Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 18. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Meine Damen und Herren, heute haben die Kollegen Hillebrand und Scheuermann Geburtstag. Herr Hillebrand und Herr Scheuermann, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses und wünsche Ihnen alles Gute.
a) Antrag der Fraktion der SPD Einsetzung und Auftrag des Untersuchungsausschusses Fehler der Atomaufsicht in Baden-Württemberg im Zusammenhang mit den meldepflichtigen Ereignissen und dem Fehlverhalten im Kernkraftwerk Philippsburg Werk 2 und die daraus zu ziehenden Konsequenzen Drucksache 13/630
b) Wahl der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder, des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz begründen, warum wir einen Untersuchungsausschuss beantragen.
Im letzten halben Jahr wurde ja vieles über die Vorgänge im Kernkraftwerk Philippsburg diskutiert. Wir haben auch viele Anträge dazu gestellt. Wir haben inzwischen auch viel Erhellendes über das unkorrekte Gebaren des Betreibers, also der EnBW, und des Personals im KKP 2 erfahren.
Die Rolle des TÜV und sein Versagen in dieser Angelegenheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind bisher allerdings nicht aufgedeckt worden. Der TÜV hat sich ja als völlig inkompetent gezeigt. Schließlich hat die Landesregierung nach wie vor nur einen Gutachter beauftragt, wobei zwischen diesem Gutachter und dem Betreiber sehr große persönliche Nähe und Vertraulichkeit bestanden.
Auch zu Missmanagement und zum offenbar fehlenden Risikobewusstsein des Ministeriums wurde bisher nie etwas Substanzielles gesagt, auch von Ihnen nicht, Herr Minister. Vielmehr wurden mit blumigen Worten Erkenntnisprozesse und Meinungsbildungen im Umweltministerium beschrieben, als wäre das Umweltministerium eine Forschungsgruppe und nicht die Atomaufsichtsbehörde. Wenn das Thema nicht so ernst wäre, dann könnte man auch über die Konsequenzen, die Sie angeordnet haben, ziemlich lächeln. Ausgerechnet den Atom-Hardliner Serge Prêtre haben Sie zuerst als unabhängigen Gutachter vorgeschlagen, obwohl dieser Mann ja überhaupt keine Distanz zur Atomlobby hat, sondern die Atomlobby personifiziert darstellt.
Wir hatten eigentlich gedacht, in dem Bericht des Umweltministeriums zur Wiederherstellung der Betriebsvoraussetzungen im Kernkraftwerk Philippsburg werde der gesamte Sachverhalt aufgearbeitet. Sie haben dem Parlament einen 30-seitigen Bericht vorgelegt, in dem Sie in 16 Zeilen von 29 Seiten in 16 Zeilen auf der letzten Seite! Konsequenzen, nämlich die Rotation von Personal, angekündigt haben. Sie haben aber nichts zur Aufarbeitung der Fehler beigetragen.
Die SPD muss jetzt eine Begründung dafür finden, dass sie erst ein paar Wochen nach Abgabe des Abschlussberichts auf die Idee kommt, einen Ausschuss zu fordern.
Ich will Sie nur darüber informieren: Am 21. Dezember nachmittags um 14 Uhr also vor Weihnachten kam der Bericht per E-Mail in dreifacher Ausfertigung bei der SPDFraktion an. Am 21. Dezember! Dann waren Weihnachten und Neujahr und der Dreikönigsparteitag der FDP, bei dem man ja immer ziemlich schlucken und verdauen muss.
Dann hatten wir Klausurtagung vom 7. bis 9. Januar, also gleich nach Neujahr. Dort hat die Fraktion die Fraktions
führung beauftragt, einen Antrag zu formulieren, und am 15. Januar haben wir dann beschlossen, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Schneller ging es also mit dem Antrag, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, nicht. Insofern weisen wir auch den Vorwurf zurück, wir hätten hier verzögert. Wir haben vielmehr erst aufgrund Ihres katastrophalen Berichts diesen Antrag gestellt.
Wir hatten auch den Eindruck, dass Sie das Kapitel nun für abgeschlossen halten. So steht es nach unserer Meinung auch in dem Bericht. Wir sind aber der Auffassung, dass die Aufarbeitung erst noch beginnen muss. Denn die Atomaufsicht hat eklatante Fehler gemacht. Sie hat und wir wollen wissen, warum nach Wiederanfahren eines Reaktors ohne betriebsbereites Notkühlsystem bis zum ersten Einschreiten ganze 19 Tage gebraucht. Warum, weiß das gesamte Parlament bis heute nicht. Warum hat es nach Wiederanfahren des Atomkraftwerks ohne betriebsbereites Notkühlsystem exakt 57 Tage gedauert, bis der Minister aufgrund des Einschreitens des Bundesumweltministeriums eine andere Haltung eingenommen hat? Erst ist 19 Tage nichts passiert, dann ist 57 Tage auch nichts passiert, bis Sie dann in Berlin eine andere Meinung angenommen haben. Das muss man doch aufarbeiten. Wir wissen bis heute nicht, warum dies alles geschehen ist.
Wir wissen erstens bis heute nicht, wer hier in Stuttgart geschlafen hat und wie lange, und wir wissen nicht, warum es möglich war, dass eigens in der Atomaufsicht beschäftigte Ministerialbeamte nicht erkannt haben, dass das Kraftwerk bei drei nicht betriebsbereiten Flutbehältern sofort hätte abgeschaltet werden müssen. Warum? Uns ist das bisher auch im Abschlussbericht des Ministeriums nicht deutlich geworden.
Zweitens: Wie konnte es eigentlich passieren, dass im Ministerium Meldungen egal, in welcher Form über Störungen in einem Atomkraftwerk tagelang herumlagen? Warum dauerte es tagelang, bis sie weitergeleitet wurden? Warum ließ man überhaupt mehrere Tage ins Land gehen, bis man sich über eine merkwürdige telefonische Mitteilung eine schriftliche bzw. gefaxte Erklärung zukommen ließ?
Immer wieder liegen hier auch Wochenenden dazwischen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Da graust es jedem wirklich. In Baden-Württemberg dürfen Pannen in AKWs nur unter der Woche passieren; am Wochenende gibt es nicht einmal eine verschlafene Atomaufsicht, Herr Minister.
Drittens eine spannende Frage, die bislang unbeantwortet geblieben ist : Wie ist es erklärlich, dass zahllose hoch qualifizierte und gut bezahlte Fachleute aus der Atomaufsicht des Landes mit dem Gutachter TÜV und dem Betreiber selbst angeblich viele Jahre man schätzt 16 Jahre ein Kernkraftwerk kritisch gemacht haben, ohne zuvor das Notkühlsystem betriebsbereit zu machen? Das muss man doch einmal aufklären; da muss man doch einmal fragen: Wie kommt so etwas zustande?
Möglicherweise sind es auch handfeste ökonomische Gründe; denn wir wissen ja: Je nachdem, wie früh ein Re
aktor nach der Revision angefahren wird, entstehen täglich Kosten in Höhe von einer halben Million Euro mehr oder weniger. Also: Waren es ökonomische Gründe, die dieses Versagen verursacht haben?
Nun komme ich zu dem Gutachter. Der beschäftigt 120 Mitarbeiter, hat den riesigen Auftrag, ein Atomkraftwerk ständig zu begutachten, und schaut offensichtlich ganz angestrengt in eine andere Richtung, wenn es an die Revision und an das Wiederanfahren nach der Revision geht. Immerhin heißt es im Bericht des Umweltministeriums vom 21. Dezember lapidar:
Die Analyse... wurde vom HF-Bearbeiter zurückgestellt, nachdem eine Überprüfung der Handarmatur durch den Armaturenhersteller keinen Befund ergab, und wegen eines personellen Engpasses nicht wieder aufgenommen.
Offensichtlich gibt es zu wenig Personal. Also ist die Frage: Wer hat genehmigt, dass in diesem Atomkraftwerk weniger Personal arbeitet, also Personal reduziert wurde? War es nun die Atomaufsicht oder nicht?
Im Übrigen, Herr Minister, hätten wir gern die Antwort von Ihnen, warum Sie den einstimmigen Beschluss des Untersuchungsausschusses gegen das Atomkraftwerk Obrigheim vom 19. Januar 1996 nicht umgesetzt haben. Da steht drin:
... für die zusätzliche Absicherung von Begutachtungsprozessen auch in künftigen atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren neben dem langjährigen Gutachter TÜV Südwest und seinen Untergutachtern andere wissenschaftlich qualifizierte und unabhängige Gutachter als Sachverständige zuzuziehen.
Das war ein einstimmiger Beschluss. Das haben Sie die letzten Jahre nicht gemacht. Darunter stehen auch die Unterschrift des heutigen Geburtstagskindes, Herrn Scheuermann, und meine. Warum wurde dieser Beschluss nicht umgesetzt? Wäre er umgesetzt worden, wäre es möglicherweise überhaupt nicht zu diesen Pannen gekommen.
Viertens wollen wir in dem Untersuchungsausschuss geklärt haben, welche Maßnahmen und Anordnungen jetzt getroffen und welche Konsequenzen in der Atomaufsicht in Baden-Württemberg gezogen werden müssen. Die Bevölkerung in unserem Land hat auf jeden Fall Anspruch auf eine unabhängige, konsequente und schnell handelnde Aufsicht und Kontrolle über die kerntechnischen Anlagen in Baden-Württemberg.
Um diese wieder herzustellen, bedarf es nicht weißer Salbe oder heißer Luft, sondern einer ernsthaften Aufdeckung und Aufarbeitung der gemachten Fehler und deren Ursachen. Da Sie, Herr Minister, und Ihr Ministerium dies nicht geleistet haben, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als zur schärfsten Waffe des Hauses zu greifen, nämlich einen Untersuchungsausschuss zu beantragen. Nur er gibt uns die Möglichkeit, die Leute, die wir wollen, mit unseren Fragen zu konfrontieren und alle Akten und Vermerke zu diesem Vorgang einzusehen.
Wir machen auch das Angebot, nachdem die CDU ja den Vorsitz hat, recht schnell innerhalb eines Jahres oder bis Ende des Jahres die von uns gestellten Fragen aufzuarbeiten und zu einem Ergebnis zu kommen.
(Beifall bei der SPD Abg. Hauk CDU: Das war der einzige Beifall, der auf Ihrer Seite! Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Ich habe auch sehr ruhig gesprochen! Ich muss nicht jedes Mal so reden wie gestern!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren! Die CDU-Fraktion hat den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Kenntnis genommen und wird diesem Antrag ihre Zustimmung verweigern.
Wir dürfen feststellen, dass Minister Müller zeitnah, umfassend und richtig informiert hat. Er wird auch in der Zukunft, nachdem das liegt in der Natur der Sache immer wieder Fragen auftauchen können und Fragen auftauchen werden das ist ein laufender Prozess , selbstverständlich in diesem Stil und in dieser Vollständigkeit informieren.
Der zweite Punkt: Die erforderlichen Maßnahmen zur Stärkung der Atomaufsicht sind entweder durchgeführt oder aber eingeleitet worden.
Herr Drexler, vorgestern haben wir der Presse entnehmen können, dass die in der Tat wichtige Optimierung der Atomaufsicht durch Einsetzung eines externen Expertenteams nunmehr durchgeführt worden ist,