Uwe Schwarz
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Last Statements
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Mundlos, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Wir wissen, dass fast alle Eltern ihre Kinder lieben. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass laut UNICEF in Deutschland wöchentlich zwei bis drei Kinder an den Folgen von Misshandlungen und Gewaltanwendungen sterben. Laut Aussagen der Bundesfamilienministerin werden ungefähr 5 bis 10 % aller Kinder im Alter unter sechs Jahren vernachlässigt.
Als das Jugendhilferecht 1991 reformiert wurde, setzte man auf die Erziehungskompetenz der Eltern. Zum damaligen Zeitpunkt hat niemand ahnen können, dass wir es 16 Jahre später mit einer dramatisch angewachsenen Zahl von völlig überforderten Eltern oder Alleinerziehenden zu tun haben würden, und zwar völlig unabhängig vom Bildungsstand. Kevin, Jessica, Mehmet, Lea
Sophie - sie stehen stellvertretend für zwischenzeitlich unzählige Kinderschicksale bis hin zum Kindesmord. Wirksamer Kinderschutz beginnt für uns mit einklagbaren Kinderrechten in der Verfassung.
Dabei, meine Damen und Herren, ist es ganz klar, dass es hier einen Paradigmenwechsel geben muss: Kindeswohl muss auch in Deutschland und in unserer Landesverfassung vor den Elternwillen gestellt werden.
Genau das haben wir mit unserem Gesetzentwurf zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung Anfang dieses Jahres beantragt. Die Koalition hatte das während der Debatte hier zunächst abgelehnt. Nach öffentlichem Druck hat sie dann allerdings ein Staatsziel formuliert.
Nach einem ersten interfraktionellen Gespräch
- dazu haben wir wohl eine unterschiedliche Wahrnehmung; Frau Mundlos, Sie waren ja nicht dabei hatte es der Kollege Nacke übernommen, einen Kompromissvorschlag zu erarbeiten und den Fraktionen zuzuleiten. Darauf wartet die Opposition heute noch immer.
Stattdessen haben wir dann eine Pressemitteilung von Ihnen, Frau Mundlos, vom 5. Dezember zur Kenntnis genommen, in der Sie deutlich gemacht haben, dass Sie gar keine Einigung anstreben, sondern das Thema erst einmal im Wahlkampf bearbeiten wollen. Im Übrigen habe ich gerade heute gesehen, dass die CDU/CSU-Fraktion auf Bundesebene zurzeit die einzige Fraktion ist, die sich querstellt, wenn es um eine Verfassungsänderung zum Thema Kindesschutz auf der Bundesebene geht.
Der Kinderschutzbund hat gestern allen Fraktionen mitgeteilt - ich zitiere -: Eine reine Proklamation, wie von der Landesregierung befürwortet, wird vom Kinderschutzbund von allen uns bekannten Experten als unzulänglich abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich bin mir ganz sicher: Genau wie bei der jahrzehntelangen Debatte zum Nichtraucherschutz ist die Zeit für individuelle Kinderrechte überfällig. In einigen Landesverfassungen ist sie bereits enthalten. Ich prophezeie: Genauso wird es auch hier in Niedersachsen kommen. Wir werden jedenfalls mit Nachdruck dafür kämpfen, meine Damen und Herren.
Wir haben fast wöchentlich neue erschütternde Kinderschicksale. Allein in den letzten zwei Wochen zuerst drei tote Babys in Plauen, dann fünf ermordete Jungs in Schleswig-Holstein. Jedes Mal setzt der gleiche Reflex ein. Alle sehen auf allen Ebenen dringenden Handlungsbedarf. Im Kern
passiert aber seit zwei Jahren kaum etwas.
Der Sozialausschuss unseres Landtages hatte im April 2006 u. a. Finnland besucht. Dort gibt es engmaschige Kindervorsorgeprogramme, dort gibt es engmaschige Kinderschutzprogramme. Auf
diesen Erkenntnissen aufbauend, hatte die SPDFraktion ihr Programm „Kinder schützen - Kinder fördern“ mit einem Gesamtvolumen von 20 Millionen Euro erarbeitet und hier in das Parlament eingebracht. Außerdem waren ergänzende Gesetzentwürfe eingebracht worden, um z. B. das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst zu ändern.
Die SPD will, dass endlich jede Ebene in ihrem Zuständigkeitsbereich die mögliche Verantwortung übernimmt.
Meine Damen und Herren, wir haben sehr, sehr viele Kompetenzen in Deutschland, wenn es um die Frage von Kinder- und Jugendschutz geht. Es gibt aber das Problem, dass diese Kompetenzen im Zweifel im Kompetenzgerangel gegeneinander arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kompetenzen gebündelt werden, und zwar zum Wohle der Kinder.
Ich gebe Ihnen auch recht, Frau Mundlos, dass nach Meinung aller Experten ein Maßnahmenbündel für besseren Kinderschutz dringend notwendig ist. Das ist vor allem, wirklich vor allem und zuallererst aufsuchende Familienhilfe, noch einmal aufsuchende Familienhilfe und noch einmal aufsuchende Familienhilfe. Dann kommen mit größerem Abstand flankierende engmaschige Kindervorsorgeuntersuchungen, zusammengefasste Hilfe- und Beratungsangebote in Familienzentren und eine effektive Gesundheitsberichterstattung.
Laut Professor Pfeiffer, der allen hier im Haus bekannt ist, müssen Familienhilfen, wenn sie denn wirkungsvoll sein sollen, spätestens mit dem vierten Schwangerschaftsmonat einsetzen und bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr gewährleistet sein, weil nach seinen kriminologischen Forschungen insbesondere im zweiten Lebensjahr überwiegend Kindesmisshandlungen stattfinden; das hat etwas mit der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder in diesem Lebensalter zu tun.
Als Niedersachsen 2001 unter Frau Dr. Trauernicht das Modell der Familienhebammen eingeführt hat, war Niedersachsen damit bundesweit Vorreiter.
Frau Ross-Luttmann, Sie betonen immer, dass Sie diesen Ansatz für richtig halten. In der Hinsicht trennt uns ja nichts. Aber wenn das so ist, dann verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie die ganze Verantwortung in der Frage, ob es Familienhebammen gibt oder nicht, ausschließlich den Kommunen und deren finanzieller Leistungsfähigkeit zuschieben. Das kann nicht in Ordnung sein, meine Damen und Herren.
Diese Landesregierung gibt für Familienhebammen ganze 70 000 Euro aus. Das funktioniert nicht! Wir sagen Ihnen: Wenn wir das ernst mei
nen, dann müssen wir Familienhebammen über den Landeshaushalt finanzieren. Genau das haben wir in unserem Programm getan, das durchfinanziert ist.
Ich will noch auf einen zweiten Punkt hinweisen. Wir haben eigentlich überhaupt keine Datenlage dazu, was die Situation der Kindergesundheit in Niedersachsen betrifft. Auf eine Anfrage der jetzigen Regierungskoalition vom November 2003 hat die Landesregierung das bestätigt und mitgeteilt, man müsste gezielter Daten auswerten, man
müsste Daten besser zusammenführen, und man müsste diese Daten transparenter machen. Das Sozialministerium hat daraufhin eine Arbeitsgruppe unter der Überschrift „Neuordnung der Gesundheitsberichterstattung“ eingerichtet. Das war 2003.
Die Legislaturperiode ist zu Ende. Ich frage, Frau Ministerin: Wo sind die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe? Wo sind sie vorgelegt worden? Und vor allem: Wo und wann werden sie umgesetzt? - Das Ergebnis ist: Fehlanzeige, komplette Fehlanzeige nach fünf Jahren angeblicher interministerieller Arbeitsgruppe.
Dann hat es am 12. Mai 2005 eine Jugendministerkonferenz gegeben, ein ganzes Jahr später, im Mai 2006 wiederum. Mit der Stimme Niedersachsens sind dort drei Punkte beschlossen worden, die unsere volle Zustimmung haben: erstens Aktivierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes für aufsuchende Vorsorgeangebote für Kinder, zweitens Konzepte einer flächendeckenden Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugendhilfe und dem öffentlichen Gesundheitsdienst, drittens Festlegung kinderspezifischer Standards medizinischer Vorsorgeleistung.
Dort haben Sie zugestimmt. Ich sage Ihnen: Keiner dieser drei Punkte ist in Niedersachsen auch nur angegangen bzw. umgesetzt worden, meine Damen und Herren.
Es geht so weiter. Das habe ich schon gestern gesagt. Ich sage das wirklich ohne Schärfe. Vor einem Jahr waren wir uns einig, dass eine so simple Maßnahme wie ein 24-Stunden-Kindernotruftelefon, dass Kinder, die wirklich in Sorge sind, die Angst haben, völlig unbürokratisch anrufen - mit
einer ganz simplen, möglichst dreistelligen Nummer - und Hilfe bekommen können. Sie haben das zugesagt und versprochen. Zwölf Monate später ist es nicht möglich gewesen, selbst eine solche Kleinigkeit wie ein Kindernotruftelefon in Niedersachsen zu installieren. Das kann doch nicht sein, meine Damen und Herren!
Sie haben vor einem Jahr die erste Kinderschutzkonferenz durchgeführt. Das haben wir begrüßt. Sie haben im Anschluss an diese Kinderschutzkonferenz erklärt, Sie sehen die Notwendigkeit von Kindervorsorgeuntersuchungen und verbindlicheren Einladungen. Ein halbes Jahr später haben Sie die zweite Kinderschutzkonferenz durchgeführt.
Sie haben daraufhin erklärt, Sie sehen die Notwendigkeit von Kindervorsorgeuntersuchungen
und verbindlicheren Einladungen. Am 29. November, vor wenigen Tagen, nach wiederum misshandelten Kindern, haben Sie erklärt, Sie sehen die Notwendigkeit von Kindervorsorgeuntersuchungen und verbindlicheren Einladungen. Verdammt noch mal, Sie haben doch die Mehrheit in diesem Haus! Erklären Sie doch nicht immer das Gleiche, übrigens zwischenzeitlich mit fast den gleichen Satzbausteinen! Machen Sie es doch einfach einmal mit Ihrer Mehrheit, meine Damen und Herren!
Sie haben unsere Anträge im Ausschuss zwei Jahre lang wirklich ausgesessen. Sie haben da, wie ich finde, einen massiven Vertrauensbruch begangen, weil die Atmosphäre dort eigentlich gut und auch bei diesem Thema sehr kooperativ war. Sie haben uns von Sitzung zu Sitzung mitgeteilt: Wir wollen einen gemeinsamen Antrag, wir legen einen Änderungsantrag vor. - Sie haben das nicht getan. Stattdessen kommen Sie heute sozusagen von hinten durch die Küche, entziehen sich der Beratung Ihres Antrages im Fachausschuss und wollen hier eine sofortige Abstimmung. Das ist doch kein Stil! Warum sind Sie denn nicht in der Lage, innerhalb von zweieinhalb Jahren eine fachlich-inhaltliche Auseinandersetzung zu führen?
Wieso haben Sie es nötig, sich der zu entziehen? Ich finde das nicht in Ordnung. Das machen wir übrigens auch nicht mit, meine Damen und Herren.
Frau Ross-Luttmann hat jetzt ein Verfahren vorgeschlagen, das von den meisten Fachleuten als datenschutzrechtlich bedenklich eingestuft wird
und im Übrigen große Probleme mit der Konnexität beinhalten wird. Sie wollen jedes Jahr 350 000 Kinder durch eine anonyme Landesbehörde einladen lassen, vorausgesetzt, die Kommunen geben Ihnen die Daten kostenlos. Dann erwarten Sie, dass die Kinderärzte Ihnen kostenlos Rückmeldungen geben. Die Kinder, die nicht kommen, werden ein zweites Mal eingeladen. Die Adressen der Kinder, von denen das Landesgesundheitsamt dann aus irgendwelchen Gründen noch immer keine Rückmeldung hat, werden dann den örtlichen Jugendämtern vor die Tür gelegt. Die kommunalen Spitzenverbände haben Ihnen erklärt, dass sie davon ausgehen, dass das bis zu
70 000 Adressen sein könnten. Einmal unterstellt, die hätten unrecht und die unterste Marge würde stimmen - dann reden wir über 5 % aller Adressen. Das bedeutet, jedes Jugendamt in Niedersachsen bekommt nach Ihrer Methode 200 bis 300 Adressen im Jahr vor die Tür gelegt, und Sie überlassen es den Jugendämtern, was sie damit machen. Meine Damen und Herren, das sind schon heute völlig überforderte Ämter. Die wissen überhaupt nicht mehr, wie sie in diesen Fragen vor Ort tätig werden sollen. Und Sie kommen daher und sagen ohne Berücksichtigung der Konnexität: Klärt einmal, was ihr mit diesen Adressen macht! Wenn nicht, könnt ihr sie auch liegen lassen. - Das können die Jugendämter aber nicht, weil sie sich dann der Gefährdung des Kindeswohles schuldig machen würden.
Darüber hinaus machen Sie diese Eltern zu potenziellen Kindeswohl-Straftätern. Das kann es doch nicht sein! Sie können doch nicht 99 % der Eltern, die nichts gemacht haben, unter Verdacht nehmen, als hätten sie eine Kindeswohlgefährdung begangen.
Dieses Verfahren ist zum Scheitern verurteilt. Sie wissen das auch. Sie haben zahlreiche Gespräche mit Fachleuten geführt. Ich weiß, wie die darüber geredet haben.
Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen etwas anderes vorgeschlagen, um das zu umgehen. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, den öffentlichen Gesundheitsdienst zu nutzen, weil das erstens das Vertrauensverhältnis zwischen Kinderarzt und
Eltern nicht belastet, weil zweitens gut ausgebildete Kinderärzte benötigt werden, die Misshandlungen und Gewaltanwendungen erkennen können, und weil drittens der öffentliche Gesundheitsdienst
bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung relativ unkompliziert das eigene Jugendamt einschalten kann. All dies haben Sie bisher abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum
Schluss.
In fast allen Bundesländern ist zwischenzeitlich entweder ein Landesgesetz verabschiedet worden, oder es befindet sich in den Beratungen. Mit Ihrer wirklich zögerlichen Unentschlossenheit, Frau
Ministerin, haben Sie Niedersachsen in Sachen Kinderschutz zum Schlusslicht gemacht.
Es wird höchste Zeit, dass das mit Beginn der nächsten Legislaturperiode in diesem Land geändert wird. Das ist absolut überfällig, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will das nur aufklären, Frau Meißner, weil es sonst immer wieder passiert. Die Frage des verbindlichen Einladungswesens als alleinige Maßnahme hat weder der Deutsche Bundestag noch die SPD favorisiert. Wenn Sie richtig lesen - ich habe auch die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Beschlüssen des Bundesrates -, dann werden Sie dort immer den Hinweis finden, dass der öffentliche Gesundheitsdienst einzubeziehen ist und dass man das möglichst über den öffentlichen Gesundheitsdienst regelt. Ich lese Ihnen die Stellungnahme der Bundesregierung vor:
„… kann die Einführung eines um Rückmeldemechanismen ergänzten
Einladungswesens Anhaltspunkte für helfende Interventionen der Kinderund Jugendhilfe bzw. des öffentlichen Gesundheitsdienstes liefern.“
Die Bundesregierung hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das über das SGB V - wie Sie zu Recht gesagt haben - aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Deshalb sagen wir: Wir müssen und können es selbst regeln. Das geht nur mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst. Dann trifft
all das nicht zu, was Sie hier eben an die Wand gemalt haben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so, wie Sie, Frau Ministerin, es beschrieben haben. In der Sache gibt es offensichtlich schon seit zwei Jahren ganz wenig Dissens. Das Problem ist nur - Sie haben eben selbst das Programm von Herrn Beck angesprochen -, dass Herr Beck in seinen sieben Punkten auch auf den öffentlichen Gesundheitsdienst hingewiesen hat. Nun will ich mit Ihnen darüber gar nicht streiten. Ich habe ein ganz anderes Problem: Sie machen seit zwei Jahren Server, Broschüren und Pressemitteilungen. Das hilft in der Tat keinem einzigen Kind. Wenn Sie nur einen einzigen Punkt von den Punkten, die Sie hier selber für richtig erklärt ha
ben, in Niedersachsen umsetzen würden, wären wir schon weiter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allen Gegensätzen richte ich zu Beginn meinen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums. Auch in diesem Jahr haben wir die erbetenen Unterlagen im Rahmen der Haushaltsberatungen sehr prompt bekommen. Traditionell gehört auch eine gute Arbeitsmappe dazu. Das ist so nicht überall üblich. Dafür meinen herzlichen Dank. Ich hoffe, das wird auch in den nächsten Jahren so sein.
Wir wissen, soziale Gerechtigkeit und Solidarität zwischen Starken und Schwachen sind nicht nur eine moralische Verpflichtung. Vielmehr haben sie den sozialen Frieden in unserem Land seit Jahrzehnten maßgeblich geprägt und gesichert. Wir werden alles daransetzen, dass das auch so bleibt, meine Damen und Herren. Für Herrn Wulff & Co. hingegen war die Sozialpolitik viereinhalb Jahre lang die Spardose des Landes oder, wie Herr Jüttner gestern gesagt hat, die Abbruchstelle: Privatisierung der Landeskrankenhäuser, Zer
schlagung des Landesjugendamtes, Streichung
des Pflegewohngeldes, Abschaffung des Landesblindengeldes, Nullrunden in der Behindertenhilfe all dies ist nicht vergessen. Wir werden auch dafür sorgen, dass es nicht vergessen wird, meine Damen und Herren.
Es soll niemand glauben, dass sich der Ministerpräsident inhaltlich bei dieser Politik geändert hat. Wir stellen lediglich fest, dass er aus wahltaktischen Gründen seit einigen Monaten weichgespült durch die Sozialpolitik geht. Spätestens nach dem 27. Januar gäbe es dann wieder den alten Wulff. Unsere Aufgabe ist es, dies zu verhindern, meine Damen und Herren.
Ich will Ihnen das belegen. Ein Blick in den Sozialhaushalt bestätigt: Während seit einigen Monaten die Landesregierung in allen anderen Ressorts mit dem Geld nur so um sich schmeißt, bekam der
Sozialhaushalt beim Nachtragsetat 2007 keinen einzigen Euro ab.
Von der globalen Minderausgabe im Gesamthaushalt in Höhe von 88 Millionen Euro muss allein der Sozialetat 33 % erwirtschaften, d. h. den von Ihnen vollmundig gefeierten Wahlgeschenken im Sozialbereich in Höhe von 800 000 Euro steht im gleichen Etat eine globale Kürzung in Höhe von 29 Millionen Euro gegenüber. Das, meine Damen und Herren, ist der plumpe Versuch einer dreisten Täuschung der Öffentlichkeit.
Auf diese Art und Weise haben Sie 2006 im Sozialbereich 37,5 Millionen Euro rückwirkend gestrichen, 2007 werden es 30 Millionen Euro sein. Ich will Ihnen nur sagen, wo Sie 2006 still und heimlich mit rückwirkenden Kürzungen zugeschlagen haben: 2 Millionen Euro in der Sozialhilfe, 6 Millionen Euro in der Jugendhilfe, 14 Millionen Euro im Wohnungsbau und 12 Millionen Euro bei Blindenhilfe und Blindenfonds. Wenn wir die Sozialministerin bitten würden, uns das einmal zu erklären, würde sie sich vermutlich wieder in Ahnungslosigkeit wähnen, meine Damen und Herren. Diese Politik der sozialen Kälte gilt es in Niedersachsen endlich zu beenden.
Wir wollen, dass partnerschaftliche Sozialpolitik keine Worthülse mehr bleibt. Zwei Krisengipfel der Wohlfahrtsverbände gegen diese Landesregierung sind genug. Wer bei Wohlfahrtsverbänden erst 25 % der Mittel kürzt, um sich dann vor der Wahl für 5 % Nachschlag feiern zu lassen, ist schlicht und einfach unredlich und ein politischer Scharlatan zugleich.
Gemeinsam mit den Partnern der Wohlfahrts- und Sozialverbände, Kirchen, Gewerkschaften und
Selbsthilfegruppen muss es in der nächsten Legislaturperiode Aufgabe sein, das soziale Niedersachsen wieder weiter nach vorne zu entwickeln. Wir freuen uns auf diese Aufgabe, meine Damen und Herren.
1,2 Millionen Niedersachsen - das ist jeder Siebte, vor allem aber jedes vierte Kind - gelten in Niedersachsen nach den WHO-Kriterien zwischenzeitlich als arm. Arm zu sein heißt nicht nur, weniger Geld zu haben, sondern auch von Lebens-, Bildungsund Gesundheitschancen teilweise ausgeschlossen zu sein. Armut hat allerdings darüber hinaus in Niedersachsen zusehends ein Kindergesicht - eine Situation und Ausgangslage, die wir auf keinen Fall akzeptieren wollen.
Wir wollen in eigener Verantwortung endlich den von Ihnen fünf Jahre lang strikt verweigerten Armutsbericht. Wir wollen diesen regelmäßig vorlegen, um ihn dann mit der Armutskonferenz zu beraten, und dann Lösungsmöglichkeiten suchen. Wir wollen eine eigene Kinderbemessung bei den Regelsätzen und keine Anlehnung an die der Erwachsenen. Dazu ist eine Bundesratsinitiative
notwendig. Wir wollen ferner einen Sozialfonds in Höhe von 6 Millionen Euro, mit dem unbürokratisch für finanzschwache Elternhäuser das Essen in der Schule, die Lernmittel und die Schülerbeförderung gesichert werden können.
Meine Damen und Herren, als wir dies am
13. September im Parlament beantragt haben, hat der Kultusminister - ich formuliere das einmal so in meine Richtung erheblich herumgepöbelt. Er hat nicht nur darauf hingewiesen, dass er über diesen Sachverhalt keinerlei Daten zur Verfügung habe. Er hat mir gleichzeitig vorgeworfen, ich leide an Amnesie und Wahrnehmungsstörungen und könne ja wohl nicht den Eindruck vermitteln, als hätten wir in diesem Land Heerscharen von hungernden Kindern in der Schule.
Zwei Monate später stellt dieser Kultusminister in einer Pressemitteilung seines Hauses fest: In Niedersachsen gibt es zurzeit allein an Ganztagsschulen 32 000 betroffene Schülerinnen und Schüler. Meine Damen und Herren, ich finde, Herr Busemann, Sie sollten sich für die Angriffe, die Sie vorher gefahren haben, entschuldigen.
Nun hat Herr McAllister hier gestern gesagt, Sie nähmen Kinderarmut sehr ernst. Ich will Ihnen einmal sagen, was Ihr 3-Millionen-Euro-Fonds
bedeutet. Herr Busemann stellt in seiner Pressemitteilung fest, dass das Essen in Ganztagsschu
len - - - Wir reden nicht von Gymnasien, in denen auch eine Essensspeisung gegeben wird und
nachmittags Kursangebote vorhanden sind. Die kommunalen Spitzenverbände reden im Übrigen nicht von 32 000, sondern von 90 000 betroffenen Kindern; aber ich unterstelle einmal, Ihre Zahlen wären die absolute Obergrenze. Sie stellen in Ihrer eigenen Pressemitteilung fest: Das Essen kostet 2,50 Euro. Davon werden aus dem Warenkorb der Sozialhilfe 1,03 Euro finanziert. Damit bleibt für die betroffenen Eltern und ihre Kinder eine Finanzierungslücke von 1,47 Euro. Wenn Sie Ihre 3 Millionen Euro auf 32 000 Kinder herunterbrechen, dann sind das 35 Cent pro Kind. Es bleibt dann immer noch eine Lücke von 1,12 Euro. Meine Damen und Herren, Kinderarmut und dieses Problem ernster zu nehmen - das sieht wirklich anders aus!
Ich füge in aller Sachlichkeit, aber auch Deutlichkeit hinzu: Eine Regierung, die Lernmittelfreiheit und Hausaufgabenhilfe abgeschafft hat, hat für diesen Personenkreis maßgeblich zur Steigerung der Kinderarmut beigetragen.
Wenn wir schon dabei sind: 1,4 Millionen Menschen arbeiten zwischenzeitlich in Vollzeit - diese Zahl hat sich in den letzten Monaten fast verdoppelt - und brauchen ergänzende Sozialhilfeleistungen. Das ist erniedrigend und entwürdigend für diese Menschen. Dies bedeutet in der Folge aber auch niedrigere Renten und vorprogrammierte
Altersarmut.
- Weil das eben nicht nur für Niedersachsen gilt, fordere ich Sie auf, Ihren Kampf gegen Mindestlöhne endlich aufzugeben, meine Damen und Herren!
- Das will ich Ihnen sagen: Es gibt keine menschliche Arbeit, Herr Thiele, die so wenig Wert ist, dass sie unter Sozialhilfeniveau bezahlt werden kann.
Wenn Sie die Lohndumpingspirale nach unten als Wettbewerb verstehen, dann sind Sie auf dem
Weg in frühkapitalistische Züge, aber voll gegen die Interessen dieser Menschen, meine Damen und Herren. Das werden wir bis zur letzten Minute bekämpfen, und diesen Kampf werden wir gewinnen!
Ich will Ihnen sagen, was es gibt: Es gibt Spitzengehälter, die jenseits jeder Anstandsgrenze liegen.
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Einbindung der aktiven Älteren auf allen gesellschaftlichen Ebenen und flächendeckende Seniorenvertretungen. Für uns ist darüber hinaus nicht zu akzeptieren, dass Ältere bei Banken, bei Versicherungen und im Gesundheitswesen, vor allem aber im Arbeitsleben diskriminiert werden. Deshalb
wollen die Sozialdemokraten ein Landesprogramm zur Bekämpfung der Altersdiskriminierung in Höhe von 1,4 Millionen Euro ab 2008.
Meine Damen und Herren, der Landespflegebericht dieser Regierung sagt einen Anstieg der Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Niedersachsen von 220 000 auf 263 000 in den nächsten zehn Jahren voraus. Diese Regierung reagiert seit zwei Jahren auf ihren eigenen Bericht nicht, und sie provoziert durch ihre Untätigkeit einen drohenden Pflegenotstand. Die gesamten Landesmittel für Pflegewohngeld wurden 2005 gestrichen. CDU und FDP haben damit mindestens 12 000 Pflegebedürftige zusätzlich in die Sozialhilfe gedrängt. Pflegebedürftige werden in einigen Landkreisen aus Kostengründen nunmehr in Mehrbettzimmern untergebracht. Eine solche Politik führt dazu, dass den Menschen im letzten Lebensabschnitt jede Privat- und Intimsphäre genommen wird. Das lehnen wir entschieden ab!
Es ist vor Kurzem darauf hingewiesen worden: Niedersachsen ist zwischenzeitlich bundesweites Schlusslicht in der Altenpflege. Das macht übrigens deutlich, dass allein das C im Namen noch keine Politik menschlicher Wärme und Nächstenliebe garantiert.
Wir müssen weg von zeitgetakteter Pflege, bei der menschliche Zuwendung auf der Strecke bleibt. Wir begrüßen den Kompromiss der Großen Koalition zur Reform der Pflegeversicherung. Jede und jeder, die oder der schon einmal mit dem plötzlichen Eintritt eines Pflegefalles konfrontiert worden ist, kennt die Hilflosigkeit in dieser Situation. Die geplante Einrichtung von trägerunabhängigen Pflegestützpunkten für schnelle Hilfe und Beratung ist deshalb nach unserer Überzeugung der richtige Weg. Dass die CDU auf Bundesebene an dieser Stelle den Kompromiss gerade wieder aufkündigt und die Einführung eines Pflegeurlaubs für Angehörige blockiert, ist im Interesse der Betroffenen völlig unakzeptabel.
Meine Damen und Herren, unverständlich ist mir auch, wieso die Sozialministerin dieses Landes gerade im aktuellen Haushalt ihre Mittel für Demenzkranke um eine halbe Million Euro kürzt. Gerade in diesem Bereich, bei dem wir uns seit Jahren einig sind, dass die Pflegeversicherung verstärkt werden muss, kürzt diese Landesregierung 500 000 Euro.
- Sie haben den eigenen Haushalt wohl nicht gelesen. - Auch an dieser Stelle klaffen Handeln und Reden wieder einmal meilenweit auseinander.
- Ich habe das schon verstanden. Da stehen minus 500 000 Euro. Sie können reden, was Sie wollen. Ich kann es Ihnen zeigen. Wenn Sie das bei den Haushaltsberatungen nicht merken, ist das nicht mein Problem.
Wir wollen das bisherige Heimgesetz durch ein Landespflegegesetzbuch ablösen, in dem alle Landesregelungen zusammengefasst werden. Die
SPD will darin neue Pflegeformen, eine Stärkung von betreutem Wohnen, Wohngemeinschaften und Servicehäuser ebenso absichern wie die Fachkräftequote und das Selbstbestimmungsrecht.
Meine Damen und Herren, qualifizierte Pflege kostet Geld, und sie benötigt vor allem ausreichend und gut ausgebildete Fachkräfte. Wenn der drohende Pflegekollaps in Niedersachsen noch ver
hindert werden soll, muss die Altenpflegeausbildung schnellstens modernisiert werden.
Anstatt der von Fachleuten unbestritten als notwendig bezeichneten 2 000 Pflegeschülerinnen
und Pflegeschüler wurden in den vergangenen Jahren nur noch 1 600 ausgebildet. Die ambulanten und die meisten privaten Einrichtungen entziehen sich ihrer Ausbildungsverpflichtung. Die SPD fordert deshalb, wie in Rheinland-Pfalz die Umlagefinanzierung der Altenpflegeausbildung unverzüglich wiedereinzuführen. Es kann nicht sein, dass Betriebe auch noch dafür belohnt werden und Wettbewerbsvorteile haben, wenn sie sich ihrer Ausbildungsverpflichtung entziehen.
Ich sage Ihnen noch eines: Angesichts des völlig unbestritten dringend notwendigen Nachwuchses ist es unmöglich, dass zwei Drittel der Altenpflegeschülerinnen und -schüler in Niedersachsen noch das Schulgeld mitbringen und selber 180 Euro auf den Tisch legen müssen. Dies werden wir ändern!
Wir wissen, dass der Beruf der Altenpflege ein hohes Einfühlungsvermögen, Sozialkompetenz
und Nächstenliebe erfordert und darüber hinaus ein sowohl körperlich als auch psychisch ausgesprochen schwerer Beruf ist.
Deshalb muss diese Tätigkeit endlich angemessen bezahlt werden. Ich sage Ihnen auch an dieser Stelle: Das Thema Mindestlohn, das Sie und insbesondere die FDP so nachhaltig bekämpfen, ist in der Pflege ein ernsthaftes Thema, lange überfällig. Wir müssen die Flucht aus Tarifverträgen und den Marsch in die Billigpflege endlich stoppen.
Meine Damen und Herren, Familienpolitik ist eine zentrale Zukunftsaufgabe. Darin stimmen sicherlich wir alle überein. Frauen und Männer haben gleichermaßen das Recht auf Verwirklichung ihrer Lebensentwürfe und auf selbstbestimmte Sicherung ihrer Existenz. Dies verpflichtet Land, Kom
munen, Verbände und Wirtschaft gleichermaßen, endlich familiengerechte Umwelt-, Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen.
Sie haben die Frauenbeauftragten in Niedersachsen weitgehend abgeschafft. Mit der vorgelegten Änderung des Gleichstellungsgesetzes wird Ihre Frauenpolitik auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduziert. Frauenförderpläne werden im
Entwurf konsequent gleich mit gestrichen.
Mit der Verabschiedung der sogenannten Herdprämie
oder des Betreuungsgeldes auf dem CDU-Parteitag ist die CDU in der Gleichberechtigungs- und Familienpolitik ohnehin wieder in der Adenauer-Ära angekommen. Herzlichen Glückwunsch!
Ich will noch einen Satz zu Ihrem Betreuungsgeld sagen. Wir reden darüber, wie wichtig es ist, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Familien möglichst früh Kinderbetreuung erfahren. Was Sie mit dem Betreuungsgeld machen, führt in Thüringen nachweislich dazu, dass exakt die Kinder, die es am nötigsten haben, von ihren Eltern abgemeldet werden, damit sie das Betreuungsgeld zu Hause einstecken können. Das ist ein wirksames Mittel nicht für, sondern gegen Kinderschutz! Allein deshalb sollten Sie die Finger davon lassen.
In dieses Bild passt übrigens auch der Umgang mit dem vor zwei Jahren hier einstimmig beschlossenen - ich wiederhole: einstimmig beschlossenen Antrag zur Stärkung der aktiven Vaterrolle. Die Regierung denkt gar nicht daran, diesen Antrag umzusetzen. Ich frage mich: Was ist das eigentlich für eine Selbstherrlichkeit und für ein Umgang mit diesem Parlament?
Frau Ministerin, es kann doch nicht sein, dass bei Ihnen Parlamentsbeschlüsse die Wirkung von Lottoscheinen haben: Der Landtag hat Glück, wenn seine Beschlüsse durch Ihr Ministerium gezogen werden. Ich finde, dies ist völlig unangemessen. Sie haben diesem Parlamentsbeschluss übrigens zugestimmt und sorgen jetzt dafür, dass er nicht
umgesetzt werden kann. Das ist nur noch skandalös.
Was wir vor allem brauchen, ist ein Qualifizierungs- und Beratungsprogramm für Frauen, um sicherzustellen, dass endlich auch qualifizierten Frauen tatsächlich Führungsfunktionen übertragen werden, ohne dass sie auf die Familie verzichten müssen. Das gilt sowohl für den öffentlichen Dienst als auch für die Privatwirtschaft.
Meine Damen und Herren, der Niedersächsische Landtag hatte das Jahr 2006 einstimmig zum Jahr der Jugend erklärt. Der Ministerpräsident kommt auf vielen Veranstaltungen gar nicht über das Schwärmen über seine Jugendpolitik hinweg. Zum krönenden Abschluss des Jahres der Jugend hat diese Regierung dann das Landesjugendamt und den Landesjugendhilfeausschuss aufgelöst.
Der Landesjugendring hat der Landesregierung vor wenigen Tagen in einem Schaubild den Spiegel ihrer Jugendpolitik der vergangenen fünf Jahre vorgehalten. Das macht deutlich: Sie haben die Mittel für Jugendliche in Niedersachsen in dieser Legislaturperiode um fast 4 Millionen Euro gekürzt. Allein für die Träger der Jugendhilfe wurden die Mittel um 75 % gekürzt. Die Mittel für den Kinderund Jugendplan in Höhe von 2,6 Millionen Euro, die wir jetzt dringend bräuchten, um mit früher Intervention in Krisenbereichen zu helfen, haben Sie komplett gestrichen, meine Damen und Herren.
Es fehlt an einem ganzheitlichen Konzept für die Jugendpolitik. Überörtliche Jugendhilfe findet in Niedersachsen nach Aussage aller Fachleute
überhaupt nicht mehr statt. Meine Damen und Herren, wir werden dafür zu sorgen haben, dass die Einheit der Jugendhilfe in Niedersachsen wiederhergestellt wird und dass vor allem die Arbeit des Landesjugendhilfeausschusses auf einer gesicherten Rechtsgrundlage geschieht.
Die Zahl der Aidserkrankungen steigt wieder an. Die Sorglosigkeit gegenüber Aidsinfektionen hat deutlich zugenommen. Deshalb ist es wichtig, gerade junge Menschen verstärkt über den Virus aufzuklären. Die SPD-Fraktion beantragt mit ihrem Haushaltsantrag erneut die Aufstockung der Mittel
auf 1,5 Millionen Euro, um sie schwerpunktmäßig für die Verstärkung der Aufklärungsarbeit in Schulen und bei Jugendlichen einzusetzen. Nicht nachvollziehen können wir, weshalb die Landesregierung die Mittel bei den Aidshilfen seit Beginn ihrer Amtszeit um über 500 000 Euro reduziert hat.
In der Behindertenhilfe steht seit geraumer Zeit fest, dass es einen stetig steigenden Bedarf an Ausbildungs- und Förderangeboten gibt. Das gegenwärtige Leistungs- und Vergütungssystem ist nicht mehr in der Lage, den Herausforderungen gerecht zu werden. Anstatt die Probleme entschieden anzupacken, hat die CDU/FDP-Koalition vier Jahre hintereinander den Einrichtungen der Behindertenhilfe die Übernahme der jährlichen Tarif- und Sachkostensteigerungen verweigert. Das ent
spricht einer faktischen Kürzung von mehr als 40 Millionen Euro.
- So nicht, Herr Kollege.
- Ich finde das ja gut. Das ist die Stelle, an der Sie sich immer erwischt fühlen, und zwar zu Recht, meine Damen und Herren.
Die Folgen sind Personalabbau, Qualitätsverlust, die Flucht aus Tarifverträgen und vor allem weniger Zeit für die Zuwendung gerade für Schwerstund Mehrfachbehinderte. Es bleibt auch unvergessen, wie diese Regierung durch die Streichung des Blindengeldes blinde Menschen zu Almosenempfängern machen wollte und wie sie erst nach jahrelangem massivem Druck der Behinderten als letztes Bundesland und im Übrigen sehr widerwillig kurz vor Toresschluss ein Behindertengleichstellungsgesetz beschlossen hat. Das war mehr die Angst vor der Landtagswahl als aus innerer Überzeugung, meine Damen und Herren.
- Das, was jetzt kommt, ist auch unglaublich.
In dieses Verhalten passt auch Ihre aktuelle Nummer bei der Frühförderung von mit Behinderung bedrohter Kinder. Ohne Not hat die Landesregierung ihre neutrale Vermittlungsrolle aufgegeben und sich einseitig auf die Seite der Kostenträger geschlagen.
- Das ist nicht meine Formulierung, was jetzt kommt. - Denn nach Aussagen der Paritäten in Niedersachsen bedeutet das für über 8 000 betroffene Kinder drastische Kürzungen, meine Damen und Herren. Ich sage Ihnen: Behinderte Menschen in diesem Land brauchen eine Regierung, in der sie im Zweifel nicht als finanzielle Kürzungsmasse des Finanzministers dienen, sondern eine Regierung, die ihre gleichberechtigte Teilhabe endlich wieder ernst nimmt. Sie tun das nicht, meine Damen und Herren.
Ich sage Ihnen auch: Wir brauchen in diesem Land keine Behindertenhilfe nach Kassenlage der jeweiligen Kommune. Deshalb lehnen wir Ihre stille Vorbereitung der Kommunalisierung der Behindertenhilfe entschieden ab.
Meine Damen und Herren, zurzeit schockieren immer neue Fälle von Kindesverwahrlosung die Öffentlichkeit. Darüber werden wir morgen intensiv debattieren. Heute nur so viel: Die SPD will, dass endlich jede staatliche Ebene in Niedersachsen in ihrem Zuständigkeitsbereich alle Möglichkeiten zur Verbesserung des Kindeswohls ausschöpft. Diese Landesregierung ist beim Thema Kinderschutz leider nur Vorreiterin bei Presseerklärungen. Ansonsten reduzieren Sie Ihre Aktivitäten seit zwei Jahren auf reine Symbolpolitik.
- Nein, das ist leider kein Quatsch. Ich kann sie Ihnen alle zeigen.
Es werden Hochglanzbroschüren herausgegeben, wobei sich Ihre Initiative darauf beschränkt, dass die Ministerin das Vorwort schreibt, und das ist es.
Zweieinhalb Jahre haben Sie alle parlamentarischen Initiativen der Opposition im Ausschuss auf Eis gelegt, um sie dann morgen abzulehnen.
- Wenn es Unsinn gewesen wäre, dann hätten Sie doch wenigstens die zweieinhalb Jahre genutzt, auch nur einen einzigen Alternativvorschlag in das Parlament einzubringen! Dann wären Sie glaubwürdig gewesen.
Sie sind noch nicht einmal in der Lage gewesen, das von Ihnen versprochene 24-Stunden
Notruftelefon - das ist im vorigen Jahr vollmundig verkündet worden - in Ihrem Ministerium zu schalten. Es ist desaströs, wie Sie mit diesem Thema umgehen.
- Das werden wir morgen intensiv ausdiskutieren. Wir haben eine 20-Millionen-Euro-Alternative unter der Überschrift „Kinder schützen - Kinder fördern“ vorgelegt.
Bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen eines nicht ersparen, weil das die Krönung ist: Die SPDRegierung hatte damit begonnen, Versorgungsstrukturen für schwerstkranke Kinder und deren Eltern in Niedersachsen aufzubauen.
Als Sie die Regierung übernommen haben, Frau Ministerin, standen dafür 1,6 Millionen Euro im Haushalt. Jetzt sind es noch 437 000 Euro. Mit dem jetzigen Haushalt kürzen Sie die Mittel erneut um 50 000 Euro. Das halte ich für ungeheuerlich.
Meine Damen und Herren, das Register Ihrer sozialpolitischen Tätigkeiten im Negativen ließe sich zwischenzeitlich fast unendlich fortsetzen. Die
jetzige Regierung und der jetzige Ministerpräsident haben jedenfalls nachhaltig bewiesen, dass sie nicht für soziale Gerechtigkeit und Solidarität stehen. Niedersachsen ist im letzten Jahr 60 Jahre alt geworden und davon mehr als 40 Jahre erfolgreich
von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten regiert worden.
Wir wollen das im nächsten Jahr fortsetzen, meine Damen und Herren, damit diese unsoziale Politik beendet wird und auch in Niedersachsen wieder Gerechtigkeit einkehren kann. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Mundlos, zwei Punkte:
Erster Punkt. Wir wollten eine flächendeckende Versorgung für schwerstkranke Kinder in stationären Einrichtungen. Wir verfügen über zwei Einrichtungen, nämlich über das Kinderhospiz Löwenherz in Syke und das Elternhaus für krebskranke Kinder in Göttingen. Diese Einrichtungen sind jedes Jahr auf satte sechsstellige Spendenbeträge angewiesen, damit sie ihre Arbeit aufrechterhalten können. Deshalb sagen Sie doch bitte nicht, Sie wüssten nicht, wie Sie das Geld loswerden sollen, das im Haushalt steht!
Wir wollten flächendeckend Kinderkrankenpflegedienste aufbauen. Das haben Sie gar nicht erst angefangen. Es gibt massenweise Punkte, die Sie umsetzen könnten. Sie machen es bloß nicht.
Zweiter Punkt: Sie haben zugegeben, dass die Mittel für Demenzkranke gekürzt würden. Diese Mittel sind von 1,5 Millionen auf 1 Million Euro heruntergefahren worden. In der Fußnote wird dann auf die Richtlinien des Landes verwiesen. Frau Mundlos, es gibt überhaupt keinen Grund, auf Bundesmittel zu warten. Sie können doch nicht immer sagen, Sie wollen für die Demenzkranken etwas tun, wenn Sie Ihre eigenen Richtlinien nicht aktivieren und stattdessen die Mittel kürzen. Es ist schlichtweg falsch, was Sie hier dargestellt haben, Frau Mundlos.
Frau Präsidenten! Meine Damen und Herren, die Lobhudelei der Koalition war so stark, dass sogar das Licht ausgefallen ist.
Noch in der alten Legislaturperiode, am 3. Dezember 2002, also vor gut fünf Jahren, hatte die damalige SPD-Landesregierung einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Rechte für Behinderte regeln sollte. Es verhält sich ein bisschen anders, als es hier dargestellt worden ist, also dass es sozusagen kurz vor Toresschluss war und das deshalb nicht habe gemacht werden können. Es gab sehr wohl Vorschläge, wie man das hätte umsetzen können. Es war die damalige CDU-Fraktion, die das abgelehnt hat und eine Beratung in den Ausschüssen blockiert hat - weil das Gesetz nicht vor der Landtagswahl verabschiedet werden sollte, meine Damen und Herren. Die Begründung war, der Gesetzentwurf sei nicht der große Wurf gewesen,
und nach der gewonnenen Landtagswahl werde man unverzüglich einen weitergehenden Gesetzentwurf vorlegen.
- Wir hatten damals noch einen etwas anderen Umgang als den, den Sie, Herr Böhlke, zwischenzeitlich in diesem Parlament eingeführt haben.
Was dann folgte, war beispiellos. Sie haben es geschafft, Ihrer bundesweit ohnehin stark beachteten Politik gegen Behinderte einen neuen Superlativ hinzuzufügen. Niedersachsen wurde das einzige Bundesland, in dem behinderten Menschen ein Gleichstellungsgesetz beharrlich verweigert wurde. Die mangelnde Einigungsfähigkeit der Landesregierung wurde offen auf dem Rücken der Behinderten ausgetragen. Es wurden Hoffnungen geweckt, dann wurden die Behinderten wieder hingehalten. Was bei anderen die jährlichen Neujahrsansprachen waren, kehrte bei Ihnen jährlich, vier Jahre lang, im April wieder. Es gab dann nämlich unverbindliche Zustandsbeschreibungen und Ankündigungen, wie es mit dem Gesetz weiterginge, wie der Stand gerade sei.
Die zuständige Sozialministerin hat in diesen vier Jahren, was die Durchsetzung des Behindertengesetzes betrifft, wie so oft in der Sozialpolitik in Niedersachsen nur eine Statistenrolle eingenommen. Das, was hier in der Sozialpolitik überhaupt beschlossen werden darf, bestimmt der Finanzminister oder im Zweifel der Ministerpräsident, aber nicht die Sozialministerin, meine Damen und Herren.
Dieser Umgang mit behinderten Menschen zieht sich wie ein schwarzer Faden durch diese Legislaturperiode und ist zu einem unverwechselbaren, aber unrühmlichen Markenzeichen Ihrer Sozialpolitik geworden.
Wir werden diesen Stil ändern, und wir werden mit veränderten Mehrheitsverhältnissen nach der
Landtagswahl zu einer partnerschaftlichen Sozialpolitik in Niedersachsen zurückkehren, meine Damen und Herren.
Wir haben in dieser Legislaturperiode dreimal Initiativen eingebracht, um die Gesetzgebung zu beschleunigen: am 15. Mai 2003, am 23. Februar 2005 und am 13. Juli 2006. Im Februar 2005 haben wir konsequenterweise unseren alten Gesetzentwurf wieder eingebracht, um der offensichtlich überforderten Landesregierung die Arbeit zu erleichtern. Beides, d. h. unseren Gesetzentwurf und die Entschließungsanträge der Opposition, haben Sie fast die komplette Legislaturperiode unbearbeitet liegengelassen. Dieses ist meines Erachtens nicht nur ein schlechter Umgang mit den Minderheiten in diesem Haus. Es zeugt von einem gestörten Demokratieverständnis, aber es deutet auch Ihre Hilflosigkeit bei diesem Thema, von der Sie erfasst waren, an.
Beim Theama Kindergesundheit verfahren Sie im Übrigen nicht anders. Auch Entschließungsanträge und Gesetzentwürfe dazu werden seit zwei Jahren konsequent liegengelassen. Auch dort machen Sie nur Symbolpolitik, weil die Inhalte fehlen.
In einer vertraulichen Auflistung der Landesregierung vom 8. Mai 2005 heißt es zur Zukunft des Behindertengleichstellungsgesetzes:
„Der Gesetzentwurf soll nur noch grundsätzlich für die Landesverwaltung gelten und auf alle strittigen Regelungen verzichten.“
Meine Damen und Herren, dieses brachte dann allerdings das Fass bei den Behinderten endgültig zum Überlaufen. Am 8. Februar dieses Jahres erklärten die Behindertenverbände:
„Hier entsteht der Eindruck, dass der vorliegende Text mit allen seinen Lücken lediglich verfasst wurde, um erst einmal Ruhe vor den berechtigten Forderungen von Menschen mit Behinderung zu haben.“
Der vorgelegte Entwurf wurde von den Verbänden als sozialpolitische Bankrotterklärung der Landesregierung bezeichnet. Frau Mundlos, das ist ein bisschen etwas anderes als das, was Sie hier gerade vorgetragen haben.
Wie schon beim Nichtraucherschutz und beim Blindengeld musste Herr Wulff eine Kehrtwendung vollziehen, nachdem der ursprüngliche Entwurf bei allen Verbänden auf massive Ablehnung gestoßen war.
- So ist das mit dem Schattenmann. Jetzt geht das Licht wieder an, sehen Sie!
Nachdem die Landesregierung nach vier Jahren voller Ausflüchte und Vertröstungen einen inhaltsleeren Gesetzentwurf vorgelegt hatte, musste Herr Wulff diesen Gesetzentwurf selbst wieder einkassieren. Es ist offensichtlich, dass die erneute WulffWende ausschließlich opportunistischen und wahltaktischen Gründen geschuldet ist und nicht etwa inhaltlich neuen Überzeugungen. Meine Damen und Herren, Sie haben, um es deutlich zu sagen, schlicht Muffe vor der durchaus bekannten Kampagnefähigkeit der behinderten Menschen be
kommen, die Sie beim Blindengeld erlebt haben.
Ich finde, das war auch gut so, meine Damen und Herren.
Der heute hier vorliegende Gesetzentwurf ist daher in erster Linie nicht ein Verdienst der Landesregierung, sondern ein Erfolg des Bündnisses von behinderten Menschen, die Sie bereits beim Blindengeld erfolgreich in die Knie gezwungen haben. Ich sage Ihnen: Wir gratulieren diesen behinderten Menschen für ihren intensiven Einsatz zur Durchsetzung ihrer eigenen Rechte.
Wir sollten uns auch nicht täuschen lassen. Ohne die bevorstehende Landtagswahl hätten Sie den Gesetzentwurf weiter ausgesessen.
Das ist übrigens - darauf hat meine Kollegin schon hingewiesen - auch ein Erfolg beharrlicher Oppositionsarbeit. Wir können im Übrigen gut damit leben, dass Sie zur Grundlage Ihres neuen Gesetzentwurfes den Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion gemacht haben; das ist uns nämlich
durchaus aufgefallen, meine Damen und Herren. So schlecht kann dieser Entwurf nicht gewesen sein. Das hätten Sie nur viel früher haben können, dann hätten Sie nicht fünf Jahre warten müssen.
Zwischenzeitlich sind in der Tat fünf Jahre ins Land gegangen. Wäre der Gesetzentwurf damals verabschiedet worden, wäre Niedersachsen Vorreiter gewesen. Bei Ihnen hingegen ist Niedersachsen zum Schlusslicht in der Behindertenpolitik bundesweit geworden.
- Das sind Sie auch noch nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes. Dazu haben Sie da zu viel angerichtet. Ich will hier nicht auf alles eingehen. Aber wir können gerne über Nullrunden und das Thema Heilerziehung reden. Sie haben in der Behindertenpolitik wirklich verbrannte Erde hinterlassen, meine Damen und Herren.
Mit unseren Änderungsantrag haben wir die im Gesetzentwurf fehlenden Anregungen aus der
Anhörung aufgenommen. Erstens. Wir wollen,
dass die Barrierefreiheit vorrangig vor Denkmalschutzfragen steht.
Zweitens. Wir wollen, dass Beiräte für Menschen mit Behinderungen paritätisch mit Frauen und Männern besetzt werden, und das insbesondere deshalb, weil gerade behinderte Frauen noch zusätzlich besonders benachteiligt sind.
Drittens. Wir wollen das Verbandsklagerecht stärken, und zwar so, dass Verbände behinderte Menschen auch bei individuellen Problemen unterstützen und für sie stellvertretend tätig werden können.
Viertens. Wir wollen den Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen den Verbänden, dem Land, den Landkreisen und den Kommunen, um die berechtigten Interessen behinderter Menschen zügig umzusetzen.
Fünftens. Wir wollen eine klare Regelung für die Finanzierung der Umsetzung des Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich. Ihre im Gesetz enthaltenen Begrenzungen auf 1,5 Millionen Euro sind eine Mogelpackung. Das wissen Sie auch, meine Damen und Herren. Der Finanzminister hatte schon vor Jahren die Auswirkungen des Gesetzes mit einem fast dreistelligen Millionenbetrag beziffert. Sie versuchen auch hier nur, Ruhe bis zur Landtagswahl zu haben, und danach kommt die wirkliche Rechnung auf den Tisch. Ich bin gespannt, wie Sie es dann mit der Konnexität halten, meine Damen und Herren.
- Doch, es steht drin, und es steht jetzt auch in unserem Änderungsantrag. Frau Mundlos, lesen müssen Sie es allein.
- Auch da steht etwas drin. Ich lese es Ihnen in der Pause vor.
Sechstens. Wir wollen eine nicht nur einmalige Überprüfung des Gesetzes, sondern wir wollen alle fünf Jahre prüfen, ob das Gesetz angepasst werden muss, um seine Wirkung für behinderte Menschen zu entfalten.
Siebentens. Wir wollen eine klare Verpflichtung der Straßenbaulastträger, dass bei der Gestaltung von Straßen und Gehwegen den Bedürfnissen von Behinderten einschließlich sehbehinderter Menschen, älterer Menschen und Menschen mit kleinen Kindern Rechnung getragen wird. Deutschland ist an dieser Stelle wirklich Entwicklungsland. Das muss endlich beendet werden, meine Damen und Herren.
Achtens. Wir wollen, dass hörbehinderte und gehörlose Eltern von nicht behinderten Kindern zur Wahrnehmung ihrer Elternrechte in Kindertagesstätten und im schulischen Bereich einen Rechtsanspruch auf den Einsatz der Gebärdensprache haben. Das sind wir den Eltern und auch den Kindern schuldig.
Im Interesse der behinderten Menschen ist es wichtig, dass der rechtlose Zustand in Niedersachsen als letztem Bundesland heute in der Tat beendet wird. Die Vorgeschichte sollte es ermöglichen, dass wir heute einen Gesetzentwurf auf der Höhe der Zeit verabschieden. Insofern dürften Sie eigentlich keine Probleme haben, den Punkten, die ich hier vorgetragen habe und die alle aus der Anhörung stammen, zuzustimmen. Dann hätte Niedersachsen in der Tat ein deutlicher in die Zukunft weisendes Gesetz, als es gegebenenfalls heute verabschiedet wird.
Sollten Sie sich dem verweigern, werden wir diesen Gesetzentwurf nach der Landtagswahl erneut einbringen. Aber es wird Sie überraschen, meine Damen und Herren: Falls Sie sich dem verweigern, werden wir dem heute ergänzten Gesetzentwurf, der jetzt mit den beiden Änderungen auf dem Tisch liegt, zustimmen, weil wir es natürlich nicht zulassen, dass Sie glauben, unseren Gesetzentwurf, den Sie klammheimlich übernommen haben, als Ihre Meriten einfahren zu können. Wir hätten uns etwas Besseres gewünscht für die Behinderten. Das liegt auf dem Tisch. Sollten Sie nicht bereit sein, dem zuzustimmen, werden wir das
Rumpfgesetz jedenfalls erst einmal mittragen, um es später nachzubessern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ross-Luttmann, ich wiederhole es: Ende 2002 ist hier in den Landtag ein Gesetzentwurf eingebracht worden mit dem Angebot, die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs durch
zügige Beratungen in den Fachausschüssen zu gewährleisten. Das ist im Fachausschuss wiederholt besprochen worden. Von Ihrer Fraktion ist es damals aber abgelehnt worden.
Sie hingegen haben im Jahr 2003 die unverzügliche Verabschiedung eines Gesetzentwurfes versprochen. Das war im Jahr 2003. Jetzt aber haben wir das Jahr 2007. Ich sage es noch einmal: Dass das so ist, hat nichts damit zu tun, dass Sie gegenüber der Behindertenpolitik inzwischen eine neue Einstellung haben, sondern ausschließlich mit der Kampagne, die das Bündnis für Behinderte
in dieser Frage vorbereitet und Ihnen auch schon angedroht hatte.
Sie haben hier außerdem auf die segensreiche Möglichkeit des Persönlichen Budgets hingewiesen. Das streitet niemand ab. Dem Persönlichen Budget geht aber erstens ein zu Beginn dieser Legislaturperiode vom Landtag einstimmig gefasster Beschluss voraus. Zweitens findet das Persönliche Budget seine Rechtsgrundlage in einem
Bundesgesetz, das von Rot-Grün verabschiedet worden ist. Ab dem 1. Januar 2008 wird jeder Behinderte in Deutschland einen Rechtsanspruch auf sein Persönliches Budget haben. Das ist keine Leistung dieser Landesregierung. Vielmehr unternimmt die Landesregierung an dieser Stelle erneut den plumpen Versuch, sich mit den Leistungen anderer zu schmücken. Das kennen wir auch schon vom Kinderrecht her.
Ferner sind Sie auf die Integrationsfachdienste eingegangen. Das ist das Gleiche wie eben. Ende des vergangenen Jahren haben wir es - weil Ihre Landesregierung bei diesem Thema fest geschlafen hat - mit einem riesigen Kraftakt, der von den Grünen und von uns ausgegangen ist, verhindert, dass die Integrationsfachdienste in Niedersachsen gegen die Wand gefahren werden. Wir hatten massenhaft Proteste. Erst dadurch haben Sie mitgekriegt, dass es dieses Thema überhaupt gibt.
Zu guter Letzt, um der Legendenbildung entgegenzuwirken: Wenn Ihnen Ihre Mitarbeiter schon sagen, was im Gesetzentwurf der SPD gestanden hat oder nicht gestanden hat, dann sollten Sie sich das richtig sagen lassen. Das gilt auch für Frau Mundlos. Im Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion gibt es einen § 16. Dieser Paragraph enthält Vorschriften über die Kostenerstattung an die Kommunen. Das ist genau das, was Sie hier heute beantragt haben, nämlich eine Kostenerstattung nach entsprechender Rechnungslegung über den KFA durchzuführen, weil das allemal ehrlicher ist als Ihre 1,5 Millionen Euro. Diese 1,5 Millionen Euro bedeuten nämlich pro Kreis oder pro kreisfreier Stadt 30 000 Euro, und die bedeuten, auf die Kommunen heruntergebrochen, dass Sie hier über Beträge im Hunderterbereich reden.
Und damit wollen Sie Barrierefreiheit herstellen? Das ist ein Treppenwitz, das ist eine Verdummbeutelung der Kommunen, meine Damen und Herren!
Ihr Finanzminister sagt immer, Sie hätten ja noch alle Akten. Dann gucken Sie einmal dort hinein! Das Behindertengleichstellungsgesetz ist seinerzeit mit 100 Millionen Euro Ausgaben beziffert worden. Es sind eher mehr. Das sind uns behinderte Menschen wert, Ihnen anscheinend auch. Aber dann machen Sie nicht eine solche Alberei mit 1,5 Millionen Euro!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem demografischen Wandel in unserer Gesellschaft steigt der Bevölkerungsanteil der über 60-Jährigen von heute 23 % auf bis zu 40 % im Jahre 2050 an. Das heißt, er wird sich in den nächsten 40 Jahren verdoppeln. Dieser wachsende Anteil älterer Menschen ist eine Chance für die Gesellschaft und nicht nur eine Herausforderung für die sozialen Sicherungssysteme.
Die meisten älteren Menschen streben keineswegs einen völligen Rückzug aus ihren gesellschaftlichen Aktionsfeldern an. Viele Seniorinnen und Senioren sind vielmehr und glücklicherweise zu einer Fortsetzung ihres Engagements in Familie, Beruf, Wirtschaft und Gesellschaft bereit. Das wird vor allem dadurch möglich, dass es in Deutschland noch nie so viele gesunde, mobile und gut ausgebildete ältere Menschen gab wie heute. Unsere Gesellschaft kann heute und erst recht in Zukunft nicht auf die Mitwirkung und Gestaltungskraft der älteren Generation verzichten.