Protocol of the Session on November 23, 2017

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste auf der Tribüne! Ich eröffne die Sitzung mit einem fröhlichen Glückauf und stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung. Noch offen sind die Punkte 15, 16, 21 bis 30, 32 bis 42, 44 bis 54, 56, 58, 60, 66 bis 70, 72, 73 und 76. – Sie sehen, wir haben noch einiges zu tun.

Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille, Drucks. 19/5448. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Tagesordnungspunkt 78 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, nach Tagesordnungspunkt 66, der Aktuellen Stunde zu diesem Thema, aufgerufen und ohne Aussprache abgestimmt werden.

Außerdem eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille durch den Hessischen Ministerpräsidenten, Drucks. 19/5449. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist auch hier der Fall. Dann wird dieser Tagesordnungspunkt 79 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, ebenfalls nach Tagesordnungspunkt 66, der Aktuellen Stunde zu diesem Thema, aufgerufen und ohne Aussprache abgestimmt werden.

Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 19 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde. Wir beginnen mit den Anträgen für eine Aktuelle Stunde. Die Tagesordnungspunkte 68 und 69 werden gemeinsam aufgerufen, d. h., sie haben eine Redezeit von 7,5 Minuten.

Entschuldigt fehlen Herr Ministerpräsident Volker Bouffier ab 14 Uhr, Frau Staatsministerin Lucia Puttrich ganztägig – –

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit, sonst verstehen wir selbst nicht, was wir wollen. – Herr Staatsminister Tarek Al-Wazir fehlt entschuldigt ab 13:30 Uhr, Frau Staatsministerin Priska Hinz ab 16 Uhr und Frau Ursula Hammann ab 10 Uhr. Gibt es sonst noch Entschuldigungen?

(Zuruf)

Der Kollege Schaus ist noch entschuldigt. – Der Kollege Ernst-Ewald Roth ist wieder da, ich freue mich, dass er wieder gesund und munter ist und es ihm besser geht.

Dann starten wir mit der Tagesordnung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 66 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Wilhelm Leuschner hat sich in außergewöhnli- cher Weise für Freiheit, Demokratie und soziale Ge- rechtigkeit eingesetzt. Mit der geplanten Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille an den ehemaligen Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch verletzt der Hessische Ministerpräsident Ehre und Würde Wil- helm Leuschners.) – Drucks. 19/5429 –

Anschließend folgen die beiden Anträge. – Es beginnt der Kollege Günter Rudolph, SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beabsichtigte Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille am Hessischen Verfassungstag, dem 1. Dezember eines jedes Jahres, an den ehemaligen Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch hat heftige öffentliche Proteste ausgelöst, wie es sie bei keiner Preisverleihung und keiner Auszeichnung in diesem Maße gegeben hat. Das ist in der Tat ein einzigartiger Vorgang. Allein das sollte schon Grund sein, über diese Verleihung an Herrn Koch nachzudenken.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Wilhelm Leuschner war ein engagierter Gewerkschafter und Sozialdemokrat, einer, der sich in außergewöhnlicher Weise für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit eingesetzt hat. Er war einer der Widerstandskämpfer gegen die Nazidiktatur. Er war einer von vielen – es waren christliche Menschen wie Dietrich Bonhoeffer, es waren Kommunisten, es waren aber auch ganz normale Bürger, die gegen die Nazidiktatur aufgestanden sind, so wie Wilhelm Leuschner, der am 29. September 1944 durch die Nazis hingerichtet wurde. Er war jemand, der für uns wohl auch im Jahr 2017 noch Vorbild für unser politisches Wirken sein sollte, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die diesjährige Verleihung an Herrn Koch entspricht genau diesem Geist nicht. Wir haben gelegentlich lesen können, man ehre damit auch die Lebensleistung eines Menschen. Das ist unbestritten, das kann man tun. Aber wer die Wilhelm-Leuschner-Medaille verleiht, bezieht sich auf das Lebenswerk von Wilhelm Leuschner, und deswegen muss das Lebenswerk der zu ehrenden Person im Einklang mit dem Lebenswerk Wilhelm Leuschners stehen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Genau das ist nach unserer Auffassung bei Herrn Koch eben nicht der Fall. Herr Koch hat insbesondere im Landtagswahlkampf 1999 mit seiner zum Teil schwarzgeldfinanzierten ausländerfeindlichen Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Gesellschaft eben nicht zusammengeführt, sondern gespalten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Hier im Saal sitzen viele, die das erlebt haben: „Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?“

Dabei ist insbesondere auch die Verschleierung des Schwarzgeldes als angebliche jüdische Vermächtnisse ein bis heute nicht zu akzeptierender Tabubruch, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir haben eine große Welle öffentlicher Proteste erlebt. So verwundert es nicht, dass die grüne Oberbürgermeisterkandidatin in Frankfurt die Würdigung von Herrn Koch mit den Worten kommentiert hat, dies sei an Zynismus kaum zu überbieten, er werde dem Wirken und Andenken Wilhelm Leuschners in keiner Weise gerecht, er stehe in seiner Zeit als Ministerpräsident für Skandale und Spaltungen. –

Meine Damen und Herren, das hat die Mitgliederversammlung der GRÜNEN am vergangenen Samstag augenscheinlich und nach Medienberichten mit einer überwältigenden Mehrheit beschlossen, darunter wohl auch einige Landtagsabgeordnete – sie haben recht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deswegen ist der Antrag der Koalition schon abenteuerlich: Wir reden nicht darüber, weil es der Ministerpräsident entscheidet.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Genau!)

Entweder sind Sie nicht sprachfähig oder nicht sprachwillig – beides ist gleichermaßen schlimm bei einem solch markanten Vorgang.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ihr Antrag zeigt, dass es an der Zeit ist, die Kriterien für die Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille auf eine neue Grundlage zu stellen. Das alleinige Privileg des Hessischen Ministerpräsidenten, Personen für die Auszeichnung vorzuschlagen, ist nicht mehr zeitgemäß – das zeigt der Vorgang von diesem Jahr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ähnlich wie bei der Verleihung des Friedenspreises könnte man ein unabhängiges Kuratorium einsetzen, welches entsprechende Personalvorschläge macht. Ich glaube, beim Hessischen Friedenspreis funktioniert das in ausgezeichneter Art und Weise.

Die Würdigung einer Person wie im Fall Koch kann man vornehmen. Da werden Sie Gelegenheiten finden, und da sind Sie auch durchaus ideenreich mit Auszeichnungen, der Schaffung neuer Orden und Ähnlichem. Aber das gilt nicht für die Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille.

Zum Schluss: Im Wirken der Verleihung der WilhelmLeuschner-Medaille muss der Geist Wilhelm Leuschners stecken. Er steht stellvertretend für die, die im Widerstand ihr Leben ließen.

Herr Ministerpräsident Bouffier, deshalb fordern wir Sie auf: Nehmen Sie die geplante Verleihung der WilhelmLeuschner-Medaille an Herrn Koch zurück. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Kollege Rudolph. – Das Wort hat Herr Abg. Michael Boddenberg, Fraktionsvorsitzender der CDU.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss sagen, diese Aktuelle Stunde und der Antrag der SPD machen mich sehr betroffen. Herr Kollege SchäferGümbel, ich will ausdrücklich sagen: Ich bedauere sehr, dass Sie in diesen politisch sehr bewegten Zeiten, in denen die Menschen erwarten, dass wir auf die großen Fragen Antworten geben,

(Lachen bei der SPD)

hier im Hessischen Landtag aus gekränkter Eitelkeit und persönlicher Gekränktheit in den Debatten, die wir hier geführt haben,

(Unruhe bei der SPD und der LINKEN – Glocken- zeichen des Präsidenten)

eine persönliche Diffamierung eines der erfolgreichsten Ministerpräsidenten

(Janine Wissler (DIE LINKE): Was?)

unseres Landes betreiben.

(Beifall bei der CDU)

Sie wollen damit Roland Koch und/oder Volker Bouffier schaden.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Natürlich!)

Aber nach meiner Überzeugung schaden Sie damit dieser hohen Auszeichnung, der höchsten Auszeichnung unseres Landes, und damit dem Ansehen von Politik und Demokratie.

(Beifall bei der CDU)