Protocol of the Session on November 13, 2002

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 33. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und damit gleichzeitig den zweiten Teil des Frauenplenartags, den der Landtag von Baden-Württemberg als erstes deutsches Landesparlament durchführt. Ich darf bei dieser Gelegenheit den Landtagskolleginnen sehr herzlich für die Vorbereitung dieses Frauenplenartags danken.

Unter unseren zahlreichen Gästen auf der Zuhörertribüne und vor der Großleinwand in der Eingangshalle, in die die Vormittagssitzung wegen des großen Andrangs übertragen wird, gilt mein besonderer Gruß der ehemaligen Ministerin und Landtagskollegin Frau Brigitte Unger-Soyka, der ehemaligen Landtagsabgeordneten Frau Dr. Emmy Diemer-Nicolaus, der ehemaligen Landtagskollegin und Bundestagsabgeordneten Frau Ingrid Walz, der Generalkonsulin der Republik Bulgarien, Frau Veneta Momtcheva, und der designierten Justizministerin unseres Landes, Frau Corinna Werwigk-Hertneck. Allen Zuhörerinnen und Zuhörern entbiete ich ein herzliches Willkommen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident Teufel ist bis ca. 12 Uhr dienstlich verhindert,

(Oh-Rufe bei der SPD)

Herr Minister Stratthaus wird heute Nachmittag verhindert sein.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt vervielfältigt auf Ihren Tischen. Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.

Im Eingang befinden sich:

1. Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Oktober 2002, Az.: 2 BvF 2/02 – Normenkontrollantrag der Länder Thüringen, Bayern und Sachsen betr. Fünftes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

2. Mitteilung des Wirtschaftsministeriums vom 31. Oktober 2002 – Wohnungsbau 2003 – Bericht und Leitlinien zur Wohnraumförderung – Drucksache 13/1456

Überweisung an den Wirtschaftsausschuss und federführend an den Finanzausschuss

3. Mitteilung des SWR vom 29. Oktober 2002 – Bericht des SWR an die Landtage der Staatsvertragsländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – Drucksache 13/1420

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

Wir treten in die Tagesordnung ein.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin (Artikel 3 Abs. 2 GG, Artikel 2 Abs. 1 LV)“ – Anspruch und Wirklichkeit im 50. Jahr nach der Landesgründung

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Sozialministeriums – Gender Mainstreaming konsequent umsetzen – Drucksache 13/631

b) Große Anfrage der Fraktion der SPD und Antwort der Landesregierung – Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung – Drucksache 13/1204

c) Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Sozialministeriums – Durchsetzung der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Baden-Württemberg – Drucksache 13/1240

d) Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Sozialministeriums – Ärztinnen im Beruf – Drucksache 13/1205

Außerdem sind folgende Änderungsanträge mit aufgerufen: zu Tagesordnungspunkt 1 b der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/1488, und zu Tagesordnungspunkt 1 c der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/1493, der Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 13/1486, und der Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE, Drucksache 13/1499.

Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 1 und 2 folgende Redezeiten festgelegt: fünf Minuten für die Begründung der Anträge und die einleitenden Erklärungen und 25 Minuten je Fraktion für die Aussprache, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Das Wort erteile ich Frau Dr. Gräßle.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst für die CDU-Fraktion unsere ehemaligen Kolleginnen und Ministerinnen grüßen. Wir freuen uns, dass Sie heute bei uns sind, und fühlen uns sehr geehrt. Herzlich willkommen auch von unserer Seite.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge- ordneten der Grünen)

Der heutige Tag ist auch mit Ihr Verdienst. Sie waren die Wegbereiterinnen von uns allen, unserer heutigen Parlamentsfrauen, und Sie waren vor uns beauftragt, das Verfassungsgebot der Gleichstellung mit Leben zu erfüllen. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass dies gar keine leichte Aufgabe ist. Wenn wir in 25 Jahren zum 75-jährigen Landesjubiläum da oben sitzen, gehe ich davon aus, dass wir bis dahin einige große Schritte weiter sind.

Bislang gehen die Veränderungen nur langsam vonstatten. Dies zeigt, dass allein die Existenz von Rechtsnormen nichts ändert. Die Rechtsnormen leben nur durch praktische Umsetzung und nicht aus sich heraus. Nach 50 Jahren Landesverfassung und Gleichstellungsauftrag, nach sechs Jahren Landesgleichberechtigungsgesetz ist es unsere ganz wichtige Erkenntnis, dass es keinen Sinn macht, immer feiner ziselierte Normen festzulegen, mit Kontrollen, Sanktionen und immer enger gezogenen Regelungen. Die größere Teilhabe von Frauen muss in den Köpfen noch stärker verankert werden. Wir Frauen müssen dieses Thema wach halten, und zwar unabhängig von persönlichen Erfahrungen oder Interessen.

Wo stehen wir? Ich will hier keinen Defizitbericht abgeben. Wir wissen alle, dass die Gleichstellung von Frauen bei der Bezahlung für gleiche Arbeit, bei Führungspositionen, bei der politischen Teilhabe und in der Gesellschaft noch längst nicht erreicht ist. Ich will auch nicht die rückwärts gewandte Rechnung aufmachen, wer an dieser Situation wohl die größere oder kleinere Verantwortung trägt. Ich bin mir sicher, wir sind auf dem richtigen Weg, auf einem guten Weg, und nur das wird für Gegenwart und Zukunft zählen.

Unter den Abiturienten sind heute in unserem Land mehr als 53 % weiblich. Rund 50 % der Schulabgänger mit Realschulabschluss sind Mädchen. 45 % der Studienanfänger sind Frauen. Unter den jüngeren berufstätigen Frauen zwischen 30 und 35 Jahren haben nur noch 14 % keine Berufsausbildung. Vor 30 Jahren waren es noch 50 %. Abgesehen davon, dass dies ein Beispiel für eine sehr erfolgreiche Schulpolitik ist, ist dies auch ein Beispiel für eine gelungene Frauenpolitik und gibt uns die Richtung an, in die wir in Zukunft gehen werden.

Bei der Berufstätigkeit gleichen sich Männer und Frauen in der Altersgeneration bis 35 Jahren ebenfalls immer mehr an. Sie werden die augenblickliche Situation – derzeit sind in der Wirtschaft noch 84 % aller Führungskräfte Männer, und bei den obersten Landesbehörden im öffentlichen Dienst ist dieser Anteil noch etwas höher, dort beträgt er 85 % – ändern. Bei den obersten Bundesbehörden haben wir sogar über 90 % Männer. In der Bundesverwaltung sind, wie Frau Unger-Soyka bei unserer gestrigen Anhörung ausführte, lediglich 2,5 % der Abteilungsleiterstellen mit Frauen besetzt.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Wir werden mit der Novellierung des Landesgleichberechtigungsgesetzes weiter an einer Veränderung dieser Situation arbeiten.

Die Entwicklung zeigt, dass wir bereits viel erreicht haben. Der Frauenanteil in der Landesverwaltung liegt bei fast 50 %. Unser besonderes Augenmerk muss den Laufbahngruppen gelten, in denen Frauen zu einer großen Minderheit gehören, sowie den Aufstiegschancen von Frauen.

Wir müssen uns aber auch fragen, was wir eigentlich erreichen wollen. Wenn wir die so genannten Frauenberufe im öffentlichen Dienst betrachten, fällt auf, dass Grundschulen und Kindergärten inzwischen fast männerfreie Zonen geworden sind. Erzieherische Arbeit lebt aber von der Präsenz von Männern und Frauen zugleich.

Wenn ich dann sehe, dass wir auch an Grundschulen mit fast 100 % Frauenanteil noch Frauenbeauftragte bestellen, dann erfasst mich die Sinnkrise. Wenn nicht die Bereitschaft zum Rückbau erfolgreich angewandter Regelungen – und diese Regelungen waren erfolgreich, haben Erfolg gezeigt – besteht, wenn wir nicht bereit sind, Regelungen, die sich bewährt haben, die wir aber nicht mehr brauchen, zurückzubauen und andererseits die Defizite ganz konkret mit neuen Regelungen und neuen Maßnahmen zu bekämpfen, dann haben wir etwas falsch gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Ich hoffe, dass uns Gender Mainstreaming völlig neue Instrumente gibt, um solche Kuriositäten der herkömmlichen Art von Frauenförderung zu beseitigen. Aber Gender Mainstreaming darf keine neue Sau sein, die jetzt durch das frauenpolitische Dorf gejagt wird

(Unruhe)

und hinter der sich am Ende nur Ratlosigkeit darüber verbirgt, wie Strukturen wirklich verändert werden können, um das Gleichstellungsgebot zu verwirklichen.

Es wäre auch an der Zeit, Frauenförderung bei denen auf die Tagesordnung zu setzen, die ständig davon reden. Ich rede hier von den Gewerkschaften

(Lachen der Abg. Marianne Wonnay SPD)

und von der Tatsache, dass Frauen in der Wirtschaft nur drei Viertel der Löhne und Gehälter ihrer männlichen Kollegen erhalten. Drei Viertel!

(Abg. Teßmer SPD: Daran sind aber die Gewerk- schaften nicht schuld! – Abg. Marianne Wonnay SPD: Etwas einseitige Darstellung! – Unruhe)

Dies ist eine der Hauptursachen dafür,

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

dass so wenige Männer bereit sein können, Erziehungszeiten in Anspruch zu nehmen. Diese Tatsache ist die Ursache dafür, dass wir nach wie vor eine große Zementierung der jetzigen Situation haben, wonach Frauen zu Hause sind und sich dankenswerterweise um Kinder kümmern, während Männer eben zur Arbeit gehen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Nach wie vor gibt es Frauen mit schlechterer Ausbildung, haben Frauen eine unterbrochene Erwerbsbiografie und, und, und. Genau das ist ja das Problem, über das wir reden müssen.

Ich wäre dankbar, wenn sich der DGB mit genau dem gleichen Eifer den Tarifverträgen seiner Einzelgewerkschaften zuwenden würde,