Protocol of the Session on October 6, 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich.

Zunächst habe ich Ihnen Folgendes bekanntzugeben: Erkrankt sind von der CDU-Fraktion der Kollege Mark-Oliver Potzahr, von der FDP-Fraktion der Kollege Jens-Uwe Dankert und von der SSWFraktion die Kollegin Silke Hinrichsen. Wir wünschen der Kollegin und den Kollegen weiterhin gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt sind heute von der SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Gitta Trauernicht und der Kollege Thomas Rother. Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner, ist ab 13 Uhr beurlaubt. Von der Landesregierung sind Frau Ministerin Dr. Rumpf und Herr Minister de Jager beurlaubt.

Vorab teile ich Ihnen mit, dass der Tagesordnungspunkt 31 A - Rückenwind für Husum-Messe - nach einer Vereinbarung zwischen den Fraktionen am Freitagmorgen nach der gemeinsamen Beratung der Punkte 13 und 41 aufgerufen werden wird. Als Redezeit wurden jeweils fünf Minuten vereinbart.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 19 auf:

Für eine tolerante und offene Gesellschaft Rechtspopulismus entschlossen entgegentreten!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1867

Ablehnung des politischen Extremismus

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1910

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich stelle fest, das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Für die SPD-Fraktion erhält der Herr Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Rechtspopulismus gehört auf die Tagesordnung, weil wir in Europa und in Deutschland

5148 Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 60. Sitzung - Donnerstag, 6. Oktober 2011

feststellen müssen, dass Rechtspopulismus gefährlicher ist als der Rechtsextremismus, weil er im Deckmantel der Bürgerlichkeit daherkommt und weil wir überall in Europa Entwicklungen haben, die in der fast vollständigen Beseitigung der Pressefreiheit in Ungarn, in ungeheuerlichen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik in Italien, in schlimmen rechtspopulistischen Verirrungen in unseren Nachbarländern gipfeln, und die mit Toleranz, mit Menschenwürde und mit einem Europa, wie wir es uns jedenfalls wünschen, nichts zu tun haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Die Forderungen, die dabei transportiert werden, und das Gedankengut scheinen oft salonfähig, weil sie eben weit verbreitet sind, weil sie auch in anderen Parteien gepflegt und von diesen instrumentalisiert werden. Rechtspopulismus ist in Deutschland noch nicht in einer Partei organisiert. Das bedeutet aber nicht, dass das nicht passieren könnte, wenn wir uns nicht darum kümmern. Für mich geht es auch um die zentrale Frage - deswegen wollten wir das auf der Tagesordnung haben -: Löst man das Problem durch Anpassung, oder ist es nicht vernünftig, dass man sich klar und deutlich abgrenzt und auch nicht Schiss vor denjenigen - übrigens auch in der eigenen Partei und in der eigenen Anhängerschaft - hat, die an Stammtischen anders reden, als einem das gefallen kann.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Es geht immer um das Spiel mit Ängsten und Emotionen. Es geht immer um das Anbieten von Scheinlösungen, um das Schüren von Feindbildern. Am Ende gefährdet so etwas die Demokratie.

Jeder wusste, dass zum Beispiel die dänischen Grenzkontrollen nichts mit der Sache zu tun hatten; denn das bisherige Verfahren war durchaus effektiv. Manchmal ist es auch so, dass Fehlentscheidungen - ich denke zum Beispiel an die Körperscanner in Hamburg - zurückgenommen werden, wenn man es an bestimmten Stellen übertrieben hat.

Rechtspopulismus reißt Probleme aus dem Kontext, verkürzt Sachverhalte. Selbstverständlich sind die Probleme vorhanden. Ich sage aber: Durch das Ausspielen von verschiedenen Gruppen gegeneinander löst man kein einziges Problem, man schafft nur ständig neue, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die typische Reaktion beim Widerspruch gegen rechtspopulistische Äußerungen lautet mei

stens: Man wird das doch noch sagen dürfen, ohne gleich Gegenwind zu bekommen. Ich nenne dazu ein Beispiel, das anzusprechen mir durchaus schwerfällt. Das Buch, das Thilo Sarrazin geschrieben hat, der leider immer noch in der SPD ist, ist eines, das so argumentiert: Man wird doch noch einmal sagen können. In Wirklichkeit ist es aber ein Buch, das bildungspolitisch reaktionär ist, das in der Sprache unterirdisch ist und das keinen einzigen Beitrag zur Lösung irgendeines Problems leistet. Ganz im Gegenteil.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki zu?

Herr Kollege Stegner, ich war nicht schnell genug, weil es noch so früh ist. Aber können Sie mir freundlicherweise erklären, was der Einsatz von Körperscannern mit Rechtspopulismus zu tun hat?

- In der Tat muss es die Geschwindigkeit beim Zuhören gewesen sein, Herr Kollege. - Mir ging es darum zu sagen, dass das Überbetonen von individuellem Sicherheitsgefühl, indem man vorgaukelt, man müsse alle diese Dinge tun, damit man sicherer lebt, ein typischer Punkt ist, der in der Argumentation vorkommt. Ich habe das als Beispiel genannt. Nicht der Einsatz selbst hat etwas mit Rechtspopulismus zu tun. Mir ging es um das Thema des Überbetonens von individuellem Sicherheitsgefühl. Das war der Zusammenhang, Herr Kollege.

Generell ist diese alberne Formulierung „Man wird doch noch einmal sagen dürfen“ nur ein Deckmantel. - Ich höre übrigens immer wieder etwas von Denkverboten. Mein Eindruck ist, um Denkverbote geht es nie, es geht höchstens um Denkgebote, die man häufiger einhalten sollte.

(Werner Kalinka [CDU]: Was ist ein Denk- gebot?)

Man darf in Deutschland über alles reden. Die Behauptung, man dürfe das nicht, ist bigott, sie ist antidemokratisch und auch wirklich falsch.

Ich glaube im Übrigen, dass wir nicht so tun sollten, als seien uns die Probleme nicht bekannt. Über

Schleswig-Holsteinischer Landtag (17. WP) - 60. Sitzung - Donnerstag, 6. Oktober 2011 5149

(Dr. Ralf Stegner)

Jugendkriminalität haben übrigens schon die alten Römer diskutiert, allerdings nicht in der Weise teilweise jedenfalls -, wie wir das aus Wahlkämpfen kennen. Ich darf an Roland Koch und an das erinnern, was man damals im Kontext der Jugendkriminalität fälschlicherweise verbreitet hat. Das dient dazu, Vorurteile zu schüren. Das ist falsch.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf reale Probleme muss man so reagieren, dass man sich ihrer annimmt. Natürlich gibt es in Kiel-Gaarden oder in Elmshorn-Hainholz oder in Lübeck-Moisling oder im Vicelinviertel in Neumünster reale Probleme. Aber die löse ich nicht mit Ausgrenzung oder mit härteren Strafen oder ähnlichen Dingen, sondern mit gezielten Programmen wie der Sozialen Stadt oder mit der Eröffnung von Ausbildungschancen, mit all den Dingen, bei denen Sie kürzen wollen und bei denen wir eigentlich mehr tun müssten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Natürlich ist eine 4.000 Jahre alte Religion wie der Islam im Kern nicht demokratisch, aber welche Religion ist das schon? Da könnte man auch zum Vatikan kritische Anmerkungen machen. Aber mit Kampagnen wie die des „Spiegels“ nach dem Motto: Wir schützen die offene Gesellschaft gegen die böse Überfremdung und die intoleranten Fremden, läuft man Gefahr, Brandstifter zu werden. Der Kabarettist Hagen Rether hat völlig recht, wenn er sagt: Wir fühlen uns doch in unserem Alltagsleben nicht ernsthaft von Überfremdung oder ähnlichen Dingen bedroht. Das schürt Ängste. Das ist falsch.

In diesem Kontext haben wir auch Verantwortung, was unsere Sprache angeht. Leider ist es so, dass der Zugang zur Macht für Rechtspopulisten möglich ist. Denn im Gegensatz zu den Rechtsextremen gibt es keinen parteiübergreifenden Konsens. Ich erinnere daran, dass ein Ganove wie Herr Schill in Hamburg eben doch einer Regierung angehörte, unterstützt von CDU und FDP. Er ist ein klassischer Rechtspopulist, der - Gott sei Dank - in der Versenkung verschwunden ist.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

- Ja, ich stehe zu dem Wort. Meiner Meinung nach ist es so. Herr Kollege Arp, Sie können es anders sehen. Ich finde, dass er ein Ganove ist, und das sage ich hier auch.

Wir sind sehr froh, dass die dänische Regierung jetzt ganz andere Signale gegeben hat, als es bis vor Kurzem der Fall war, als man sich in Dänemark noch auf Rechtspopulisten gestützt hat.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Für Sozialdemokraten ist eine solche Haltung, wie sie dort zum Ausdruck kommt, unerträglich, weil sie unseren fundamentalen Werten, von Toleranz, von Verständigung, von Solidarität und auch von Gemeinwohl widerspricht. Gemeinwohl heißt eben auch, dass man sich für Dinge einsetzt, wenn sie schwierig sind.

Die Sozialdemokraten in Norwegen waren auch deswegen Ziel der Anschläge - und das kann man in den Papieren des Attentäters Breivik nachlesen -, weil sie eben nicht auf Ausgrenzung setzen, weil sie eben nicht solchen Dingen einfach freien Lauf lassen wollen. Die Reaktion des norwegischen Ministerpräsidenten Stoltenberg ist vorbildlich. Er sagte: Unsere Antwort bleibt, dass wir bei Toleranz und offener Gesellschaft bleiben und uns eben nicht locken lassen. - Daran sollten sich andere ein Beispiel nehmen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Ich freue mich, dass jetzt auch andere Fraktionen des Landtags unsere sozialdemokratischen Jugendverbände in Norwegen besuchen. Wir machen diese Jugendcamps weltweit, und sie stehen für eine Erziehung junger Menschen für Toleranz und Völkerverständigung in der ganzen Welt. Das machen wir jedes Jahr, auch in Schleswig-Holstein. Darauf sind wir stolz.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen über reale Lösungen statt über Scheinlösungen reden. Wir müssen den jungen Menschen und denen, die sich ausgegrenzt fühlen, mit einer aktiven Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik Perspektiven bieten. In diesem Bereich sollte man eben nicht kürzen. Wir brauchen für die Menschen Sicherheit. Wer ihnen nicht gute Arbeit gibt, von der sie leben können, wer nicht eine auskömmliche soziale Sicherung anbietet, sondern stattdessen auf Dinge setzt, bei denen es sich nur der leisten kann, ordentlich behandelt zu werden, der das entsprechende Einkommen hat, der sorgt dafür, dass die Spannungen und die Spaltung zwischen Arm und Reich zunehmen und dass mehr und mehr Teile der Bevölkerung Angst vor dem Abstieg haben. Das ist der Kern. Wir kennen das auch aus der Ge

(Dr. Ralf Stegner)

schichte: Angst vor dem Abstieg - Angst wählt rechts. Das ist das Problem. Deswegen muss es eine andere Antwort geben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Wir müssen weg vom Marktradikalismus, wir müssen hin zu Gemeinwohl statt Eigennutz. Das ist unsere Aufgabe. Wir dürfen Menschen nicht ausgrenzen, auch nicht in unserem Bildungssystem. Kein Kind darf zurückgelassen werden, ob deutsch oder nicht deutsch, ob alleinerziehende Mutter oder in welchen Verhältnissen auch immer. Das ist unser Auftrag. Das ist der praktischste Beitrag, den man leisten kann, um solche Dinge zu verhindern und die Demokratie zu stärken.