Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 59. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger an den Bildschirmen, meine Damen und Herren! Der 27. Januar ist als Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet. Auch der Landtag hat sich gestern wieder daran beteiligt – durch eine abendliche Stunde des Erinnerns und der Trauer unweit von hier, am Mahnmal zwischen Altem Schloss und Karlsplatz.
Trotzdem soll unsere heutige Plenarsitzung nicht routinemäßig beginnen. Wir halten inne, um in Scham und Demut all derer zu gedenken, die dem Rassenwahn, der Menschenverachtung und dem Massenmord der Nazis zum Opfer gefallen sind, um uns in Hochachtung zu verneigen vor allen, die ihren politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen treu geblieben sind und die deshalb unter der Tyrannei des barbarischen Hitler-Regimes gelitten, ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihre Freiheit verloren haben.
Wir wollen damit auch deutlich machen, dass unser Gemeinwesen in bewusster Abkehr von der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft auf einem festen Wertefundament aufgebaut wurde und dass unsere tagespolitische Arbeit und unser demokratischer Streit dem Erhalt und der Stärkung dieser Werte zu dienen haben.
Menschenwürde, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Teilhabegerechtigkeit, Solidarität und Bereitschaft des Einzelnen zur Mitverantwortung für die Allgemeinheit – all das ist nie endgültig errungen. Viele Gefahren sind offensichtlich: die Gefahren, die von den Rändern des politischen Spektrums her kommen, die Gefahren durch von außen kommende Fundamentalisten und Terroristen, die unsere freiheitliche Ordnung erst missbrauchen und dann zerstören wollen. Wir müssen uns als konsequent und als wehrhaft erweisen gegen Extremisten, egal, welcher Nationalität, gegen Hetzer, gleich, welcher Ideologie, gegen Fundamentalisten, unabhängig davon, mit welcher Religion sie sich tarnen.
Genauso bedrohlich wie diese offenen Gefahren sind aber Entwicklungen, die schleichend verlaufen und deren Brisanz deshalb allzu leicht verkannt wird.
Das heißt erstens: Der Antisemitismus darf in der Mitte unserer Gesellschaft nicht dadurch Wurzeln schlagen, dass
über eine pauschalisierende Kritik an der Politik Israels alte Ressentiments gegen Juden geweckt werden.
Das heißt zweitens: Wir dürfen keine anderen Ausgrenzungen und Diskriminierungen in unserem Gemeinwesen dulden.
Und das heißt drittens: Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Problemlösungskompetenz der Parteien, in die Glaubwürdigkeit von uns Politikern und in die Funktionsfähigkeit der demokratischen Entscheidungsprozesse muss erhalten bleiben. Nicht zuletzt Enttäuschung, Resignation und fehlgeleitete Hoffnungen haben den Nationalsozialisten damals zur Macht verholfen. Deshalb sind nachvollziehbare und verlässliche Antworten auf die wachsenden Sorgen um die materielle Sicherheit und auf die Überforderungsängste in einer komplizierten Welt heute so wichtig.
Die viel zitierten „Lehren der Vergangenheit“ sind nichts Abstraktes. Sie bleiben konkrete Prüfsteine für alle Demokraten, und sie beschreiben die Verantwortung, der wir auch und gerade in den Parlamenten gerecht werden müssen.
Lassen Sie uns kurz innehalten zum ehrenden Gedenken an alle Menschen, die von Nationalisten ermordet, ihrer Menschenwürde beraubt, verfolgt, misshandelt, ausgeplündert oder ins Exil getrieben worden sind, weil sie einer anderen Rasse zugerechnet oder nach einem anderen perversen Schema ausselektiert wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten oder weil sie sich nicht gleichschalten ließen.
Meine Damen und Herren, Urlaub für heute habe ich den Herren Abg. Kleinmann, Rust und Stickelberger erteilt.
Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen vervielfältigt vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
1. Mitteilung der Landesregierung vom 19. Dezember 2003 – Information über Staatsvertragsentwürfe; hier: Entwurf des Staatsvertrags über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks erzielten Einnahmen – Drucksache 13/2776
2. Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 2003 – Organstreitverfahren des MdL Benker gegen den Schleswig-Holsteinischen Landtag betr. „Schleswig-Holsteinische Abgeordnetenentschädigung“
3. Antrag des Finanzministeriums vom 22. Januar 2004 – Haushaltsrechnung für das Haushaltsjahr 2002 – Drucksache 13/2833
Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz über die Feststellung des Staatshaushaltsplans von Baden-Württemberg für das Haushaltsjahr 2004 (Staatshaushaltsgesetz 2004 – StHG 2004)
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Beratung des Einzelplans 02 – Staatsministerium – eine Gesamtredezeit von 15 Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In wirtschaftlich denkbar schwieriger Zeit hat die Regierung einen Haushaltsentwurf vorgelegt, haben wir die Finanzausschussberatungen hinter uns liegen und gehen nun in die Zweite Beratung.
Der Haushalt für das Jahr 2004 ist die finanzielle Grundlage dafür, dass Baden-Württemberg handlungsfähig bleibt. Natürlich wissen auch wir: Kürzungen tun weh. Die meisten Kürzungen haben wir nicht aus freien Stücken getätigt, sondern aus der Not heraus. Trotzdem glaube ich, dass der Haushalt, so wie er von CDU und FDP/DVP geprägt ist, sozial gerecht, zukunftsfähig und bürgernah geblieben ist. Das
betrifft die Bildung, die innere Sicherheit, die Partnerschaft mit den Kommunen, die Kirchen, die Verbände und Vereine, die Bürger insgesamt. Wir achten darauf, dass BadenWürttemberg mit all seinen Kräften wettbewerbsfähig in die Zukunft geht. Der Haushalt bildet die Grundlage dafür.
Nach den Beratungen im Finanzausschuss sage ich zunächst Dank, Dank für eine gute Leitung durch den Kollegen Moser, Dank für eine hervorragende Zusammenarbeit mit unserer Regierung – Erwin Teufel, die Minister und Staatssekretäre –, Dank aber auch für einen kompetenten Stab von Mitarbeitern. Die Bediensteten aus allen Ressorts haben gut Rat gegeben, gut geantwortet. Ich glaube, dass im Finanzausschuss eine seriöse Arbeit geleistet worden ist.
Im Mittelpunkt unserer Arbeit im neuen Jahr steht das Thema Beschäftigung. Wenn man in einer Demokratie und in einem Sozialstaat ein überragendes Ziel nennen darf, dann das, dass für jeden, der arbeitswillig und arbeitsfähig ist, die Chance auf einen Arbeitsplatz besteht. Wir werden alles dafür tun, dass unser Land Baden-Württemberg ein Land mit Chance auf Beschäftigung, mit großer Chance auf berufliche Bewährung, dass Baden-Württemberg gerade auf dem Arbeitsmarkt ein Land sozialer Gerechtigkeit bleibt.
Deutschland hatte vor einem Jahr 39 Millionen Arbeitsplätze. Heute sind es 400 000 weniger. 400 000 Arbeitsplätze gingen im letzten Jahr verloren, einige auch in Baden-Württemberg, und kommen im Zweifel nicht mehr zurück. Uns muss klar sein, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland nicht mehr überall soziale Gerechtigkeit ermöglicht und dass für manchen Langzeitarbeitslosen und für manchen jungen Menschen der Zugang zu Beschäftigung schwierig oder gar unmöglich geworden ist.
Dabei steht Baden-Württemberg, relativ gesehen, gut da: Die Arbeitslosenquote beträgt im Osten Deutschlands 18 %, in Deutschland insgesamt 10 %, im Westen Deutschlands 8 % und in Baden-Württemberg 6 %. Es wird der Ehrgeiz der Landespolitik sein, es ist der Ehrgeiz meiner Fraktion, im Rahmen unserer Möglichkeiten alles dafür zu tun, dass dieser gute Wert einer geringen Arbeitslosenquote, die es weiter abzusenken gilt, in den nächsten Jahren noch verbessert werden kann. Ein hoher Beschäftigungsgrad ist für uns das vorrangige Ziel.
Wir müssen dies auch deshalb erreichen, weil Baden-Württemberg eine besondere Herausforderung hat: Unsere Einwohnerzahl steigt. Das heißt: Mit einer gleich bleibenden Zahl von Arbeitsplätzen ist es nicht getan. 60 000 Menschen – eine Wanderungsbewegung vom Nordosten in den Südwesten Deutschlands – kommen zu uns. Wir müssen also nicht nur Arbeitsplätze halten, sondern auch zusätzliche schaffen. Ich fordere dieses hohe Haus auf, jede Entscheidung, jede Entwicklung darauf auszurichten, dass in allen Branchen der Wirtschaft, in Handwerk, Handel, Mit
telstand, Industrie, die Zahl der Arbeitsplätze gehalten und erhöht werden kann. Nicht Insolvenzen und Verlagerungen von Unternehmen ins Ausland dürfen eintreten, sondern Industrie, Mittelstand und Familienbetriebe sollen hier bleiben und hier verstärkt produzieren. Ich glaube, dass dies der zentrale Leitsatz für unser Handeln sein muss.
Es kommt Bewegung in die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Föderalismusreform. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Zeitfenster jetzt offen ist, dass jetzt die Chance besteht, die Kompetenzen zwischen Bundestag und Bundesrat einerseits und den Landtagen andererseits neu zu ordnen. Das steht jetzt auf der Tagesordnung, und es wird ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit sein, mit gemeinsamer Kraft das umzusetzen, was alle Fraktionen wollen.