der Schulsozialarbeit ist angesagt.
Frau Schavan, ich empfehle Ihnen: Besuchen Sie doch einmal eine Ganztagsschule. Gehen Sie zum Beispiel nach Bodnegg.