Protocol of the Session on April 3, 2003

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 13 - Dringliche Anfragen -; anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 17.25 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Kultusminister Busemann sowie von der Fraktion der CDU Frau Abgeordnete Klopp und Herr Abgeordneter Dr. Winn.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 13: Dringliche Anfragen

Ich rufe auf

a) Unterschiedliche Signale des neuen Umweltministers - Ist die Entscheidung für Gorleben als Endlagerstandort mit der CDU-FDP-Landesregierung bereits gefallen? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 15/80

Der Abgeordnete Dehde hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der neue Umweltminister Hans-Heinrich Sander stellte

in der letzten Woche die Eckpunkte seiner zukünftigen Umweltpolitik für Niedersachsen vor. Gespannt wartete die Öffentlichkeit nicht nur im Wendland und in Salzgitter auf die Aussagen zu Gorleben und Schacht Konrad. Nach den Wirrungen der letzten Monate um die Aufhebung des Erkundungsstopps in Gorleben und die mögliche Einlagerung von Atommüll aus dem europäischen Ausland bekannte sich der Umweltminister nun zur Abkehr vom Ein-Endlager-Konzept der Bundesregierung bis 2030 und zur Wiederaufnahme der Erkundungsarbeiten in Gorleben. Zu Schacht Konrad war zu lesen, dass dort eingelagert werden könne, sobald über die Klagen der Kritiker entschieden worden sei. Es solle eine Straffung und beschleunigte Durchführung der vom Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte entwickelten Verfahren geben. Die Fortführung der Erkundungsarbeiten des Salzstockes Gorleben sollten ergebnisoffen sein. Für die abschließende Bewertung der Eignung sollte ein bundesweites Auswahlverfahren erfolgen. Bis 2018 soll nach Auffassung des Umweltstaatssekretärs Dr. Eberl - orientiert an Plänen der EU, die keine Verbindlichkeit haben - ein deutsches Endlager eingerichtet sein.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie will sie verhindern, dass bei einer weiteren Erkundung von Gorleben keine Vorfestlegung auf diesen Standort erfolgt?

2. Sie will vom Ein-Endlager-Konzept der Bundesregierung abweichen. Wie viele Endlager stellt sie sich für Deutschland vor?

3. Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, das Moratorium für Gorleben aufzuheben. Wie will die Landesregierung ihr Ziel erreichen, bis 2018 einen geeigneteren Endlagerstandort – unabhängig vom Schacht Konrad - in Deutschland zu finden?

Wer beantwortet die Dringliche Anfrage? - Herr Umweltminister!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche habe ich die Grundzüge unserer Umweltpolitik für die aktuelle Legislaturperiode im Umweltausschuss und der Öffentlichkeit gegenüber erklärt. Dabei bin ich

u. a. auf ein Thema eingegangen, das die politische Auseinandersetzung in Niedersachsen seit nunmehr 25 Jahren vielfach kontrovers beschäftigt: die Endlagerung radioaktiver Abfälle, für die ich - was den niedersächsischen Part angeht - seit meinem Amtsantritt vor genau einem Monat zuständig bin.

Dabei möchte ich gleich zu Anfang Folgendes klarstellen: Von „Wirrungen“ um die Aufhebung des Erkundungsstopps in Gorleben oder gar die Einlagerung von Atommüll aus dem europäischen Ausland kann überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Im Gegenteil, wir haben im Koalitionsvertrag von Anfang an klar und deutlich die richtigen Worte zu diesem Thema gewählt. Herr Ministerpräsident Wulff hat diese klaren Aussagen in seiner Regierungserklärung aufgegriffen. Wir haben deutlich gemacht, dass unsere Generation zu ihrer Verantwortung stehen muss, wenn es um die Nutzung der Kernenergie geht. Das bedeutet für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle, dass anstehende Probleme nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden dürfen, sondern dass wir sie heute lösen müssen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir sind deshalb insbesondere für eine Neuausrichtung der Strategie der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Dazu gehört als Erstes die Abkehr von der so genannten Ein-Endlager-Strategie. Diese Strategie, die von der rot-grünen Bundesregierung erfunden wurde, ist rein politisch motiviert.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Erfun- den!)

Hier denken und handeln wir anders. Die EinEndlager-Strategie ist nach unserer Auffassung weder fachlich noch politisch zielführend.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Der wissenschaftliche Sicherheitsnachweis für das einzige Endlager, in das alle Arten und Mengen radioaktiver Abfälle, die es in Deutschland gibt und geben wird, untergebracht werden müssten, wäre ungleich schwieriger zu führen als z. B. für das Endlager Konrad. Diese Meinung vertritt sogar der vom Bundesumweltminister eingesetzte Experten-Arbeitkreis AK End. Ich darf in Erinnerung

rufen, dass bereits das Planfeststellungsverfahren Konrad – in Konrad finden wir hervorragende geologische Barrieren vor - fast 20 Jahre gedauert hat! Schließlich ist das Endlager Konrad von der von Herrn Gabriel geführten Landesregierung und mit Billigung des grünen Bundesumweltministers genehmigt worden. Erhebliche Summen sind hier investiert worden. Wir stehen daher zu der Entscheidung Konrad, weil wir davon überzeugt sind, dass das Umweltministerium als Genehmigungsbehörde eine handwerklich ordentliche Arbeit abgeliefert hat, die auch vor den Gerichten Bestand haben wird. Deshalb sind wir für die Inbetriebnahme von Schacht Konrad auf sicherer Rechtsgrundlage.

Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass es in Gorleben weitergeht, weil das von der rot-grünen Bundesregierung verhängte Moratorium keinen Sinn macht. Es macht politisch keinen Sinn, weil Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, insbesondere die Menschen im Wendland, Frau Harms, im Unklaren lassen wollen. Die Menschen vor Ort müssen wissen, woran sie sind.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Sie dürfen nicht den Eindruck vermittelt bekommen: Macht euch keine Sorgen, eure Kinder, eure Enkel werden eure Probleme schon lösen.

Es macht auch fachlich keinen Sinn, weil die Arbeiten der Wissenschaftler oder Ingenieure, deren Qualität hohe Anerkennung genießt, aus politischen Gründen kurz vor dem Ziel abgebrochen worden sind, und das, nachdem die bergmännisch schwierigste Aufgabe, nämlich das Abteufen der beiden Schächte, bereits gemeistert worden war.

Die Bundesregierung selbst hat in der Konsensvereinbarung mit den Energieversorgungsunternehmen im Juni 2001 erklärt, dass die bisher in Gorleben gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben nicht entgegen stehen. Die dazu vom Bundesumweltministerium kreierten Fragestellungen sind daher abstrakter wissenschaftlicher Natur und können unabhängig vom Standort Gorleben bearbeitet werden.

Weitermachen in Gorleben heißt aber auch - das ist mir ein besonders wichtiges Anliegen - ergebnisoffen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Dazu muss man wissen, dass die Erkundung in Gorleben schon von Anbeginn an ergebnisoffen erfolgt ist. Das heißt, dass es eine Vorfestlegung auf Gorleben als Endlagerstandort eben nicht gegeben hat und auch nicht geben kann, wenn weiter erkundet werden soll.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: Was?)

Eine Entscheidung für oder gegen Gorleben kann erst erfolgen, wenn es dafür eine wissenschaftlich gesicherte Datenbasis gibt. Ergebnisoffen heißt allerdings auch, dass diese Datenbasis dann auch so angewandt werden muss. Das heißt aber auch, dass das dazu führen kann, dass das Ergebnis negativ ausfallen kann. Es heißt in der Konsequenz, dass man sich nicht darauf verlassen darf, der Salzstock Gorleben werde schon als Endlager geeignet sein. Das ist eine falsche Annahme. Auch deshalb, meine Damen und Herren, sind wir dafür, dass die bundesweite Suche nach einem geeigneten Standort auf der Basis der Ergebnisse des AK End zügig in Angriff genommen werden sollte. Wir verstehen uns hier als Partner des Bundes.

Der Zeitdruck für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle ist geringer als für die Endlager schwach- und mittelradioaktiver Abfälle. Alternativen zu Gorleben können sorgfältig und besonnen geprüft werden; denn die Sicherheit für die Menschen auf diesem sensiblen Gebiet hat absoluten Vorrang.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Niedersächsische Landesregierung ist dabei auch eine Lastenteilung ein wichtiges Argument. Die Auswahlverfahren sollen transparent und nachvollziehbar sein, dürfen jedoch nicht unnötig in die Länge gezogen werden. Verzögern, Verkomplizieren, Verhindern, das sind bei diesem Thema offensichtlich Grundprinzipien von RotGrün. Das wollen wir nicht!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist ei- ne Unverschämtheit!)

Wie eingangs schon ausgeführt, ist nach unserer Überzeugung die heutige Generation für ihre Hinterlassenschaften, auch für die sichere, zeitnahe und finanzierbare Entsorgung der radioaktiven

Abfälle, verantwortlich. Ein zügiges Anpacken der heute lösbaren Probleme entspricht dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedeutet auch Kompetenzerhalt für die heutige Generation und Wissenstransfer auf diejenigen, die nach uns die Verantwortung übernehmen werden.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die Erkundung in Gorleben erfolgt ergebnisoffen. Eine Vorfestlegung auf Gorleben gibt es daher nicht. Für die Fortsetzung der Erkundung und deren Auswertung im Hinblick auf den Eignungsnachweis für ein Endlager ist der Bund zuständig.

Zu 2: Maßgebliche nationale und internationale Experten, auch in Beratungsgremien des Bundes, sind der Auffassung, dass für Deutschland die Errichtung eines Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle sowie eines weiteren Endlagers, das hochradioaktive Abfälle aufnehmen kann, sinnvoll ist. Die Landesregierung schließt sich dieser Auffassung an.

Zu 3: Ziel der Landesregierung ist es, die Endlagerfrage zügig und verantwortungsbewusst zu lösen. Bei der Durchführung des dazu erforderlichen Auswahlverfahrens sind die Ergebnisse des AK End einzubeziehen. Bei der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gibt es aus technischen Gründen einen größeren zeitlichen Spielraum, sodass Sicherheitsaspekte und Handlungsalternativen angemessen berücksichtigt werden können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Lennartz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Sander, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sagen Sie: ergebnisoffene Weitererkundung des Standortes Gorleben. - Gleichzeitig sagen Sie: Es müssen sich in der Frage des Endlagers für hochradioaktive Abfälle andere Bundesländer beteiligen.