Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 26 - Dringliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll um 18.45 Uhr enden.
An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Für heute haben sich entschuldigt: von der Landesregierung Herr Ministerpräsident Wulff, von der Fraktion der CDU Herr Dr. von Danwitz, Frau Klopp und Frau Zachow für heute Nachmittag, von der Fraktion der SPD Herr Lenz und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Janssen-Kucz.
a) Sozialministerin ohne finanz- und sozialpolitisches Konzept - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 15/275
hat die niedersächsische Sozialministerin, Frau von der Leyen, bestätigt, dass im Sozialbereich im Haushaltsjahr 2004 insgesamt 156 Millionen Euro eingespart werden sollen. Diese Einsparungen sollten sich gemäß ihrer Ankündigung vom 19. Juni 2003 zu rund einem Drittel aus direkten Kürzungen bei freiwilligen Leistungen des Landes realisieren lassen. Zu zwei Dritteln sollten die Einsparungen aus Sozialkürzungen durch Änderung von Bundesgesetzen und zulasten der Kommunen umgesetzt werden. Nach einem Telefongespräch mit Finanzminister Möllring rückte Frau von der Leyen am 21. Juni 2003 von ihren Plänen, zwei Drittel der Haushaltseinsparungen durch Bundesratsinitiativen erfüllen zu wollen, ab. Nun verkündete sie, sie sei sehr zuversichtlich, die gesamte Einsparsumme von 156 Millionen Euro im Sozialhaushalt direkt einsparen zu können.
Angesichts der Tatsache, dass die Landesregierung bis zum 15. Juli 2003 einen Haushaltsplanentwurf 2004 vorlegen will, entsteht der Eindruck, dass allein die Zuversicht der Sozialministerin, eine dreistellige Millionensumme einsparen zu können, noch kein belastbares finanz- und sozialpolitisches Konzept darstellt.
1. Wie sieht das finanz- und sozialpolitische Konzept aus, durch das die Landesregierung 156 Millionen Euro im Sozialhaushalt einsparen will?
3. Welche Begründung gibt es für den Sinneswandel der Sozialministerin vom 19. Juni 2003, als sie noch meinte, rund 100 Millionen Euro nur durch die Hilfe von Bund und Kommunen einsparen zu können, zum 21. Juni 2003, als sie plötzlich zuversichtlich war, insgesamt 156 Millionen Euro im eigenen Haushalt einsparen zu können?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Sozialpolitik in Niedersachsen ist in besonderer Weise in einer katastrophalen Finanzlage des Landes herausgefordert. Das Land Niedersachsen steht am Rand der Handlungsunfähigkeit. Diese Situation haben wir vorgefunden.
Wir sehen es als unsere Pflicht an, Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen, den Bürgerinnen und Bürgern offen die Lage zu schildern und zusammen mit den Betroffenen nach Wegen zu suchen, die deutlich machen: Es geht um Sanierung, es geht darum, die Hilfen auf Bedürftige zu konzentrieren, zur Selbsthilfe anzuregen, Schwerpunkte zu setzen, grundsätzliche jedoch alle Maßnahmen - sowohl die freiwilligen als auch die Rechtsverpflichtungen - auf den Prüfstand zu stellen.
Es ist falsch, wenn die SPD-Fraktion behauptet, ich hätte angekündigt, ein Drittel des Einsparvolumens von 156 Millionen Euro aus direkten Kürzungen bei freiwilligen Leistungen des Landes zu realisieren, und es ist falsch, wenn die SPDFraktion behauptet, ich hätte angekündigt, zwei Drittel aus Einsparungen durch Änderungen von Bundesgesetzen und zulasten von Kommunen umzusetzen.
- Richtig ist - Sie haben doch wohl nicht erwartet, dass ich das nicht noch sage -: Ich habe vor der Presse am 19. Juni deutlich gemacht, wie die Strukturen des Sozialhaushaltes aussehen, nämlich dass rund 98 % durch Rechtsverpflichtungen festgelegt sind, ein Großteil davon durch Bundesgesetze. Ich habe deutlich gemacht, dass wir nicht darum herumkommen werden, über gemeinsame Länderinitiativen auch diese bundesseitigen Rechtsverpflichtungen auf den Prüfstand zu stellen. Und ich habe deutlich gemacht, dass gerade im Sozialhaushalt über das Quotale System eine enge Verbindung mit den Kommunen besteht. Aufgabenentlastungen auf kommunaler Seite entlasten auch das Land. Mehrbelastungen der Kommunen im Sozialetat trägt das Land proportional über das Quotale System mit.
Schließlich kann auch nicht von einem Sinneswandel meinerseits die Rede sein, da ich nie behauptet habe, die Einsparungen für das Jahr 2004 durch Bundesratsinitiativen erfüllen zu wollen. Richtig
ist allerdings, dass wir bereits im Jahr 2003 gemeinsam mit anderen Ländern Bundesratsinitiativen starten werden.
Zu 1: Die Landesregierung wird am 7. und 8. Juli 2003 eine Haushaltsklausur durchführen. Danach wird sie ihr Konzept für den Haushalt 2004 vorstellen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, nachdem ich in der Presse gelesen habe, dass Sie durch die Standpauke Ihres Ministerpräsidenten offenbar so ruhig gestellt worden sind, dass Sie inhaltlich gar nichts mehr sagen wollen, mache ich jetzt den Versuch, Sie zu fragen, ob Sie hier erklären können, ob Menschen mit Behinderungen und Familien mit Kindern von den von Ihnen geplanten Kürzungen überproportional betroffen sein werden.
Frau Ministerin, Sie sprachen eben davon, dass Sie die Gewährung von sozialen Leistungen in Zukunft von einer Bedürftigkeitsüberprüfung abhängig machen wollen. Können Sie konkreter sagen, welche sozialen Leistungen Sie z. B. einer solchen Prüfung unterwerfen wollen?
Tatsächlich sollten Leistungen immer nur im Falle einer Bedürftigkeit gewährt werden. Ich möchte Ihnen anhand eines Beispieles erläutern, warum wir gemeinsam mit den anderen Ländern das SGB VIII angehen werden. Sie alle stehen vor dem Problem, dass die von den Kommunen zu erbringenden Kosten für die Jugendhilfe in erdrückendem Maße ansteigen. Die Hilfen sind nicht nur auf das 21. Lebensjahr begrenzt, sondern zum Teil werden sie bis zum 27. Lebensjahr gewährt. Es gibt dort aber auch Regelungen, die jeden hier im Plenum betreffen. Jede oder jeder hier im Plenum wäre trotz seines guten Einkommens, das wir hier alle unbestrittenermaßen haben, berechtigt, eine Erziehungsberatung der Kommune in Anspruch zu nehmen, ohne sich daran in irgendeiner Form finanziell beteiligen zu müssen. Wenn Sie auf Bundesebene z. B. über eine Beteiligung in Höhe von 15 Euro für jeden Facharztbesuch diskutieren, dann frage ich mich, warum Sie nicht auch über die Frage diskutieren, warum wir als Menschen mit einem absolut satten Einkommen nicht auch an von der kommunalen Ebene erbrachten Leistungen beteiligt werden, weil nämlich den Kommunen die Kosten dafür davongaloppieren. Stattdessen können wir diese Leistungen in Anspruch nehmen, ohne dass Vermögen und Einkommen berücksichtigt werden.
Ein anderes Beispiel ist die Legasthenietherapie. Jeder oder jede hier kann sich diese Therapie über die Jugendhilfe verschreiben lassen, ohne dass von ihm oder ihr irgendein finanzieller Beitrag eingefordert wird. Das Unsoziale dabei ist, dass wir in den Kommunen dafür Geld ausgeben mit der Folge, dass wir an anderer Stelle kein Geld mehr für diejenigen haben, die bedürftig sind und das Geld brauchen. Dieses Geld haben wir dann nicht mehr. Es ist an der Zeit, Sozialpolitik an dieser Stelle neu
zu gestalten und zu sagen, dass Sozialpolitik dazu da ist, die Bedürftigen zu stützen und da einzuspringen, wo Menschen in Not sind, nicht aber da, wo der Bestand gesichert ist, weil er nun einfach einmal so da ist.
Frau Ministerin, wird auch das vom Landtag beschlossene persönliche Budget für Menschen mit Behinderungen den Einsparungen im Haushalt zum Opfer fallen oder zumindest gekürzt?
Wir haben im Landtag dazu gerade erst ein Modellprojekt einstimmig verabschiedet. Von daher verstehe ich Ihre Frage nicht.
(Beifall bei der CDU - Ulla Groskurt [SPD]: Darf ich meine Frage noch er- gänzen? - Gegenruf von Bernd Alt- husmann [CDU]: Nein! - Ulla Gros- kurt [SPD]: Darf ich das eben noch erklären?)