Protocol of the Session on January 27, 2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 4. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig. Erkrankt sind Herr Abgeordneter Göttsch, Frau Abgeordnete Dr. Trauernicht und Frau Ministerin Dr. Rumpf. Wir wünschen allen von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt für den heutigen Tag ab 15 Uhr sind Herr Abgeordneter Tietze und Frau Abgeordnete Prante sowie für die Landesregierung Herr Minister Wiegard und Herr Minister Dr. Garg.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Heute vor genau 65 Jahren, am 27. Januar 1945, erreichte die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz und befreite fast 8.000 völlig entkräftete Menschen. Für 1,2 Millionen nach Auschwitz Deportierte aus ganz Europa hingegen war es bereits zu spät. Sie waren der mörderischen Vernichtungsmaschinerie des nationalsozialistischen Regimes zum Opfer gefallen. Auschwitz ist zum Synonym für den Holocaust geworden, und die Befreiung dieses Vernichtungslagers steht daher für die Befreiung Deutschlands von der mörderischen Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus.

Der 27. Januar wird seit 1996 in Deutschland und seit 2005 auch weltweit als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Als Teil unserer Weltgesellschaft gedenken wir heute auch im Schleswig-Holsteinischen Landtag und bei unserer Gedenkveranstaltung heute Abend in Rendsburg aller Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Unzählige Menschen aus Schleswig-Holstein verloren ebenfalls ihr Leben durch Deportation und Ermordung. Sie waren Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, Männer und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Kriegsgefangene und Deserteure. Sie alle wurden ermordet, nachdem ein menschenverachtendes, aber dennoch lange Zeit von begeisterten Massen getragenes, skrupelloses Regime sie ihrer Bürgerrechte beraubte, ihnen ihre Menschenwürde nahm und sie schließlich endgültig um ihr Leib und Leben brachte.

Im deutschen Namen wurde ein bis heute unvergleichlicher millionenfacher Völkermord begangen, der mit Worten nur schwer zu beschreiben ist. Noch heute verstummen wir angesichts des Leides der Opfer, ihrer Angehörigen und Freunde. Zugleich aber bekennen wir uns zu unserer besonderen Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz. Wo immer wir auf Anzeichen von Diskriminierung und Ausgrenzung stoßen, sind wir gefordert, Zivilcourage zu zeigen und Verantwortung für unsere Mitmenschen zu übernehmen.

In unserer demokratischen Gesellschaft, deren erklärtes Ziel die Wahrung der Menschenrechte ist, darf es keine Menschen erster und zweiter Klasse geben. Wir alle sind daher verpflichtet, unseren Teil zu einer auf Chancengerechtigkeit angelegten Politik beizutragen. Die Grundrechtsartikel in unserer Verfassung haben seit ihrer Abfassung vor gut 60 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt. Wir stehen gemeinsam dauerhaft in der Verantwortung, die geschriebene Verfassung zu einer gelebten zu machen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus traurigem aktuellen Anlass auch darauf verweisen, dass wir angesichts von großem menschlichen Leid, das durch eine Naturkatastrophe verursacht wurde, ebenfalls zu solidarischem Handeln aufgefordert sind. Insofern möchte ich Sie bitten, auch den Opfern des Erdbebens in Haiti ihr Mitgefühl zuteil werden zu lassen. Wir wollen nun gemeinsam einen Moment innehalten und schweigend gedenken. Ich danke Ihnen.

Wir steigen jetzt in die Tagesordnung ein. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 2, 4 bis 10, 13, 17 bis 19, 30, 35, 36, 40, 43 und 45 ist eine Aussprache nicht geplant. Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Punkte 29, 33, 39, 42 und 44. Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 12, 14 und 34, Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein und Antrag der SPD zum Altschuldenpakt, sowie die Tagesordnungspunkte 17 und 19, Berufung des Verwaltungsrats der Anstalt Schleswig-Holsteinische Landesforsten. Ein Antrag zu einer Fragestunde liegt nicht vor.

Der Gesetzentwurf zu Tagesordnungspunkt 15, Änderung des Landesrichtergesetzes, Drucksache

17/195 (neu), soll in dieser Tagung abschließend beraten werden. Die damit im Zusammenhang stehende Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses - Tagesordnungspunkt 16 - ist für Freitag vorgesehen.

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Redezeit zu Tagesordnungspunkt 27, Freiwilliges Ökologisches Jahr in Schleswig-Holstein vollständig erhalten, auf jeweils fünf Minuten pro Fraktion und für die Landesregierung zu reduzieren.

Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 4. Tagung.

Wir werden morgen und am Freitag jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen. Wir haben an dem Zeitplan für Freitag schon einiges getan. Heute wird die Sitzung um 17 Uhr beendet, da um 18 Uhr in Rendsburg die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus stattfinden wird. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Ich begrüße auf der Tribüne als Besucherinnen und Besucher im Schleswig-Holsteinischen Landtag Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte der Jacob-Struve-Schule aus Horst/Holstein. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ebenso herzlich begrüße ich den Bischofsbevollmächtigten im Sprengel Schleswig und Holstein, Herrn Gothard Magaard, sowie Herrn Kurt Triebel, der hier im Haus immer unsere Andachten vor den Plenartagungen gestaltet. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Beitragsfreiheit des dritten Kindertagesstättenjahres

Antrag der Fraktion der SPD

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner.

(Präsident Torsten Geerdts)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Sonntagsreden und im Wahlkampf sind alle dabei: Wir brauchen eine Politik für die Zukunft unserer Kinder, wir können doch unsere Politik nicht auf dem Rücken unserer Kinder machen! - Und eines der ersten Dinge, die dem neuen Fraktionsvorsitzenden der CDU einfallen, ist, das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr infrage zu stellen.

Noch in der letzten Legislaturperiode dachte ich, es sei uns endlich gelungen, auch die Union davon zu überzeugen, dass Kinderbetreuung und Kindertagesstätten etwas ganz Wichtiges sind.

(Johannes Callsen [CDU]: Das war doch un- ser Vorschlag! - Weitere Zurufe von der CDU)

Sie waren damals auch irre stolz darauf - ich komme darauf noch zurück, Frau Kollegin Herold -, Sie seien es gewesen, die den ersten Gesetzentwurf vorgelegt hätten. Der war dann zwar in der Sache unbefriedigend, deshalb haben wir ihn gemeinsam geändert,

(Lachen bei der CDU)

aber in Wirklichkeit sind Sie die Ersten, die sich jetzt von diesem Gesetz abwenden. Das ist leider die Problematik. Das ist auch der Grund dafür, dass wir Sozialdemokraten heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Denn die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner haben Anspruch darauf, in dieser Sache Klarheit und Wahrheit zu erfahren.

Wenn wir wirklich etwas für die Kinder tun wollen, müssen wir dort anfangen, wo die Grundlagen gelegt werden, in der frühkindlichen Erziehung. Das bedeutet den quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung, das bedeutet aber auch den qualitativen Ausbau der Kinderbetreuung, des Gehalts der Erzieherinnen und Erzieher und vieles andere mehr. Das darf übrigens nicht gegeneinander ausgespielt werden, die Quantität und die Qualität. Wir brauchen beides. Das bedeutet aber auch den Abbau von finanziellen Hürden, die dem Kindergartenbesuch im Wege stehen. Und das bedeutet verlässliche und unbürokratische Unterstützung dort, wo es am nötigsten ist, zum Beispiel, dass kein Kind in Schleswig-Holstein ohne warme Mahlzeit bleibt.

Kinderbetreuung ist heutzutage viel mehr als Kinder zu verwahren, und der Besuch von Kindertagesstätten ist der entscheidende Schlüssel für die Chancen unserer Kinder in unserer Gesellschaft. Er

ist Schlüssel für den Erwerb sozialer Kompetenz, für den Spracherwerb - mitnichten nur der nichtdeutschen Kinder -¸ für Integration und Akzeptanz und Vielfalt, für das rechtzeitige Erkennen von Problemen und für die Einbindung von Eltern. Letztlich stellt sich nicht die Frage, können wir uns das leisten, sondern die Frage: Wie lange wollen wir es uns eigentlich noch leisten, dass wir die höchsten Beiträge in der Bundesrepublik haben? Das ist die Frage, die wir stellen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen weiß jeder Kämmerer, wenn man nicht in Kinder investiert, wenn wir nicht etwas für Integration tun, dann steigen die Jugendhilfekosten. Es rechnet sich also auch im buchstäblichen Sinne, nicht nur im übertragenen. Prävention ist besser als Reparatur.

Die Beitragsfreiheit ist ein entscheidender Schritt, die Hürden zu senken. Deshalb haben wir Sozialdemokraten gesagt: Wir wollen einen Stufenplan haben, um dieses zu erreichen.

Wir haben übrigens auch eine riesige Bürokratie im Zusammenhang mit der Sozialstaffel. Das trifft also auch diejenigen, die weniger oder gar nichts bezahlen müssen - all diese Anträge, die sie stellen müssen. Das Geld würden wir viel lieber einsetzen, um direkt die Kinderbetreuung zu fördern. Das ist unser Ansatz in diesem Bereich.

Jetzt stellt sich die Frage, was eigentlich mit der Union los ist. War das doch keine Einsicht im letzten Jahr? War es eher Wahlkampftaktik, dies ins parlamentarische Verfahren einzubringen und mit uns zu beschließen? Sind Ihnen die Reden, die ich von Frau Franzen oder auch vom jetzigen Bildungsminister, dem damaligen FDP-Abgeordneten, Dr. Klug aus dem September 2008 zitieren könnte ich habe sie dabei - jetzt peinlich? Meinen Sie das alles nicht mehr? War Ihre Initiative vor zwei Jahren vielleicht ein Fehler, den Sie wieder rückgängig machen wollen? Ein Kommentator hat heute geschrieben, das sei alles weitgehend sinnlos und teuer. Haben Sie das so erkannt? - Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in diesem Haus sehen das nicht so. Oder gilt für Schwarz-Gelb jetzt offiziell das neoliberale Motto: Soll doch jeder sehen, wo er bleibt, ob alt oder jung, gesund oder krank, arm oder reich? - Das ist nicht unsere Vorstellung eines Gesellschaftsbildes.

Oder aber, Herr von Boetticher, war Ihr Vorstoß lediglich ein unabgestimmter Vorstoß eines profilierungsbedürftigen Fraktionsvorsitzenden, der in Schleswig ein bisschen zurechtgestutzt worden ist?

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das kennen Sie ja! - Weitere Zurufe von der CDU)

Wir verstehen durchaus, dass Sie auch einmal in der Öffentlichkeit stehen wollen, wo doch sonst Ihr Sitznachbar, sozusagen das halbstarke Pendant, immer die Schlagzeilen beherrscht.

(Zurufe von CDU und FDP)

Oder ist das eine Art konzertierter Aktion zusammen mit dem Koalitionspartner, mit der Sie alle Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner - ich nehme die Hoteliers ausdrücklich aus - in Unruhe versetzen wollen, um hinterher zu sagen, wir sammeln das eine oder andere ein, je nachdem wo der Widerstand ist? Oder machen wir das nach dem Motto „Husum, Neu-Delhi und zurück“, um dem Ministerpräsidenten die Gelegenheit zu geben, hinterher als Rächer der Eltern und Kinder dazustehen und zu sagen, wir haben das doch nicht gemacht, was Herr von Boetticher angekündigt hat? Es ist auch möglich, dass das ein verfrühtes Tauschangebot an einen Partner ist, der noch in die Regierung eintreten soll, wenn es mit der Mehrheit zu knapp wird. Das ist auch noch eine Möglichkeit.

Egal, wie man spekuliert, all diese Punkte, die da eine Rolle spielen, müssen interpretiert werden, weil wir es mit einer „Nichtstuer-Regierung“ zu tun haben. Seitdem Sie im Amt sind, haben Sie noch nichts gemacht, mit der Ausnahme, dass Sie den Steuergesetzen zugestimmt und die Boni bei der HSH Nordbank hochgesetzt haben. Konkret haben Sie noch nichts entschieden. Deswegen sind wir auf Interpretationen angewiesen.

Wir sind nicht der Meinung, dass man alles Wünschenswerte, was wir schon haben, weiter finanzieren kann. Damit unterscheiden wir uns auch von dem einen oder anderen hier im Haus. Wir glauben aber durchaus, dass man Prioritäten setzen muss, und für uns sind diese Prioritäten eben Kinderbetreuung, Bildung und Klimaschutz. Hier zu sparen und den Menschen zu sagen, wir kürzen beim beitragsfreien Kindergartenjahr, ist der falsche Weg.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Es ist genau umgekehrt. An den Kindern und ihrer Förderung hängt unsere Zukunft, nicht daran, dass wir hier sparen. Das Motto von Herrn Carstensen, Wohlfahrt könne auch erdrücken, wie Sie das hier in der Regierungserklärung vorgetragen haben, ist nicht unser Motto. Schlimmer ist aber das, was Sie hier jetzt tun, wenn Sie es denn machen. Das ist

Wahlbetrug. Sie haben von Elternvertretern keine Spenden bekommen. Das ist wohl so. Ich vermute, Sie werden auch nicht das Motto der privaten Krankenversicherungen einführen können, dass FDP-Eltern Beitragsermäßigungen in der privaten Krankenversicherung bekommen. Das wird wohl nicht der Fall sein. Das, was Sie hier machen, erst das Gesetz einzubringen, es im Wahlkampf zu vertreten und dann wieder abzuschaffen, ist Wählertäuschung. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD)