Protocol of the Session on January 23, 2003

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 38. Sitzung des 13. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Krank gemeldet ist Frau Abg. Weckenmann.

Dienstlich verhindert sind heute Herr Ministerpräsident Teufel und Herr Staatssekretär Rückert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute hat unser Kollege Dr. Erwin Vetter Geburtstag. Wir gratulieren ihm herzlich und wünschen ihm alles Gute.

(Beifall im ganzen Haus)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich darauf hinweisen, dass das Präsidium heute Morgen aus Anlass der Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland“, die die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihren Fraktionsräumen ab heute bis zum 28. Januar zeigen möchte, zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengetreten ist. Das Präsidium hat nach Beratungen folgenden Beschluss gefasst, den ich Ihnen verlese:

Das Präsidium des Landtags von Baden-Württemberg missbilligt in aller Form die Entscheidung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in ihren Fraktionsräumen die Ausstellung des VVN-BdA „Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland“ zu zeigen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Pfister FDP/ DVP – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Die Ausrichtung der Ausstellung in den Fraktionsräumen der Grünen stellt einen erheblichen politischen Missbrauch von Parlamentsrechten dar.

(Abg. Sakellariou SPD: Was?)

Die Landtagsfraktion der Grünen ergreift in unverantwortlicher Weise einseitig Partei in einer öffentlichen Auseinandersetzung über die Inhalte der genannten Ausstellung. Mit der Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland“ werden Vertreter demokratischer Parteien in Deutschland in die Nähe von Rechtsextremisten gestellt.

(Abg. Sakellariou SPD: Wer beschließt denn so et- was?)

Mit der demonstrativen Zurschaustellung dieser Ausstellung in ihren Fraktionsräumen verlassen die Grünen den bisher gepflegten Zusammenhalt der demokra

tischen Fraktionen im Landtag von Baden-Württemberg gegen politische Extremisten jeglicher Herkunft.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, dieser Beschluss wurde im Präsidium mehrheitlich getroffen, und es wurde gleichzeitig beschlossen, eine Aussprache darüber zu führen. Ich schlage vor, dass wir eine Redezeit von fünf Minuten, gestaffelt, vereinbaren.

Herr Kollege Birzele.

Herr Präsident, ich bin der Meinung, dies ist ein typischer Fall dafür, dass eine Redezeitbegrenzung nicht stattfinden kann.

Es wird freie Redezeit beantragt. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist freie Redezeit vereinbart.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Kollege Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Meinungsfreiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte in der Demokratie und für die Demokratie.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abge- ordneten der CDU – Abg. Dr. Reinhart CDU: In je- der Richtung!)

Die Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland“, die in den letzten zwei Jahren in mehr als 40 Städten der Bundesrepublik Deutschland gezeigt wurde, konnte in Pforzheim nicht in den Räumen des Kulturhauses Osterfeld gezeigt werden. Grund war eine massive politische Intervention des CDU-Landtagsabgeordneten und Staatssekretärs Stefan Mappus.

(Abg. Herrmann CDU: Recht hat er!)

Auch wenn wir im Einzelnen mit Teilen dieser Ausstellung durchaus nicht einverstanden sind und daran massive Kritik haben, wiegt das Recht auf freie Meinungsäußerung schwerer, und den Eingriff des CDU-Politikers, mit Pressionen

(Oh-Rufe von der CDU)

auf diese soziokulturelle Einrichtung die Ausstellung zu verhindern, fassen wir als Angriff auf dieses verbriefte Recht auf.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir zeigen deswegen diese Ausstellung in unseren Fraktionsräumen als Zeichen, dass wir das entschieden ablehnen und dass man in einer freien Gesellschaft und Demokratie auch Ausstellungen ertragen muss, die man eigentlich für unerträglich hält.

(Abg. Alfred Haas CDU: Extremismus!)

Es kann nicht Sinn politisch orientierter Ausstellungen sein, Kontroversen zu vermeiden. Sie dürfen und sie sollen durchaus auch kontrovers sein. Sie dürfen auch aus Sicht des anderen schlecht, falsch, unverschämt, eine Frechheit und was auch immer sein. Auch unerträgliche Ausstellungen müssen wir ertragen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Von wegen der Toleranz!)

Über die Ausstellung und die Frage, ob wir sie zeigen, wurde in meiner Fraktion kontrovers diskutiert.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das glauben Sie ja selber nicht!)

Ich kann bezüglich der Einschätzung einer Ausstellung logischerweise keine Fraktionsmeinung wiedergeben. Jeder beurteilt eine solche Ausstellung immer anders. Aber ich sage Ihnen ganz klar meine persönliche Meinung:

Auf einigen Tafeln dieser Ausstellung wird die Konjunktur des einfachen Weltbilds gepflegt, die ohnehin Teile dieser Ausstellung durchzieht. Auf einigen Tafeln werden Aussagen demokratischer Politiker, demokratischer Organisationen und Parteien wie der CDU und des Bundes der Selbstständigen in die Grauzone des Neofaschismus gerückt.

(Zuruf des Abg. Dr. Lasotta CDU)

Es ist völlig klar – und dafür habe ich völliges Verständnis –, dass die CDU darüber empört ist und sich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dagegen wehrt. Das ist gar keine Frage. So etwas muss man sich wirklich nicht gefallen lassen. Aber das darf trotzdem kein Grund sein, dass Sie – und dazu noch ein Regierungsmitglied – politischen Druck ausüben, wenn andere das Ganze anders sehen und die Ausstellung dennoch zeigen.

In dieser Ausstellung wird auch versucht, der Polizei, die eine Besprechung mit Rechtsradikalen durchführt, bei der es um die Organisation einer Demonstration geht, zu unterstellen, dass sie die Neofaschisten schütze, obwohl sie dafür verantwortlich ist, dass Demonstrationen geordnet ablaufen, und sie deswegen mit den Neofaschisten redet, weil diese letztlich das Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Auf anderen Tafeln wird intendiert, dass zum Beispiel schon allein derjenige, der für Globalisierung eintritt, dem Rechtsradikalismus den Boden bereite und Ähnliches.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Mit solchen Dingen brauchen wir uns in keiner Weise zu identifizieren. Das lehnen wir auch ab.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hauk CDU: Und die Konsequenz? – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Selbstverständlich ist es abstrus, Ressentiments, die dazu führen, dass etwa junge Leute rechtsradikal werden, mit eigenen Ressentiments zu bekämpfen, wie es Teile dieser Ausstellung tun.

(Zuruf des Abg. Dr. Lasotta CDU)

Ich möchte noch einmal deutlich machen: Unser Schritt geht darauf zurück, dass wir mit den bescheidenen Mitteln, über die wir als kleine Oppositionsfraktion verfügen,

(Abg. Alfred Haas CDU: Aha!)

unsere Aufgabe darstellen wollen, die Regierung zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass die Grundrechte in dieser Gesellschaft nicht durch politischen Druck niedergemacht werden, wie es in Pforzheim geschehen ist. Das ist Ziel der Ausstellung, und das bezwecken wir damit. Das ist sowohl in der Einladung als auch in der betreffenden Presseerklärung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir sind der Ansicht, gegenüber Rechtsradikalismus und jeder Art totalitärer Ideologie müssen wir entschieden zusammenhalten und gegen jede Tendenz von Gewalt, gegen jede Tendenz, die Grundrechte zu bekämpfen, und gegen jede Tendenz, Demokratie und Freiheit zu bekämpfen, entschieden auftreten.