Protocol of the Session on November 19, 2010

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich. Folgendes ist mitzuteilen: Erkrankt sind die Kolleginnen Astrid Damerow von der CDU-Fraktion, Regina Poersch von der SPD-Fraktion, Ranka Prante von der Fraktion DIE LINKE und Herr Ministerpräsident Carstensen. Wir wünschen allen Kolleginnen und dem Herrn Ministerpräsidenten gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind für heute Vormittag der Kollege Ulrich Schippels von der Fraktion DIE LINKE sowie Herr Innenminister Klaus Schlie.

Begrüßen Sie jetzt mit mir auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler der Eckener-Schule Flensburg mit ihren Lehrkräften! - Herzlich willkommen und einen interessanten Vormittag bei uns hier im Landtag!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 und 22 zur gemeinsamen Beratung auf:

Gemeinsame Beratung

a) Erhalt der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gemäß § 47 f der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE Drucksache 17/966 (neu) - 2. Fassung

b) Erhalt der hauptamtlichen kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in SchleswigHolstein

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE Drucksache 17/967 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Siegrid Tenor-Alschausky das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Innenminister Schlie und mit ihm das gesamte schwarz-gelbe Kabinett wollen die kommunale Selbstverwaltung stärken. Das ist eigentlich ein löblicher Ansatz, aber was wird konkret vorgeschlagen? - Will man Verwaltungsstrukturen reduzieren und Doppel- und Dreifachprüfungen kommunaler Vorhaben abschaffen? - Weit gefehlt. Man nimmt sich der Verpflichtung zur Einstellung hauptamtlicher Gleichstellungsbeauftragter an. Und weil man gerade dabei ist, schlägt man den Gemeinden vor, sie könnten künftig auf die Bildung von Beiräten verzichten. Das beträfe Seniorenbeiräte ebenso wie Kinder- und Jugendbeiräte, also die Möglichkeit, dass sich Seniorinnen und Senioren und Kinder und Jugendliche organisieren und für die Selbstverwaltung verpflichtend an kommunalpolitischen Entscheidungen beteiligen können.

Mehr Gestaltungsraum für die Kommunen oder Einschränkung von Mitgestaltung? - Wir Sozialdemokraten meinen: Das ist eine Einschränkung von direkter Demokratie.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine Einschränkung von Mitgestaltung an Entscheidungen, die die Belange von Frauen und Kindern und Jugendlichen vor Ort betreffen. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Diesem Artikel des Grundgesetzes entspricht die gesellschaftliche Wirklichkeit leider in vielen Bereichen noch immer nicht. Um die Umsetzung des Anspruchs auf Gleichberechtigung zu verwirklichen, wurde die Verpflichtung für Kommunen, eine hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen, in die Kommunalverfassung aufgenommen.

Eine der Riesenkröten, die die SPD in der vergangenen Legislaturperiode bei der Bildung der Großen Koalition schlucken musste, war die Forderung der CDU, die Einwohnerzahl der Gemeinden und Gebietskörperschaften, ab der eine hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte verpflichtend einzustellen ist, auf 15.000 heraufzusetzen. Das hat sich nicht bewährt. Stellen wurden gestrichen, nicht wieder besetzt, Stundenzahlen wurden reduziert, oder die Gleichstellungsarbeit wurde vollständig auf Ehrenamtliche delegiert. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, die Grenze zur Verpflichtung zur Bestellung hauptamtlicher Gleichstellungsbeauftragter wieder auf 10.000 Einwohner je Verwaltungseinheit abzusenken.

(Beifall bei der SPD)

2836 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 34. Sitzung - Freitag, 19. November 2010

Das Fehlen hauptamtlicher Gleichstellungsbeauftragter führte unweigerlich zu großen Einschnitten in der Gleichstellungsarbeit; leider insbesondere in den Kommunen, in denen insgesamt nur ein unzureichendes Angebot an entsprechender Infrastruktur besteht. Diese fatale Entwicklung will die CDU/FDP-Koalition verschärfen, indem sie die Bestellung hauptamtlicher Gleichstellungsbeauftragter völlig den Kommunen überlässt.

Hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte sind unverzichtbar, wenn es darum geht, geschlechtergerechte Politik vor Ort zu entwickeln und umzusetzen. Es sind die alten Themen, mit denen sie sich auseinanderzusetzen haben: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, familienfreundliche Personalpolitik, häusliche Gewalt, gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und Männern, die Vertretung frauenpolitischer Themen gegenüber Politik und Öffentlichkeit und nicht zuletzt die Arbeit als Netzwerkerinnen und Kristallisationspunkt gleichstellungspolitischer Themen.

Natürlich hat es in den letzten Jahrzehnten deutliche Fortschritte gegeben. Die Politik dieser Koalition zielt aber auch hier darauf ab, den Rückschritt zu organisieren.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Würden die Eckpunkte Gesetz, dann wäre Schleswig-Holstein nicht mehr Vorreiter, sondern bundesweites Schlusslicht in Sachen Gleichstellungspolitik. Mich würde besonders die Meinung des zuständigen Fachministers in dieser Frage interessieren. Gerade die kommunale Ebene macht Politik direkt erfahrbar. Kinder und Jugendliche können durch eine gute Beteiligungspolitik lernen, dass sie auf das politische Geschehen, auf ihre eigene Zukunft Einfluss nehmen können. Das ist etwas, das wir im Zuge der demografischen Entwicklung, in der immer weniger Kinder und Jugendliche immer mehr Älteren gegenüberstehen, keinesfalls vernachlässigen dürfen.

Zur Gleichstellungspolitik möchte ich zum Schluss die hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten selbst zitieren. Sie schrieben bereits im Mai an den Ministerpräsidenten:

„Wir sind als Expertinnen für Gleichstellungsfragen Mitglieder der kommunalen Familie. Wir verfolgen die finanzpolitischen Entwicklungen in unseren Verwaltungen ebenso sorgenvoll wie unsere Kolleginnen und Kollegen und werden uns besonders in die bevorstehenden Haushaltskonsolidie

rungsplanungen einbringen müssen, da wir über umfangreiches Fachwissen verfügen und nachgefragt werden, sowohl Verwaltung und Wirtschaft ebenso wie die Politik zu begleiten und zu beraten. Wenn Ihre Landesregierung jetzt die hauptamtliche kommunale Gleichstellungsarbeit aufgrund kommunaler Finanzengpässe in das Belieben der Kommunen stellen will, ist der Willkür freier Raum gelassen.“

(Beifall bei der SPD)

„Dies bedeutet, dass die Umsetzung des im Grundgesetz verankerten Gleichstellungsgrundsatzes letztlich dem Zufall und dem Engagement Einzelner überlassen bleibt.“

Dem ist leider nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite! Meine Damen und Herren! Wir sind nicht gegen die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im kommunalen Bereich.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Wir sind auch nicht gegen Gleichstellungsbeauftragte. Im Gegenteil, wir haben in unserer Fraktion engagierte Kolleginnen und Kollegen, beispielsweise die Kollege Rathje-Hoffmann, die in diesem Zusammenhang in besonderer Weise tätig ist.

(Beifall bei der CDU)

Der Vorwurf ist also völlig unbegründet, dass wir die Beteiligung oder die Gleichstellungsbeauftragten abschaffen wollten. Die Formulierung eines organisierten Rückschritts beschreibt die Sache nicht im Geringsten.

Wir möchten lediglich, dass die Kommunen künftig selbst entscheiden können, ob und in welchem Umfang sie Kinder und Jugendliche an Planungen beteiligen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wahrscheinlich gibt es dann mehr Beteiligung!)

- Wissen Sie, Herr Kollege Dr. Stegner, wir können unsere nette Debatte von gestern Nacht gern fortsetzen.

Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 34. Sitzung - Freitag, 19. November 2010 2837

(Siegrid Tenor-Alschausky)

Ich finde, gerade auch ein ehemaliger Kommunalminister, der das Vertrauen zu den Kommunen immer in Worten bekundet hat, sollte auch den Kommunen das Recht zugestehen, über einige Dinge selbst entscheiden zu können.

(Beifall bei der CDU)

Kommunen brauchen Entscheidungsfreiheit. Wir haben heute in der Gemeindeordnung eine Reihe von Vorschriften, mit denen den Kommunen Pflichtaufgaben auferlegt werden und die bei den Kommunen Zeitaufwand und Kosten verursachen. Wir hätten uns gewünscht, beim Aufgabenabbau schon etwas weiter zu sein. Wir haben aber schon einmal begonnen.

Schon jetzt arbeiten viele Kommunen am Limit. Deshalb nützt es überhaupt nichts, wenn wir nur davon sprechen, dass die Kommunen von Aufgaben entlastet werden sollen, und wenn dann nichts folgt. Wer es mit dem Abbau von Vorschriften ernst meint, der muss auch konkret damit beginnen. Ich sage dies so deutlich, weil dies der Kernpunkt eines unterschiedlichen politischen Verständnisses ist.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In der Tat!)

Wir wollen, dass vor Ort die demokratisch legitimierte Mehrheit entscheidet, wofür Zeit, Geld und Kraft eingesetzt werden. Meine Damen und Herren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zumindest dabei müssten Sie doch mitgehen können.

Andere wollen weiter zentral von Kiel aus Vorschriften machen. Das kollidiert aber frontal mit Ihren Äußerungen zur Reform im kommunalen Bereich.

Um diese Alternative geht es. Es geht um die Ambivalenz, ob man einerseits Zwang ausübt oder ob man es andererseits den Kommunen freistellt.

Wie ist es eigentlich zu rechtfertigen, dass wir demokratisch gewählten Gemeindevertretern und Stadtvertretern, die über die Dinge betreffend ihre Gemeinschaft selbst zu entscheiden haben, weiterhin bei allen Dingen Denkvorgaben machen? Freiheit heißt, nicht unnötig zu gängeln. Wer unsere Haltung kritisiert, darf sich das nicht so einfach machen.