Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 62. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen und die Gespräche einzustellen.
Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Dr. Gräßle sowie den Herren Abg. Alfred Haas, Rivoir und Rust erteilt.
Dienstlich verhindert sind Herr Minister Köberle und – nachmittags – Herr Minister Professor Dr. Frankenberg.
Im Eingang befindet sich die Mitteilung der Landesregierung vom 21. Januar 2004 – 14. Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. Sie ist Ihnen als Drucksache 13/2836 zugegangen.
Ich schlage vor, diese Mitteilung der Landesregierung, Drucksache 13/2836, an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, unter den Gästen auf der Zuhörertribüne gilt mein besonderer Gruß dem Botschafter der Schweiz in der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Dr. Werner Baumann.
Herr Botschafter Dr. Baumann, der von Herrn Generalkonsul Bucher begleitet wird, führt heute hier im Landtagsgebäude politische Gespräche mit verschiedenen Mitgliedern der Landesregierung.
Herr Botschafter, ich darf Sie im Landtag von Baden-Württemberg herzlich willkommen heißen und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und erfolgreiche Gespräche.
a) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes – Drucksache 13/2793
b) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes – Drucksache 13/2837
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Namens der Landesregierung lege ich Ihnen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes vor, das Lehrkräften an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg politische, religiöse oder weltanschauliche Bekundungen untersagt, die die Neutralitätspflicht des Staates oder den Schulfrieden stören oder gefährden und grundlegende Verfassungswerte missachten können. Damit soll die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden, muslimischen Lehrerinnen zu verbieten, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen.
Der Landtag von Baden-Württemberg hat sich in den Jahren 1997 und 1998 anlässlich der Anträge von Fereshta Ludin auf Einstellung in den Vorbereitungsdienst bzw. in den Schuldienst eingehend mit der Frage beschäftigt, ob ihr erlaubt werden kann, ein Kopftuch zu tragen. Die Mitglieder des Parlaments haben damals in großer Einmütigkeit aller heute in diesem Parlament vertretenen Fraktionen die Entscheidung der Schulverwaltung bestätigt, wonach von einer Lehrerin an einer öffentlichen Schule in Baden-Württemberg erwartet werden kann, im Rahmen ihrer Dienstpflichten im Unterricht das Kopftuch abzulegen. Da Frau Ludin dazu nicht bereit war, wurde sie nicht eingestellt.
Mit Rücksicht darauf, dass diese Ablehnung in einem Prozess der Güterabwägung zu treffen ist, bei dem im Blick auf den Vorbereitungsdienst zum Lehramt das Ausbildungsmonopol des Staates für uns ausschlaggebend war, hat Frau Ludin zugleich die Möglichkeit erhalten, ihren Vorbereitungsdienst zu Ende zu bringen und damit ihre Ausbildung zum Lehramt abzuschließen. In ebensolcher Einmütigkeit hat das Parlament entgegen einem damaligen Antrag der Republikaner, der sich auf Schülerinnen und Lehrerinnen bezog, ein Gesetz zu einem allgemeinen Kopftuchverbot abgelehnt. Wir waren der festen Überzeugung, dass sich
das Verbot ausschließlich auf Lehrerinnen beziehen soll und im Rahmen der Dienstpflichten einer Lehrerin im Sinne des Mäßigungsgebots möglich und sinnvoll ist.
Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Ulrich Maurer, hat in der damaligen Debatte darauf hingewiesen, dass – ich zitiere –
vom Erlauben des Tragens dieses Symbols ein Signal für Ausgrenzung und gegen Integration und damit genau gegen die Politik und das Verfassungsverständnis, die wir für richtig und für notwendig halten, ausgegangen wäre.
eben gerade nicht von einem Geist der Abgrenzung gegenüber dem Islam..., sondern von einem Geist der Toleranz und der Sorge um die Einhaltung der staatlichen Neutralitätspflicht
Der rote Faden durch alle damaligen Redebeiträge, mit Ausnahme jener der Republikaner, war geprägt von einer hohen Sensibilität gegenüber einem komplizierten Abwägungsprozess zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit einerseits und der Mehrdeutigkeit von Botschaften, die mit dem Kopftuch verbunden sind, andererseits. Genau diese Mehrdeutigkeit des Kopftuchs, die aus der innerislamischen Debatte bekannt ist, war das ausschlaggebende Argument dafür, muslimischen Lehrerinnen an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg zu verbieten, ein Kopftuch zu tragen.
Meine Damen und Herren, Frau Fereshta Ludin hat gegen die Ablehnung ihrer Einstellung in den Schuldienst von Baden-Württemberg rechtliche Schritte bis hin zum Bundesverfassungsgericht unternommen. Während alle vorangegangenen rechtlichen Instanzen die Entscheidung der Schulverwaltung bestätigt haben, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24. September 2003 erklärt – ich zitiere –:
Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.
Das Gericht hat zu der Frage der Zulassung oder Ablehnung des Kopftuchs nicht entschieden, sondern im zweiten Leitsatz festgehalten – ich zitiere –:
Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, der mit der Verfassungsbeschwerde von Fereshta Ludin beschäftigt war, ist in seiner Beurteilung nicht zu einer einhelligen Auffassung gelangt. Während die drei Senatsmitglieder, die ein Minderheitenvotum abgegeben haben, unserer Auffassung folgen, nach der die Frage im Rahmen der Dienstpflichten
einer Lehrerin behandelt werden kann, verlangen die fünf Senatsmitglieder, die das Mehrheitsvotum abgegeben haben, eine gesetzliche Grundlage der Landesgesetzgeber für ein Kopftuchverbot bei Lehrerinnen an öffentlichen Schulen.
Die Fraktionen des Landtags haben unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils am 24. September der Landesregierung mitgeteilt, dass sie an ihrer Auffassung festhalten, nach der Lehrerinnen ihr Kopftuch im Unterricht abzulegen haben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für das Verbot.
Meine Damen und Herren, der Bundespräsident hat in einer Rede am 22. Januar 2004 in Wolfenbüttel darauf hingewiesen – ich zitiere –:
Unser Staat ist kein religionsfeindlicher und auch kein religionsfreier Staat. Im Gegenteil: Unser Staat schützt die Religionsfreiheit aller.
Damit hat er zum Ausdruck gebracht, wovon wir alle überzeugt sind: Das hohe Gut der Religionsfreiheit gehört zu unseren Verfassungswerten und ist kein Monopol der Christen. Daraus folgt, dass wir Sorge dafür zu tragen haben, dass die Mitglieder aller Religionsgemeinschaften in unserem freiheitlichen Rechtsstaat Anspruch auf Glaubensfreiheit und darauf haben, dass dies auch gefördert wird.
Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist indes nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen.
Im Unterschied zu Frankreich sind wir kein laizistischer Staat. Deshalb ist mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, auf welcher Grundlage und mit welchen Argumenten von einer Lehrerin an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg erwartet werden kann, im Unterricht kein Kopftuch zu tragen.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Landesgesetzgebern eine äußerst schwierige Aufgabe zugewiesen, zumal es erklärt, dass in den 16 Ländern unterschiedliche gesetzliche Regelungen möglich sind, und das Gericht anerkennt, dass die Länder Mittelwege gehen können aufgrund – ich zitiere – der konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung sowie mehr oder weniger starker religiöser Verwurzelung.
Zugleich wird erklärt, dass die Angehörigen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften gleich behandelt werden müssen.
Meine Damen und Herren, die dem Staat gebotene religiösweltanschauliche Neutralität im Sinne einer offenen, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernden Haltung bestimmt in Deutschland das Verhältnis zwischen Staat und Religion. Damit ist konsequenterweise dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundespräsidenten darin zu folgen, dass hier keine Unterschiede zwischen Re
Zugleich sind wir davon überzeugt, dass damit die Rolle des Kopftuchs im Islam nicht schon differenziert genug gewürdigt ist. Wäre das Kopftuch ein ausschließlich religiöses Symbol, dann gäbe es weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern über die Frage, ob eine Lehrerin in der Schule ein Kopftuch tragen darf, eine so heftige Debatte. Das ist keine baden-württembergische Debatte; es ist auch keine Debatte in Deutschland. In Wirklichkeit ist es eine europäische Debatte. Es sind unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die uns darauf hinweisen, dass das Kopftuch auch für eine bestimmte Auslegung des Islam im Sinne des politischen Islamismus steht – also auch mit einer politischen Botschaft verbunden sein kann – und im Islam zunehmend als ein Zeichen der kulturellen Abgrenzung gewertet wird.