Protocol of the Session on October 24, 2001

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen und die Türen zu schließen.

Im E i n g a n g befindet sich die Mitteilung des Rechnungshofs vom 15. Oktober 2001 über die gemeinsame Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Südwestrundfunks durch die Rechnungshöfe der am Staatsvertrag über den SWR beteiligten Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Die Mitteilung wird Ihnen als Drucksache 13/312 zugehen. Ich schlage Ihnen vor, die Mitteilung an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungserklärung – Innere Sicherheit in BadenWürttemberg – und Aussprache

Das Wort zur Regierungserklärung erteile ich Herrn Ministerpräsident Teufel.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 11. September 2001 war einer der schlimmsten Tage in der Geschichte. Die Terroranschläge auf New York und Washington haben Tausende von unschuldigen Menschen das Leben gekostet. Menschen mit einem Lebenswillen, wie wir ihn haben, verloren ihr Leben und wurden aus der Mitte ihrer Familien gerissen. Hunderte, die zu Hilfe geeilt sind, sind selbst zu Opfern geworden.

Unsere Gedanken sind noch immer bei denen, die ihr Leben lassen mussten. Wir fühlen mit allen Angehörigen, die Menschen verloren haben, die ihnen nahe standen. Wir verneigen uns mit großer Anerkennung vor all jenen, die unter Einsatz ihres Lebens und unter großer körperlicher und seelischer Anstrengung die Toten bergen und an den Orten des Verbrechens an den Aufräumungsarbeiten mitwirken.

Die Menschen in Baden-Württemberg stehen an der Seite des amerikanischen Volkes und seiner Regierung. Gemeinsam mit ihnen stehen wir auf der Seite der Freiheit, die gerade wir in Deutschland zu einem großen Teil unseren amerikanischen Freunden zu verdanken haben. Uns verbindet ein gemeinsames Ziel: Wir werden uns Freiheit und Menschenrechte von niemandem auf der Welt wieder wegnehmen lassen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die Anschläge auf die Vereinigten Staaten markieren den Beginn einer weltweit neuen Bedrohungslage. Sie haben gezeigt: Die Hoffnung auf absolute Sicherheit ist eine Illusion. Angst und Sorge machen sich breit. Es sind Sorgen und Ängste, die über die unmittelbaren Folgen des brutalen Terrors hinausgehen und auch die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen der Anschläge umfassen.

Die Menschen erwarten deshalb von allen politisch Verantwortlichen zu Recht Orientierung und konsequentes Handeln – besonnen und entschlossen zugleich. Sie wissen aber auch: Schnelle Patentlösungen kann es in dieser schwierigen Lage nicht geben. Keine der notwendigen Maßnahmen wird in kurzer Zeit Lösungen für Probleme bringen, die wir bisher weder kannten noch für menschenmöglich hielten. Aber ich bin sicher, wenn wir das Notwendige tun, werden wir den Terrorismus in die Schranken weisen und die Terroristen in die Knie zwingen können.

Dazu bedarf es eines langen Atems. Der Kampf gegen den Terrorismus wird Zeit benötigen, er wird Geld kosten, und er muss auf vielen Feldern und politischen Ebenen gleichzeitig geführt werden: politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, persönlich durch Wachsamkeit und Zivilcourage, aber auch mit polizeilichen und militärischen Mitteln.

Bei allem, was uns auch in diesem Haus in Einzelfragen politisch trennt, haben wir die Pflicht, den Menschen im Land zu beweisen: Der Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist unser gemeinsames Ziel und unser gemeinsames Interesse, unser gemeinsames Anliegen, dem sich alle anderen Ziele unterzuordnen haben. An dieser Maxime richten wir unser Handeln aus.

Die Landesregierung und die sie tragenden Parteien unterstützen die Maßnahmenpakete der Bundesregierung und des Bundestags im Kampf gegen den Terrorismus. Wir alle sind verpflichtet, das Menschenmögliche zu tun, um die Freiheit, das Leben und die Unversehrtheit der Menschen zu gewährleisten.

Terror hat Ursachen. Wenn wir ihn besiegen wollen, müssen wir auch an seine Ursachen herangehen. Der blinde und fanatische Hass, der Menschen dazu verleitet, durch nichts zu rechtfertigende Verbrechen zu begehen, muss genauso bekämpft werden wie die terroristische Gewalt selbst. Wir fordern alle Verantwortlichen auf, gewaltbereiten Fanatikern die Unterstützung zu entziehen, sie zu bekämpfen und dem Frieden den Weg zu bereiten. Der Kampf gegen den Terrorismus muss ein gemeinsames An

(Ministerpräsident Teufel)

liegen aller friedlich gesinnten Staaten und Nationen sowie aller Menschen guten Willens sein.

Wir befinden uns seit dem 11. September 2001 mitnichten in einem Kampf der Kulturen, mitnichten in einem Kampf der westlichen gegen die islamische Welt. Wenn wir uns dies einreden ließen, wären wir schon ein gutes Stück weit dort, wo uns bin Laden und seine geistigen Hintermänner haben wollen.

Terror ist Unkultur und Vernichtung der Kultur, Angriff auf alles, was Menschen und menschlicher Geist an Gutem und Schönem, an Werten und Werken geschaffen haben und anerkennen. Es geht nicht um einen Kampf der Kulturen gegeneinander, sondern um einen Kampf der Kulturen miteinander gegen Terrorismus und gegen die Pervertierung jeder Kultur.

(Lebhafter Beifall bei allen Fraktionen)

Die islamische Welt ist durch den Terrorismus von verirrten und verwirrten Fanatikern mindestens genauso gefährdet wie wir selbst. Deshalb ist es wichtig und richtig, eine globale Allianz gegen den Terror und seine Helfershelfer zu schmieden und zu festigen. Wir stellen nicht Muslime oder den Islam auf die Anklagebank, sondern Islamisten und Gewalttäter.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir wollen eine bessere Integration von ausländischen Mitbürgern, die rechtmäßig hier leben, in unsere Gesellschaft und Gemeinschaft.

(Beifall bei allen Fraktionen)

So, wie wir keinen globalen Kampf der Kulturen oder der Religionen wollen, wollen wir auch kein Gegeneinander zwischen Christen und Muslimen in Deutschland und Baden-Württemberg. Wir leben in e i n e m Land, und wir wollen in Frieden miteinander leben. Ich fordere die Mitbürger muslimischen Glaubens und ihre Glaubensgemeinschaften in Baden-Württemberg auf, Verantwortung zu übernehmen und einen aktiven Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus zu leisten – als Teil der Gesellschaft, die am Schutz unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung interessiert ist. Wir bauen auf ihre klare Distanzierung von terroristischen Gewaltakten und erwarten ihre geschlossene Unterstützung im Kampf gegen diejenigen, die aus religiöser Verblendung heraus die freiheitliche Lebensform und Verfassung angreifen.

Das Entstehen abgeschotteter Parallelgesellschaften wäre ein Nährboden für gegenseitige Entfremdung. Dies muss unter allen Umständen verhindert werden.

Der Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, sagte bei der Trauerfeier in Berlin für die Opfer der Anschläge in den USA: „Es gibt keinen Glauben an Gott, auf den man sich zur Rechtfertigung solcher Verbrechen berufen könnte.“ Er hat Recht. Die Terroristen missbrauchen den Namen Gottes. Sie missbrauchen eine Religion. Sie missbrauchen und benutzen fehlgeleitete Menschen mit dem Ziel, Unschuldige umzubringen und die Welt in Brand zu setzen.

Jeder Staat und jede Organisation, die sie dabei unterstützt, ihnen Unterschlupf gewährt oder finanzielle und materielle Mittel zur Verfügung stellt, dient nicht dem Islam, sondern schadet ihm. Er muss mit unserer entschiedenen Gegenwehr rechnen. Wir haben das Recht, unsere Freiheit und unsere Zivilisation gegen alle Anschläge und Gefährdungen von innen wie von außen zu verteidigen.

Wir stehen den Vereinigten Staaten von Amerika solidarisch zur Seite. Die Bundesrepublik Deutschland war und ist ein verlässlicher Partner in der NATO. Die NATO ist ein Pakt auf Gegenseitigkeit. In den langen Jahren des Kalten Krieges mussten wir damit rechnen, dass unser Land zum Ziel einer militärischen Invasion werden könnte. Wie selbstverständlich hätten wir in diesem Fall auf die volle Unterstützung durch die USA zur Verteidigung unserer Freiheit gezählt.

Aber die Geschichte hat eine andere Wendung genommen. Nicht wir in Europa, sondern die Vereinigten Staaten wurden Gegenstand eines Angriffs. Der Bündnisfall ist ausgerufen. Deshalb stehen wir den USA so zur Seite, wie wir es von den Amerikanern in einer vergleichbaren, unser Land betreffenden Kriegs- oder Gefahrensituation erwartet hätten.

Ich kenne niemanden in unserem Land, dem militärische Maßnahmen gleichgültig oder gar willkommen wären. Aber kein Terrornetz und kein Terrorregime konnte im vergangenen Jahrhundert allein durch diplomatische Mittel oder durch wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen beseitigt werden. Wir müssen uns eingestehen, dass es bei dieser Art von verbrecherischer Gewalt und der Missachtung jeglicher Menschenrechte ohne Militäreinsätze keinen Erfolg versprechenden Weg gibt, das Netz des weltweiten Terrorismus zu zerschlagen. Es gibt keine Lösung zur Gefahrenabwehr und zur Zerstörung des Terroristennetzes ohne militärische Mittel. Aber es gibt auch keine Lösung des Problems nur mit militärischen Mitteln.

In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit immer mehr zerfließen, ist ein Bündel an Maßnahmen notwendig, mit dem einerseits der Schutz unserer Bevölkerung gewährleistet und andererseits die Zerschlagung der Netzwerke des Terrors erreicht werden kann. Hundertprozentige Sicherheit werden wir nicht erreichen können.

Aber ich sage den Menschen hier in unserem Land: Wir sind nicht schutzlos, wir sind nicht machtlos, und wir sind nicht hilflos im Kampf gegen Terror und Gewalt. Die freiheitliche Demokratie, die wehrhafte Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit werden sich als stärker erweisen als die Terroristen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dafür stellen wir jetzt die Weichen. Wir müssen und wir werden die Tatgelegenheiten für die Terroristen immer weiter reduzieren. Wir müssen und wir werden den Kontroll- und Verfolgungsdruck deutlich erhöhen. Es muss und wird uns gelingen, den Terroristen und ihren Helfern die Ruhe- und Rückzugsräume zu verringern und zu verbauen. Es muss und wird uns gelingen, die Terroristen und ihre Helfershelfer weltweit zu verfolgen, mit allen Mitteln, die dazu notwendig sind.

(Ministerpräsident Teufel)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die innere Sicherheit, die Stärkung der Polizei, die Bekämpfung der Kriminalität und eine konsequente Ausländerpolitik waren schon bisher und sind seit Jahren ein Schwerpunkt der Landespolitik in Baden-Württemberg. Wir sind das Land mit der geringsten Kriminalität in Deutschland. Aber die neue Dimension der terroristischen Herausforderung zwingt auch uns zu neuen Antworten auf neue Probleme und zu veränderten Schwerpunkten bei den Aufgaben des Staates. Unser Gemeinwesen wird mehr Einsatz für die innere und äußere Sicherheit aufbringen müssen, als es uns bisher notwendig erschien.

Es geht um Gesetzesänderungen zur effektiveren Gefahrenabwehr. Es geht um den gezielten und treffsicheren Einsatz sächlicher und finanzieller Mittel zum besseren Schutz unserer Bevölkerung. Und es geht vor allem auch um eine entschlossene politische Rückendeckung für die Menschen und die Einrichtungen, denen wir unsere äußere und innere Sicherheit anvertrauen, um Rückendeckung des Parlaments und der Regierung für die Polizei, den Verfassungsschutz, die Bundeswehr, die Katastrophenhilfs- und Rettungsdienste sowie die Feuerwehren. Ihnen sind wir zu Dank und Beistand verpflichtet.

(Lebhafter Beifall bei allen Fraktionen)

Es zeigt sich in diesen Tagen einmal mehr, dass es richtig war, der Polizei und dem Verfassungsschutz in BadenWürttemberg – auch gegen politischen Widerstand im Landtag – wirkungsvolle Instrumente an die Hand zu geben: Die ereignisunabhängigen Kontrollen, die Rasterfahndung und die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor der Einbürgerung sind Beispiele dafür. Während andere Länder solche Instrumente erst in diesen Tagen mit heißer Nadel schaffen, sind sie bei uns bereits in der Praxis erprobt.

Die Landesregierung stand im Bundesrat zu den außenpolitischen und innenpolitischen Beschlüssen der Bundesregierung und des Bundestags zur Terrorismusbekämpfung. Sie können aber nur die ersten Schritte auf einem langen Weg zur Bekämpfung des Terrorismus sein.

Die baden-württembergische Landesregierung hat deshalb – unterstützt von Bayern und Hessen – am vergangenen Freitag einen Entschließungsantrag zur wirksameren Bekämpfung des internationalen Terrorismus und Extremismus in den Bundesrat eingebracht. Unsere Initiative basiert auf einer Gesamtschau der terroristischen Bedrohung. Sie ist ein in sich geschlossenes Konzept. Nichts Besseres und Umfassenderes ist bisher irgendwo vorgelegt worden.

Wir anerkennen und unterstützen die Maßnahmen, die der Bundesinnenminister bislang auf den Weg gebracht hat. Umso mehr sehen wir mit Sorge, dass seine und unsere sinnvollen Vorschläge, bei deren Umsetzung wir nicht länger zuwarten dürfen, innerhalb der Regierungskoalition beim Bund zerredet oder abgelehnt werden oder – wie in der letzten Bundesratssitzung geschehen – von der Mehrheit auf die lange Bank geschoben und in Ausschüsse verwiesen werden.

(Abg. Wieser CDU: Beschämend!)

Unsere Bundesratsinitiative hat eine wirksamere Strafverfolgung von Terroristen und sonstigen Gewalttätern sowie ihres Umfelds zum Ziel. Wir schlagen Maßnahmen vor zur Weiterentwicklung der Europäischen Union zu e i n e m Sicherheitsraum. Wir wollen eine stärkere Berücksichtigung unserer vitalen Sicherheitsinteressen im Ausländerund Asylrecht. Wir verlangen eine eindeutige Identitätsfeststellung bei der Erteilung von Visa. Wir haben ein Recht, zu wissen, wer zu uns kommen will.

Wir richten darüber hinaus unsere Anstrengungen auf einen besseren Schutz von wichtigen Versorgungseinrichtungen und Betriebsbereichen mit besonders hohem Gefahrenpotenzial. Zudem muss die Lebensmittelversorgung im Krisenfall an die aktuellen Erfordernisse angepasst werden.

Wir setzen uns dafür ein, die Verfassungsschutzbehörden, den Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizeien der Länder schlagkräftiger zu machen. Wir dringen auf Maßnahmen zur besseren Bekämpfung bioterroristischer Anschläge. Terroristen wollen nicht nur Menschen töten, sondern vor allem auch Angst und Schrecken verbreiten. Sie wollen, dass sich Menschen ausgeliefert, hilflos und von ihren Sicherheitsorganen und demokratisch gewählten Regierungen nicht mehr geschützt fühlen. Sie zielen damit ins Mark unserer Demokratie. Gedankenlose und irrsinnige Trittbrettfahrer helfen ihnen dabei. Auch sie werden wir mit Nachdruck verfolgen, stellen und mit der notwendigen Härte des Gesetzes und vor allem schnell zur Rechenschaft ziehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD und der Grünen)

Es geht uns nicht darum, Freiheitsrechte einzuschränken. Wer dies behauptet, liegt falsch. Uns geht es darum, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, damit sie auch in Zukunft ihre Freiheitsrechte wahrnehmen können. Deshalb fordern wir die Bundesregierung und alle Länder dazu auf, unseren Vorschlägen zu folgen.

Wo wir selbst zuständig sind, treffen wir die notwendigen Maßnahmen.

Unmittelbar nach den Terroranschlägen des 11. September habe ich eine interministerielle Arbeitsgruppe einberufen. Diese Arbeitsgruppe hat die möglichen Bedrohungsszenarien analysiert. Sie hat notwendige Maßnahmen eingeleitet und aufgezeigt, wo zusätzliche personelle und sächliche Mittel für die Aufgabenerfüllung benötigt werden.