Anke Spoorendonk

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Last Statements

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Frage ist die Zusammenarbeit mit Hamburg eine ganz wesentliche strategische Perspektive für unser Land. Schleswig-Holstein ist keine Insel, die autark und abgeschnitten von der Außenwelt existiert. Wir sind aufs Engste mit unserem südlichen Nachbarn verflochten. Dies wird nicht zuletzt durch die täglichen Pendlerströme deutlich. Der SSW sieht insgesamt viele Bereiche, in denen SchleswigHolstein und Hamburg enger kooperieren sollten.
Die Enquetekommission zur norddeutschen Zusammenarbeit hat deutlich gezeigt, dass es noch erhebliches Kooperationspotenzial gibt. Im Abschlussbericht haben wir eine ganze Reihe von Ansatzpunkten für eine sinnvolle Verbreiterung und Vertiefung der Zusammenarbeit zusammengetragen. Wir bleiben dabei, dass diese Bestandsaufnahme eine gute Grundlage für Initiativen ist, die dabei helfen können, in die Zusammenarbeit mit Hamburg weiter zu intensivieren - nicht mehr und nicht weniger.
Anlass zu Höhenflügen geben die Ergebnisse der Enquetekommission sicherlich nicht. Auch die kaum wahrnehmbaren Reaktionen unserer Nachbarn verstärken diesen Eindruck und legen doch sehr nahe, den Ball flach zu halten. In der aktuellen Situation ist es unangemessen, die Einsetzung gemeinsamer Ausschüsse für die Zusammenarbeit Schleswig-Holsteins mit Hamburg oder mit anderen Ländern zu fordern. Es ist unschwer zu erkennen, dass die hamburgische Politik an einem derartigen Gremium schlicht und einfach kein Interesse hat. Im Übrigen läuft die Kontrolle gemeinsamer Einrichtungen, wie etwa von Dataport, reibungslos. Deshalb sehen wir überhaupt keinen Anlass, uns hier noch länger bei unseren Nachbarn anzubiedern.
Auch die Idee, sämtliche Gesetzesvorhaben des Landes auf Möglichkeiten der Arbeitsteilung zu überprüfen, hält der SSW für unangebracht. So schränken wir nur unsere Handlungsfähigkeit ein und machen uns das Leben unnötig schwer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz im Ernst: Was folgt auf die Erkenntnis, dass wir diese oder jene Aufgabe durch Arbeitsteilung und/oder Kooperation erledigen könnten? - Rein gar nichts! Denn auch hieran haben unsere vermeintlichen Partner kein nennenswertes Interesse.
Dieser Denkfehler liegt im Übrigen allen hier vorliegenden Initiativen zugrunde. Sie setzen ein gewisses Mindestmaß an Interesse aufseiten Hamburgs oder anderer Länder voraus. Doch dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Wir alle tun gut daran, diese Tatsache endlich anzuerkennen und für die Zukunft zu verinnerlichen.
Es ist ja kein Geheimnis, dass die vorliegenden Anträge und Gesetzentwürfe nicht zuletzt die Ergebnisse der Besuche von Landtagsfraktionen bei ihren Parteikollegen in der Hamburgischen Bürgerschaft sind. Wir halten es für bezeichnend, dass am Ende dieser Beratungen keine pragmatischen Vorstöße in konkreten länderübergreifenden Kooperationsfeldern stehen, sondern neue Gremien und schwerfäl
lige Prüfmechanismen. Deshalb sieht der SSW unverändert die Gefahr, dass bei diesem Thema für manch einen schleswig-holsteinischen Landespolitiker der Kooperations- beziehungsweise Fusionsgedanke zum Selbstzweck wird.
Für uns dagegen steht fest, dass die Interessen der Schleswig-Holsteiner ausschlaggebend sein müssen, wenn es um Inhalte und Ausgestaltung der norddeutschen Kooperation geht. Wie auch immer sich SPD, Grüne und CDU die zukünftige Struktur der Zusammenarbeit vorstellen - ich kann nur davor warnen, sich über die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger hinwegzusetzen.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der SSW lehnt jeden Schritt in Richtung Nordstaat ab.
Nicht zuletzt durch den Bericht der Enquetekommission wird deutlich, dass diese Idee bürgerfern und unrealistisch ist.
Wir wollen einen echten Mehrwert aus der norddeutschen Zusammenarbeit ziehen, anstatt Hirngespinsten nachzujagen. Deshalb setzen wir uns für eine Kooperationsstrategie ein, die konkrete Felder der länderübergreifenden Zusammenarbeit umfasst und transparente Ziele vorgibt. Entscheidend muss sein, dass sich diese Strategie am Nutzen für die Menschen in Schleswig-Holstein orientiert und zu gleichwertigen Entwicklungschancen für alle Teile des Landes führt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unser Auftrag.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Ministerkollege Schlie, eigentlich wollte ich es bei meinem Redebeitrag belassen. Gleichwohl noch einmal drei Bemerkungen, auch weil ich irgendwann einmal gelesen habe, der Philosoph Bertrand Russell meinte, Missverständnisse stellten den Motor von Kommunikation dar. Das ist richtig, zumal ich von vornherein Anhängerin der Zweiwegekommunikation und nicht nur der Einwegkom
munikation bin. Also eine Antwort auf Ihre Einlassung.
Erstens gibt es natürlich im Interesse der Menschen in Schleswig-Holstein konkrete Belange, die nur in Zusammenarbeit mit Hamburg und in Zusammenarbeit mit den anderen norddeutschen Bundesländern vorangebracht werden können. Genau wie Sie sehe ich das als eine Notwendigkeit an, das in Angriff zu nehmen. Ihr Beispiel vom IT-Bereich ist ein richtig gutes. Aber meines Wissens haben wir es in Schleswig-Holstein noch nicht einmal geschafft, auf kommunaler Ebene eine Standardisierung im IT-Bereich hinzubekommen. Wir müssen da anfangen.
- Genau darum ist eine Gemeindegebietsreform notwendig. Das kann zu einer weiteren Standardisierung führen, lieber Herr Minister.
Das war für mich eine Steilvorlage. In Diskussionen erlebe ich nämlich immer wieder, dass es sehr viel einfacher ist, sich über mehr Kooperationen mit Hamburg auszulassen als das zu erledigen, was hier im Land gemacht werden muss und auch schwierig ist. Wir brauchen in Schleswig-Holstein allemal Strukturveränderung.
Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt, nämlich was im Mittelpunkt der Diskussion steht. Es geht darum, welche Gremien geschaffen werden können. Wir unterhalten uns mehr über Gremien, wir unterhalten uns mehr über Verfahren und weniger über Inhalte. Die vorliegenden Anträge belegen genau das Problem. Also auch darum aus meiner Sicht noch einmal deutlich: Was nützt es den Menschen in der Metropolregion? Ich gebe Ihnen recht: Wir haben genug Gremien. Wir müssen uns auch mit den Problemen beschäftigen. Das ist genau das, was anliegt. Eine Parlamentarierkonferenz, die so strukturiert werden soll wie vorgeschlagen, hilft uns nicht weiter. Unser Ansatz in der Enquetekommission war, zu sagen: Lasst uns doch einmal das machen, was uns zum Beispiel die Ostseeparlamentarierkonferenz gebracht hat, nämlich einen Ansatz von unten. Wir müssen erst einmal die gemeinsamen Interessen von Parlamenten identifizieren. Wir müssen doch erst einmal dafür sorgen, dass wir das gemeinsam von unten gewachsene Interesse in die Parlamentsarbeit hineinbringen.
Das ist sehr nett von Ihnen. Ich versuche, einen letzten Satz zu formulieren. Das wird nicht einfach sein,
weil ich noch ein paar konkrete Sachen auf dem Herzen habe. - Aber vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die langjährige Ablehnung der Vorstellung von Deutschland als Einwanderungsland hat bizarre Blüten getrieben. So haben wir erst seit Kurzem überhaupt Ansätze einer genauen statistischen Erfassung der Menschen, die hier leben und einen Migrationshintergrund haben. Daher unser Dank an die antragstellenden Grünen und auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums für die Beantwortung der Großen Anfrage.
Erst mit dem Zuwanderungsgesetz setzt sich die Bundesregierung mit ihren Neubürgerinnen und Neubürgern auseinander. Daher überrascht es nicht, dass die zugrunde liegenden Zahlen erst mit diesem Jahr, das heißt 2005, einsetzen und noch gar nicht vereinheitlicht vorliegen. Diese Statistiklücke ist das Symptom einer Politik, die die Integrationsleistung ausschließlich bei den Migranten verortet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration ist keine Einbahnstraße.
Die dürftigen Statistiken vermitteln nicht mehr als grobe Anhaltspunkte. Denn tatsächlich spielt es statistisch gesehen keine Rolle, ob die Mutter eines Kindes aus England, Indien oder der Türkei kommt. Es stellt sich daher dringend die Frage, ob diese Zahlen überhaupt zu etwas nütze sind. Ich bin der Meinung: Nein. So zieht die Landesregierung Statistiken wie beispielsweise den Mikrozensus heran, um sie dann wieder zu verwerfen, wie sie das auf Seite 13 im Bericht macht, indem sie Zufallsfehler unterstellt. Auf diese Weise wird dem Fragesteller eine Gewissheit vorgegaukelt, die sich durch keine Zahlen belegen lässt.
Sogar die wenigen genauen Zahlen, denke ich, sind kritisch zu sehen. So weist der Bildungsminister auf seiner Internetseite ausdrücklich darauf hin, dass sich das SPRINT-Programm an Kinder mit und ohne Migrationshintergrund richtet. Benannt werden aber alle Teilnehmer, als ob alle einen Migrationshintergrund hätten. Das, denke ich, ist nicht seriös. Wir sollten uns einig sein, dass eine Förderung von Deutsch als Zweitsprache nicht deckungsgleich mit einer sprachheilpädagogischen Förderung ist.
Bei aller Kritik an statistischen Mängeln lassen sich aber durchaus Strukturen erkennen. Das will ich auch deutlich machen.
Erstens. Wir haben zu wenig Pädagogen mit Migrationshintergrund in den Bildungseinrichtungen,
zu wenig Lehrkräfte mit Migrationshintergrund in den Schulen und zu wenig Begleiter oder Coaches mit Migrationshintergrund in den Arbeitsagenturen. Dieser Mangel sollte schleunigst beseitigt werden, um einerseits die Berufschancen für Migranten zu verbessern und andererseits die Programme zu optimieren, die einfach besser greifen, wenn die
Klienten mit Migrationshintergrund auf der anderen Seite mit Profis mit Migrationshintergrund sprechen können.
Zweitens. Die Berufsfachschulen bieten sehr erfolgreiche Angebote besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund an.
Drittens. Individuelle Förderprogramme verbessern die schulischen Perspektiven von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Vor diesem Hintergrund müssen wir aber über die Verstetigung der Förderung nachdenken. Projekte mögen in einer Erprobungsphase sachdienlich sein. Danach muss aber die individuelle Förderung, auch die individuelle Sprachförderung, Standard sein. Das soll heißen: Gute Beispiele aus der Praxis sind wichtig. Sie motivieren. Auch das ist wichtig. Wir brauchen aber einfach mehr Chancengerechtigkeit, mehr Chancengleichheit in unserem Bildungssystem und in unserer Gesellschaft insgesamt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zur Verabschiedung anstand, trat unser Ministerpräsident in seiner Funktion als Bundesratspräsident mächtig auf die Bremse. Gegen das Gleichbehandlungsgesetz gab es damals eine regelrechte Stimmungsmache. Da war die Rede von Klageflut, Einmischung des Staates und Drangsalierung der Arbeitgeber. Die Kanzlerin musste unseren Ministerpräsidenten schriftlich auffordern, den Weg frei
zu machen. Ansonsten drohe ein Zwangsgeldverfahren und eine Klageerhebung vor dem Europäischen Gerichtshof, schrieb sie damals. Und so mussten sich die konservativ geführten Bundesländer schließlich fügen.
Inzwischen - das möchte ich auch deutlich machen - haben sich die Gemüter beruhigt, und das ist gut so. Dazu beigetragen hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die nach einigen Anlaufproblemen sehr gute Arbeit macht. Dazu beigetragen hat sicherlich auch der Beirat, in dem unter anderem Vertreter der Kirchen, der Frauenverbände und der autochthonen Minderheiten vertreten sind. Eine Reihe guter Vorschläge der Antidiskriminierungsstelle zur Überarbeitung des Gleichbehandlungsgesetzes, was beispielsweise den Tatbestand der Mehrfachdiskriminierung angeht, sollte daher möglichst bald umgesetzt werden.
Das von der Antidiskriminierungsstelle initiierte anonyme Bewerbungsverfahren hat nach der Auswertung vor ein paar Tagen eindrucksvoll belegt, dass Diskriminierung wirklich Schaden anrichtet. Darum kann ich nur hinzufügen: Es ist bitter, dass dies anscheinend nur ein Modellprojekt bleiben soll. Die Arbeitgeber, jedenfalls diejenigen, die sich dann dafür eingesetzt haben, haben gemerkt, dass sie wertvolle Ressourcen brachliegen lassen, weil die Bewerber das falsche Alter - entweder zu alt oder zu jung waren - oder einfach einen falschen, weil türkischen Namen hatten. In persönlichen Gesprächen konnten sich Bewerber durchsetzen, die vorher keine Chance hatten.
Diskriminierung schadet und vergiftet unsere Gesellschaft. Darum unterstützen wir die Forderung, dass sich auch Schleswig-Holstein in die Koalition gegen Diskriminierung einreiht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Änderungsantrag von CDU und FDP jedenfalls hilft uns nicht weiter. In diesem Antrag wird mit Geld argumentiert. Ich könnte im Umkehrschluss sagen: Antidiskriminierung ist ein wichtiger Standortfaktor, mit dem auch Geld verdient werden kann. Also, geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie diesem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Thema Soziale Stadt werde ich nichts weiter sagen. Dieses Thema werden wir nach der Wahl wieder aufgreifen.
Mir wurde aber mit einem Mal bewusst, dass ich Ausdruck des demografischen Wandels bin und mittlerweile zu den Älteren in diesem Landtag gehöre.
- Das geht runter wie Honig.
Vor dem Hintergrund der Abschiedsworte von vielen von mir geschätzten Kolleginnen und Kollegen dachte ich mir: Jetzt gehst du doch noch einmal in die Bütt und bedankst dich für diese tolle Zusammenarbeit, die ich mit vielen von euch gehabt habe - nicht zuletzt im Bildungsausschuss, Hans Müller, Henning Höppner -, im Innen- und Rechtsausschuss und im Europaausschuss. Dabei schaue ich Niclas Herbst und Kirstin Funke an. Außerdem schaue ich Bernd Schröder an, mit dem ich keine Ausschusssitzung gemeinsam gehabt habe. Ich weiß, dass ich viele vergessen habe.
Ich denke, der heutige Tag ist ein besonderer Tag für uns alle. Bleibt, wie ihr seid. Wir werden uns so oder so wiedersehen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Flüchtlinge leben in Schleswig-Holstein unter Bedingungen, die man als Besucherin kaum ertragen kann: eng, abgeschieden und mit abgewohntem Mobiliar. Wir sollten nicht einmal versucht sein zu denken, dass das normal ist; denn das ist es nämlich nicht.
Der sächsische Ausländerbeauftragte Prof. Martin Gillo hat vorgeschlagen, Standards für die Unterkünfte festzulegen und diese bei allen umzusetzen. Das Ganze ähnelt also ein wenig einem Einrichtungs-TÜV. Nur so kann man offenbar die Wahrung des Rechts auf menschenwürdige Behandlung sicherstellen. Wie beim Auto gilt: Werden bestimmte Standards nicht eingehalten, muss nachgebessert oder geschlossen werden. Damit ist sichergestellt, dass es keine Anpassung der Standards nach unten gibt.
In Sachsen hat das funktioniert. In der Folge wurden Einrichtungen geschlossen. Überall dort, wo es keine hygienischen Sanitärbereiche, moderne Küchen oder angemessene Wohnquartiere gab, wurde der Schlüssel umgedreht. Richtig so.
Auch in Schleswig-Holstein sind wir auf dem besten Weg hin zu verbindlichen Standards. Berichte vom Ausländerbeauftragten und vom Flüchtlingsrat mit entsprechenden Empfehlungen liegen bereits seit letztem Jahr vor. Auf dem Titel der Broschüre sieht man ein Foto von einer Unterkunft in einem Container, den man wirklich nicht als Zuhause bezeichnen kann. Dass hier mehrere Menschen über Monate oder Jahre leben müssen, kann man sich kaum vorstellen. Abseits der Innenstädte gewähren einige Unterkünfte ihren Bewohnerinnen und Bewohnern nur einen groben Schutz gegen die Widrigkeiten von Wind und Wetter. Das ist Unterbringung auf unterstem Zeltplatzniveau. Für eine soziale Integration sind diese Unterkünfte völlig ungeeignet.
Der Flüchtlingsrat schilderte in seiner Stellungnahme für den Innen- und Rechtsausschuss erschreckende Beispiele für die Überforderung einzelner Kommunen und empfiehlt die fachaufsichtliche Begleitung der Kommunen durch das Innenministerium, um den gröbsten Missständen Herr zu werden. Es drängt sich geradezu die Frage auf, wie es so weit kommen konnte, dass Menschen abgeschoben und vergessen werden können. Nicht einmal die zuständige Sozialarbeiterin scheint zu wissen, wie viele Personen nun tatsächlich in einem Container wohnen. Das sind Anzeichen für ein Systemversagen.
Die dezentrale Unterbringung ohne feste Standards und ohne fachaufsichtliche Begleitung bewährt sich also nicht, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Sie führt dazu, dass sich Kostenaspekte in den Vordergrund drängen und dass menschliche Fragen beiseitegeschoben werden. Dabei sollte die Umstellung auf dezentrale Unterbringung die Asylbewerber gerade aus der Isolierung heraus- und in die Gesellschaft hereinführen. Darum unterstützt der SSW nachdrücklich die systematische Bestandsaufnahme aller Unterkünfte.
Das ist allerdings nur der erste Schritt. Wie in Sachsen müssen auch bei uns aus den Daten die richtigen Schlüsse gezogen werden und Taten folgen. Das heißt, dass bei Mängeln die Unterkünfte innerhalb einer festgelegten Frist baulich verbessert wer
den müssen. Ist das nicht möglich oder zu aufwendig, müssen sie geschlossen werden.
Darum noch einmal zu dem vorliegenden Änderungsantrag von CDU und FDP, denn der geht in die genau entgegengesetzte Richtung.
Wenn wir diesem Antrag folgen, dann bekommen wir eine Flüchtlingspolitik oder eine Unterbringungspolitik wirklich nach Kassenlage, das wollen wir nicht.
Ein abschließendes Wort zum Menschenrecht auf medizinische Versorgung. Der SSW hat schon bei der ersten Behandlung dieses Themas darauf hingewiesen, dass dieses Problem nicht nur Ausländer ohne Papiere betrifft. Eine wachsende Anzahl von Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern hat keine Krankenversicherung. Die Malteser Migranten Medizin sagt, dass inzwischen jeder Zehnte ihrer Patienten ein Deutscher sei, darunter Selbstständige, die den Basistarif der gesetzlichen Krankenkassen nicht zahlen können. Wir haben es also, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einem vielschichtigen Problem zu tun, das übergeordnet betrachtet nur im Rahmen einer Krankenversicherungsreform zu lösen ist.
Aber unterhalb dieser Ebene gibt es sehr wohl Spielraum. Das zeigte die Debatte im Innen- und Rechtsausschuss. Das zeigen auch die Stellungnahmen, die wir bekommen haben. Stichwort ist zum Beispiel das, was man jetzt in Hamburg umsetzen will.
Wir als Bundesland haben durchaus eigene Gestaltungsspielräume, und wir sollten nicht so tun, als könnten wir dieses Problem weiter vor uns herschieben. Das Mindeste ist die Erarbeitung eines Konzepts.
In der Debatte klang hier vielfach an, dass der Integrationsbeauftragte der Landesregierung gute Arbeit geleistet hat. Ich glaube auch, dass er das getan hat. So kenne ich den Kollegen Peter Lehnert. Aber die Konstruktion, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist natürlich falsch, und sie bleibt auch falsch trotz des persönlichen Engagements unseres Kollegen. Denn wir als Landtag haben mit dem Flüchtlingsbeauftragten einen Beauftragten für diesen Bereich, und die Landesregierung hat ihre eigenen Zuständigkeiten. Sie soll gefälligst sehen, dass sie ihre Ar
beit gut macht, und dafür braucht sie nicht noch einen zusätzlichen Landtagsabgeordneten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mittlerweile zwei Jahre her, dass der SSW den Entwurf eines Bibliotheksgesetzes in den Landtag einbracht hat. Die Debatte damals war konstruktiv, wie man so schön sagt, und auch die heutige Debatte ist so verlaufen. Sie macht deutlich, dass es nicht einfach sein wird, eine Mehrheit für ein Bibliotheksgesetz zu bekommen. Alle sehen die Notwendigkeit. Alle sprechen gute Worte, aber das wird nicht reichen. Die umfangreiche schriftliche Anhörung belegt die Notwendigkeit für ein solches Gesetz. Das Gleiche gilt für die mündliche Anhörung. Das Ergebnis der Anhörungen war wenig überraschend: Alle Fachleute sagten, es sei notwendig, dass wir in Schleswig-Holstein ein Bibliotheksgesetz bekommen, während nicht zuletzt die kommunale Familie Kostengründe als Argument gegen ein Bibliotheksgesetz ins Spiel brachte.
Bemerkenswert fand ich die Aussage des Landesrechnungshofs, dass wir auch ohne ein Gesetz auskommen können, weil unser jetziges Bibliothekssystem ja schon mit Geld unterfüttert und es falsch sei, dieses Geld den Bibliotheken vorzuenthalten. Ich fand, das war ein konstruktiver Ansatz. Ich glaube nicht, dass das reichen wird, was aber ein Argument dafür, dass wir Geld im System haben. Darum noch einmal die Aussage, dass es keine Kostenexplosion geben wird.
Das ist genau der springende Punkt: Bibliotheken sind bisher keine finanzielle Pflichtaufgabe, aber schon längst eine politische Pflichtaufgabe unserer Kommunen. Diese Feststellung wird für den Erhalt unserer Büchereien nicht reichen.
Nicht nachvollziehbar sind daher für mich die vom Bildungsministerium zusammengestellten Kosten, die ein Bibliotheksgesetz mit sich bringen würde. Diese Kostenschätzung wurde in der vorletzten Bildungsausschusssitzung vorgelegt. Dass ich mit dieser Einschätzung nicht alleinstehe, zeigt auch die deutliche Reaktion des Büchereiverbandes.
Die Folgen dieses Entscheidungsvakuums sind heute deutlicher denn je: Bibliotheken werden geschlossen, und überall im Land versuchen Kommunen, aus Bibliotheken ehrenamtlich organisierte Büchersammlungen zu machen. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich spreche mich nicht gegen Fördervereine oder Freundeskreise für Bibliotheken aus. Aber solche Initiativen sind eben nicht geeignet,
den Bildungsauftrag von Bibliotheken umzusetzen.
Beispielhaft sei hier die Entwicklung im Kreis Schleswig-Flensburg genannt, wo sich der Kreis Ende 2011 aus der Finanzierung der Bibliotheken verabschiedet hat. Gut 150.000 € jährlich wollte man dadurch einsparen. Die Aufregung war groß. Seitdem versuchen die Kommunen mehr schlecht als recht, mit diesen Kürzungen klarzukommen. Wo es gut läuft, geschieht eine Übernahme durch die Stadt oder die Gemeinde. Wo man sich über die Kostenfrage nicht einigen kann - wie zum Beispiel in Glücksburg -, kommt es zu heftigen Streitereien und Auseinandersetzungen. Die Menschen wollen die Bücherei. Aber man hat immer noch nicht begriffen, dass es kein Luxus ist, eine Bücherei vorzuhalten, sondern knallharte Bildungsförderung.
Das muss man vielerorts auch den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern leider noch deutlich machen.
Daher noch einmal: Wissen ist eine zentrale Ressource für uns in Schleswig-Holstein. Vermittlungsinstanzen für Wissen sind neben Schulen und Hochschulen auch die Bibliotheken. Sie gewähren ihren Nutzerinnen und Nutzern unabhängig von deren Bildungsgrad, Vorbildung oder Staatsangehörigkeit aktuelle Informationen zu allen Themen. Auf diese Weise fungieren Bibliotheken im besten Sinne des Wortes als Pfadfinder in der modernen Datenwelt, die unerfahrene Nutzer schnell überfordern kann. Bibliotheken öffnen Horizonte.
Gerade vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung unserer Informationsgesellschaft müssen wir feststellen, dass es nicht nur eine Kluft zwischen Arm und Reich gibt, sondern auch eine Kluft zwischen informierten und nicht informierten Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht die Möglichkeit haben, sich das anzueignen, was notwendig ist. Genau deshalb brauchen wir verstärkt die Bibliotheken.
Wir haben unseren Gesetzentwurf in einer Reihe von Punkten geändert. Das sind Änderungen - das ist schon gesagt worden -, die vom Büchereiverein vorgeschlagen worden sind. Dazu stehen wir. Wir haben einiges abgemildert. Gleichwohl bleibe ich dabei, dass wir in Schleswig-Holstein mehr denn je ein Bibliotheksgesetz brauchen.
Letzte Bemerkung - weil mir wieder einmal die Zeit davongelaufen ist -: Ich bedanke mich bei meinen Vorrednerinnen und Vorrednern, nicht zuletzt auch bei dem von mir sehr geschätzten Kollegen Wilfried Wengler. Wilfried, ich werde dich in der neuen Legislaturperiode vermissen. Alles Gute!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will wirklich die Debatte nicht verlängern. Das würde auch nichts bringen. Aber ich finde es schon ziemlich abenteuerlich, dass sich der Bildungsminister dieses Landes hier hinstellt und sagt, okay, das eine bringt nichts, das andere wollen wir nicht, und keine Schlussfolgerung zieht und sagt, was denn geleistet werden muss.
Das ist, finde ich, schon ein starkes Stück. Ich hätte mir mehr Engagement erwartet. Ich hätte von dem zuständigen Bildungsminister insgesamt wirklich mehr Engagement erwartet.
Fakt ist - ich habe ausdrücklich die Position des Landesrechnungshofes erwähnt, weil ich die sehr konstruktiv finde -, dass Herr Asmussen im Ausschuss bei der mündlichen Anhörung dabei war und ausdrücklich sagte - das ist ja auch richtig -: Über den Vorwegabzug im FAG ist Geld im System vorhanden. Aber das hilft uns nicht weiter, weil die Kreise und die Kommunen dieses Geld dann nicht für das System nutzen. Das spricht dafür, dass wir nicht mit einer - sage ich mal - freiwilligen Aufgabe weiterkommen.
Es muss etwas geschehen; denn die Bibliotheken sind jetzt in Gefahr. Man sieht das wirklich im
Kreis Schleswig-Flensburg, in Tarp, in Glücksburg, in Husby und was weiß ich, wo wir diese Diskussion haben. Man sagt: Nein, wir können keine Fachkraft einstellen, wir können die Öffnungszeiten nicht halten, wir können auch insgesamt nicht das vorhalten, was notwendig ist. Das führt dazu, dass die Standards des Büchereivereins, die auch Zuschüsse für die Bibliotheken vor Ort auslösen, nicht eingehalten werden. Wir kriegen dann irgendwelche Büchersammlungen. Schlimmstenfalls ist es so, dass man dann auf dem Flohmarkt diese Bücher einkauft, weil man nichts anderes machen kann. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Ergebnis dieser Politik. Da muss man einfach mal fragen: Wie wollen wir weiterkommen? Ich sehe keine andere Lösung als ein Bibliotheksgesetz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den Geburtsfehlern der Schulreform 2007, dass nicht zeitgleich eine Reform der Lehrerbildung in Angriff genommen wurde. Vieles hätte dann heute anders ausgesehen.
Fakt ist aber, dass es für die schwarz-gelbe Koalition dadurch viel einfacher wurde, das gegliederte Schulsystem durch die Hintertür wieder einzuführen. Statt den Schulfrieden 2007 als Chance zu sehen, hat das Bildungsministerium nach 2009 dauernd umgesteuert oder - um es ganz genau zu sagen - das Steuer verrissen. Die Lehrerbildung läuft nämlich bis heute so, als hätte es nie Veränderun
gen gegeben. In Flensburg werden immer noch Realschullehrer ausgebildet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ungefähr so zukunftsweisend wie die Forderung, die Sütterlin-Schrift wieder einzuführen.
Doch nun soll alles besser werden. Die Landesregierung hat in letzter Minute die Kurve genommen und Ende März beschlossen, dass es ab dem Wintersemester 2013/2014 an der Universität Flensburg erstmals ein neues Lehramt für Regionalund Gemeinschaftsschulen sowie ein eigenständiges Lehramt für Grundschulen geben soll. Man könnte fragen, ob man da noch ein eigenständiges Lehrerbildungsgesetz braucht; denn so etwas haben wir bisher in Schleswig-Holstein noch nicht gehabt. Bis heute tragen und gestalten Studien- und Prüfungsordnungen der Universitäten die Lehrerbildung, aber kein demokratisch geformtes Gesetz.
Anders herum stellt ein Lehrerbildungsgesetz ein Stück Transparenz dar, und das begrüßen wir ausdrücklich. Daran hat sich seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im März 2010 nichts geändert.
Neu sind hingegen einige inhaltliche Änderungen im Gesetz, mit dem die Bündnis-Grünen dem Konzept der Universität Flensburg zur Novellierung der Lehrerbildung Rechnung tragen, das auch die Grundlage für das Konzept der Landesregierung bildet. Der geänderte Gesetzentwurf ist ein Kompromissangebot für die Hochschulen, heißt es von den Grünen. Das sieht der SSW genauso.
Langfristig wird Schleswig-Holstein aber nicht um eine Stufenlehrerausbildung herumkommen, die unabhängig von der konkreten Schulart gestaltet werden muss. Zukünftig sollte es aus Sicht des SSW nur die Sekundarstufe I mit der Möglichkeit, sich auf Grundschulen zu spezialisieren, und das Lehramt für die Sekundarstufe II geben. Wir brauchen diese Stufenlehrerausbildung, denn damit wird nicht zuletzt zum Ausdruck gebracht, dass es beim Unterrichten nicht auf die Schulart ankommt, sondern auf die Binnendifferenzierung und die individuelle Förderung.
Mit anderen Worten steht für uns fest, dass sich auch das Lehramt für Gymnasien langfristig verändern muss. Auch in diesem Bereich gilt es, das Studium zu erweitern, und zwar durch pädagogische Aspekte des gemeinsamen Lernens, durch Bewertung von Lernfortschritten und den Umgang mit Heterogenität. An diesem Ziel sind wir aber noch
lange nicht angekommen, lieber Kollege Hildebrand, und zwar weder in Schleswig-Holstein noch in der Bundesrepublik insgesamt.
Daher haben wir beschlossen, das Kompromissangebot der Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mitzutragen. Das gilt nicht im Einzelnen für jeden Buchstaben des Gesetzentwurfs. Der Gesetzentwurf schafft aber eine gute Grundlage für notwendige Veränderungen.
Auch dem SSW ist wichtig, dass die Gemeinschaftsschule nicht mit dem mittleren Bildungsabschluss endet. Wir wollen, dass es auch an Gemeinschaftsschulen Kinder mit Gymnasialempfehlung gibt. Das ist aber nur dann machbar, wenn es an der Universität Flensburg künftig möglich sein wird, das Lehramt für Gemeinschaftsschulen um die Sekundarstufe II zu erweitern. Das ist ein pragmatischer Ansatz, den wir unterstützen.
Die Spezialisierung auf ein eigenständiges Lehramt für Grundschulen ist fachlich sicherlich sinnvoll. Es darf aber aus unserer Sicht nicht dazu führen, dass es unter dem Strich eine Lehrerausbildung erster und zweiter Klasse gibt. Der fachwissenschaftliche Bezug muss sichergestellt sein, und mehr als alles andere gilt auch hier der Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Eine weitere Baustelle bei der Lehrerbildung betrifft die Minderheitensprachen. Der Minister hat im Ausschuss mündlich über die Situation des Friesisch-Unterrichts referiert. Ich muss eingestehen, dass ich nach Erfahrungen in der Vergangenheit zutiefst beunruhigt bin, wenn der Bildungsminister erklärt, alles sei in Ordnung.
Die Fakten geben mir recht: Der Europarat hat im Rahmen der Evaluation der Sprachencharta Schleswig-Holstein wegen der lückenhaften Unterrichtsversorgung für Friesisch gerügt. Des Weiteren ist die geringe Zahl neuer Friesisch-Lehrer, die Friesisch nur noch zusätzlich zu zwei anderen Fächern studieren können, in hohem Maße beunruhigend. Das Friesisch-Angebot im Bereich der Sekundarstufe II ist so gut wie gar nicht vorhanden. Der vom SSW in seinem Antrag geforderte Ausbau des Angebots ist in Schleswig-Holstein überhaupt nicht zu erkennen, sondern das krasse Gegenteil. Hier gibt es noch Hausaufgaben zu erledigen. Darum habe ich diesen Antrag heute noch einmal genannt.
Die „Kieler Nachrichten“ haben es letzte Woche auf den Punkt gebracht: Nie zuvor wurde so vehement der Schulfrieden eingefordert, und dabei ist Schulfrieden so weit entfernt wie eh und je. Da wiederhole ich gern, was ich in den Bildungsdebatten der letzten Monate oft genug gesagt habe: Mit dem von CDU und SPD getragenen Schulgesetz von 2007 gab es eine echte Chance für einen Schulfrieden - nicht, weil dieses Gesetz ohne Schwachstellen war, im Gegenteil, sondern weil beide großen Fraktionen mit im Boot saßen und es alle Möglichkeiten gab, die damals angestoßene Schulreform laufend zu evaluieren und weiterzuentwickeln.
Daraus ist bekanntlich nichts geworden. In der CDU gewannen nach 2009 diejenigen wieder die Oberhand, die 2007 dem Schulgesetz nur zähneknirschend zugestimmt hatten. Alle anderen gaben klein bei oder ließen sich von der FDP über den Tisch ziehen. Denn Fakt ist auch, dass die FDP in Bildungsfragen so strukturkonservativ ist, wie es die CDU nie gewesen ist. Es ist daher kein Zufall, dass der noch amtierende Bildungsminister Ekkehard Klug immer wieder gegen ,,die Benachteiligung des Gymnasiums“ gewettert hat. Er sieht das im Gegensatz zu den Gemeinschaftsschulen und wollte - so hat er immer wieder gesagt - das von Anfang an ändern.
Auch sein heutiger Bericht zielt in diese Richtung. Daher noch einmal, sozusagen für Spätzünder: Der SSW will das allgemeine Gymnasium nicht abschaffen - das können wir auch gar nicht -, schon gar nicht die gymnasiale Bildung. Denn diese Bildung ist notwendig, weil wir mehr Jugendliche mit einem weiterführenden Abschluss brauchen.
Um noch einmal auf die unerfreuliche Diskussion über G 8 und G 9 zu sprechen zu kommen: ich kann mich noch gut daran erinnern, wie G 8 2007 ins Schulgesetz hineinkam. Das war nicht zuletzt die Forderung der Wirtschaftsverbände, nicht zuletzt die Forderung der CDU und nicht zuletzt auch die Forderung auf Bundesebene. Da ist man in Schleswig-Holstein eingeknickt. Wenn man jetzt sagt, man brauche die Wahlfreiheit vor Ort, dann muss man sehen, dass diese Wahlfreiheit überhaupt nicht vorhanden ist. Die meisten Gymnasien haben G 8.
Wir sagen: Wir brauchen dort Transparenz. Wir haben die Gemeinschaftsschulen, wir haben die be
rufsbildenden Gymnasien mit G 9, und wir haben das andere Gymnasium mit G 8.
- Dann muss man das auf Bundesebene ändern, lieber Herr Kollege. Alles andere geht nicht. So ist das ja auch nach Schleswig-Holstein gekommen.
Wenn man jetzt einen in Beton gegossenen Schulfrieden einfordert und in diesem Zusammenhang alle Vorurteile mobilisiert, die es schon immer gegeben hat, spielt man mit Gefühlen von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schulkindern. Denn alle schulpolitischen Kontroversen der letzten zwei Jahre sind der Regierungskoalition geschuldet. Sie hat handwerklich schlecht gearbeitet bei der Erstellung von Erlassen und Verordnungen, und sie hat Schulträger und Kommunen gegen Schulkonferenzen ausgespielt.
Hinzu kommt - auch das scheint völlig ausgeblendet zu werden -, dass sich Kommunen im ländlichen Raum überwiegend für das Modell der Gemeinschaftsschule entschieden haben, und zwar unabhängig von politischen Mehrheiten. Es ist daher fast wie ein Schlag ins Gesicht dieser kommunalen Schulträger, wenn triumphierend eine aktuelle Studie des Allensbacher Instituts herangezogen wird, wonach es in Schleswig-Holstein eine deutliche Mehrheit gegen die „Einheitsschule“ gibt. Das ist natürlich ungemein beruhigend, denn wer will denn die „Einheitsschule“? - Ich nicht. Ich kenne keinen, der sie will. Keiner, der verantwortlich mit Schulpolitik umgeht, will die „Einheitsschule“.
Hier wird ideologische Polemik als Meinungsbild verschleiert, und das ist ein Skandal.
Um weiterzukommen, brauchen wir eine andere Debatte, die aus den Ihnen bekannten Gründen nicht heute, nicht vor der Wahl geführt werden kann. Wir brauchen natürlich eine Debatte über die qualitative Weiterentwicklung von Schule.
Viele Punkte haben wir schon in anderen Debatten im Plenum und im zuständigen Bildungsausschuss miteinander erörtert. Ein paar Stichworte dazu.
Wichtig ist natürlich die Frage der Durchlässigkeit unseres Bildungssystems. Da hat die neue Regierung nach 2009 weitere Barrieren eingebaut. Die Schulartempfehlung ist eine Barriere, und die Reduzierung der Zahl der Differenzierungsstunden bei den Gemeinschaftsschulen ist auch eine neue Barriere.
Wir brauchen eine Diskussion über die Durchlässigkeit und die Frage, wie wir sicherstellen können, dass die soziale Gerechtigkeitslücke im Bildungssystem geschlossen wird.
Wir brauchen auch eine weitere Diskussion über Inklusion. Wir wissen, dass Inklusion vielerorts als Sparmodell gehandhabt wird. Das geht nicht. Hier kommt noch richtig etwas auf uns zu.
Natürlich müssen wir auch über die Frage diskutieren, wie wir weitere Ressourcen ins Bildungssystem hineinkriegen. Der SSW steht dazu, dass die sogenannte demografische Rendite im System bleiben soll,
im Schulbereich, im Kita-Bereich und auch im außerschulischen Bildungsbereich. Das sage ich vor dem Hintergrund der Debatte, die wir morgen zum Bibliotheksgesetz führen. Daher ist die ganze Schulfriedensdiskussion mehr als wirklichkeitsfremd. Fakt ist, dass wir eine andere Diskussion brauchen.
Zu den vorliegenden Anträgen: Wir werden dem Änderungsantrag der SPD zum Schulfrieden zustimmen und uns beim Antrag der Grünen der Stimme enthalten. Bei den Anträgen der LINKEN werden wir uns überwiegend enthalten. Es geht mir mittlerweile wirklich gegen den Strich - die LINKEN sind in ihren Äußerungen oft nicht zu toppen. Sie versprechen den Menschen das Blaue vom Himmel.
Man hängt die Messlatte so hoch, dass man immer schön darunter hindurchlaufen kann. Die Konsequenz ist, dass nichts geschieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss auch sehen, wie man sich dorthin bewegt. Ziele sind wichtig, aber der Weg dorthin ist auch wichtig.
Auch wir sehen, dass viele junge Leute jetzt aufgerufen sind, sich am Bildungsstreik zu beteiligen. Das ist gut, das deutet darauf hin, dass sie ihre Rechte in Anspruch nehmen. Denn was bei der Bil
dungsdiskussion und beim Bildungsstreik unterm Strich bleibt, ist die Notwendigkeit, dass wir bessere Beteiligungsrechte für Jugendliche, für Schülerinnen und Schüler bekommen. Weniger Wahltagsdemokratie und mehr Alltagsdemokratie - das ist unserer Meinung nach immer noch der richtige Schritt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren jetzt, wer die Deutungshoheit über die Geschichte hat. Denn wenn von der Kollegin Franzen gesagt wird, 2007 sah die Welt so aus und nicht so wie der Kollege Höppner sie schildert, dann sage ich: Ich kenne den Kollegen Höppner seit Langem. Ich glaube, was er geschildert hat.
Ich kenne auch die Kollegin Franzen sehr lange, und ich schätze sie sehr,
aber in dieser Frage hat sie keine Ahnung.
Ich weiß noch sehr gut, wie die Diskussion um die Einführung von G 8 2007 und vor 2007 gelaufen ist. Es ist ja nicht so, dass es vonseiten der CDU Proteste gegen die Einführung von G 8 gegeben hat,
auch nicht bei der FDP. Im Gegenteil: Man wollte G 8. Man rief in Erinnerung, dass die Wirtschaft diesen schnellen Durchlauf brauche, dass die jungen Leute in der Bundesrepublik Deutschland viel zu lange zur Schule gingen und so weiter und so weiter.
Die Schlussfolgerung dieser Debatte hätte damals sein müssen - aber so kam sie nicht -, dass wir eine Entrümpelung des Gymnasiums gebraucht hätten. Wer G 8 will, muss den Lehrplan so strukturieren, dass es für die jungen Leute auch machbar ist. Das wäre logisch gewesen.
Dann kam eine andere Diskussion auf, die ich gut verstehen kann. Ich kann gut verstehen, dass Eltern sagen, wir finden es viel zu anstrengend, viel zu schwierig und viel zu unmenschlich für unsere Kinder. Das ist eine vorhersehbare Diskussion. Das kann ich gut verstehen. Aber die Lösung dieses Problems vonseiten des Bildungsministeriums war doch jetzt Beliebigkeit pur. Man hat gesagt, jetzt lassen wir G 8 zu, wir lassen G 9 zu, wir lassen G Y zu. Ob das jetzt zulasten der übrigen Schulen geht,
ist uns doch so etwas von egal. Darum hat man einen Kannibalismus hingenommen, der nicht hinnehmbar ist.
- Nein, nein, nein.
Zweite Bemerkung zu dem Gymnasium. Ob jetzt irgendjemand will, dass das Gymnasium abgeschafft wird, ist eine abenteuerliche Diskussion, eine völlige Gespensterdiskussion.
- Ach Quatsch. In meinem Wahlkreis, der auch der Wahlkreis von Herrn Neve und Herrn Dohm ist, gibt es 90.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Da geht es einzig und allein auch im SPD-Konzept um eine Oberstufe an einer Gemeinschaftsschule als ergänzendes Angebot, in Rendsburg gibt es nur G8-Gymnasien. Das haben die Schulkonferenzen so entschieden. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, weshalb jetzt unterstellt wird, auch in Ihren Redebeiträgen hier, wir würden - und damit bin ja auch ich gemeint - an allen Gemeinschaftsschulen es sind ein paar mehr in meinem Wahlkreis - jetzt gymnasiale Oberstufen fordern, um die Gymnasien auch finanziell auszubluten. Wenn dem nämlich so wäre, lieber Herr Innenminister, dann müsste Ihr Kollege Hans Hinrich Neve, der neben Ihnen sitzt, der im Finanzausschuss ist, der auch der Büdelsdorfer CDU versprochen hat, dass dort eine Oberstufe hinkommt, sofort das Veto einlegen.
Herr Neve, erklären Sie doch Herrn Schlie, ob das, was Sie 2009 vertreten haben, finanzierbar ist oder nicht. Dann danke ich dafür.
Frau Präsidentin, nur fürs Protokoll: Ich habe dagegen gestimmt. Ich habe nicht aufgepasst, aber ich habe dagegen gestimmt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern wir uns: Der Ursprung der Überlegungen, eine Stiftungsuniversität einzurichten, war der Vorschlag der Landesregierung, die Medizinstudienplätze an der Uni Lübeck zu streichen. Nun haben sich die Universität Lübeck und das Land auf ein Papier geeinigt, auf Grundlage dessen die Uni in eine Stiftungsuniversität umgewandelt werden soll. Vor allem interessiert mich aber das Kleingedruckte in der Vereinbarung.
Der Gründungszweck ist die Verbesserung der Einnahmesituation der Universität. Dazu sollen Zuwendungen von privaten Stiftern eingeworben werden, die die steuerlichen Vorteile des Stiftungsgesetzes nutzen können. Ein Nullsummenspiel ist das nicht. Eine Zustiftung geht immer zulasten der Gemeinschaft. Auch darauf müssen wir achten.
Sicher wird die Uni Lübeck durch Zustiftungen in finanzieller Hinsicht gestärkt. Das könnte aber auch ein Schritt in die Privatisierung der Hochschule sein. Wir haben jetzt gehört, dass das nicht der Fall ist. Das darf insgesamt nicht losgelöst von der Politik geschehen und gesehen werden, wobei es auch für uns eine Rolle spielt, dass es sich letztlich um eine öffentlich-rechtliche Stiftung handeln soll. Deshalb werden wir ganz genau beobachten, wie sich das weiter entwickeln wird, denn klar ist: Selbst wenn die Uni Lübeck mit diesem Schritt etwas mehr an Autonomie gewinnt, so sind und bleiben die Finanzierung der Hochschulen und die Gestaltungshoheit Aufgaben des Landes.
Das soll heißen: Die Uni Lübeck ist sicherlich attraktiv als Empfängerin von Drittmitteln. Vielleicht gilt das aber nicht für alle Studiengänge der Universität. Genau das ist aber der Punkt. Wir wollen nicht, dass unsere Hochschullandschaft weiter auseinanderdriftet und dass es eine Spaltung zwischen denjenigen gibt, die für Drittmittel attraktiv sind, und den anderen. Das geht nicht. Hochschulpolitik, Forschung und Lehre sind öffentliche Aufgaben.
Erfreulich ist, dass der Minister offensichtlich dazugelernt hat, wenn er zur Vereinbarung mit der Uni Lübeck feststellt, dass die Landesregierung sich bei den Hochschulen weg von Konzentrationsbestrebungen bewegt hat. Positiv ist zudem, dass die Po
sitionen des AStA berücksichtigt werden. Vor allem sollen die Rechtstellung, die Aufgaben und die Organe der Studierendenschaft erhalten bleiben, so heißt es. Was die Erhebung von Studiengebühren betrifft, so verweist der AStA darauf, dass das Bildungsministerium versucht, die Verantwortung auf die Stiftungsuniversität zu schieben. Das lehnt die Studierendenschaft zu Recht ab. Die Frage bleibt aber auch im Eckpunktepapier offen. Der AStA fordert eine klare Position der Parlamentarier, und die soll er zumindest von uns haben. Mit dem SSW wird es keine Studiengebühren geben, auch nicht durch die Hintertür einer Stiftungsuniversität.
Unklar bleibt, inwieweit der Personalrat und die Gewerkschaften an der Entwicklung des Papiers beteiligt waren. Die Umwandlung wird aber in jedem Fall erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigten und auf das tarifvertragliche Gefüge haben. Laut Eckpunktepapier sollen die Beschäftigten bei der Übernahme durch die Stiftung nicht benachteiligt werden. Dies soll unter anderem durch einen Überleitungstarifvertrag unter Aufrechterhaltung der Versorgungsansprüche sichergestellt werden. Auch soll das gesamte Personal im Falle einer Stiftungsauflösung durch das Land übernommen werden.
Da die Stiftungsuniversität als Dienstherr und Arbeitgeber aber das Recht erhält, Tarifverträge abzuschließen, könnten das öffentliche Dienstrecht und die Flächentarifverträge für den öffentlichen Dienst leicht umgangen werden. Dass solche Bedenken begründet sind, haben die GEW und ver.di bei der Etablierung anderer Stiftungsuniversitäten erfahren müssen. Beim Abschluss von Haustarifverträgen wird es also von der Durchsetzungsfähigkeit der Personalvertretung und der Gewerkschaften abhängen, um bestehende Tarifstandards der Beschäftigten langfristig zu sichern.
Insgesamt sehen wir also eine Reihe von Problemen. Andererseits sehen wir auch, dass die Etablierung einer Stiftungsuniversität für Lübeck eine Chance darstellt. Wir wollen deshalb sehen, wie der Prozess konkret weiterläuft. Wenn es ein Konzept gibt, dann will ich, dass alle Betroffenen diesem Konzept auch zustimmen.
Genau das ist ja auch Kernpunkt des vorliegenden Antrags von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP. Es gibt also noch Gestaltungsspielräume. Wir wollen uns diesen Gestaltungsspielräumen nicht verschließen. Daher werden wir dem Antrag der Fraktion DIE LINKE nicht zustimmen. Aber wir werden dem anderen Antrag zustimmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Bemerkungen möchte ich doch noch loswerden vor dem Hintergrund dessen, was der Minister vorhin gesagt hat. Mag sein, dass die Chronologie anders aussieht. Das nehme ich gern zur Kenntnis. Das ist für mich auch kein so unüberwindbares Problem. Aber natürlich hat der Beschluss der Landesregierung 2010, die Medizinstudiengänge in Lübeck einzustampfen, das Ganze noch einmal zuge
spitzt. Darum ist es natürlich trotzdem richtig, diesen Zusammenhang so zu sehen.
Man müsste auch noch einen anderen Zusammenhang mit ins Spiel bringen, nämlich den sogenannten Zukunftspakt der Hochschulen. Darüber haben wir uns hier in diesem Plenum noch gar nicht unterhalten. Das kann ja auch noch kommen, nicht jetzt vor der Wahl, aber nach der Wahl, denke ich. Denn die Forderung der Hochschulen heißt ja, es muss etwas gegen die Unterfinanzierung gemacht werden. Die Forderung lautet konkret: 35 Millionen € jährlich für die nächsten zehn Jahre. Alle Fraktionen im Landtag haben gesagt, eine solche konkrete Zusage zu machen ist nicht richtig, nicht realistisch. Aber gleichwohl haben alle erkannt, dass die Unterfinanzierung für die Weiterentwicklung unserer Hochschulen ein großes Problem ist. Darum engagieren wir uns ja auch fraktionsübergreifend für die Aufhebung des Kooperationsverbots. Uns ist bewusst, dass in Sachen Hochschulbauten - ich sage auch noch einmal: Sanierung von Hochschulbauten - wirklich etwas getan werden muss. Dass dort auch der Bund, aber auch die EU gefragt ist, wissen wir alle.
Darum noch einmal: Die Umwandlung der Universität Lübeck in eine Stiftungsuniversität darf aus unserer Sicht nicht dazu führen, dass die Hochschullandschaft in Schleswig-Holstein gerade vor dem Hintergrund dieser Unterfinanzierung weiter auseinanderdriftet. Denn klar ist, dass es Studiengänge gibt, die attraktiv sind, die gefördert werden und die sich auch öffentlich darstellen lassen.
Es gibt andere Studiengänge, geisteswissenschaftliche Studiengänge zum Beispiel, die zwar populär, aber nicht so attraktiv sind, die nicht so von sich reden lassen. Wir müssen also aufpassen, dass die Hochschullandschaft nicht durch eine Entscheidung für eine Stiftungsuniversität auseinanderdriftet.
Wir sind aber der Meinung, dass mit diesem Konzept der Universität Lübeck weitergearbeitet werden soll, weil es Sinn macht. Wir haben dazu einige Bedingungen formuliert, wenn auch nicht so konkret. Aber wir haben trotzdem deutlich gesagt, was gemacht werden muss, damit wir dem letztlich zustimmen können.
Es ist also noch sehr viel zu tun. Wir sind erst am Anfang. Die Ankündigung reicht nicht aus. Lieber Herr Minister, Ankündigungspolitik bedeutet noch nicht die Umsetzung von politischen Vorhaben. Schauen wir einmal, wie es weitergehen wird.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft der Hochschulmedizin in unserem Land gehört zu Recht zu den Dauerbrennern im Landtag. Die erste Antwort der Landesregierung im Jahre 2010 war, den Studiengang Medizin in Lübeck schließen zu wollen. Der Wissenschaftsminister meinte damals noch, es sei besser, Stücke aus der Hochschultorte herauszuschneiden, als die Sahne von der ganzen Torte abzukratzen. Mit dieser Strategie ist die Landesregierung bekanntlich auf die Nase gefallen.
Was bleibt, ist die Frage, wie es mit der Hochschulmedizin weitergehen soll. Daher war es trotz aller politischen Auseinandersetzungen sinnvoll, den Wissenschaftsrat um ein Gutachten zu bitten. Auf der Grundlage dieses Gutachtens haben sich nunmehr die CAU und die Uni Lübeck auf ein Konzept verständigt, das - sehr verkürzt - darauf abzielt, medizinische Forschung und Lehre in Kiel und Lübeck zu sichern. Beide Campi sollen eigene Vorstände erhalten und mit dem Land Zielvereinbarungen abschließen.
Der letzte, nicht unerhebliche Punkt in diesem Dreieck ist das UKSH. Die Vereinbarung der Universitäten sieht vor, dass die Verbindung künftig über eine Holding geregelt werden soll. Für den SSW zeichnet sich ab, dass mit dem vorgeschlagenen Konzept ein gangbarer Weg aufgezeigt wird. Soll heißen: Wir stehen diesem Weg erst einmal offen gegenüber, wohl wissend, dass auch hier der Teufel wirklich im Detail steckt. Es könnte ganz klar zu Problemen zwischen Forschung und Lehre auf der einen und Krankenversorgung auf der anderen Seite kommen.
Da ist es natürlich gut, dass künftig beide Aspekte im Vorstand dieser neuen Holding vertreten sein sollen.
Was der SSW aber unter keinen Umständen mittragen wird, wären Entscheidungen, die letztlich zu einer Zerschlagung des UKSH führen würden. Wenn ich bedenke, wie viel die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letzten Jahren geleistet haben, um das UKSH zu retten, dann wäre das ein völlig inakzeptabler Weg. Ich sage das nur, auch wenn behauptet wird, dieser Weg ist von vornherein auszuschließen. Um es noch einmal zu sagen: Unter keinen Umständen tragen wir eine Zerschlagung des UKSH mit. Denn das ginge zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Seit Februar wissen wir, dass nun auch der Wissenschaftsminister und der Vorstandsvorsitzende des UKSH dieser Vereinbarung beigetreten sind. In der gemeinsamen Pressemitteilung heißt es:
„Die Akteure einigen sich auf eine klare Struktur für Wissenschaft und Krankenversorgung.“
So weit, so gut. Ich stelle mir aber die Frage, was denn der tiefere Sinn des vorliegenden Berichtsantrages ist. Aus Sicht des SSW ist es doch ein Unding, dem Landtag so einen verdeckten Begrüßungsantrag unterzujubeln, lieber Kollege Günther.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass an Stelle des Medizinausschusses künftig der erweiterte Holdingvorstand die notwendige Koordinierung von Forschung und Lehre zwischen den Universitäten und dem UKSH wahrnehmen soll. Gleichzeitig sollen die Trägerkosten dem UKSH direkt zugewiesen werden. Wie sich dieses alles konkret auswirkt, ist weiterhin offen.
Das Gleiche gilt für die Frage nach dem Abbau des Sanierungsstaus beim UKSH. Aus Sicht des SSW hat es in den Diskussionen dazu drei Fragen gegeben, die immer noch im Raum stehen: zum einen die Frage, ob das Land bei dem niedrigen Zinsniveau den Abbau des Sanierungsstaus nicht auch hätte anders finanzieren können, zweitens die Frage nach der Tariftreue von Unternehmen und Subunternehmen und drittens die Frage, ob wir es bei dem vorgeschlagenen ÖPP-Modell nicht mit einer verdeckten Kreditaufnahme zu tun haben. Die Frage nach der Schuldenbremse und dem ÖPP-Modell steht aus unserer Sicht also immer noch im Raum.
Das heißt, wir sollten uns nichts vormachen. Das vorgestellte Konzept zur Sicherung der Hochschulmedizin besticht erst einmal durch seine Klarheit. Die Nagelprobe wird aber sein: Wie kann die Gleichwertigkeit der beiden Hochschulstandorte künftig gesichert werden? Im Gegensatz zu dem, was die Kollegin Funke vorhin sagte, meine ich, dass es hier gar keinen Spielraum mehr gibt. Daran schuld sind die Landesregierung und der Vorschlag von 2010, den Studienstandort in Lübeck zu schließen. Vor dem Hintergrund der Diskussionen damals besteht Lübeck zu Recht darauf, dass die Gleichwertigkeit gesichert ist. Daran wird kein Weg vorbeigehen. Das wird das sein, womit wir uns künftig in diesem Hause sehr detailliert auseinandersetzen müssen und auch auseinandersetzen werden.
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit diesem Konzept den Anfang, aber es bleibt noch sehr viel zu tun.
Frau Kollegin Erdmann, können Sie bestätigen, dass es in Ihrem Fraktionsarbeitskreis ganz sicher auch Diskussionen über die Zusammenarbeit von Schulen und Jugendhilfe gegeben hat, weil es dazu in den vergangenen Jahren ganz viele Berichte gegeben hat?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gute an dem vorliegenden Bericht ist, dass er zur begrifflichen Klarstellung dieses Aufgabenfeldes beiträgt. Wie der Bericht ausführt, haben wir es
mit der Schnittstelle von Schule und Jugendhilfe zu tun und mit dem Ziel, die notwendige Kooperation von Jugendhilfe und Schule vor Ort zu stärken. Diese Arbeit - auch das gehört zur Wahrheit dazu ist in den Kreisen und kreisfreien Städten bisher sehr unterschiedlich geleistet worden. Zur Wahrheit gehört auch die Feststellung, dass wir uns in den letzten zehn Jahren immer wieder mit diesem Thema befasst haben, viele Debatten darüber geführt haben - mit durchwachsenem Ergebnis. Ich denke, wir müssen das auch sagen.
Liebe Kollegin Conrad, darum ist die Bejubelung dieses Berichts nun wirklich -
Ich sage es nicht so hart, aber ich finde, ein bisschen weniger wäre gut gewesen.
Aus Sicht des SSW gibt es aber auch keinen Grund, daran herumzumäkeln, dass die Angebote der kommunalen Träger seit dem Doppelhaushalt 2011/2012 durch eine Landesförderung von Schulsozialarbeit ergänzt werden. Wie der Bericht ausführt, ist das Geld für die Erstattung von Maßnahmen der Schulsozialarbeit, Zuwendungen an öffentliche Träger sowie Regiekosten bestimmt. Das ist die Maßgabe.
Hervorgehoben wird die ergänzende Förderung von Projekten in Höhe von - die Summe haben wir schon mehrfach gehört - 2,5 Millionen €. Das heißt, parallel fördert das Land die Kooperation von Jugendhilfe und Schule, Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Schule und Schulsozialarbeit, und das Land kofinanziert das Handlungskonzept „Schule & Arbeitswelt“. Hinzu kommen nun die Bundesmittel für Schulsozialarbeit mit mehr als 13 Millionen €, die den Kreisen als Teil des Bildungs- und Teilhabepakets bis 2013 für neue Projekte zur Verfügung stehen. Aber auch das ist genau das Problem. Wir wissen immer noch nicht, wie es mit den Bundesmitteln weitergehen wird.
Wir teilen die Auffassung des Ministers, dass es notwendig ist, diese Mittel zu verstetigen. Ich weiß aber aus Gesprächen, dass viele Kreise gerade wegen dieser Unsicherheit sehr zurückhaltend sind, in
dem Bereich Schulsozialarbeit weiter zu investieren.
Wir haben also mehrere Landestöpfe und einen Bundestopf, aus denen Projekte finanziert werden können. Was wir nicht haben, ist ein schlüssiges Konzept, das alle Ebenen einbezieht, sodass anhand nachvollziehbarer Kriterien vor Ort die Mittel eingesetzt werden könnten. Bei der Umsetzung bleiben die Akteure also weitgehend sich selbst überlassen. In Nordfriesland etwa wurden mit den bereits seit dem Schuljahr 2009/2010 bestehenden Modellprojekten wie in Leck und Husum sehr positive Erfahrungen gemacht. Das haben uns Vertreter des Kreises, aber auch der beiden Kommunen bestätigt. Die neuen Fördermittel werden in das Projekt Jugendsozialarbeit in Schulen integriert und damit aufgestockt. Für 2012 rechnet der Kreis damit, dass die meisten Schulen mit Schulsozialarbeit ausgestattet werden. Die Schulsozialarbeiter werden dabei von einem freien Träger der Jugendhilfe angestellt, was aus meiner Sicht nicht völlig unproblematisch ist. Die Schulträger tragen 50 % der Kosten. Der in Nordfriesland praktizierte Schulraum-Ansatz - so nennen sie das -, ist ein Beispiel für eine gute, vernetzte, präventive Schulsozialarbeit. Insofern ist das auch ein gutes Beispiel dafür, dass Kreise ihre Spielräume nutzen.
Gleichwohl teile ich die Auffassung der Kollegin Erdmann, dass das Bild insgesamt sehr, sehr unterschiedlich ist. Denn gleichzeitig ist festzustellen, dass es an einigen Stellen, an mehreren Stellen, wirklich hakt, dass nämlich aus organisatorischen Gründen, aus Verwaltungsdesinteresse oder aufgrund der politischen Mehrheitsverhältnisse - auch das gibt es - einige Abläufe nicht konkretisiert werden oder intransparent ablaufen und dass auch die Mittelvergabe immer wieder ins Stocken gerät. Nicht überall scheint also die Erkenntnis angekommen zu sein, dass gute Schulsozialarbeit später Mittel in der Jugendhilfe und in den Schulen einspart. Wir erwarten, dass die Vorgaben der Landesregierung genau hier ansetzen.
Fakt ist aber, der Bericht gibt keine Antwort darauf, wie es konkret weitergehen wird. Nach einer Evaluierung soll die weitere Förderung vom Ergebnis und von der Höhe der künftig verfügbaren Mittel abhängen, sagt der Bericht. Er sagt weiter, CDU und FDP hätten sich verständigt - ich zitiere jetzt einmal -, „den Haushaltsansatz für 2013 und 2014 jeweils um 3 Millionen € jährlich zu erhöhen.“ Er sagt auch, dass die Landesregierung dann anstrebe,
Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds für Schulsozialarbeit einzuwerben. - Das hört sich gut und schön an, aber alles ist wirklich noch sehr unkonkret.
Von daher muss ich noch einmal sagen: Ich hätte mir von dem vorliegenden Bericht sehr viel mehr erhofft. Ich meine, dass es notwendig und möglich gewesen wäre, uns heute einen anderen, vollständigeren Bericht vorzulegen.
Wenn es um das Kindeswohl geht, dann muss einfach mehr Fleisch bei den berühmten Knochen.
Weg von der Projektarbeit hin zur Verstetigung der Maßnahmen - das gibt Trägern Planungssicherheit und den Schulen eine Perspektive. Wir fordern daher, es muss eine von Land, Kreisen und Gemeinden getragene Evaluation geben. Die Finanzierung der Schulsozialarbeit muss verstetigt werden. Wir sprechen uns daher grundsätzlich dafür aus, dass diese sogenannte demografische Rendite im Bildungssystem verbleibt und zur Finanzierung der Schulsozialarbeit beiträgt.
Die Finanzierung darf nicht dadurch erfolgen, dass an anderer Stelle massiv eingespart wird. Ich erinnere noch einmal an die vielen Bildungsdiskussionen, die wir in den letzten Monaten hier in diesem Haus und außerhalb, zum Beispiel in den Kreisen, geführt haben. Aus ihnen geht hervor, dass Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen durch Einsparung, durch Kürzungen, durch Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen, die Schulsozialarbeit selbst finanziert haben.
Anders formuliert: Es entzieht sich ganz einfach meiner Vorstellungskraft zu glauben, wieso Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern geholfen sein soll, wenn das, was vorn aufgebaut wird, hinten wieder eingerissen wird.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass die überwältigende Mehrheit in diesem Hause die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW herbeigeführte Klage vor dem Landesverfassungsgericht gegen die Amtsordnung in Schleswig-Holstein nicht als Chance, sondern eher als Last gesehen hat.
Unser Erfolg vor dem Verfassungsgericht gegen die rechtswidrige, verfassungswidrige Handhabung der Amtsordnung war aber ein Erfolg für die kommunale Demokratie.
Was heute in zweiter Lesung beschlossen werden soll, trägt dem leider gar nicht Rechnung. Wir brauchen mit anderen Worten eine umfassende und
langfristige Strategie, wie die kommunalen Strukturen künftig aussehen sollen.
Wir brauchen eine echte Strukturreform; denn nur so kann handlungsfähige, gestaltungsstarke und bürgernahe Demokratie vor Ort funktionieren. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Urteil des Landesverfassungsgerichts mehrere Optionen eröffnet, wie wir zurück zu einer verfassungskonformen Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene kommen können. Aus Sicht des SSW darf die Verfassungstreue aber nicht den Blick davor verstellen, dass damit die Frage, wie Schleswig-Holsteins kommunale Strukturen endlich funktionsfähig und fit für die Zukunft gemacht werden können, noch lange nicht beantwortet ist. Denn Fakt ist, dass viele kleine Kommunen unseres Landes ihre Aufgaben nicht allein bewältigen können und gezwungen sind, die Hilfe des Amtes in Anspruch zu nehmen.
Konkret liegen uns drei Modelle vor: Der Gesetzentwurf der SPD sieht vor, dass die Amtsordnung einen abgeschlossenen Katalog von fünf Aufgaben enthält, die die Gemeinden auf die Ämter übertragen dürfen. Der Entwurf der Landesregierung geht ebenfalls von einem Katalog aus. Er schreibt vor, dass die Amtsordnung einen abgeschlossenen Katalog von 16 Aufgaben enthält, aus dem das Amt insgesamt fünf Aufgaben übernehmen darf. Zudem werden amtsinterne Zweckverbände zugelassen, deren Verwaltung das Amt zu übernehmen hat. Das dritte Modell hingegen, das Modell von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, geht davon aus, dass die Gemeindeordnung die freiwillige Bildung größerer Gemeinden vorgibt. In der Amtsordnung soll die Möglichkeit der Aufgabenübertragung unverändert erhalten bleiben, die Amtsausschüsse aber direkt gewählt werden.
Während der Gesetzesentwurf der SPD von einem abschließenden Aufgabenkatalog ausgeht, der aus Sicht des Amtes voll ausgeschöpft werden darf, wurde im Rahmen der durchgeführten Anhörung deutlich, dass die „Kataloglösung“ der Landesregierung das Verhältnis von Amt und amtsangehörigen Kommunen schnell strapazieren könnte. Auch das gehört dazu. Soll heißen: Was geschieht eigentlich, wenn sich Gemeinden nicht einigen können? Vieles deutet darauf hin, dass das Gelingen dieses Übertragungsverfahrens einzig und allein von der Stärke der jeweiligen Person abhängt. Das wirkt aus unserer Sicht wenig beruhigend und hat mit der Stärkung der kommunalen Demokratie nun wirklich nichts zu tun.
In die gleiche Richtung weist die Einführung amtsinterner Zweckverbände, die, bildlich gesprochen, leicht dazu führen können, dass der Amtsausschuss nach einer kurzen Pause als Zweckverbandsversammlung weitertagt. Darum sage ich: Der nächste Gang vor das Landesverfassungsgericht scheint damit vorprogrammiert zu sein.
Die Gesetzentwürfe von CDU/FDP und SPD unterscheiden sich sehr viel deutlicher in einem anderen Punkt: Erhalt der hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten bei Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern - die bisherige Grenze - das wissen Sie, liegt bei 15.000 - und die Sicherung der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen. Für den SSW ist es bei § 47 f GO ganz wichtig, dass Abs. 1 Satz 2 erhalten bleibt,
weil in Abs. 2 des Satzes deutlich wird, dass die Kommunen „bei der Durchführung von Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren“, also der Planung von Radwegen, bei Spiel- und Sportanlagen und der Planung von Neubaugebieten, die Kinder und Jugendlichen in der Gemeinde wirklich beteiligen müssen.
Das heißt, die Mitwirkungsmöglichkeiten für junge Bürgerinnen und Bürger werden bei der Streichung von Abs. 1 Satz 2 reduziert.
Der SSW spricht sich aus sehr unterschiedlichen Gründen gegen die Gesetzentwürfe der Regierungskoalition und der SPD aus. Wir werden uns bei dem Gesetzentwurf der Grünen der Stimme enthalten. Er zeigt in die richtige Richtung, geht aber nicht weit genug. Denn es ist aus Sicht des SSW notwendig, nach einer Phase der Freiwilligkeit die Zusammenlegung von Gemeinden gesetzlich festzuschreiben. Wir brauchen eine Gebiets- und Strukturreform in Schleswig-Holstein, denn nur so sichern wir die Zukunftsfähigkeit unserer kommunalen Demokratie. Kommunale Verwaltung und kommunale Selbstverwaltung müssen auf gleicher Augenhöhe miteinander agieren. Das ist unser Ziel. So muss es kommen. Alles andere ist Augenwischerei.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch einmal drei Bemerkungen! Lieber Kollege Hildebrand, ich habe in meinem Redebeitrag vorhin deutlich gemacht, dass die Kataloglösung eine verfassungskonforme Lösung darstellt. Ich habe aber bedauert, dass diese Lösung zu kurz gesprungen ist und die Chance vertan wurde, die kommunale Demokratie zu stärken.
Ich bleibe dabei: Die Kataloglösung ist eine sehr statische Lösung. Ich frage mich, wie man damit in fünf Jahren umgehen will. Vielleicht hält sie gar
nicht mehr so lange. Das ist eine sehr statische Lösung.
Ich komme zu den beiden konkreten Sachverhalten, zunächst zu den hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten in den Kommunen. Das ist schon lange ein Diskussionspunkt. Ich finde es bedauerlich, dass die hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten in den Anhörungen zur Kommunalverfassung fast wie ein Feindbild aufgestellt wurden, dass sich daran die Finanzkrise der Kommunen festmachte. Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus: Wir haben immer noch nicht genügend Frauen in den kommunalen Parlamenten. Wir haben in den Kommunen das Problem, wie wir Männer und Frauen insgesamt gleichermaßen beteiligen. Wir haben mit der Gleichstellungsbeauftragten eine Vermittlerin für diese notwendigen Fragestellungen.
Ich komme jetzt zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Ich bin dem Kollegen Tietze dankbar dafür, dass er deutlich gemacht hat, was eigentlich Sache ist. Ich möchte einen weiteren Punkt hinzufügen. Ich habe das gerade in einer Nebenbemerkung dem Kollegen Kalinka erzählt. Die Verwaltung der Gemeinde Harrislee hat festgestellt, dass das Durchschnittsalter der Gemeindevertretungen 61,5 Jahre beträgt - über 61 Jahre! Der SSW hat einen Fraktionsvorsitzenden in Harrislee, der 30 Jahre alt ist. Er trägt maßgeblich dazu bei, dass das Durchschnittsalter nicht noch höher liegt.
Ich gehe mit meinem Alter leider in die falsche Richtung.
Wir können die Konsequenzen der demografischen Entwicklung rauf und runter diskutieren, aber eine Konsequenz muss uns doch klar sein: Wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen überall gestärkt werden, wo es notwendig ist, in den Kommunen, dann werden wir uns überhaupt nicht mehr mit Fragen von Kindern und Jugendlichen ernsthaft beschäftigen können. Denn die Interessen der Alten gehen in eine andere Richtung. Das wissen wir aus vielen Diskussionen.
Darum ist es notwendig zu sagen: Beteiligungsrechte erschöpfen sich nicht in Jugendparlamenten,
Fragestunden oder Ausschüssen. Nein, das muss konkret in den Kommunen gemacht werden.
Das hört sich nach Entbürokratisierung und keiner großen Sache an, aber dieser Punkt ist eine Rolle rückwärts und steht uns nicht gut zu Gesicht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedem von uns ist natürlich bewusst, dass Gesetzentwürfe zur Änderung der Landesverfassung eine andere Qualität haben als andere Gesetzesänderungen. Daher gehört zur heutigen Diskussion folgerichtig die Frage dazu, ob es nicht besser gewesen wäre, die Debatte zur Änderung unserer Verfassung an den Anfang der neuen Wahlperiode zu stellen. Wir haben uns aber mit SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür entschieden, beides zu machen. Für diese Gesetzentwürfe gilt, dass sie zum Ziel haben, unsere Rechte, also die Rechte des Parlaments, deutlich zu stärken. Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun.
Wer einen übergeordneten Blick auf die Stellung der Landesparlamente in unserem politischen Sys
tem wirft, erkennt ohne Weiteres, dass die Kompetenzverteilung zwischen Regierung und Parlament den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht wird. Hinzu kommt das Verhältnis von Bund und Ländern, das seit Einsetzung der ersten Föderalismuskommission Anfang der 2000er-Jahre auf der politischen Agenda der Parlamente in Deutschland steht.
Auch der Schleswig-Holsteinische Landtag hat sich von Anfang an aktiv an diesen Debatten beteiligt. Hervorheben möchte ich hier das Engagement unseres verstorbenen Landtagspräsidenten HeinzWerner Arens und das seines Nachfolgers Martin Kayenburg. Dass sich auch Landtagspräsident Geerdts die Stärkung unserer Parlamentsrechte auf die Fahne geschrieben hat, ist daher gut und richtig. Dafür gebührt ihm nicht nur unser Dank, sondern mehr als alles andere unsere Unterstützung, wenn es um die konkrete Umsetzung dieser Intentionen geht.
Unser Gesetzentwurf zum Weisungsrecht des Parlaments und zur Einführung eines Klagerechts vor dem Europäischen Gerichtshof ist so ein Umsetzungspunkt. Ich rufe in Erinnerung, dass wir uns fraktionsübergreifend für eine Vereinbarung mit der Landesregierung in Sachen Subsidiaritätskontrolle starkgemacht haben und dass diese Forderung Dank der Beharrlichkeit des Landtagspräsidenten nunmehr auch umgesetzt worden ist. Das ist positiv, auch wenn die vorliegende Vereinbarung nicht so weit geht, wie es sich der SSW gewünscht hat und wie andere Parlamente es uns vorgemacht haben.
Die „Stuttgarter Erklärung“ der Landtagspräsidentenkonferenz 2010 gibt uns die Richtung vor. Die Diskussion um die vorhin genannte Vereinbarung mit der Landesregierung hat meiner Meinung nach eines deutlich gemacht: Es dreht sich nicht nur um Verfahrensfragen, sondern um eine neue politische Kultur und um eine Klarstellung des Verhältnisses von Landesregierung und Landesparlament. Der SSW kann mit anderen Worten damit leben, wenn gesagt wird: Bei diesem Punkt benötigen wir mehr Zeit, als uns jetzt zur Verfügung steht.
Anders verhält es sich mit dem Gesetzentwurf zu den Beziehungen von Bund und Ländern Stichwort: Schuldenbremse. Als sich der Landtag fraktionsübergreifend dafür entschied, die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufzunehmen, gab es auch keine zwei Meinungen dazu, dass vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden müsste,
ob die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz ohne Beteiligung der Landesparlamente nicht einen deutlichen Eingriff in das Budgetrecht des Landtags, sein „Königsrecht“, darstellt. Diese Debatte ist ausführlich geführt worden, sowohl in den Fraktionen wie auch im Parlament und zwischen den Fraktionen.
Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir keine Erkenntnisdefizite, auch nicht, wenn es um die Interpretation des Urteilsspruchs des Bundesverfassungsgerichts geht. Denn Dreh- und Angelpunkt unserer Niederlage vor dem Verfassungsgericht war die Frage der Zuständigkeit des Landtags, also die Frage, ob wir überhaupt klagen dürfen, ohne dass die Landesregierung der Klage beitritt. Dies zu heilen, ist das Anliegen des genannten Gesetzentwurfs, nicht mehr und nicht weniger. Hier geht es nicht darum, dass die Landesregierung vorgeführt werden soll, hier geht es um eine nach vorne gerichtete Initiative zur Stärkung des Parlaments, unabhängig von jedweder politischen Mehrheit. Die Notwendigkeit einer solchen Korrektur braucht in der nächsten Legislaturperiode nicht neu diskutiert zu werden. Wir sagen: Derselbe Landtag, der die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufgenommen hat und mit guten Argumenten eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angestrebt hat, muss diese Politik auch zu Ende führen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre ein wirklich gutes Signal für die Arbeit des neuen Parlaments.
Eine Vorbemerkung, lieber Kollege Kubicki. Sie können in meinen Reden nachlesen, dass ich sehr wohl das Urteil des Landesverfassungsgerichts begriffen habe. Ich habe auch nie die Legitimität dieses Parlaments in Zweifel gezogen. Dies ist nur eine Bemerkung vorweg.