Protocol of the Session on July 17, 2002

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, verehrte Gäste! Ich heiße Sie alle sehr herzlich in Bebenhausen willkommen.

Unsere Plenarsitzungen heute und morgen sind natürlich noch immer überschattet von der tragischen, grauenvollen Flugzeugkatastrophe, die sich am 1. Juli kurz vor Mitternacht über dem Bodensee ereignete und 71 Menschen, darunter 52 Kinder, das Leben gekostet hat. Wir haben auf erschütternde Weise erlebt, wie Mensch, Technik und deren Zusammenwirken versagen können und mit welchen Risiken wir moderne, mobile Menschen deshalb in Wahrheit leben.

Wir trauern um die Opfer. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen, insbesondere den Eltern, die ihre Kinder zum Unfallzeitpunkt bereits glücklich im Urlaub wähnten.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Dankbare Demut erfüllt uns angesichts der Fügung, dass am Boden in der Stadt Überlingen und deren Hinterland keine weiteren Menschen zu Schaden gekommen sind. Wir empfinden Hochachtung vor den Einsatzkräften, der Polizei, der Feuerwehr, dem THW, der DLRG und dem Deutschen Roten Kreuz sowie den anderen Hilfsdiensten; sie haben physisch und vor allem psychisch Außerordentliches geleistet, und sie haben echte Humanität bewiesen.

Unsere Erschütterung steigert, dass die Katastrophe ex tunc so vermeidbar, so wenig schicksalhaft wirkt. Sie hätte nicht passieren dürfen.

Die politische Aufgabe ist daher nicht erledigt, wenn die Fachleute den Unfallhergang in den Einzelheiten endgültig geklärt haben. Sicherheitslücken müssen unverzüglich geschlossen werden, und zwar auch dann, wenn sie in den kleinstaatlichen Strukturen der Flugüberwachung liegen. Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig.

Sie haben sich zum stillen Gedenken an die Opfer und als Zeichen des Mitgefühls mit den Angehörigen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Meine Damen und Herren, bevor ich auf die historischen Bezüge des Landtags zu Bebenhausen eingehe, begrüße ich unter den heute anwesenden Gästen Herrn Regierungspräsident Hubert Wicker und Herrn Regierungsvizepräsident Rolf-Christian Schiller. Ich begrüße neben Frau Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer den Ersten Bürgermeister der Stadt Tübingen, unseren früheren Landtagskollegen

Gerd Weimer, und den Ortsvorsteher von Bebenhausen, Herrn Rainer Pohl.

Ein besonderer Gruß gilt den ehemaligen Landtagsabgeordneten Dr. Kurt Geiger, Erwin Geist und Frau Monika Schnaitmann.

Ich freue mich, dass Sie, liebe Frau Elisabeth KirrmeierRenner, die Tochter des ehemaligen Innenministers Viktor Renner, hier anwesend sind. Wir haben ja gestern schon einen Kranz am Grabe Ihres Vaters niedergelegt.

Ferner begrüße ich sehr herzlich die anwesenden Vertreter der Kirchen, insbesondere Herrn Prälat Paul Kopf und Herrn Dr. Felix Hammer, und von der Evangelischen Kirche Herrn Prälat Paul Dieterich, die Direktorin beim Evangelischen Oberkirchenrat, Frau Margit Rupp, sowie Frau Dekanin Dr. Marie-Luise Kling-de Lazzer.

Nicht zuletzt begrüße ich den Präsidenten der Forstdirektion Tübingen, Herrn Fritz-Eberhard Griesinger, der uns bei der Vorbereitung dieser Tage sehr unterstützt hat. Ich begrüße Herrn Polizeipräsidenten Dieter Moser von Filseck sowie Herrn Ministerialrat Jürgen Schad von der Staatlichen Liegenschafts- und Hochbauverwaltung, die mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenfalls dazu beigetragen haben, dass wir unsere Sitzung hier in Bebenhausen durchführen können.

Meine Damen und Herren, unsere Plenarsitzungen heute und morgen finden an einem Ort statt, der in besonderer Weise geeignet ist, einen Aspekt zu würdigen, der in den historischen Reminiszenzen anlässlich unseres Landesjubiläums mehr sein sollte als eine Randbemerkung. Ich meine den Aspekt, dass die Gründung des Landes Baden-Württemberg im Jahre 1952 aufbauen konnte auf sieben Jahren des demokratischen Wiederbeginns, der Installierung eines freiheitlich-demokratischen Verfassungslebens und des Ingangbringens der staatlichen Funktionen in Exekutive und Judikative.

Das Land Württemberg-Hohenzollern, das 1945 neben Württemberg-Baden und Südbaden im Wege des Interessenausgleichs zwischen den Besatzungsmächten entstanden war, wusste von Anfang an, dass es als staatliches Gebilde nicht mehr sein würde als ein Transitorium.

Alle politischen Kräfte verwarfen jedoch einmütig und nachhaltig den Gedanken, Württemberg-Hohenzollern nur als Provisorium zu verwalten. Was hier in diesen Mauern in Bebenhausen zunächst von der Beratenden Landesversammlung und anschließend vom Landtag und was in Tübingen als Regierungssitz geleistet worden ist, gehört

(Präsident Straub)

staatsrechtlich und staatspolitisch zu den erstaunlichsten Vorgängen der Nachkriegszeit.

Die von der Besatzungsmacht zugestandenen, anfangs bescheidenen Möglichkeiten, ein demokratisches Gemeinwesen aufzubauen und dessen grundsätzliche Akzeptanz in der Bevölkerung zu fördern, wurden gewissenhaft genutzt.

Alle 60 Mitglieder des Landtags von Württemberg-Hohenzollern sahen ihr Tun, ihren Kampf gegen die materielle Not auch als Dienst an der Idee des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats. Sie wollten der Demokratie das verschaffen, was ihr nach dem Ersten Weltkrieg gefehlt hat, nämlich das Vertrauen der Menschen. Parlament und Regierung handelten deshalb heute würde man sagen outputorientiert. Sie ließen sich von der richtigen Überzeugung leiten, dass der Kompromiss eine Voraussetzung des Fortschritts ist.

Dazu kam, dass sich die materielle Anspruchslosigkeit und die spartanische Arbeitsausstattung von Parlament und Regierung nicht von der kärglichen Versorgungslage im Land abhoben. Sparsamkeit war Staatsmaxime. Das wackelige, wurmstichige Sofa im Vorzimmer des Staatspräsidenten als probates Mittel gegen allzu forderungsfreudige Besucher und die Butterbrezeln als kulinarische Höhepunkte offizieller Empfänge sind ebenso legendär geworden wie die Unterbringung der Abgeordneten in primitiv möblierten, ungeheizten Mönchszellen und wie die 22 Pfennig, die der Landtag damals pro Einwohner und Jahr ohne Verzicht auf parlamentarische Würde kostete.

Vor allem aber traten Parlament und Regierung der französischen Besatzungsmacht couragiert entgegen. Sie ertrotzten größere politische Rechte, und sie führten unerschrocken und im Ergebnis erfolgreich den überlebensnotwendigen Kampf gegen die Demontage- und Reparationspolitik. Nicht zuletzt dadurch vermittelten sie den Bürgerinnen und Bürgern, dass sie als Deutsche trotz der Nazidiktatur und deren Verbrechen die Würde nicht verloren hatten.

Neben alledem waren das Parlament und die Regierung von Württemberg-Hohenzollern wichtige Impulsgeber für die Neugliederung des deutschen Südwestens und konsequente, jedoch konsenswillige Wegbereiter Baden-Württembergs. Es gelang also beides: Es gelang, jenem zufälligen Staatsgebilde, das Theodor Heuss später einmal als „liebevollen Schnörkel der Weltgeschichte“ bezeichnet hatte, Leben einzuhauchen und ein Gesicht zu geben, und es gelang, für die eigene gedeihliche Zukunft einen größeren Rahmen zu suchen, diesen mit zu gestalten und schließlich darin mit optimistischer Aufbruchstimmung seinen Platz einzunehmen.

Die Erinnerung an Württemberg-Hohenzollern vermittelt überdies in exemplarischer Klarheit: Politik ist kein unabwendbares Schicksal; es braucht dazu aber prägende Persönlichkeiten. Württemberg-Hohenzollern hatte das Glück, dass es hier prägende Persönlichkeiten in besonderer Dichte gab, von denen ich leider nur wenige erwähnen kann:

Lorenz Bock, der erste Staatspräsident, der sich in den Konflikten mit der französischen Besatzungsmacht aufrieb und 1948 im Amt verstarb.

Dann natürlich Gebhard Müller, einer der Architekten und Protagonisten des Südweststaats sowie eine gerade heute

eindrucksvolle Verkörperung des Ziels, persönliche Tugenden zu politischen Tugenden zu machen und einem demokratischen Staatswesen nicht nur Gesetze, sondern auch eine politische Kultur zu geben.

Weiter Justizminister Carlo Schmid, unter Überwindung des Parteienproporzes als Vertreter Württemberg-Hohenzollerns in den Parlamentarischen Rat entsandt, wo er zu einem der Väter unseres Grundgesetzes wurde, auf dessen Initiativen insbesondere die Präambel, das konstruktive Misstrauensvotum und die Erwähnung der Grundrechte am Anfang des Verfassungstextes zurückgehen.

Ebenso herausragend Theodor Eschenburg, dem wir zu einem großen Teil den Artikel 118 des Grundgesetzes als maßgeschneiderte Plattform für die Bildung des Südweststaats verdanken.

Schließlich Männer wie den Vorsitzenden der SPD-Fraktion Oskar Kalbfell, wie Innenminister Victor Renner oder wie den DVP-Fraktionsvorsitzenden Eduard Leuze.

Der Landtag von Württemberg-Hohenzollern tagte insgesamt 118-mal hier in Bebenhausen und schuf neben den Staatshaushaltsplänen 235 Gesetze.

Daneben gab es aber noch etwas, das der erwähnte Fraktionsvorsitzende Eduard Leuze in der letzten Sitzung des Landtags von Württemberg-Hohenzollern am 30. Mai 1952 unter allgemeinem Beifall als „ungeschriebenes inneres Gesetz Bebenhausens“ bezeichnete, nämlich die Bereitschaft ich zitiere , „die Festigkeit des politischen Standpunktes zu verbinden mit der Weite der persönlichen Haltung, die es verhindert, dass politische Leidenschaft in politisches und persönliches Ressentiment umschlägt“.

Diese 50 Jahre alten Worte, liebe Kolleginnen und Kollegen, die eigentlich in das Stammbuch jedes Parlaments gehören, erlauben es, mit dem schlichten Wunsch zu schließen: Möge der Genius Loci im Sinne dieses „ungeschriebenen inneren Gesetzes Bebenhausens“ unsere Beratungen heute und morgen begleiten.

Meine Damen und Herren, ich eröffne damit die 29. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg.

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Dr. Salomon erteilt.

Krank ist niemand gemeldet.

Dienstlich verhindert ist Herr Minister Stratthaus ab 13:30 Uhr und Frau Ministerin Dr. Schavan ab 15 Uhr.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt vervielfältigt auf Ihren Tischen. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung der Landesregierung vom 2. Juli 2002 Bericht über die Europapolitik der Landesregierung im Jahre 2001/2002 Drucksache 13/1141

Überweisung an den Ständigen Ausschuss mit der Ermächtigung, hierzu bei Bedarf Stellungnahmen anderer Fachausschüsse einzuholen

(Präsident Straub)

2. Mitteilung des Rechnungshofs vom 12. Juli 2002 Denkschrift 2002 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes BadenWürttemberg mit Bemerkungen zur Landeshaushaltsrechnung 2000 Drucksache 13/1174

Überweisung an den Finanzausschuss

Ferner sind die Wahlvorschläge und Stimmzettel für die Wahl in die Gremien des SWR zu Punkt 4 der Tagesordnung aufgelegt. Ich möchte Sie bitten, auf diese Wahlunterlagen zu achten, da bei Verlust aus nachvollziehbaren Gründen keine weiteren Stimmzettel ausgehändigt werden können.

Wir treten damit in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte Ergebnisse der PISA-Studie Folgerungen für die Bildungspolitik beantragt von der Fraktion der CDU

Eine Redezeit wurde nicht festgelegt. Das Präsidium hat beschlossen, dass bis zu zwei Redner je Fraktion benannt werden können.