Thorsten Schäfer-Gümbel

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Last Statements

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist das ein Thema, das nicht nur hohe Sensibilität erfordert, sondern das auch erfordert, dass man die Sachen voneinander trennt. Es geht in dieser Debatte um eine Haltung, es geht um eine Sache, aber am Ende auch um eine taktische Aufstellung.
Ich will zunächst zum Inhalt etwas sagen. Es geht in der Tat – da bin ich sehr bei Herrn Wagner – um die Trennung
der beiden Großthemen politische Verfolgung und Grundrecht auf Asyl auf der einen Seite und Arbeitsmigration auf der anderen Seite. Ich will für meine Fraktion und auch für eine qualifizierte Minderheit in meiner Partei sagen, dass die Einführung des Konstrukts der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten durch die Änderung des Art. 16a Grundgesetz Anfang der Neunzigerjahre nach wie vor mit viel Unbehagen begleitet wird.
Diese Konstruktion ruft ein hohes Unbehagen hervor, weil es immer wieder die Sorge gibt, dass diese Konstruktion auch missbraucht wird. Den Eindruck kann man bei der einen oder anderen Debatte bekommen. Ich will offen gestehen, dass ich zu dieser Minderheit gehöre. Dennoch werbe ich abermals – wie bei den Nachfolgestaaten Jugoslawiens – für die Anwendung des Art. 16a Grundgesetz, bezogen auf die Länder Marokko, Tunesien, Algerien und Georgien. Dies hat etwas mit der Sache zu tun.
Im aktuellen Bericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge wird für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 31.08.2018 Folgendes ausgewiesen: Aus Algerien kamen 1.164 Menschen, die nach Art. 16a Grundgesetz null Chance auf Anerkennung haben. Nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz sind neun Personen anerkannt, und subsidiären Schutz bekommen ebenfalls neun Personen. Aus Marokko kamen 993 Menschen. Davon ist einer nach Art. 16a Grundgesetz anerkannt, sowohl im ersten als auch im zweiten Verfahren; das hätte ich vielleicht gleich dazusagen müssen. 26 Personen sind es nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz, und fünf Personen bekommen subsidiären Schutz. Aus Tunesien kamen 478 Menschen, davon sind drei nach Art. 16a Grundgesetz anerkannt, vier nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz, und fünf erhalten subsidiären Schutz. Aus Georgien kamen 4.121 Menschen, davon sind zwei nach Art. 16a Grundgesetz anerkannt, sechs nach dem § 3 Abs. 1 Asylgesetz, und acht bekommen den subsidiären Schutz.
Ich will dazusagen, dass, anders als es die Linkspartei hier formuliert, durch das Konstrukt der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten ausdrücklich nicht der individuelle Grundrechtschutz nach Art. 16a Grundgesetz gestrichen wird. Es beschleunigt das Verfahren. Es gibt trotzdem und ausdrücklich eine individuelle Prüfung. Ich will dazusagen, dass insbesondere die Kompetenz der Entscheider im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei dieser Prüfung entscheidend ist. Darauf müssen wir einen besonderen Blick richten.
Aber mit Blick auf die eindeutigen Zahlen spricht aus meiner Sicht im konkreten Fall vieles dafür – auch mit Blick auf die Akzeptanz in der Gesamtgesellschaft für Fragen des Art. 16a Grundgesetz, die mir persönlich in meiner politischen Biografie immer besonders wichtig waren. Ich glaube, die Zahlen haben das eindrucksvoll unterstrichen. Übrigens: Die Zahlen aus den Jahren 2017, 2016 und 2015 sind keinen Deut anders. Wir wissen beispielsweise, dass, bezogen auf die Maghreb-Staaten, insbesondere die Frage der Verfolgung aus sexuellen Gründen eine sehr große Rolle spielt.
Zudem geht es um Arbeits- und Sozialmigration und um die Bekämpfung von Fluchtursachen. Da ist der Spurwechsel in der Tat eines der wichtigen und entscheidenden The
men. Wir wissen, dass sich die Union damit aus den unterschiedlichsten Gründen besonders schwertut; es gibt die Angst vor Verwerfung. Ich glaube, dass es richtig ist, Menschen, die sich in Ausbildung befinden und die nachgewiesen haben, dass sie sich integrieren, auch eine Chance zu geben, hierzubleiben.
Deswegen muss man die Sachen ordentlich voneinander trennen. Fünf Minuten reichen nicht ganz, um darüber angemessen zu diskutieren. In den letzten 20 Sekunden will ich allerdings noch etwas zur taktischen Aufstellung vor dem 28. Oktober sagen: Sosehr ich auch damit hadere, werbe ich dafür, dieses Gesetz, wenn es denn kommt, auf den Weg zu bringen.
Allerdings habe ich heute Morgen in Rücksprache mit meiner Bundestagsfraktion zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Führung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich darum gebeten hat, dass der Gesetzentwurf nicht vor dem 28. Oktober 2018 in den Deutschen Bundestag eingebracht wird.
Das nehme ich zur Kenntnis. Herr Boddenberg, es ist ein Teil des Problems, wenn wir über Flucht und Migration reden, dass zu viel Taktik die entscheidenden Fragen bestimmt. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Da ich auf dem Weg zu einem Arzttermin die Einlassung des Kollegen Hahn gehört habe, dass ich wegen der Debatte fluchtartig den Saal verlassen hätte, wollte ich darauf hinweisen, was der Grund war. Das ist übrigens ein Thema der Art und Weise des wechselseitigen Umgangs in solchen Fragen.
Mit diesem Teil des Hauses habe ich im Moment gar nicht geredet. Wir haben gestern versucht, das auszutauschen.
Herr Hahn, ich will es nur deswegen sagen, weil wir eigentlich einen anderen Umgang miteinander pflegen. Sonst hätte ich mich gar nicht mehr zu Wort gemeldet.
Ansonsten hat der Kollege Rudolph hinreichend ausgeführt, warum Ihr Gesetz unzureichend ist und die Konflikte vor Ort eher verschärft und nicht erleichtert hat. Sie wissen genau, dass in den Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen inzwischen eine Debatte darüber tobt, wie Sozialstationen und andere Investitionsmaßnahmen gegen das Thema Straßenausbaubeiträge aufgebracht werden.
Wir wollen diese Auseinandersetzung, die im Moment auf dem Rücken der ehrenamtlichen Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen ausgetragen wird, mit einem durchdachten Gesetz verändern. Deswegen haben wir diesen Vorschlag gemacht. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist natürlich auch Ausdruck der taktischen Spielchen, im Rahmen einer solchen Debatte – –
Ich glaube nicht, dass das etwas mit Pädagogik zu tun hat. Ansonsten sind Sie offensichtlich aus dem vorletzten Jahrhundert, was Pädagogik angeht. Aber das würde mich jetzt auch nicht wundern, Herr Boddenberg.
Aber es ist ja geübte Praxis in dem Haus, dass es einen gewissen Verschnitt zwischen unterschiedlichen Rednerinnen und Rednern gibt. Natürlich haben wir auch erwartet, nachdem Sie einen eigenen Antrag eingebracht haben, dass, wie es hier bisher, zumindest bis vor zehn Minuten, der Fall war, die antragstellenden Fraktionen zuerst reden.
Aber zur politischen Kultur haben wir in diesem Haus schon mehrfach etwas gesagt.
Ich will es deswegen zumindest in der Eröffnung relativ kurz machen und Ihnen dann die Gelegenheit geben, ein bisschen zu reden. Danach würde ich mich in der zweiten Runde noch einmal melden.
Der Antrag, den die Koalitionsfraktionen hier vorgelegt haben, enthält folgenden Eröffnungssatz:
Der Landtag stellt fest, dass die Landesregierung eine Trendwende bei der Wohnungsbauförderung für sozialen Wohnraum und bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum eingeleitet hat und diesen Weg konsequent und erfolgreich geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, alleine dieser erste Satz ist erstens eine Ignoranz gegenüber den realen Verhältnissen und zweitens ein allerbester Grund, diesen Antrag abzulehnen.
Wie erfolgreich Sie bei der Frage des bezahlbaren Wohnraums in den letzten Jahren waren – als Teil, ich will das ausdrücklich sagen; die Landesregierung ist nicht alleinig dafür zuständig, aber im Rahmen der föderalen Ordnung vorrangig vor der Bundesregierung –, zeigt sich am aktuellen Mietspiegel der Stadt Frankfurt. Dort stellt die Stadt Frankfurt fest, dass bei 30-m2-Wohnungen der derzeitige durchschnittliche Mietzins bei 20,44 €/m2 kalt liegt, bei 60-m2-Wohnungen bei 15,13 €/m2 kalt und bei 100-m2Wohnungen bei 14,91 €/m2 kalt.
Vor sechs Jahren lag der Mietzins in diesem Bereich noch deutlich niedriger: bei 30-m2-Wohnungen bei 12,28 €, bei 60-m2-Wohnungen bei 10,30 € und bei 100-m2-Wohnungen bei 11,13 €. Das heißt, wir mussten in den letzten Jahren in den drei entscheidenden Mietsegmenten dramatische Mietpreissteigerungen erleben. Nicht ohne Grund kommt
eine aktuelle Umfrage der Stadt Frankfurt zu dem Ergebnis, dass für 61 % aller Frankfurterinnen und Frankfurter und sogar für 64 % aller Frankfurterinnen und Frankfurter, die einen deutschen Pass haben, bezahlbarer Wohnraum höchste Priorität hat.
Ich will mir eine kleine Nebenbemerkung erlauben: Grundsätzlich muss man bei Zahlen, die aus dem Dezernat von Herrn Schneider kommen, ein bisschen vorsichtig sein,
aber ich glaube, dass die Beschreibung der Wirklichkeit ziemlich nahe kommt.
Wir haben am vergangenen Samstag einen denkwürdigen Auftritt der Wohnungsbauministerin beim Mietertag erlebt, der das eingeleitet hat, was jetzt im ersten Satz Ihres Antrags steht. Die Realität spricht eine andere Sprache. Da kann ich mich all dem anschließen, was Hermann Schaus zur Problembeschreibung gesagt hat. Das gilt sowohl für den Verlust von Sozialwohnungen in Hessen als auch für die fehlenden wohnungsbaupolitischen Aktivitäten dieser Landesregierung.
Deshalb will ich das wiederholen, was ich auf der Bundesebene und auch im Hessischen Landtag in den letzten Tagen mehrfach formuliert habe: Die soziale Frage dieser Tage ist bezahlbarer Wohnraum, und es ist unsere vordringlichste Aufgabe, eine Mietenwende in Deutschland und auch in Hessen einzuleiten. Dazu brauchen wir einen flächendeckenden Mietpreisstopp in Lagen mit angespannten Wohnungsmärkten.
Dazu haben wir auf der Bundesebene einen Vorschlag gemacht. Wir fordern Sie ausdrücklich auf, sich diesem Vorschlag anzuschließen, damit wir für die Mieterinnen und Mieter, die mit der dramatisch steigenden Mietpreisentwicklung überfordert sind, Zeit gewinnen; denn sie haben keine Ausweichmöglichkeit in anderen Wohnraum, der bezahlbar ist, weil zu wenig gebaut wurde.
Ich will dazu noch eine Zahl nennen. Der prognostizierte Wohnungsbaubedarf pro Jahr liegt bei ca. 37.000 Wohneinheiten. Klar ist, dass die öffentliche Hand das nicht alleine machen kann. Dass das Land mit Ihren Programmen im letzten Jahr allerdings nicht einmal knapp 1.000 Wohnungen gefördert hat, ist ein Hinweis darauf, dass Sie zumindest allen Grund haben, über Ihre Wohnungsbauprogramme nachzudenken. Nicht ohne Grund hat beim parlamentarischen Abend im Hessischen Landtag die Hälfte der Vertreter der Wohnungswirtschaft mit Blick auf Ihre Wohnungsbaurichtlinie erklärt, dass das eine Verschlechterung gegenüber dem Status quo ist. Deshalb sind Sie aufgefordert, endlich eine Kehrtwende in der Wohnungsbaupolitik einzuleiten, die in den letzten fünf Jahren ausgeblieben ist.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gab noch einige offene Fragen in der Aussprache, auf die ich gerne noch einmal eingehen möchte.
Die erste Frage des Kollegen Wagner lautete: Gibt es Bundesländer mit sozialdemokratischer Führung, die das besser können als Hessen? – Unter anderem Hamburg. Das kann man anhand von Zahlen empirisch nachweisen.
Herr Wagner, darf ich ausreden? – Danke.
Die zweite Frage lautete: Wie kann es sein, dass ein Zwölfpunkteplan vorgelegt wird, wenn danach Frau Barley ein Papier für die Bundesregierung vorlegt? – Erstens war es umgekehrt. Zunächst war am vergangenen Mittwoch der Kabinettsbeschluss über die verschärfte Mietpreisbremse. Übrigens gilt diese Mietpreisbremse in Hessen gar nicht, weil das Ministerium nicht in der Lage war, eine rechtsförmliche Ausrichtung auf den Tisch zu legen. Deshalb gilt sie in Hessen gar nicht.
Frau Kollegin Dorn, Sie können auch gerne nach vorne kommen. Das ermöglicht mir, anschließend noch ein bisschen mehr Redezeit zu haben. Ich freue mich sehr auf die Aussprache.
Frau Barley hat eine verschärfte Mietpreisbremse vorgelegt, die das Kabinett auf den Weg gebracht hat. Gleichzeitig bereitet die Bundesregierung – übrigens in Abstimmung auch mit dem Bundesland Hessen – einen Wohnungsgipfel vor, in dem über weiter gehende Maßnahmen geredet werden soll. Dazu hat die Sozialdemokratische Partei vergangenen Samstag ein Papier vorgelegt.
Dritte Bemerkung. Sie fragten nach der Bedeutung der bundespolitischen Initiativen im Vergleich zu Hessen. Ich will daran erinnern: Die wichtigste bundespolitische Entscheidung, die getroffen wurde bzw. gerade getroffen wird, ist die Frage, ob der Bund nach 2020 überhaupt noch Mittel für den Wohnungsbau aufwenden darf.
Ich erinnere mich leise, dass ich bestimmte Zwischenstände in Koalitionspapieren zu den Verhandlungen zur Jamaikakoalition gesehen habe, in denen diese Frage null Komma null eine Rolle gespielt hat.
Durchgesetzt hat die Grundgesetzänderung in den Koalitionsverhandlungen die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Das Bundeskabinett hat die Grundgesetzänderung jetzt auf den Weg gebracht. Ich freue mich sehr auf
die Zustimmung des Bundeslandes Hessen zu dieser Grundgesetzänderung, mit Zustimmung der GRÜNEN, wie ich hoffe.
Vierte Bemerkung. Sie sprachen das Thema Baugebiete an. In der Tat, da haben wir ein paar Probleme zu lösen. Da gibt es ein paar Dinge, die nicht gut gelaufen sind. Dazu gehört übrigens auch das Land Hessen.
Ich habe mir gestern einen Ordnungsruf, zu dem ich eine Meinung habe, eingefangen, als ich mich mit der Rolle des Finanzministers beschäftigt habe. Aber natürlich hätten wir in Frankfurt auch andere Entscheidungen hinsichtlich des Polizeipräsidiums treffen können – „wir“ heißt an dieser Stelle vor allem die Landtagsmehrheit aus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU. Sie haben aber eine Entscheidung getroffen, die ich ausdrücklich nicht teile. Dort wäre eine Möglichkeit gewesen, einen anderen Weg einzuschlagen. Deswegen halte ich Ihnen gelegentlich vor, dass es nicht sonderlich redlich ist, in Hochglanzbroschüren die Kommunen aufzufordern, Land günstig abzugeben und Konzeptvergaben zu machen, aber da, wo man es selbst in der Hand hat, das genaue Gegenteil zu tun.
Sie haben mich dann damit konfrontiert, dass auf Bundesebene Horst Seehofer im Rahmen der Kabinettsverteilung für das Thema Wohnungsbau zuständig ist.
Das ist erstens der Freund von Volker Bouffier. Wir sind nicht per du, darum formuliere ich es einmal so.
Ist der nicht sein Freund? Interessanter Hinweis.
Ich will es einmal so herum beantworten: Ja, manchmal macht man in Koalitionen – das soll Ihnen wohl auch so gegangen sein – ein paar Kompromisse. Ob allerdings wohnungsbaupolitisch Horst Seehofer oder Priska Hinz mehr auf die Reihe bringt, das lasse ich jetzt einmal den geneigten Leser entscheiden. Ich glaube, dass wir am 28. Oktober alle Gründe haben, die Wohnungsbaupolitik in Hessen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.
Damit will ich Ihnen einmal sagen, was das Problem Ihrer Politik ist: Sie schreiben hier über eine Trendwende. Ich will es Ihnen noch einmal sagen: bei Wohnungen mit 30 m² plus 4 €/m² Kaltmiete in Ihrer Amtszeit, bei Wohnungen mit 60 m² plus 3,50 €/m² Kaltmiete und bei größeren Wohnungen von 100 m² plus 2,50 €/m² Kaltmiete.
Das ist das Problem, und damit komme ich zum Schluss: Angesichts solcher Zahlen von einer Trendwende zu reden, ist nun wirklich eine der größten Ignoranzen, die ich in den letzten fünf Jahren in diesem Landtag vor dem Hintergrund der realen Verhältnisse erlebt habe.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Wagner, danke für Ihre Fragen. Ich will sie gern beantworten.
Na ja, hier wird mit allen Mitteln gearbeitet.
Wollen Sie?
Ich frage ja nur. Die Aufregungen haben hier ja seit gestern deutlich zugenommen.
Zur Beantwortung der Fragen will ich erstens noch einmal darauf hinweisen: Es gibt keine Trendwende. Sie haben im vergangenen Jahr weniger als 1.000 Wohneinheiten gefördert – bei einem Wohnungsbaubedarf von 37.000 Wohneinheiten pro Jahr. Punkt.
Zweitens. Die landesbezogenen Mittel für den Wohnungsbau im Doppelhaushalt 2018/2019 sinken in 2019 im Vergleich zu 2018. Das ist die zweite Bemerkung: Fakt.
Jetzt will ich Ihnen noch einmal mit dem Bundesland Hamburg kommen, weil ich gerade am Montag Gelegenheit hatte, mit Olaf Scholz noch einmal über die Frage zu reden, wie das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesmitteln ist. Ich will Ihnen nämlich ausdrücklich zustimmen: Ich glaube, dass das, was im Moment an mittelfristiger Finanzplanung für den Wohnungsbau auf Bundesebene vorgesehen ist, nicht reicht – definitiv nicht.
Aber Olaf Scholz hat darauf hingewiesen, dass das Bundesland Hamburg aus den Wohnungsbaumitteln des Bundes in der Vergangenheit pro Jahr etwa 8 bis 10 Millionen € bekommen hat, ungefähr die Verteilung nach Königsteiner Schlüssel. Das Bundesland Hamburg hat jährlich etwa bis zu 190 Millionen € auf diese 8 bis 10 Millionen € des Bundes draufgelegt. Das hat übrigens etwas damit zu tun, dass die Länder dafür zuständig sind. Wenn Sie sich Ihr sogenanntes 1,7-Milliarden-€-Programm anschauen, werden Sie feststellen, dass die Verhältnisse in Hessen deutlich anders sind.
Deswegen noch einmal: Ja, ich glaube, dass wir im Bund in der Tat nachlegen müssen. Aber die Hauptverantwortung für die Wohnungsbauförderung liegt im Moment bei Ihnen auf der Landesebene und im Übrigen auch in den nächsten Jahren auf Landesebene, und da ist noch deutlich Luft nach oben.
Letzte Bemerkung. Ich glaube, dass wir beim Thema Planungs- und Baubeschleunigung über das, was im Koalitionsvertrag auf Bundesebene geregelt ist, definitiv hinausgehen müssen. Wir brauchen Bau- und Planungsbeschleunigung, und weniger Demonstrationen am Labyrinth, Herr Banzer.
Frau Präsidentin, meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem hoch engagierten Beitrag der Ministerin und mit Blick auf eine drohende Wiederholung unserer kleinen Auseinandersetzung vom vergangenen Samstag auf dem Mietertag
will ich es ein bisschen persönlicher versuchen.
Ich nehme für eine juristische Sekunde die Annahme ernst, die Herr Caspar und auch Sie heute zu beschreiben versucht haben, dass nämlich beim Verkauf des Polizeipräsidiums in Frankfurt alles so gelaufen sei, wie es die Stadt Frankfurt wollte.
Ich teile das in der Sache nicht. Alle Beteiligten wissen, dass sich das Land erst bewegt hat, nachdem die Stadt Frankfurt mit Baurecht, mit Bauleitplanung und sonstigen Instrumenten gedroht hat. Aber ich nehme für eine Sekunde an, dass es so richtig ist. Ich verstehe bis heute trotzdem nicht, warum Sie dieses Gelände verkauft haben, ohne eine Bauverpflichtung für den Investor zu erlassen.
Denn somit haben Sie in den nächsten Jahren überhaupt nicht in der Hand, was da passiert und ob der Investor weitermacht. Das bleibt einfach im Raum stehen, vorausgesetzt, ich akzeptiere das, was ausgeführt worden ist. – Erste Bemerkung.
Zweite Bemerkung. Ich will an das anschließen, was JörgUwe Hahn formuliert hat. Das Thema Kommunaler Finanzausgleich und die Frage der Wirkungsweise zwischen Baulandausweisung, Infrastrukturentwicklung, Kindergarten, Schulen etc. pp. auf der einen Seite sowie das Thema Wohnungsbau auf der anderen Seite sind immanent. Da macht die FDP einen harten Punkt, dass es ganz offensichtlich so ist, dass die Struktur des derzeitigen Kommunalen Finanzausgleichs, den Sie politisch zu verantworten haben, die zusätzliche Ausweisung von Baugebiet eben nicht belohnt.
Vor dem Hintergrund der Beschlussfassung der Union – es gibt mindestens entsprechende gutachterliche Stellungnahmen im Finanzministerium zu der Frage – sagt Herr Caspar inzwischen auch, dass Sie an das Thema nach der Wahl herangehen wollen, weil Sie inzwischen verstanden haben, dass da ein Problem ist. Das begrüße ich ausdrücklich. Aber wichtig ist, Folgendes festzuhalten: Ein Teil der Probleme bei der Baulandausweisung hat etwas damit zu tun, dass die Kommunalfinanzen unter dieser Regierung in den fünf Jahren eben nicht so aufgestellt waren, dass es für die Kommunen auskömmlich ist, entsprechend Bauland auszuweisen.
Dritte Bemerkung. Auch das macht es ein bisschen komplizierter: Der Landesentwicklungsplan macht überhaupt keine Vorgaben zu faktischem Flächenverbrauch. Auch daraus entstehen Probleme, die landespolitisch vorgegeben sind und die es komplizierter machen.
Vierte Bemerkung. Frau Ministerin, Sie haben nichts dazu gesagt, dass das Land Hessen seine Mittel in den nächsten Jahren kürzt. Ihr Versuch, meinen Hinweis auf die Wohnungswirtschaft zu diskreditieren, wird durch Ihr Vorgehen nicht schlauer. Denn der Hinweis, dass Sie die Mittel nicht vermehren, ist das eigentliche Problem. Deswegen stricken Sie die Richtlinie neu – mit allen Konsequenzen, die das hat. Das Problem ist aber die Mittelzuweisung in diesem Bereich für die Programme, über die ich rede.
Vorletzte Bemerkung. Ihr Versuch, meinen Hinweis, dass Ihre Wohnungsbauförderungen im Jahr 2017 – ich wiederhole es für Sie –, also für ein Jahr, bei einem Baubedarf von 37.000 Wohneinheiten bei unter 1.000 Wohneinheiten lagen, nach dem Motto abzutun, es handele sich um 4.500, verfängt nicht. Ich habe über die Periode gar nicht geredet. Jeder weiß, dass das nicht einfach ist und nicht sofort entschieden wird. Aber wir müssen doch, wenn wir ernsthaft über die Frage reden wollen, konstatieren, dass das Problem deutlich größer ist. Sie schreiben in Ihrem Antrag: Es gibt die Trendwende,
und das Problem ist mehr oder weniger gelöst. – Ich sage Ihnen: Das ist Realitätsverweigerung. Das hilft niemandem, der eine Wohnung sucht.
Letzte Bemerkung. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Ich habe bisher zu dem Dornröschenschlaf von Ihnen in der Wohnungsbaupolitik wenig gesagt. Aber Schwarz-Grün und Ihre Amtsführung stellen sicherlich kein Beispiel dar – weder für den Bund noch für andere Bundesländer –, wenn es darum geht, bezahlbaren Wohnraum in der Fläche zu schaffen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sie haben eine Regierungserklärung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt angekündigt und einige Bemerkungen gemacht, die ausdrücklich – das haben Sie am Beifall meiner Fraktion gemerkt – unsere Zustimmung finden.
Dennoch lässt mich Ihre Regierungserklärung mehr ratlos als orientiert zurück.
Sie haben kein einziges Wort zur Zukunft gesagt. Sie haben keinen einzigen Vorschlag dazu gemacht, wie man in Zukunft den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. Sie sind bei einem Teil Ihrer Beschreibungen sehr an der Oberfläche geblieben.
In Ihrer Regierungserklärung haben Sie versucht, mit schönen Worten ein Bild von Ihrer Regierung zu malen, ein Bild, das die Realität verzerrt.
Fangen wir mit dem ersten Satz Ihrer Erklärung an. Sie sagen, Hessen sei ein starkes Land. Ich sage: Hessen ist ein starkes Land – außer man sucht eine bezahlbare Wohnung. Zu dem Thema haben Sie kein einziges Wort gesagt.
Hessen ist ein starkes Land – außer man steht im Stau oder in überfüllten Bussen und Bahnen.
Hessen ist ein starkes Land – außer man muss Straßenausbaubeiträge zahlen.
Hessen ist ein starkes Land – außer man sucht Fachpersonal für die MINT-Fächer.
Hessen ist ein starkes Land – außer man hat einen befristeten und schlecht bezahlten Arbeitsplatz. Hessen ist ein starkes Land – außer man leistet als Polizist zu viele Überstunden.
Hessen ist ein starkes Land – aber nicht wegen Ihrer Regierung. Sie schauen weg. Deshalb sehen Sie die Herausforderungen nicht mehr.
Der Unterschied zwischen uns beiden ist: Sie schauen weg, ich schaue hin.
Das passiert Ihnen ständig, Herr Bouffier. Zwei aktuelle Beispiele: Ihr Finanzminister hat sich als Bodenspekulant betätigt und dafür gesorgt, dass dort, wo bezahlbarer Wohnraum – –
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst es durchlaufen.
Dort, wo bezahlbarer Wohnraum mitten im überhitzten Mietmarkt Frankfurts hätte entstehen können, ist jetzt ein Quartier entstanden, in dem alles entstehen wird, aber kein bezahlbarer Wohnraum. Ich weiß, das wollen Sie nicht hören; das haben Sie gerade dokumentiert.
Aber einer muss Ihnen das angesichts des Mietmarktes in Hessen doch sagen.
Das Gleiche gilt für Ihren Kultusminister, der behauptet, es gebe keinen Unterrichtsausfall in Hessen. Er hält die Hände vors Gesicht und ruft: Ich sehe keinen Lehrermangel. – Sie glauben ihm und schauen weg.
Herr Bouffier, es gibt einen Lehrermangel in Hessen.
Herr Bouffier, es fällt in Hessen Unterricht aus.
Herr Bouffier, in Hessen fällt Unterricht aus – an jedem Tag. Jede Mutter und jeder Vater, jede Schülerin und jeder Schüler können Ihnen das bezeugen. Sie aber haben sich längst tief in die Staatskanzlei zurückgezogen. Sie sind umgeben von Leuten, die Ihnen zwar applaudieren, Sie aber nicht mehr mit der Wirklichkeit konfrontieren.
Keine Sorge, Sie werden gleich noch sehr viel mehr Anlass haben, sich aufzuregen. – Sie wollen nicht mehr wissen, welche Probleme die Hessen plagen. Sie wollen nur noch in Ruhe auf dem Chefsessel sitzen. Herr Bouffier, die Bevölkerung in unserem Land hat in der Tat mehr von einer Regierung zu erwarten als das, was Sie in den letzten fünf Jahren geboten haben.
Um es noch einmal zu wiederholen: Sie bauen keine Wohnungen. Sie hoffen und wetten darauf, dass allein der Markt das Problem löst.
Sie bilden keine Lehrerinnen und Lehrer mehr aus. Sie wetten und hoffen darauf, dass es am Ende irgendwie reicht.
Sie unternehmen nichts gegen den Verkehrskollaps. Sie wetten und hoffen, dass die Autos von allein verschwinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Lehrermangel hat in Ihrer Regierungserklärung keine Rolle gespielt.
In Ihrer Erklärung haben der Bildungsgipfel und der Versuch, die Gesellschaft zusammenzuführen, keine Rolle gespielt. – Herr Boddenberg, Sie brauchen sich gar nicht zu Wort zu melden, Sie haben im Anschluss genügend Redezeit.
Wenn Ihnen 20 Minuten Redezeit nicht reichen, um das zu sagen, was Sie inhaltlich vorhaben, tut es mir leid, Herr Boddenberg.
Auch Sie werden bald merken, worauf ich hinauswill.
Der Lehrermangel spielt eine große Rolle. Sie haben dazu aber nichts gesagt. Sie haben zu den Staus nichts gesagt, und Sie haben zum Problem der Schaffung bezahlbaren Wohnraums nichts gesagt. Ich könnte Ihnen viele Zitate vorlesen, mit denen Ihnen auch Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen beschreiben, warum das die aktuell wichtigsten Themen in diesem Land sind. Ich kann es nur wiederholen: Sie haben zu diesen Themen und dazu, wie Sie sie in den kommenden fünf Jahren anpacken wollen, überhaupt nichts gesagt. Das sind aber für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zentrale Fragen.
Jetzt komme ich zum zweiten Satz Ihrer Regierungserklärung. Sie sprachen von einem Land, das zusammenhält. Ich sage Ihnen: Es waren nicht die GRÜNEN und auch nicht die Union, die etwas dafür getan haben, dass es in Hessen immer noch einen Zusammenhalt gibt. Das werfen wir Ihnen heute vor. Sie tauchen zu oft weg. Sie halten Reden, ohne dass Taten folgen.
Ich will konkreter werden. Wer über gesellschaftlichen Zusammenhalt redet und 1999 Unterschriften gegen Ausländer gesammelt hat,
wer über gesellschaftlichen Zusammenhalt redet und die „Operation düstere Zukunft“ gegen die Sozialkultur und gegen Integrationsprojekte durchgezogen hat,
wer über gesellschaftlichen Zusammenhalt redet und 2008 „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen“ pla
katiert hat, wer über gesellschaftlichen Zusammenhalt redet und jahrelang Herrn Irmer nach seinen Tiraden gegen Homosexuelle, Muslime, Migrantinnen und Migranten sowie LINKE geschützt und ihn vor zwölf Monaten in den Bundestag befördert hat,
wer über gesellschaftlichen Zusammenhalt redet und sich nach dem Ende des Untersuchungsausschusses zum NSU nicht zu den Fehlern erklärt, die die Sicherheitsbehörden in Hessen gemacht haben, wer über gesellschaftlichen Zusammenhalt redet und am vergangenen Freitag Horst Seehofer in der Landeshauptstadt zu Gast hatte und geschwiegen hat, der muss seine Glaubwürdigkeit zumindest hinterfragen lassen.
Sie sprechen in Ihrer Erklärung von „Haltung“. Das finde ich interessant. Wo war denn die Stimme Hessens, als es um den Zusammenhalt im Land ging, z. B. nach den Hetzjagden in Chemnitz? Was haben Sie Ihrem famosen Ministerpräsidenten in Dresden und dem merkwürdigen Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz gesagt? Wo waren Sie, als in Köthen Demonstranten öffentlich auftraten und „Nationaler Sozialismus jetzt, jetzt, jetzt“ brüllten? Ich sage für meine Partei und meine Fraktion: Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist und bleibt ein Verbrechen.
Sie betonen, dass nicht alle Demonstranten in Chemnitz Nazis seien. Das mag sein.
Jetzt hören Sie mir vielleicht zu. Ich habe dem Ministerpräsidenten auch zugehört.
Aber ich finde, in so eine Regierungserklärung gehört, dass, egal welcher politischen Gesinnung jemand ist, jeder Einzelne eine Verantwortung dafür hat, hinter welcher Fahne und welcher Position er herläuft. Auch das gehört in eine solche Debatte.
Zur Verantwortung des Einzelnen wurde nichts gesagt. Es wurde übrigens auch nichts zu den 65.000 Demonstrantinnen und Demonstranten gesagt, die unter „Wir sind mehr“ in Chemnitz versucht haben, ein anderes Signal zu setzen, ein Signal dafür, dass es eine liberale, weltoffene, demokratische Gegenkultur gibt, auch und gerade in einer Stadt wie Chemnitz.
Ich habe zur Kenntnis genommen: Bei der Demonstration in Wiesbaden ist Ihr Koalitionspartner genauso wie DIE LINKE und die SPD, Kirchen, Sozialverbände und Gewerkschaften, die Bildungsstätte Anne Frank auf die Straße gegangen, um dafür zu demonstrieren, dass dieses Land auch in Zukunft ein liberales und weltoffenes bleibt, dass wir die Verkleinerung dessen, was wir an Perspektiven haben, nicht zulassen dürfen. Das dann unter der Abteilung „Gutmenschen“ abzutun
und sich nicht dabei zu engagieren, ist auch etwas, wofür Sie sich zumindest hinterfragen lassen müssen, wenn Sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt heute zu einem Thema machen.
Der für mich bedeutendste Ministerpräsident unseres Bundeslandes – ich glaube, dass man darüber sogar fast Konsens herstellen kann –, Georg August Zinn, hat viele kluge Sätze formuliert. Der wichtigste für mich ist:
Demokratie ist nicht nur eine Staatsform, sondern eine Lebenshaltung.
Dieser Satz meint nämlich, dass die Frage, in welchem persönlichen oder politischen Verhältnis beispielsweise ein Regierungschef und ein Oppositionsführer stehen, nicht entscheidend ist für die Frage, wie unsere Demokratie funktioniert. Entscheidend ist vielmehr, wie sich jeder Einzelne hier im Raum, aber auch hier oben auf der Besuchertribüne und viele darüber hinaus für sich selbst und für ihre Nachbarn verantwortlich fühlen.
Deswegen ist der Widerstand gegen Nationalismus, gegen Spaltung, gegen Extremismus, und zwar gegen jede Form von Extremismus, so bunt und kreativ. Vielleicht sollten wir an einem solchen Tag einmal anfangen, die unterschiedlichen Formen dieses Protests nicht mehr gegeneinander auszuspielen, sondern alle gleichwertig zu betonen, und zwar nicht nur am heutigen Tag, sondern immer. Da haben einige in diesem Haus echt noch Nachholbedarf.
Herr Bouffier, ich bedanke mich ausdrücklich für die Anerkennung und Ihre wertschätzenden Worte im Zusammenhang mit dem Umgang in der Humanitätskrise. Es ist so, dass ich Sie in den Sommerferien 2015 anrief mit dem ausdrücklichen Angebot der hessischen Sozialdemokratie, angesichts der sich abzeichnenden humanitären Katastrophe gemeinsam dafür zu arbeiten, dass niemand gegeneinander ausgespielt wird, dass wir alle auch schwierigen politischen Debatten zurückstellen, um dafür zu sorgen, dass wir angesichts der Größe dieser Aufgabe beieinander bleiben.
Der hessischen Sozialdemokratie – das wurde oft und regelmäßig kommentiert – hat das politisch wenig gebracht. Es war aber unsere feste Überzeugung, dass es richtig und notwendig ist, in dieser Phase dafür zu sorgen, dass alle Kräfte darauf ausgerichtet sind, dass Menschen, die in Not zu uns kommen, Hilfe und Unterstützung bekommen, und diejenigen zu unterstützen, die als ehrenamtliche wie als hauptamtliche Helferinnen und Helfer tagtäglich rund um die Uhr weit über das hinaus, was ihre Dienstpflicht gewesen wäre, egal ob sie ehrenamtlich oder hauptamtlich organisiert war, einen Beitrag dazu leisten. Zu dieser Verantwortung stehen wir auch in Zukunft.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in dieser Phase mit Blick auf das Paket, dass wir im Haushalt gemeinsam beschlossen haben, viele richtige und wichtige Ansätze formuliert haben, beispielsweise in der Schulentwicklung, im Sozialwesen, bei Integrationsmaßnahmen und vielem anderen mehr. Wir hätten uns gewünscht, dass dieser Auf
bruch politischer Kultur, der auch ein Versprechen dessen war, was diese neue Koalition anstrebte, und im Bildungsgipfel gescheitert ist, über die unmittelbaren Ereignisse und den Beschluss über den Haushalt 2016/2017 hinaus Wirkung gehabt hätte. Viele der klugen Ansätze sind aus unserer Sicht konzeptionell in den Ansätzen stecken geblieben. Wir hätten uns gewünscht, dort mehr gemeinsam zu erreichen, weil die Aufgabe – darauf haben Sie zu Recht hingewiesen – ganz sicher nicht abgeschlossen ist.
Ich will das beschreiben mit Blick auf die Integrationsleistung, die Schulen zu erbringen haben, und auf die regelmäßigen Auseinandersetzungen, Herr Kultusminister, über die Frage, ob InteA funktioniert oder nicht. Wir haben bilateral in unterschiedlichsten Konstellationen mehrfach darüber geredet. Wir wissen, dass die Konstruktion bei InteA in einer bestimmten Phase entstanden ist, aber eben auch deutliche Schwächen hat, beispielsweise in der Frage, ob es klug ist, Kinder und junge Erwachsene nach einem bestimmten Zeitablauf aus der Schule zu entlassen. Ich weiß, dass Ressourcenfragen dahinter stehen. Aber ich glaube, dass es richtig ist, am Anfang in die Integration zu investieren, weil wir anschließend deutlich weniger für die Reparatur aufwenden müssen, wenn es uns am Anfang gelingt, diese Aufgabe ordentlich zu machen.
Ich hätte mir in den letzten zwei Jahren sehr gewünscht, dass wir jenseits der Erklärungen, die wir hier regelmäßig erleben, dass die Regierung alles richtig macht, auch da weiter in der Lage gewesen wären, gemeinsam stärker voranzukommen. Das ist leider nicht möglich gewesen, weil der Grundsatz hier im Haus „Mehrheit ist Wahrheit“ danach wieder Wirklichkeit wurde.
Wir werden in der Migrations- und Zuwanderungspolitik den Grundsatz „Ordnen und steuern“ vor allem auf der Bundesebene, aber auch in unserem Bundesland weiter mit Leben füllen müssen. Für mich gehört dazu zwingend ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, das endlich diejenigen, die von politischer, religiöser und sonstiger Verfolgung bedroht sind, in den Verfahren von denjenigen trennt, die aus Gründen der Arbeits- und Sozialmigration kommen, auch um die Verfahren zu erleichtern.
Ich verstehe die Debatte um Spurwechsel auf der Bundesebene nicht. Ich kann verstehen, dass Leute daran verzweifeln, dass auf der einen Seite Menschen, die in Ausbildung sind, ihre Ausbildung abgeschlossen haben, zur Abschiebung anstehen, obwohl sie bewiesen haben, dass sie sich in diese Gesellschaft integrieren wollen, und wir auf der anderen Seite Menschen, die wir hier nicht haben wollen, nicht abgeschoben bekommen. Deswegen plädiere ich energisch dafür, dass wir das Thema Spurwechsel auf der Bundesebene konstruktiv lösen und nicht ideologisch, nur weil insbesondere bei diesem Teil des Hauses nach wie vor die Sorge ist, dass Sie in der Migrationspolitik nicht die aus Ihrer Sicht falschen Akzente setzen wollen.
Wir haben mit dem „Hessenplan +“ als Sozialdemokratie eine Vielzahl von Maßnahmen vorgeschlagen, die in den nächsten fünf Jahren dazu dienen sollen, diese großen Aufgaben unter dem Stichwort „Gesellschaftlicher Zusammenhalt: wie macht man den?“ umzusetzen und nicht nur obendrüber zu schweben.
Lassen Sie mich am Ende noch einmal grundsätzlicher werden. Wenn in Deutschland, egal wo, Menschen ermordet werden und in der Folge dessen Rechtsextreme Hetzjagden auf Unschuldige machen, dürfen wir auch im Hessischen Landtag nicht schweigen. Wir sind in allen Fraktionen entsetzt – davon bin ich überzeugt –, wie versucht wird, rechtsextreme Vereinnahmungen zu organisieren. Genauso entsetzt sind wir darüber, welches Maß an Demokratieverachtung von Rechtsextremisten zutage tritt. Da teile ich all das, was der Ministerpräsident gesagt hat.
Zur Wirklichkeit und zur Wahrheit gehört aber auch, dass die rechten Probleme insbesondere auch in Sachsen eine lange Vorgeschichte haben. Jahrzehntelang wurde da vor rechten Umtrieben weggeschaut. Jahrzehntelang haben GRÜNE, Liberale, LINKE, Kirchen, Gewerkschaften und die SPD vor den Entwicklungen gewarnt, während die Staatsregierung weggeschaut hat.
Wie bedeutend diese Frage ist, will ich verdeutlichen mit einem aktuellen Zitat aus dem neuesten Buch von Madeleine Albright, die die Herausforderungen für uns sehr präzise formuliert hat. Sie formuliert, bezogen auf ein Zitat von Václav Havel:
„Europa strebt danach, eine historisch gesehen neue Ordnung zu erschaffen durch den Prozess der Vereinigung … ein Europa, in dem der Mächtigere nicht länger in der Lage sein wird, den weniger Mächtigen zu unterdrücken, in dem es nicht mehr möglich sein wird, Konflikte gewaltsam zu lösen.“
Das war die Hoffnung nach dem Fall der Mauer. Sie fragt dann:
Heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, müssen wir uns fragen, was aus jener hehren Vision geworden ist; warum scheint sie immer mehr zu verblassen, anstatt klarer zu werden? Warum ist die Demokratie heute „Angriffen ausgesetzt und auf dem Rückzug“, wie die NGO Freedom House konstatiert? Warum versuchen viele Menschen in Machtpositionen, das öffentliche Vertrauen in Wahlen, in die Justiz, in die Medien und – was die grundlegenden Fragen zur Zukunft unseres Planeten angeht – in die Wissenschaft zu untergraben?
Das ist die Herausforderung, mit der wir in der Tat konfrontiert werden. Deswegen ist die Konsequenz daraus erstens eine klare Haltung und zweitens, in der Sache Rechtspopulisten, Nationalisten und Spaltern aller Art entgegenzutreten. Das Wahlprogramm der Rechtspopulisten in Hessen, mit seiner Forderung, dass der öffentliche Rundfunk abgeschafft wird, mit einem Familienbild, das inakzeptabel ist, mit seinem Umgang mit Zuwanderung und Integration, aber auch mit den Wohnungsthemen, bietet dazu einen Anlass. Drittens brauchen wir einen handlungsfähigen Rechtsstaat, der dafür sorgt, dass man den Neonazis, egal ob sie in Köthen oder in Chemnitz auftreten, mit aller Klarheit und Entschiedenheit entgegentritt.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nicht durch Sonntagsreden, sondern im Handeln, jeden Tag, jede Woche und jedes Jahr. Sie haben aus meiner Sicht heute eine Chance dazu verpasst – Herr Bouffier, wenn es nach mir
geht, allerdings auch die letzte Chance in diesem Parlament. – Danke schön.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Michael Boddenberg, ich habe mir abgewöhnt, mich über euch zu ärgern. Dennoch will ich gern zu zwei Punkten etwas sagen.
Erstens. Ja, wir haben über die Frage dieser Demonstration geredet. Und ja, ich bin nicht restlos von der Klugheit die
ser Demonstration überzeugt gewesen. Deswegen habe ich dort auch eine andere Rede gehalten, als viele erwartet hatten. Genauso wenig war ich allerdings, nachdem ich die Regierungserklärung vom heutigen Tag gelesen habe, von der Klugheit dieser Regierungserklärung, auch und gerade im Umgang mit den Rechtspopulisten, überzeugt. Das war der Gegenstand meiner Ausführungen.
Zweitens. Bei der Frage der „Operation düstere Zukunft“ ist mein Problem nicht gewesen, über Generationengerechtigkeit zu reden, sondern, dass manche Vorgänge innerhalb dieser „Operation düstere Zukunft“ für mich weder politisch noch anders nachvollziehbar waren, beispielsweise wenn man auf der einen Seite Mittel für die Migrationsberatung und die Frauenhäuser streicht, aber gleichzeitig mit einer windigen Konstruktion versucht, für die Geweihsammlung im Schloss Erbach im Odenwald Mittel zur Verfügung zu stellen. Das ist zumindest ein Problem gewesen.
Damit komme ich zur letzten Bemerkung. Wir haben hier in der Tat über die Frage Blockupy geredet. Ich habe nach meiner Rede zum Thema Blockupy viele Rückmeldungen aus Ihrer Fraktion bekommen, und ich habe auch Rückmeldungen von der LINKEN bekommen, die deutlich anders waren.
Haltungsfragen dürfen niemals taktisch sein. Das ist mein Problem mit Ihrer Bemerkung zum Thema „Feine Sahne Fischfilet“. Das ist die Band, um die es geht. Ich sage das deswegen so klar, weil am 13. August 2016 die Generalsekretärin der Bundes-CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer,
auf dem „Rocco del Schlacko“-Konzert war, auf dem „Feine Sahne Fischfilet“ ausführlich gespielt hat, und danach auf Twitter geschrieben hat: „einfach nur wow!“
Da Haltungsfragen für mich nicht taktisch sind, ist das ein Punkt, den ich bis heute nicht verstehe, warum sie das alles vor zwei Jahren super fand, aber dann im Umgang mit Chemnitz an dieser Stelle eine solche Debatte anfängt. Es tut mir leid.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst: Das war natürlich nur Ausdruck besonderer Fürsorge für Sie, und nicht anders gemeint.
Das würde ich mich nie trauen, Herr Präsident.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es gibt Geschichten, die man sich eigentlich nicht ausdenken kann, aber manchmal passieren sie wirklich. Da rufen am vergangenen Sonntag 14 Ortsverbände der Christlich Demokratischen Union in Hessen zu einer Demonstration gegen bezahlbares Wohnen in Frankfurt auf. So etwas hat Hessen schon lange nicht mehr gesehen.
Der Ministerpräsident schweigt dazu. Kurz davor erklären die sechs männlichen Landtagskandidaten der Union in Frankfurt – die Kollegin Judith Pauly-Bender, wenn sie noch hier gewesen wäre, hätte von einem Männerfleischskandal innerhalb der Frankfurter Union gesprochen –
ebenfalls, dass man keinen neuen Stadtteil will, weil bezahlbares Wohnen nicht die Priorität der Union in Hessen ist. Ich nenne das Wirklichkeitsverweigerung in einem Maße,
das schädlich ist gegenüber den Menschen, die nach bezahlbarem Wohnraum suchen.
Herr Banzer, symbolträchtiger hätten Sie sich den Zielort nicht aussuchen können: ein Labyrinth. – So kommt uns die Wohnungspolitik der Hessischen Landesregierung schon länger vor. Aber dass ausgerechnet Sie sich an die Spitze dieser Bewegung stellen und jetzt Position gegen den Bau von zusätzlichen bezahlbaren Wohnungen in Hessen beziehen, das finde ich einen Treppenwitz. Ich will wiederholen, was ich gestern gesagt habe: Es ist nicht hinnehmbar, dass die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die Sie nach Frankfurt/Rhein-Main schicken, die für die Si
cherheit der Menschen in der Region sorgen, sich keine Wohnungen mehr im Großraum leisten können. Deswegen muss gebaut werden.
Herr Banzer, Herr Boddenberg, es ist klar, dass es dabei auf der einen Seite um Verdichtung im Bestand und auf der anderen Seite um Ausweisung gehen muss.
Denn bei einer Nettozuwanderung im Großraum Frankfurt/ Rhein-Main von 160.000 Neubürgern in den nächsten zwölf Jahren wird es nicht ohne Ausweisung und Nachverdichtung gehen. Herr Boddenberg, dazu haben Sie sich sogar in Ihrem Koalitionsvertrag in Frankfurt mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Sozialdemokratie verpflichtet.
Dafür sind andere Bereiche in Frankfurt ausgefallen. Dass Sie jetzt acht Wochen vor der Landtagswahl aus offensichtlich populistischen Gründen demonstrieren, weil es Ihnen darum geht, dass aus Ihrer Sicht derzeit das Gemeinwohl am Gartenzaun von Herrn Banzer und anderen CDUBesserverdienern endet, das ist nicht akzeptabel. Deswegen haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt.
Herr Möller, kommen Sie nach vorne. Ich lade Sie herzlich ein, zu debattieren. – Sie können hier nicht permanent erklären, dass Sie sich für Wohnen einsetzen. Aber dann, wenn es konkret wird, verziehen Sie sich, ziehen Sie sich aus Ihrer Verantwortung zurück in Bezug auf den Frankfurter Koalitionsvertrag, in dem genau die Entwicklung solcher Flächen vorgesehen ist, wo es jetzt darum geht, die Voruntersuchungen, ob das überhaupt geht, auf den Weg zu bringen.
In dieser Situation stellt sich die hessische Union hin und erklärt: Wir wollen das alles nicht. – Damit betreiben Sie Fundamentalopposition gegen bezahlbaren Wohnraum, und ich sage Ihnen: Wir werden in den nächsten Wochen laut und deutlich zum Ausdruck bringen, dass das nicht akzeptabel ist.
Ich bleibe dabei: Was Sie hier betreiben, ist Wirklichkeitsverweigerung. Es hat Ihnen auch eine Vielzahl von Verbänden in den letzten Tagen zum Ausdruck gebracht, dass nicht akzeptabel ist, was Sie hier für ein Spiel treiben, dass es nicht akzeptabel ist, dass Sie sich Ihre eigene saturierte Situation gegen die Interessen derjenigen sichern wollen, die bezahlbaren Wohnraum suchen.
Ich bin gespannt, wo das enden wird. Ich hätte erwartet, dass der Ministerpräsident dazu etwas sagt. Aber genau dann, wenn es darum geht, an solchen Stellen Position zu beziehen, passiert gar nichts mehr. Herr Banzer, ich bin gespannt, wo das enden wird. Ich habe eine Vermutung. Die GRÜNEN werben mit ihrem Hashtag „#grünwirkt“. Dass Sie jetzt das Demonstrationsrecht gegen bezahlbaren Wohnraum entdeckt haben, ist ein interessanter Hinweis. Ich warte auf den Tag, der wahrscheinlich in den nächsten 60 Tagen noch kommen wird, an dem Sie eine Sitzblockade in der Frischluftschneise nach Frankfurt organisieren,
damit die Frankfurter unter Druck gesetzt werden, sodass das nicht kommt.
Ich sage Ihnen, für diesen Weg gibt es nur eine einzige mögliche Richtungsentscheidung: Kehren Sie um, und beenden Sie Ihre Blockade gegen bezahlbares Wohnen in Hessen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, zunächst herzlichen Dank für Ihre Erklärung. Ich will das in aller Offenheit sagen: Ich kann die Emotionalität Ihrer Erklärung nachvollziehen. Wir haben mehrfach über den Vorgang geredet. Das wissen Sie. Wir haben auch über die Probleme geredet, die auch aus Fraktionsanträgen entstanden sind, mit entsprechender Erklärung unsererseits. Ich kann nur wiederholen, dass wir mehrfach darüber gesprochen haben. Ich verstehe die Emotionalität an dieser Stelle ausdrücklich.
Das ist einer der Punkte, der Menschen wie Sie und auch alle anderen – dazu könnte ich jetzt auch ein paar Bemerkungen machen – immer und immer wieder an Grenzen führt: Bis zu welchem Punkt ist das, was mit einem und über einen gemacht wird, noch erträglich, und wie geht man mit denen um, die man für die Berichterstattung für verantwortlich hält? – Ich kann dieses Argument – das sage ich ausdrücklich – nachvollziehen.
Ich will zur Redlichkeit der Debatte aber auch sagen, dass das, was Sie für sich in Anspruch nehmen, nicht nur für Sie gilt.
Wir haben und werden nicht vergessen, dass in einem Landtagswahlkampf aus der Staatskanzlei heraus an der Schule, auf die der Sohn von Andrea Ypsilanti ging, eine Pressekonferenz organisiert wurde, in der das Kind von Andrea Ypsilanti in die Öffentlichkeit gezerrt und zum Gegenstand der Politik gemacht wurde. Die Tatsache, dass die hessische Union bis heute nicht die Kraft hatte, sich dafür öffentlich klar vernehmbar zu entschuldigen, liegt auf Ihrer Erklärung vom heutigen Tag; denn das, was Sie für sich in Anspruch nehmen, müssen Sie auch für andere gelten lassen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich für die Mehrzahl der Beiträge bedanken. Im Lichte dieser Beiträge, insbesondere derjenigen der Kollegen Wagner und Hahn, mache ich den Vorschlag, dass dieser Antrag am heutigen Tag nicht zur Abstimmung gestellt, sondern an den Hauptausschuss des Hessischen Landtags überwiesen wird – da müssen wir uns einig sein, denn es ist ein anderes Antragsformat –, um ihn zum Anlass zu nehmen, die von mehreren Rednerinnen und Rednern in Gang gesetzte Debatte zu vertiefen.
Das gilt für den Umgang zwischen erster und zweiter Gewalt und dem Medienbetrieb, aber auch für die Art und Weise, wie wir in solchen Situationen miteinander umgehen. Das ermöglicht es uns heute, diesen Vorgang so zu behandeln, wie es die Debatte am Ende nahegelegt hat. Das ist der Vorschlag, der zwischen den Fraktionsführungen von SPD und Linkspartei abgestimmt ist. Damit sind wir heute nicht in einer Abstimmungssituation. Darüber, was am Ende mit diesem Antrag passiert, beraten wir dann in aller Ruhe im Hauptausschuss, wenn wir über die Konsequenzen geredet haben.
Ich will mich herzlich bei Herrn Hahn bedanken. Das ist einer der Punkte, die den Unterschied zwischen politischer Kultur und Nicht-Kultur ausmachen.
Es gibt auf den verschiedenen Seiten viele Bespiele; wir reden gelegentlich darüber. Herr Boddenberg, das war der Unterschied zu Ihrer Rede: Herr Hahn hat es, im Unterschied zu anderen, offensichtlich verstanden.
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass wir ein Infrastrukturproblem haben, war es das.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem denkwürdigen Interview der letzten Tage in der „Frankfurter Rundschau“ hat der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier auf die erste Frage wie folgt geantwortet:
Der Löwe ist stark, der Löwe ist mutig.
Wenn man die Pranke sieht, dann sage ich immer: Damit drohen wir nie, sondern wir Hessen grüßen immer freundlich.
Wer die Reden des Ministerpräsidenten bei Veranstaltungen hört, kann sich an diese Formulierung gut erinnern. Wir hätten nicht die „Frankfurter Rundschau“ gebraucht, um diesen Ausspruch dokumentiert zu bekommen, aber es passt in die Reihe der Zitate der letzten Tage.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, es reicht nicht, durchs Land zu fahren, zu lächeln, Löwen und Kacheln zu verteilen, damit der Standort zu einem Motiv für die Zeitungen gemacht wird.
Wenn gleichzeitig Funklöcher vom Vogelsberg bis zum Frankfurter Nordwestkreuz reichen, wenn sich Polizistinnen und Polizisten, die dazu eingestellt sind, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auch im Ballungsraum zu sichern, dort keine Mieten mehr leisten können, wenn Unternehmerinnen und Unternehmer wegen der Mängel in der Infrastruktur deutliche Gefährdungen ihrer Geschäftsmodelle befürchten, wenn Investitionen bedrohlich niedrig sind, wenn Innovationsfragen nur noch in Hochglanzbroschüren gelöst werden, reicht das alles nicht.
Durchschnittswerte sind Ihre Lieblingswährung. Statistiken, die Ihre Innovationslosigkeit überdecken sollen, sind das Tagesgeschäft dieser Landesregierung.
Seit 19 Jahren, Herr Bouffier, sitzen Sie in dieser Regierung in den unterschiedlichsten Funktionen
und beklagen in einem aktuellen Interview der „Süddeutschen Zeitung“, dass einige Verfahren ziemlich lang dauern würden – bis zu 30 Jahre.
Ich will heute Folgendes wenigstens festgehalten haben: Von diesen 30 Jahren haben Sie fast 20 Jahre regiert.
Wo ist eigentlich Ihr Beitrag?
Vollmundige Ankündigungen kennen wir von Ihnen zuhauf. Eine der letzten, die Sie angesprochen haben, war die Einrichtung eines Zukunftsministeriums vor der letzten Landtagswahl. Ich kenne die Reaktionen jetzt schon: Sie sind die personifizierte Zukunft, das heißt, man braucht eigentlich gar kein Ministerium.
Aber es ist exemplarisch für Ihre Ankündigungsrhetorik, dass Sie erklären: „Wir beschäftigen uns mit den Zukunftsfragen“, und danach kommt gar nichts. PR können Sie großartig; das ist überhaupt keine Frage.
Aber an Substanz liefern Sie nichts. Das hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft gerade eindrücklich ins Stammbuch geschrieben.
Da ich leider nur zehn Minuten Zeit habe, will ich nur einige wenige Punkte kurz ansprechen, die aufgerufen worden sind.
Finanzen. Schwarze glauben allen Ernstes, dass sie mit Finanzen umgehen können. Ich will darauf hinweisen, auch mit Blick auf die 4 Milliarden €, von denen gestern die Rede war: In der Regierungszeit von Roland Koch und Volker Bouffier hat sich die Staatsverschuldung des Landes Hessen in knapp 19 Jahren im Vergleich zu den 50 Jahren zuvor mehr als verdoppelt. Das ist Ihre Bilanz.
Die kommunalen Schulden sind gestiegen, die Abgaben auch. Bürgerinnen und Bürger sowie die kommunale Familie zahlen für die Versäumnisse Ihrer Finanzpolitik. Von 2011 bis 2016 – auch das hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft vorgerechnet – ist die Pro-Kopf-Verschuldung in Hessens Kommunen trotz des Schutzschirms, möglicherweise wegen Ihres Kommunalen Finanzausgleichs, um 529 € gestiegen, nicht gesunken. Das ist Ihre Bilanz nach 19 Jahren.
Noch dramatischer ist die Entwicklung der öffentlichen Investitionen. Das ist das Hauptthema des Instituts der deutschen Wirtschaft mit Blick auf die Wirtschaftslage; denn der Teil, den der Staat liefern muss, bezieht sich auf die Infrastruktur. Der Anteil der Investitionen ist zwischen 2010 und 2016 in Hessen um ein Drittel zurückgegangen. Ein Drittel weniger Investitionen in Hessen innerhalb von sechs Jahren – das ist Ihre Bilanz. Das ist das Gegenteil von Zukunftssicherung.
Kommen wir zur Mobilität. Auch dazu hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft einiges ins Stammbuch geschrieben. Wir haben schon mehrfach darauf hingewiesen, dass sich der Stau in Hessen mittlerweile auf eine Länge summiert, die dreimal um den Erdkreis reicht. Das hat Sie aber nicht sonderlich interessiert. Dass der Wertverlust dramatisch ist, hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft erneut vorgerechnet.
Dass 50 % aller Brücken in Hessen in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand sind, hat etwas damit zu tun, dass die Investitionsfragen in 19 Regierungsjahren von Roland Koch und Volker Bouffier nicht ausreichend gewürdigt wurden.
Außerdem ist Ihnen etwas zu den Themen Bauen und Planen ins Stammbuch geschrieben worden. An dieser Stelle zitiere ich noch einmal aus der „Süddeutschen Zeitung“. Der Ministerpräsident beklagt, die Verfahren dauerten zu lange. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie haben hier leider 20 Jahre lang regiert. Insofern ist ein solcher kritischer Hinweis ein Hinweis, der sich dezidiert gegen Sie selbst und gegen sonst niemanden richtet.
Besonders bemerkenswert an den Ausführungen des Instituts der deutschen Wirtschaft ist, was bei der Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans in der vergangenen Dekade passiert ist. Von 87 geplanten und avisierten Neubaukilometern im Bundesautobahnbereich haben Sie gerade einmal 24 km gebaut. Von den 107 km, die zur Erweiterung anstanden, haben Sie es gerade einmal auf 17 km geschafft. Wenn Sie jetzt in Ihrem Antrag wortreich erklären,
dass im nächsten Bundesverkehrswegeplan mehr Mittel zur Verfügung stünden, freue ich mich riesig darüber. Diesem Teil würde ich sogar zustimmen. Mein Vertrauen, dass dieses Mehr an Mitteln dazu führt, dass Sie auch nur einen einzigen Kilometer mehr bauen als in den vergangenen zehn Jahren, ist allerdings sehr übersichtlich. Das will ich in aller Offenheit sagen.
„Sanierung vor Neubau“ ist Ihr Credo. Im Grundsatz sind wir sehr dafür, weil wir einen Sanierungsstau haben. Das haben wir mehrfach gesagt, Herr Boddenberg. Der Punkt ist aber, dass das Credo bei Ihnen nicht mehr „Sanierung vor Neubau“ heißt. De facto geht es um Sanierung statt Neubau. Das ist aus unserer Sicht aber falsch.
Ich muss Ihnen sagen: Bei neuen Ideen ist gähnende Leere, und zwar seit vielen Jahren. Die letzten Ideen, die es einmal von einem gewissen Roland Koch gegeben hat, sind nie richtig umgesetzt worden – in den meisten Fällen völlig zu Recht und auch Gott sei Dank. Dahinter kommt aber einfach nichts mehr.
Damit komme ich zum nächsten großen Thema. Auch zur Wohnraumversorgung hat Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft ins Stammbuch geschrieben, dass Sie in diesem Bereich nichts auf die Kette bringen – im Gegenteil. Wir werden in Hessen eine Nettozuwanderung von bis zu 160.000 Neubürgerinnen und Neubürgern haben. Wir bauen in den nächsten zwölf Jahren eine neue Großstadt, um Wohnraum für diese Menschen zu schaffen, um Verdrängungen zu verhindern. Ihre Antwort ist – das wurde gestern wieder wortreich erklärt –: Hochglanzbroschüre, Darlehensprogramme, die nicht abgerufen werden, und die Aufforderung an die Kommunen, Gelände kostengünstig und für Konzeptwettbewerbe zur Verfügung zu stellen. Das Land selbst hat sich in der Vergangenheit hierbei völlig zurückgehalten. Wir sagen Ihnen: Das ist der falsche Weg. Die Antwort lautet: Wohnungsoffensive – jetzt wirklich machen.
Zum Thema „ländlicher Raum“ schreibt Ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft ins Stammbuch, dass Ihre Zentralisierungspolitik der vergangenen 19 Jahre genau das Gegenteil von dem ausgelöst hat, was eigentlich notwendig gewesen ist. Der Vierklang aus Wohnen, Arbeit, Infrastruktur und Daseinsvorsorge ist das Zukunftskonzept für den ländlichen Raum. Außer ein paar PR-Aktionen haben Sie kein, aber auch gar kein Konzept dazu.
Damit komme ich zum letzten Punkt, nämlich zur Industriepolitik. Auch da herrscht gähnende Leere bei dem, was Sie angesprochen haben. Der gestrige parlamentarische Abend der Lufthansa war aus vielen Gründen denkwürdig.
Ich habe mich sehr über die Lernkurve des derzeitigen Wirtschaftsministers gefreut, was das Thema Luftverkehrsabgabe angeht. Wir sind uns sehr einig, dass die Erträge aus der Luftverkehrsabgabe, wenn diese schon nicht abgeschafft werden kann, genutzt werden müssen, um emissionsgeminderte Flugzeuge anzuschaffen. Da sind wir sehr nah beieinander. Über den Weg haben wir zu diskutieren.