Protocol of the Session on January 27, 2012

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Erkrankt am heutigen Tag sind die Landtagsabgeordneten Klaus Klinckhamer, Birgit Herdejürgen, Dr. Marret Bohn, Ines Strehlau, Ranka Prante und Silke Hinrichsen. Wir wünschen ihnen von dieser Stelle aus gute Besserung.

(Beifall)

Beurlaubt für den heutigen Tag ist der Abgeordnete Jürgen Weber.

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich von den Plätzen)

Wir gedenken heute der Opfer des Nationalsozialismus, der Millionen von Verfolgten, Verschleppten und Ermordeten der Jahre zwischen 1933 und 1945. Wir tun dies in dem Bewusstsein, dass wir zwar an Vergangenes erinnern, aber die ideologischen Grundlagen der NS-Schreckensherrschaft bis heute nicht ganz aus der Welt verschwunden sind.

Wir mussten im letzten Jahr erfahren, dass ein rechtsradikales Terrornetzwerk seit Jahren unbehelligt mitten unter uns Mitbürger hat ermorden können. Nach bisherigen Erkenntnissen fielen elf Menschen den heimtückischen Anschlägen zum Opfer. Beschämend war dabei nicht allein die Tatsache, dass viele Verantwortliche, die wachsam hätten sein sollen, die Gefahr nicht erkannten. Beschämend war auch der Umgang von Teilen der Öffentlichkeit mit den Opfern und ihren Angehörigen.

Die Ermordeten wurden allein aufgrund ihrer Herkunft zu Opfern der Terroristen, aber auch die herabwürdigende, kriminalisierende und unerträgliche Bezeichnung der Taten als „Dönermorde“ wurde aus dem gleichen Grund gewählt. Die Herkunft der Opfer führte zu Vorverurteilungen, die darin gipfelten, dass aus Opfern letztlich Mitschuldige an ihrem eigenen Tod gemacht wurden.

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass unser Land auf über 60 Jahre einer stabilen demokratischen Rechtsordnung zurückblicken kann. Ich bin davon überzeugt, dass wir heute in einer ganz anderen Gesellschaft leben als noch vor 60 Jahren.

Deutschland ist ein demokratisches, weltoffenes und friedliches Land. Die Deutschen und mit ihnen

alle Europäerinnen und Europäer haben aus den schrecklichen Ereignissen des zweiten Weltkrieges und des Holocaust gelernt. Dieser Lernprozess ist jedoch nie abgeschlossen. Jede Generation muss ihn aufs Neue machen, und deshalb ist die Erinnerung an das Geschehene so wichtig.

Orte des Erinnerns sind die Gedenkstätten, die Orte des Verbrechens, mehr aber noch die Menschen, die noch unmittelbar erzählen können. Besonders eindrucksvoll hat uns das im Schleswig-Holsteinischen Landtag vor wenigen Wochen die über 90jährige Miriam Gillis-Carlebach geschildert. Als eine der wenigen Überlebenden ihrer vor 70 Jahren deportierten und ermordeten Familie durften wir Frau Gillis-Carlebach hier unter uns begrüßen. Diese unschätzbaren Zeugen der Verschleppung, Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen werden aber in absehbarer Zeit nicht mehr selbst berichten können. Deshalb verstehe ich unseren Auftrag, niemals zu vergessen, nicht allein als Verpflichtung gegenüber den Opfern der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, sondern auch als eine Verpflichtung den Überlebenden gegenüber. Ich bin mir sicher, dass ich im Schleswig-Holsteinischen Landtag alle Abgeordneten mit diesem Anliegen hinter mir weiß.

Wir wollen nun gemeinsam einen Moment innehalten und schweigend gedenken. - Ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Mittelstands

Gesetzentwurf der Fraktionen von SSW und SPD Drucksache 17/2183

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile für die SSW-Fraktion Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht überall, wo Tariftreue draufsteht, ist auch Tariftreue drin, habe ich vor einem halben Jahr in der Debatte zum Mittelstandförderungsgesetz gesagt. Denn das Gesetz reduziert sich in der Frage der Tariftreue auf die Regelungen, die im Arbeitnehmerentsendegesetz zusammengefasst sind.

Das ist aber bei Weitem nicht das Maximale, was sich herausholen ließe.

Da sich die Diskussion seinerzeit aber nicht nur um die Tariftreueregelung im Mittelstandsförderungsgesetz gedreht hat, machen wir heute gemeinsam mit der SPD-Fraktion den Versuch, doch noch zu einer inhaltlichen Diskussion über dieses wichtige Thema zu gelangen.

Faire Löhne für die Arbeitnehmer und Chancengleichheit für die Unternehmen sind nämlich immer noch Themen, die es verdient haben, hier im Landtag diskutiert zu werden. Das gilt umso mehr, weil die Anhörung zum Mittelstandsförderungsgesetz eindeutig zeigte, wie sehr die Tariftreue von der breiten Mehrheit der Anzuhörenden herbeigewünscht wurde. Es gibt somit einen übergreifenden Konsens, dass Tariftreue wichtig und notwendig ist, und es wird eine dringende Aufgabe, den tariftreuelosen Zustand in Schleswig-Holstein so schnell wie möglich zu beenden.

(Beifall bei SSW und SPD)

Es besteht ja die Möglichkeit, Bereiche mit in das Gesetz aufzunehmen, die nicht vom seinerzeitigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum niedersächsischen Vergabegesetz umfasst waren. Stellvertretend seien hier nur der ÖPNV und der SPNV genannt. Wir könnten hier immer noch die Tariftreue bezogen auf den Tariflohn und nicht auf irgendeinen Mindestlohn anwenden, meine Damen und Herren.

Das heißt, hier könnten wesentliche höhere Standards gelten. Betrachtet man, dass gerade wir als Land Schleswig-Holstein im SPNV in diesem Jahr damit beginnen werden, für das Netz West die Ausschreibung in die Wege zu leiten und wir ab 2014 das Netz Südholstein ausschreiben werden, haben wir einen enormen Zeitdruck, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die faire Löhne und fairen Wettbewerb ermöglicht.

Aber auch die Kommunen und ihre Unternehmen erhoffen sich eine Gesetzesgrundlage, um ihren ÖPNV fair ausschreiben zu können. Im ÖPNV gibt es Jahr für Jahr in den einzelnen Regionen des Landes Ausschreibungen, und auch hier ist der Druck groß, zumal in Zukunft die Regionalisierungsmittel gekürzt werden. Wer sich der Einführung der Tariftreue verschließt, handelt bewusst gegen die Interessen der Arbeitnehmer und der Unternehmen in diesem Land.

(Beifall bei SSW)

(Präsident Torsten Geerdts)

Weiter ist es auch möglich, regionale branchenspezifische Tariflöhne in Schleswig-Holstein für allgemeinverbindlich zu erklären und so die Tariftreue anwenden zu können. Aber die Landesregierung war bisher nicht bereit, im Sinne der Beschäftigten und der Unternehmen hier eine konzeptionelle Grundlage zu schaffen.

In den meisten Branchen wäre es kein Problem gewesen, mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften zu einer regionalen Lösung zu kommen. Das Engagement der Landesregierung war hierbei aber gleich null. Das ist umso schmerzlicher, weil schon im vorvergangenen Jahr durch uns eine Kompromisslösung, aufbauend auf das damals bestehende Tariftreuegesetz, in den Landtag eingebracht wurde und von der Mehrheit im Haus abgelehnt wurde. Das war bisher kein Ruhmesblatt für die Landesregierung, und wir geben ihr heute die Möglichkeit, diesen Fehler zu beheben.

Mit dem von SSW seinerzeit initiierten Tariftreuegesetz waren wir schon wesentlich weiter, als wir es mit dem derzeitigen Mittelstandsförderungsgesetz sind. Rückschritte sind bekanntermaßen etwas, was wir uns gar nicht leisten können. Deshalb suchen wir heute den Kompromiss mit Ihnen allen zusammen zum Wohle der Beschäftigten und der Unternehmen.

Wir haben hier bewusst auf Regelungen zu einem Mindestlohn oder auch zur Einführung von erweiterten Sozial- und Umweltstandards verzichtet, nicht, weil wir meinen, dass man dies nicht auch noch diskutieren könnte, sondern weil wir einen Gesetzentwurf vorlegen wollten, der - vor allem auch schnell - für alle der hier im Hause vertretenen Fraktionen auch tragbar sein sollte.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, gehen Sie in sich und setzen Sie sich gemeinsam mit uns dafür ein, dass das umgesetzt wird, was für die Menschen im Land wirklich wichtig ist! Sorgen Sie für faire Löhne und für saubere Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen° Nicht mehr, aber bitte auch nicht weniger.

(Beifall bei SSW und SPD)

Meine Damen und Herren, auf der Zuschauertribüne begrüße ich unsere Gäste. Das sind Schülerinnen und Schüler der Dahlmannschule aus Bad Segeberg sowie Auszubildende des Regionalen Bildungszentrums I in Kiel. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden Johannes Callsen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn in der Regierungszeit von SPD und Grünen in Schleswig-Holstein 170.00 Menschen arbeitslos waren und die Zahl der Arbeitslosen unter der CDU-geführten Regierung auf unter 100.000 gesenkt wurde, so ist das ein großer Erfolg für die Menschen in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der CDU)

70.000 ehemals Arbeitslose neu im Arbeitsmarkt, 70.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze wurden seit 2005 geschaffen, und 70.000 Menschen in diesem Land haben wieder eine Perspektive. Es waren engagierte mittelständische Unternehmen und eine erfolgreiche CDU-Wirtschaftspolitik, die die Grundlage für diese Entwicklung gelegt haben.

(Beifall bei der CDU)

Auch die Zahlen des viel kritisierten Niedriglohnsektors muss man sich sehr genau ansehen. Schon 2005, also zu rot-grüner Regierungszeit, lag die Zahl der Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnsektor, also Beschäftigte mit monatlich weniger als 1.800 € brutto, bei einem Viertel der Vollzeitbeschäftigten. Bei den Minijobs hat Schleswig-Holstein mit einer Quote von 85,39 geringfügig Beschäftigten je 1.000 Einwohner die geringste Quote unter den westdeutschen Flächenländern.

Gleichwohl gilt für die CDU in Schleswig-Holstein der Grundsatz, dass Menschen von ihrem Arbeitseinkommen leben können sollen. Dies war auch ein wesentlicher Grund, warum wir 2006 den ÖPNV in das Tariftreuegesetz des Landes übernommen haben. Wir haben die Tariftreueverpflichtung nach dem Rüffert-Urteil EU-konform in das Mittelstandsförderungsgesetz übernommen. Dies ist der rechtliche Spielraum, den wir als Landesgesetzgeber haben, nämlich dort, wo Mindestlohnverpflichtungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz vorgegeben sind.

Auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig haben wir eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen gefordert, in denen ein tariflich festgelegter Lohn nicht existiert. Diese Lohnuntergrenze soll durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt werden und sich an den für allgemein verbindlich erklärten tariflichen Lohnuntergrenzen

(Lars Harms)

orientieren. Die Festlegung von Einzelheiten und weiteren Differenzierungen obliegt der Kommission. Wir wollen eine durch die Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und eben keinen politischen Mindestlohn.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU bekennt sich zu ihrer sozialen Verantwortung, sie bekennt sich aber auch zur Tarifautonomie und fordert die Tarifpartner auf, entsprechende verbindliche Lohnuntergrenzen zu verhandeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber das, was SPD und SSW uns hier heute mit ihrer Änderung des Mittelstandsförderungsgesetzes präsentieren, ist in Wirklichkeit alter Wein - alter Wein -,

(Andreas Beran [SPD]: Guter Wein!)