Protocol of the Session on July 19, 2001

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 8. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Käppeler erteilt.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Auswirkungen der Vorschläge der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ auf die Politik in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: 50 Minuten Gesamtdauer ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzendem Pfister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich setze sehr darauf, dass die Ergebnisse der Süssmuth-Kommission dazu geeignet sind, die Chancen für ein gemeinsames modernes Zuwanderungskonzept zu verbessern, und ich setze sehr darauf, dass eine gemeinsame Einigung auf ein solches Konzept über Parteigrenzen hinweg möglich ist.

Wir brauchen diese Gemeinsamkeit, weil wir auch die Akzeptanz der Bevölkerung für ein solches Zuwanderungskonzept brauchen. Ich denke, diese Akzeptanz können wir am besten fördern, indem wir den Menschen draußen deutlich machen, dass Zuwanderung nicht etwa ein Opfer für uns bedeutet, sondern dass sie für uns positiv ist, dass wir Nutznießer solcher Zuwanderung sind, dass wir davon profitieren, dass Zuwanderung also nicht etwa Bedrohung, sondern Bereicherung ist, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Deshalb rufe ich geradezu leidenschaftlich dazu auf, diese historische Chance zu nutzen, das heißt Schluss zu machen mit kleinkarierter Flickschusterei, Schluss zu machen mit grünen und anders angemalten Karten und ein zukunftsfähiges Konzept vorzulegen, das geeignet ist, im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen.

Ich rufe dazu auf, diese Chance nicht zu verspielen, auch nicht aus kleinkarierten parteitaktischen Gründen. Ich rufe dazu auf, noch in diesem Jahr zu einer Verständigung zu

kommen, auch um zu erreichen, dass dieses sensible Thema nicht in den Wahlkampf hineingetragen und dort zerrieben wird.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Ich setze darauf, dass die doch sehr harsche Kritik der Bundesspitze der CDU an den Ergebnissen der SüssmuthKommission nicht das letzte Wort war, und ich setze darauf, dass die Koalitionsvereinbarung in Baden-Württemberg eine gute Grundlage dafür ist, dass gerade auch Baden-Württemberg – der Landtag, aber auch die Regierung – eine aktive Rolle spielt, um zu einer Verständigung auf ein Zuwanderungskonzept zu kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Kollege!)

Dabei wissen wir, dass Zuwanderung nicht das alleinige Mittel und kein Allheilmittel ist. Wenn Sie an den Arbeitsmarkt denken, wenn Sie an die bekanntermaßen drohende Entwicklung der Bevölkerungszahl nach unten denken, wenn Sie an die Sozialversicherungssysteme denken, dann wird Ihnen klar, dass wir parallel zur Zuwanderung auch unsere eigenen Hausaufgaben machen müssen. Das heißt, wir brauchen zusätzliche Anstrengungen, um unsere Sozialversicherungssysteme für die nächsten 30, 40 Jahre fit zu machen – gerade auch im Gesundheitssystem.

Natürlich brauchen wir zusätzliche Anstrengungen, um in der Wissenschafts- und Technologiepolitik die Nummer 1 zu sein. Die Zukunftsoffensive bietet hierfür eine gute Grundlage.

Wir müssen ferner eine aktivere Familienpolitik betreiben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Nur durch eine aktivere Familienpolitik können wir die Zuwanderung begleiten. Ähnliches gilt für den gesamten Bereich der Ausbildung und der Qualifikation.

Meine Damen und Herren, man muss Zuwanderung also in diesem Gesamtzusammenhang sehen. Wir müssen Zuwanderung so sehen, dass wir sie ganz bewusst steuern wollen und begrenzen wollen. Ich halte das für legitim. Wenn wir über Zuwanderung sprechen, dann ist es in Ordnung und legitim, auch unsere eigenen Interessen, unseren eigenen Bedarf zu artikulieren. Begrenzung muss, kann und soll in dem Maß stattfinden, in dem Integrations- und Aufnahmefähigkeit tatsächlich gegeben sind.

Die Integrationsfähigkeit – darauf will ich besonders abheben – hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sie hängt zunächst einmal davon ab, dass wir Integration fördern. Die Politik muss Integration fördern. Die Sprache ist das Allerwichtigste, weil nur sie Alltagsorientierung gewährleistet, weil nur Sprache auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gewährleistet. Bei kulturellen, sportlichen und sozialen Organisationen muss Eingliederung stattfinden. Wir brauchen schulische und berufliche Qualifizierung. Wir brauchen eine Vermeidung von Gettosituationen, und wir brauchen vor allem die Bereitschaft verschiedener Kulturen und Religionen zum Zusammenleben, meine Damen und Herren.

Es ist unsere Aufgabe als Politiker, dies zu gewährleisten, diesen Prozess der Zuwanderung zu begleiten. Aber Integration hängt auch entscheidend davon ab, dass die Bereitschaft der Zuwanderer gewährleistet ist. Integration ist keine Einbahnstraße, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir brauchen auch die Bereitschaft der Zuwanderer. Deshalb müssen wir Integration nicht nur fördern, sondern ausdrücklich auch fordern.

Wenn man sich mit dem Süssmuth-Bericht beschäftigt, wird man sicherlich auch auf kritische Punkte stoßen, die man ansprechen und diskutieren muss, und zwar, füge ich hinzu, immer mit dem Willen zur Gemeinsamkeit.

Mir ist die Zahl 50 000 zu niedrig. Das sage ich ganz offen. Ich beziehe mich da nicht nur auf die Anforderungen aus der Wirtschaft. Ich erinnere daran, dass diese Landesregierung in der letzten Legislaturperiode eine Zukunftskommission ins Leben gerufen hat. Im Ergebnis geht der Bericht dieser Zukunftskommission davon aus,

(Zuruf des Abg. Hauk CDU)

dass allein für Baden-Württemberg rund 25 000 Zuwanderer notwendig sind.

(Abg. Hauk CDU: Hört, hört! Wofür?)

Zweiter Punkt: Ich halte es für bedenklich, dass 40 % der jährlichen Zuwanderer nur eine auf fünf Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen sollen. Meine Damen und Herren, befristete Aufenthaltserlaubnisse sind in der Regel kein gutes Signal für die Integrationsbereitschaft. Wenn wir die Integrationsbereitschaft fördern wollen, müssen wir auch unbefristete Aufenthalte ermöglichen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Schließlich sage ich offen: Das im Vorschlag der Kommission auf 18 Jahre erhöhte Nachzugsalter für Kinder halte ich für zu hoch.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Allerdings!)

Ich bin der Meinung, wir müssen alles dafür tun, dass die Einreise so früh wie möglich erfolgt. Je früher sie erfolgt, umso besser ist auch Integration möglich, meine Damen und Herren.

Wir stehen im Übrigen zu unseren humanitären Verpflichtungen. Das gilt für das Grundrecht auf Asyl und für Bürgerkriegsflüchtlinge. Aber es muss natürlich auch klar sein: Wenn ein Asylbewerber abgelehnt ist und keine Abschiebehindernisse vorliegen, muss er das Land auch verlassen. Das Gleiche gilt für Bürgerkriegsflüchtlinge, die generell Gäste auf Zeit sind. Nur wenn wir diesen Grundsatz halten, werden wir auch die Aufnahmebereitschaft im Land erhalten können. Notwendig ist aber eines, meine Damen und Herren: Wir brauchen unbedingt flexible Härtefallregelungen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich wiederhole noch einmal das typische Beispiel: Der indische Computerspezialist ist das eine Beispiel; der bosnische Bürgerkriegsflüchtling ist für die mittelständische Wirtschaft, für Handwerk und Gastronomie aber genauso wichtig. Deshalb sage ich noch einmal: Es ist Unsinn, auf der einen Seite Leute, die in Brot und Arbeit stehen und uns nicht belasten, hinauszuschicken und auf der anderen Seite mit großem Aufwand andere wieder hereinzuholen. Das sollten wir nicht tun.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Seimetz CDU)

Meine Damen und Herren, zum Schluss: Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission, sagt: Das Boot wird immer leerer. Wenn man sich die demographische Entwicklung vor Augen hält, muss man sagen, er hat damit sicherlich Recht. Aber im Augenblick kommt es nicht darauf an, noch zusätzliche Gutachten auf den Weg zu bringen. Die Gutachten, die wir haben, füllen ganze Regale. Jetzt kommt es darauf an, dass die Punkte, die besprochen werden müssen, mit dem Willen zur Einigung besprochen werden. Vor allem kommt es aber darauf an, jetzt politisch zu handeln und nichts zu zerreden, sondern diese Chance für Zuwanderung auch für unser Land Baden-Württemberg energisch anzugehen und zu nutzen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Heinz.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird ein spannender Prozess werden, der vor uns liegt, und ich denke, wir alle werden ihn mit Interesse begleiten. Ich habe kein Problem damit, Herr Pfister, wenn Sie verlangen, dass wir in Baden-Württemberg eine dominierende Rolle in diesem Prozess spielen sollen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Müssen wir auch!)

Daran werden wir uns sicherlich beteiligen; das ist keine Frage.

(Abg. Bebber SPD: In welche Richtung?)

Auf meinem Stichwortzettel steht: „Deutschland, ein Einwanderungsland?“ Darüber kann man philosophieren. Manche reden von einem klassischen Einwanderungsland; dazu zählen wir sicherlich nicht, denke ich.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist ja völlig uninte- ressant!)

Auf der anderen Seite wissen wir alle, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten ungesteuert Menschen zu uns gekommen sind.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Eben!)