Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde! Ich eröffne die Plenarsitzung und stelle die Beschlussfähigkeit fest.
Ich teile zur Tagesordnung mit: Noch offen sind die Punkte 9 bis 16, 18 bis 32, 34 bis 39, 41 bis 43, 45, 54 bis 58 und 62.
Noch eingegangen ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Weichen für den ÖPNV in Hessen in Richtung Zukunft gestellt, Drucks. 19/6108. Diesen müssten Sie alle haben. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Dann wird er Tagesordnungspunkt 64 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit Tagesordnungspunkt 43 aufgerufen werden.
Wir tagen heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde. Wir beginnen mit den Anträgen für eine Aktuelle Stunde. Nach Tagesordnungspunkt 55 wird Tagesordnungspunkt 62, ein Dringlicher Antrag zum Thema, ohne Aussprache aufgerufen und sofort abgestimmt.
Entschuldigt fehlen heute Herr Ministerpräsident Volker Bouffier ab 13 Uhr, Frau Staatsministerin Lucia Puttrich ganztägig, Herr Staatsminister Tarek Al-Wazir ab 17 Uhr, Frau Staatsministerin Priska Hinz ab 14 Uhr und Frau Abg. Mürvet Öztürk ganztägig. Frau Abg. Brigitte Hofmeyer und Frau Abg. Ulrike Alex sind erkrankt. Ich gehe davon aus, dass die Kolleginnen und Kollegen, die bereits gestern und vorgestern entschuldigt waren, ebenfalls wegen Krankheit entschuldigt sind. Das halten wir so fest, dann haben wir alle drin.
Das waren die amtlichen Mitteilungen, so viel vorneweg. Dann beginnen wir mit den Anträgen für eine Aktuelle Stunde.
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (#FreeThemAll: Hessen steht weiter ein für Presse- und Meinungsfreiheit – Freilassung von Deniz Yücel kann nur der Anfang sein) – Drucks. 19/6091 –
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir freuen uns, dass der „Welt“-Journalist Deniz Yücel aus der Haft entlassen wurde.
Nach 365 Tagen ohne Anklage, ohne Verfahren ist Deniz Yücel wieder auf freiem Fuß. Er war über ein Jahr lang in einem türkischen Gefängnis inhaftiert, nur weil er seinen Job als Journalist gemacht hat. Ein Jahr Haft, weil er das getan hat, was Journalisten so tun: Berichte schreiben, politische Ereignisse kommentieren, Hintergründe liefern, Sachverhalte aufklären, Missstände anprangern. Deniz Yücel war aber nur, wie ich meine, der Anfang derer, die frei
gelassen werden müssen. Wir fordern von der türkischen Regierung, dass alle Journalisten, die nur deshalb in Haft sitzen, weil sie ihren Job tun, sofort freigelassen werden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berichterstattung von Journalisten muss einem nicht gefallen. Man kann natürlich über Berichte von Journalisten streiten, über Presseberichte können sich Politikerinnen und Politiker auch ärgern; aber freier Journalismus, eine unabhängige Berichterstattung ist das Salz in der Suppe einer Demokratie. Deswegen ist es so wichtig, dass wir dieses Recht als Demokraten mit aller Kraft verteidigen und diejenigen kritisieren, die die Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen treten.
Wir fordern Staatspräsident Recep Erdogan auf, alle Journalisten unverzüglich freizulassen, die allein aus politischen Gründen und ohne Anklage in türkischen Gefängnissen sitzen. Wenn die Türkei weiterhin eine europäische Perspektive haben will, wenn die Türkei ernsthaft an einer Verbesserung der Beziehungen zur Europäischen Union interessiert ist, dann geht das nur, wenn die Werte dieser Europäischen Union anerkannt und geachtet werden. Dazu gehören unabdingbar die Achtung und Anerkennung von Presse- und Meinungsfreiheit und die Garantie, rechtsstaatlich zu handeln.
Auch in Deutschland ist es längst nicht mehr selbstverständlich, dass Journalistinnen und Journalisten sicher und unabhängig arbeiten können. In Deutschland hetzen vor allen Dingen rechte Populisten gegen unabhängige Medien. Sie diskreditieren den öffentlichen Rundfunk und entwerten die Arbeit von gut ausgebildeten Journalistinnen und Journalisten, weil ihre Berichterstattung nicht zu deren kruden Fantasiegebilden passt. Gerade die Angst der Spalter und Hetzer vor unabhängiger Berichterstattung zeigt, wie sehr wir Medien brauchen, die frei, unabhängig und fundiert berichten und verlogenen Fake News mit umfassender Recherche und klarer Analyse begegnen.
Den Gipfel konnten wir in der vergangenen Woche erleben, als eine offen rassistische und, wie ich meine, rechtsradikale Partei im Deutschen Bundestag verlangt hat, dass sich der Deutsche Bundestag von einem Bericht eines Journalisten distanzieren sollte. Das ist die Handlungsweise von Diktatoren, von Despoten. Das passiert vielleicht in Ländern, wo Putin und Erdogan regieren, aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland. Wir verurteilen in Parlamenten nicht, was Journalistinnen und Journalisten schreiben.
In unserer Demokratie bewerten und zensieren wir in Parlamenten nicht die Arbeit freier Journalisten. Wir distanzieren uns als Parlament auch nicht von der Arbeit derer, die bei uns als vierte Gewalt bezeichnet werden. Wir achten und verteidigen die Prinzipien unserer Demokratie. Wir verteidigen die Presse- und Meinungsfreiheit. Wir treten denen entschieden entgegen, die die Errungenschaften un
serer Demokratie infrage stellen. Ich glaube, wir als Demokraten sollten gemeinsam dafür kämpfen, dass wir die Presse- und Meinungsfreiheit in unserem Land, in Europa und der Welt achten und hochhalten. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Freude und Erleichterung hat die Nachricht der Haftentlassung von Deniz Yücel nach über einem Jahr Untersuchungshaft bei vielen Menschen in Hessen ausgelöst. Viele haben sich auf sehr unterschiedliche Weise engagiert und nicht nachgelassen, seine Freilassung zu fordern. Als Beispiel sei nur an die regelmäßigen Demonstrationen in Flörsheim erinnert.
Allen, die daran beteiligt waren, dass Herr Yücel nach Hause, nach Hessen, kommen konnte, gilt unser Dank. Es ist ein großer Erfolg deutscher Diplomatie.
Aber dieser Erfolg darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Türkei in den vergangenen Jahren sehr weit von unseren Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entfernt hat. Diese grundlegenden Differenzen werden durch die Freilassung Yücels nicht wesentlich geringer. Dieser Schritt ändert deshalb auch nichts an unseren Positionen zur Visafreiheit oder gar zur Aussetzung der EU-Beitrittsgespräche.
Die Unabhängigkeit der Gerichte wird durch den Fall Yücel – sowohl durch seine Verhaftung als auch durch seine Freilassung – in hohem Maße infrage gestellt. Wenn alles immer auf politische Anweisung geschieht, ist von Unabhängigkeit der Gerichte nichts mehr zu erkennen.
Noch immer sitzen Tausende Journalisten, oppositionelle Lehrer und Wissenschaftler ohne ausreichendes rechtsstaatliches Verfahren in türkischen Gefängnissen. Deshalb nehmen wir die Freilassung eines Journalisten, der zum Symbol für das Problem geworden ist, zwar mit Freude zur Kenntnis; wir stellen aber auch fest, dass das Grundproblem dadurch noch nicht gelöst ist. Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Gerichte, Einhaltung der Menschenrechte und die Pressefreiheit sind unverzichtbare Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie.
Auch wenn es unangenehm ist, ich kann es jetzt nicht auslassen: Es muss daran erinnert werden, dass der Verfolgung von Herrn Yücel dessen Recherchen vorausgingen, inwieweit der Schwiegersohn des türkischen Staatspräsidenten in Korruptionsfälle verstrickt ist. Hier wäre ein lohnendes Betätigungsfeld für die türkische Justiz und den türkischen Geheimdienst, um entweder die Vorwürfe zu
Auch wir in der EU müssen allerdings wachsam sein. Die Mischung aus Korruption und organisiertem Verbrechen ist brandgefährlich. Der Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten zeigt, wie gefährlich es ist, über Korruption zu recherchieren. Aber auch der feige Mordanschlag gegen die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia macht deutlich, welchen Gefahren sich Reporter selbst in der EU ausgesetzt sehen, wenn sie Licht ins Dunkel der mafiösen Verstrickungen bringen wollen.
Weltweit werden Journalisten verfolgt, eingeschüchtert, verhaftet oder sogar ermordet. Es ist gut, dass die Zeitung „Die Welt“ nun kontinuierlich an das Schicksal der Kollegen erinnert.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung. Der Einsatz für Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung dürfen nicht davon abhängen, ob mir oder einer Mehrheit die Artikel und die darin vorgetragene Meinung gefallen. Menschenrechte gelten nicht nur für sogenannte „Biodeutsche“. Menschenrechte gelten für alle Menschen.
Abschließend noch einmal zur Türkei. Die Freilassung von Deniz Yücel kann als ein Zeichen gewertet werden, dass auch in der Türkei offenbar wieder mehr Interesse am Dialog und am gegenseitigen Respekt gegeben ist und dass die Türkei ein Zeichen des guten Willens setzen will. Die türkische Innen- und Außenpolitik ist in den vergangenen Monaten in die Irre gegangen. Die Türkei ist außenpolitisch isoliert und im Innern zutiefst gespalten. Jede grundlegende Kurskorrektur kann nur begrüßt werden.
Wir werden jedenfalls auch in Zukunft für den Dialog offen sein und mit unseren Partnern, vor allem natürlich in der Partnerregion Bursa, sprechen und nach Lösungen suchen. Wir unterstützen dabei alle, die für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintreten und daran mitarbeiten wollen, die traditionell engen und guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei in diesen schwierigen Zeiten zu pflegen und wieder zu verbessern. Wir wollen Freunde der Türkei bleiben.
Vielen Dank, Herr Kollege Utter. – Für die SPD-Fraktion spricht der Fraktionsvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Mut ist der Antrieb der Demokratie“ – so hat es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Antrittsrede am 22. März 2017 im Deutschen Bundestag formuliert.
Der „Welt“-Journalist Deniz Yücel hat Mut bewiesen, indem er kritisch über die Türkei und die Politik des türki
schen Präsidenten berichtete. Schon da stimmt etwas nicht. Es darf nicht sein, dass man Mut braucht, um sein Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit auszuüben.