Protocol of the Session on January 28, 2010

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle herzlich. Erkrankt sind der Abgeordnete Hauke Göttsch von der CDU-Fraktion und die Abgeordnete Dr. Gitta Trauernicht von der SPDFraktion sowie von der Landesregierung Ministerin Dr. Juliane Rumpf. Wir sprechen unserer Kollegin und unserem Kollegen sowie der Ministerin alle guten Wünsche zur Genesung aus und hoffen, dass sie bald wieder bei uns sein können.

(Beifall)

Begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler des FriedrichSchiller-Gymnasiums aus Preetz und weitere Gäste! - Seien Sie herzlich willkommen! Wir wünschen Ihnen einen anregenden Vormittag bei uns im Schleswig-Holsteinischen Landtag.

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12, 14 und 34 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD Drucksache 17/186

b) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/193

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Drucksache 17/205

c) Antrag der SPD zum Altschuldenpakt

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/187 (neu)

Vor Eröffnung der Debatte teile ich mit, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben, die Redezeit von zehn auf 15 Minuten je Fraktion und für die Landesregierung zu ändern. - Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Damit eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile für die SPD-Fraktion dem Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politik bedeutet ein starkes, langsames Durchbohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Dieses berühmte Wort von Max Weber kennzeichnet die Haltung, die wir brauchen, wenn wir die Frage beantworten wollen, welche Aufgaben der Staat wahrnehmen soll, wie wir diese finanzieren wollen und wie wir zugleich Schulden und Kredite so begrenzen, dass wir den zukünftigen Generationen Gestaltungsspielräume lassen, die sie genauso verdienen wie wir, die wir heute Verantwortung tragen.

Vorgestern hat die SPD-Fraktion zu ihrer traditionellen kommunalen Runde im Landeshaus eingeladen. Es ging um kommunale Finanzen. Die Resonanz war überwältigend und sprengte fast die Kapazität des Raumes. Eindrücklich schilderten die Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen aus allen Teilen des Landes die prekäre Lage ihrer kommunalen Haushalte. Diese ähnelt in beängstigenderWeise dem Zustand der Landesfinanzen.

Viele der kommunalen Leistungen können gar nicht beeinflusst werden. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Anrecht auf qualitativ und quantitativ vernünftige Aufgabenerfüllung. In einigen Bereichen, etwa bei Schulen oder Kinderbetreuung, aber auch bei der Wirtschaftsansiedlung oder Kultur gibt es eher einen Mehrbedarf als Spielräume für Kürzungen. Eines wurde dabei sehr deutlich: So sehr kluge Haushaltspolitik und Sparanstrengungen nötig sind, so eng sind zugleich deren Grenzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden das Problem der öffentlichen Haushalte und unserer Verschuldung nicht primär oder gar allein auf der Ausgabenseite durch Sparen oder Kürzen lösen können.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das strukturelle Haushaltsdefizit des Landes beträgt über 600 Millionen € - einseitige politische

Schuldzuweisungen sind unangebracht und falsch die haben sich über Jahrzehnte angesammelt. Als Antwort darauf nur eine Schuldenbremse in der Landesverfassung festzuschreiben, die die Bundesregelung einfach kopiert, wäre keine Lösung, im Gegenteil, die würde unser Problem noch verschärfen.

Die Behauptung vom überbordenden Staat ist ein neoliberales Ammenmärchen. So ging die Staatsquote zwischen 1999 und 2008 von 48 % auf 43,7 % zurück. Die so wichtigen Sachinvestitionen der Gemeinden gingen sogar von 32 Milliarden € in 1993 auf 19 Milliarden € in 2006 zurück.

In Schleswig-Holstein haben wir in den letzten Jahren nicht etwa das Geld mit den Händen zum Fenster rausgeworfen, sondern wir haben erhebliche Kürzungen vorgenommen. In rot-grünen Regierungsjahren wurden per saldo sogar Stellen reduziert, obwohl wir gleichzeitig die Unterrichtsversorgung verbessert haben. Bei Rot-Grün und bei Schwarz-Rot haben wir sehr schmerzliche Einschnitte vornehmen müssen, bei den Kommunen, bei den öffentlich Bediensteten, etwa beim Weihnachtsgeld, bei der Beihilfe, bei der Altersversorgung von Angestellten und Beamten. Wir haben eine Ämterreform durchgeführt, die die Kommunen jährlich um circa 13 Millionen € entlastet und gegen heftigen Widerstand mancher Kollegen auch aus den Koalitionsfraktionen vom Innenminister durchgesetzt werden musste. Ja, es gab durchaus auch Kürzungen bei sozialen Leistungen, die uns schwergefallen sind, wie etwa beim Blindengeld. Auch ein massiver Verkauf von öffentlichem Eigentum mit allen damit verbundenen Nachteilen fand statt.

Glaubt irgendjemand in diesem Haus, wir hätten zum Spaß die Kindergartenzuschüsse gedeckelt, die Arbeitszeit verlängert, oder wir hätten nicht gewusst, dass wir eigentlich mehr Erzieherinnen und Lehrer hätten einstellen müssen? Wir kennen die enorme Arbeitsbelastung, die Überstunden von Polizisten, und wir wissen doch auch, dass Erzieherinnen und Pflegekräfte eine bessere Bezahlung verdienen, als sie bekommen. Wir sollten es uns also nicht zu einfach machen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir uns die Zahlen anschauen und uns an den Fakten orientieren, dann ist völlig klar, dass ein unkonditioniertes und totales Kreditfinanzierungsverbot allein das Problem der hohen Verschuldung der öffentlichen Haushalte weder wirksam noch so

zial vertretbar lösen kann. Dennoch hat sich die Föderalismuskommission darauf geeinigt und mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat eine Änderung des Grundgesetzes beschlossen.

Diese wurde wie bei der Föderalismusreform I ohne die Stimmen Schleswig-Holsteins beschlossen, weil wir weder manche der sachlichen Regelungen noch die völlig unzureichende Hilfe von brutto 80 Millionen € für Schleswig-Holstein akzeptieren konnten. Das ist aber geltendes Recht, auch wenn wir nach wie vor der Auffassung sind, dass das totale Verbot für die Länder, Kredite aufzunehmen, also die sogenannte Schuldenbremse, nicht ins Grundgesetz gehört. Hier werden das Haushaltsrecht der Landtage in unerträglicher Weise eingeschränkt und damit Grundprinzipien des Parlamentarismus ausgehebelt. Deshalb hat der Landtag die Landesregierung einvernehmlich aufgefordert, dagegen zu klagen. Deshalb reden wir darüber, eine solche Begrenzung öffentlicher Kredite in unserer eigenen Landesverfassung festzuschreiben. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion ist der Überzeugung, dass wir dazu nicht nur die Ausgabenseite, sondern auch die Einnahmenseite betrachten müssen und für die Altschulden eine nachhaltige Lösung brauchen. Dazu gehört auch eine Umkehr beim Blick auf unser Gemeinwesen. In den letzten Jahren ist es eine Mode des Zeitgeistes geworden, den Staat zu verteufeln, Privatisierung, Liberalisierung und den Markt zu idealisieren. Ich gestehe, dass dieser Virus auch vor der Sozialdemokratie nicht haltgemacht hat.

(Beifall des Abgeordneten Heinz-Werner Je- zewski [DIE LINKE])

Alles hat dazu beigetragen, dass die marktradikalen Kräfte die Überhand gewonnen haben, die uns die weltweite Wirtschafts- und Finanzkräfte eingebrockt haben. Aber gerade in dieser größten derartigen Krise in der Geschichte unseres Landes haben wir doch gesehen, wie wichtig die konjunkturelle Stützung durch den Staat ist, der mit Milliardenhilfen Banken, Unternehmen und die private Nachfrage gestützt und dafür neue Schuldenrekorde aufgestellt hat.

Deshalb ist es richtig, dass auch nach der vorgesehenen Neuregelung grundsätzlich die Möglichkeit besteht, in kritischen konjunkturellen Situationen eine Kreditaufnahmemöglichkeit zu belassen. Wann begreifen wir endlich, dass der geltende verfassungsrechtliche Investitionsbegriff, der Investi

(Dr. Ralf Stegner)

tionen in Beton gegenüber Investitionen in Bildung und Forschung bevorzugt, veraltet ist, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])

Wir müssen kürzen, wir müssen sparen. Aber wer nicht in Kinderbetreuung, Bildung und Klimaschutz investiert - dort müssen die Prioritäten liegen -, der verspielt unsere Zukunft. Deswegen müssen auch unter bestimmten Umständen Kredite aufgenommen werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich die holzschnittartige Kritik an unserer Position kenne, sage ich eines auch glasklar: Die jetzige gewaltige Zins- und Schuldenlast ist ein gravierendes und wachsendes Problem, das wir lösen müssen. Wenn wir nichts dagegen täten, würden wir unseren politischen Handlungsspielraum immer weiter einschränken.

„Reichtum für alle“ und „Reichtum besteuern“ ist die Nirwana-Lösung der Linkspartei, aber nicht im realen Leben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Hinzu kommt, dass die Bevölkerung eine Schuldenbegrenzung mehrheitlich positiv sieht. Die Schuldenbremse ist anscheinend ein populäres Instrument. Dies hat einerseits mit dem erwähnten Zeitgeist zu tun; allerdings übersieht mancher, dass die meisten Menschen weder ihr Auto bar bezahlen noch ein Haus bauen können, ohne sich hoch zu verschulden. Kaum jemand hätte einen sicheren Arbeitsplatz, wenn der eigene Betrieb nicht Kredite aufnehmen könnte. Außerdem stehen den Schulden für die Zukunft auch Werte gegenüber, wenn wir es vernünftig machen, nämlich eine gute Infrastruktur, ein gutes Bildungssystem oder eine Umwelt, die das Leben in Wohlstand überhaupt erst ermöglicht. Aber dann darf man auch nur für Zukunftsinvestitionen neue Schulden machen, und das ist unsere Position.

Die SPD-Landtagsfraktion ist bereit, mit den anderen Fraktionen in einem vernünftigen Dialog über eine sachgerechte und verantwortbare Schuldenbegrenzung in unserer Verfassung zu verhandeln. Dazu gehört, dass wir verantwortbare Wege finden müssen, die jenseits dieser Regelung das strukturelle Defizit und den Nachteil gegenüber anderen Ländern abbauen. Das geht nicht, indem wir unseren Bürgerinnen und Bürgern schlechtere Bildung, weniger innere Sicherheit oder eine schlechtere soziale

Infrastruktur zumuten als unsere Nachbarländer. Täten wir dies, wäre das ein Aufruf zur Wahlenthaltung. Das würde extremen Parteien nützen und Parteien- und Demokratieverdrossenheit verstärken. Das geht nicht. Deswegen brauchen wir eine Nachhaltigkeitsklausel und einen fairen Altschuldenpakt.

Wollen wir unser Defizit nicht noch weiter verschärfen, müssen wir eine Nachhaltigkeitsklausel in unsere Verfassung einbauen. Diese soll eine weitere Aushöhlung der öffentlichen Finanzen à la Wachstumsbeschleunigungsgesetz verhindern.

Ich sage es deutlich: Nein, wir wollen nicht eine Ausstiegsklausel für alle Kleckerbeträge. Es geht um relevante, vom Bund verursachte Mehrbelastungen respektive Einnahmenverluste. Es heißt bei uns: „Das Nähere regelt ein Landesgesetz.“ Hier in diesem Haus kann das im Übrigen mit einfacher Mehrheit durchaus im Sinne der Vorschläge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN präzisiert werden. Unserer juristischen Auffassung nach kann man das allerdings nicht in die Verfassung selbst hineinschreiben. Ohne eine solche Nachhaltigkeitsklausel sind wir auf Gedeih und Verderb denjenigen unterworfen, die an der Steuerschraube drehen können. Da, liebe Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, haben wir ganz aktuell denkbar schlechte Erfahrungen gemacht, die keinen Blankoscheck rechtfertigen. Schwarz-Gelb betreibt eine Steuerpolitik nach dem Motto: „Eigennutz vor Gemeinwohl“. Die Einnahmen des Staates werden geschwächt. Reiche Erben und Hoteliers bekommen Steuergeschenke. Die nächsten milliardenschweren Steuerentlastungen sind schon angekündigt. Selbst dort, wo es steuerliche Verbesserungen gibt, die man im Grundsatz gut finden könnte, wie bei der Kinderförderung, sieht es konkret so aus, dass diejenigen am meisten bekommen, die am meisten haben, und diejenigen am wenigsten oder gar nichts, die am meisten brauchten.

Auch die von den Liberalen geforderte Möglichkeit, Steuererhebungsrechte auf die Länder und die Kommunen zu verteilen, ist ein Danaergeschenk. Es würde unsere Nachteile nur noch vergrößern. Wir ahnen auch schon, dass der Steuerentlastung für Gutverdiener die Beitragserhöhungen folgen, die wiederum die Arbeitnehmer besonders hart treffen und die Betriebe, die Arbeitsplätze erhalten anstatt sie abzubauen. Deshalb brauchen wir eine neue Verteidigungswaffe gegen eine völlig unverantwortliche Steuerpolitik, die zudem aktuell auch noch im Geruch der Gefälligkeit für beträchtliche Parteispenden von Lobbyisten steht.

(Dr. Ralf Stegner)

Herr Carstensen und Herr Kubicki, was haben Sie eigentlich gegen unseren Vorschlag, wenn Sie uns hier gleichzeitig von Ihrem heldenhaften vorweihnachtlichen Widerstand gegen die Steuerpläne von Merkel und Westerwelle erzählen? Das passt irgendwie nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Rasmus Andresen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Wir brauchen auch wachstumsfördernde Maßnahmen - nicht durch Steuerentlastungen - dadurch, dass wir neben Investitionen in Zukunftsbereiche wie Wind- und Solarenergie dafür sorgen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Jobs haben, von denen sie leben können, ihre Familien ernähren können und Steuern und Beiträge bezahlen können anstatt Sozialtransfers zu brauchen. Geben Sie endlich Ihren Widerstand gegen faire Mindestlöhne und ordentliche Bezahlung auf! Geben Sie Ihren Widerstand gegen Maßnahmen zur Verhinderung prekärer Beschäftigung und des Missbrauchs von Leih- und Zeitarbeit auf! Das wäre eine richtige Investition in die Gesundung der öffentlichen Finanzen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW - Zuruf von der FDP: Hätten Sie doch machen können!)

Gerechter wäre das übrigens auch.