Protocol of the Session on June 1, 2017

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung an einem wunderschönen Tag. Es ist die Plenarsitzung am Donnerstag. Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind. Das ist immer wieder ein Zeichen der Verbundenheit mit dem Präsidium. Deshalb freuen wir uns und stellen die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Wir haben nur noch einige offene Tagesordnungspunkte. Das sind die Tagesordnungspunkte 12 bis 35, 37, 40, 50, 52 bis 57 sowie 62 und 64.

Es ist noch eine ganze Reihe Dringlicher Anträge eingegangen. Sie wurden verteilt. Erstens ist das der Dringliche Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Regelung zur Kormoranbekämpfung – das gibt es auch in Nordhessen – Maßnahmen zur Gewässergüte zum Schutz der Fischfauna umsetzen, Drucks. 19/4956. – Die Dringlichkeit wird allgemein bejaht. Damit wird er Tagesordnungspunkt 64 und kann mit Tagesordnungspunkt 21 aufgerufen werden.

Dann haben wir einen Dringlichen Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Verordnung zu Unterstützungsleistungen im Alltag, Drucks. 19/4957. – Die Dringlichkeit wird ebenfalls bejaht. Er wird damit Tagesordnungspunkt 65. Wir können ihn mit Tagesordnungspunkt 13 aufrufen.

Außerdem ist ein weiterer Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Schonzeit des Waschbären, Drucks. 19/4958, eingegangen. – Auch beim Waschbären wird die Dringlichkeit bejaht. Damit wird der Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 66 und kann mit Tagesordnungspunkt 16 aufgerufen werden. Einverstanden?

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Kollege Rudolph stimmt zu. Dann machen wir das so.

Dann haben wir noch einen Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Zukunftskonzept ist großer Erfolg und wichtiges Signal an die Patienten, die Beschäftigten, ihre Familien und für die Gesundheitsregion Mittelhessen, Drucks. 19/4959. – Er wird Tagesordnungspunkt 67 und kann mit Tagesordnungspunkt 55, der Aktuellen Stunde, aufgerufen werden. Er wird dann ohne Aussprache abgestimmt. Das machen wir so.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Es gibt den weiteren Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Bundesgesetzentwurf zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, Drucks. 19/4960. – Die Dringlichkeit wird bejaht. Er wird somit Tagesordnungspunkt 68 und kann mit der Aktuellen Stunde unter Tagesordnungspunkt 53 aufgerufen werden. Er wird dann ohne Aussprache abgestimmt werden. Auch das ist klar. – Das waren die dringlichen Initiativen.

Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde. Wir beginnen mit den Aktuellen Stunden usw. Das weiß jeder. Die Dringlichen Anträge werden dann abgestimmt.

Es fehlen heute entschuldigt Herr Ministerpräsident Volker Bouffier ganztägig – er ist im Bundestag –, Herr Staatsminister Axel Wintermeyer ganztägig, Frau Staatsministerin Lucia Puttrich ganztägig und Herr Staatsminister Prof. Lorz ganztägig. Es fehlen Herr Staatsminister Al-Wazir ab 15 Uhr und Frau Staatsministerin Priska Hinz ab 17:15 Uhr. Wenn wir uns beeilen, sind wir bis dahin fertig. Es ist erkrankt und damit entschuldigt Frau Vizepräsidentin Heike Habermann. Es fehlen Herr Abg. Gerhard Merz, Herr Abg. Corrado Di Benedetto, Frau Abg. Andrea Ypsilanti und Herr Abg. Stephan Grüger. Sie sind alle erkrankt und damit entschuldigt.

(Günter Rudolph (SPD): Der Rest ist da!)

Wir haben heute einen Geburtstag zu feiern. Ich gratuliere im Namen des gesamten Hauses unserer Kollegin Elke Barth zu ihrem Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch.

(Allgemeiner Beifall – Abg. Elke Barth (SPD) erhebt sich von ihrem Platz. – Vizepräsident Frank Lortz überreicht einen Blumenstrauß. – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Herr Kollege Schmitt, Sie haben gesagt: Wenn der Präsident nicht da ist, ist die Sitzung beendet. – Wenn Sie das zu einem Antrag zur Geschäftsordnung machen, können wir das behandeln. Das ist also auch klar.

Wenn alle einverstanden sind, können wir jetzt in die Beratungen nach der Tagesordnung einsteigen. – Das machen wir. Ich rufe Tagesordnungspunkt 52 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Einrichtung zweier Ho- locaust-Professuren ist Zeugnis gelebter Erinnerungs- kultur in Hessen) – Drucks. 19/4938 –

Es spricht Herr Kollege Daniel May für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In einem Jahr, in dem das Holocaust-Mahnmal in Berlin von einem Rechtspopulisten – namentlich von dem AfD-Politiker Höcke – als „Mahnmal der Schande“ diskreditiert wird, in einem Jahr, in dem die rechtsradikale Identitäre Bewegung versucht, Kirchen zu besetzen und Bundesministerien zu blockieren – –

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten – Mathi- as Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Warte einfach einmal ab! Das geht so nicht!)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe und Aufmerksamkeit. Alle wichtigen privaten Gespräche, die zu führen sind, kann man draußen führen. – Das Wort hat Herr Kollege May.

Wir haben ein Jahr, in dem wir allen Grund dazu haben, uns gegen rechtsextremistische Tendenzen zu wehren; wir haben ein Jahr, in dem wir schon wieder viel zu viele Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund zu verzeichnen haben. In einem solchen Jahr ist es besonders wichtig, dass

ein Land mit ganz praktischer Politik deutlich macht, es kann und es wird keinen Schlussstrich unter die Erinnerungskultur in Deutschland geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich denke, genau das ist es, was Hessen gemacht hat, als es die zwei ersten originären Holocaust-Professuren in Deutschland besetzt hat. Das Erinnern an die Ereignisse in Deutschland und die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust sind untrennbar mit unserer demokratischen Identität verbunden. An der grundlegenden Überzeugung, dass die Erinnerungskultur zu unserer demokratischen Identität dazugehört, darf es keinen Zweifel geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU und der SPD sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Von daher ist es uneingeschränkt zu begrüßen, dass der Vorschlag der früheren Bürgermeisterin Frankfurts, Jutta Ebeling, die auch Vorsitzende des Fördervereins des Fritz Bauer Instituts ist, aufgegriffen wurde und eine eigenständige Professur zur Erforschung der Geschichte und der Wirkung des Holocaust an der Johann Wolfgang GoetheUniversität eingerichtet wurde. Wir freuen uns, dass sich die Landesregierung, namentlich Wissenschaftsminister Boris Rhein, zusammen mit den Verantwortlichen der Johann Wolfgang Goethe-Universität und des Fritz Bauer Instituts mit Herzblut der Angelegenheit angenommen hat. Wir sind ihnen zu Dank verpflichtet, dass wir jetzt diesen Erfolg haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Natürlich ist es so, dass auch bisher an deutschen Universitäten über die NS-Zeit und die damit verbundenen Verbrechen geforscht wurde. Mit dem Antritt von Sybille Steinbacher ist es tatsächlich das erste Mal – wohlgemerkt, in Deutschland –, dass eine Professur ausschließlich zur Erforschung des Holocaust geschaffen und besetzt wurde.

Umso erfreulicher ist es, dass in diesen Tagen in Gießen mit Sascha Feuchert zugleich eine zweite Professur besetzt werden konnte, die sich ausschließlich der Erforschung des Holocaust widmet. In diesem Fall sind es die Holocaustund Lagerliteratur sowie ihre Didaktik. Ich möchte die dazugehörende Didaktik einmal hervorheben, weil das zeigt, dass hier eine enge Verknüpfung mit der Lehrerbildung stattfindet. Auch das finde ich hervorhebenswert, da ich glaube, dass das Erinnern und Mahnen an den Holocaust ein untrennbarer Bestandteil von dem sein muss, was Unterricht an unseren Schulen ist. Daher ist auch diese Besetzung ganz hervorragend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE))

Wir GRÜNE sehen in der Besetzung der beiden Professuren genau das richtige Signal zur richtigen Zeit. Denn nur wenn wir verstehen, wie es zu den Gräueltaten im Nationalsozialismus kam und warum so viele Menschen mitgemacht haben, können wir die Zukunft gestalten. Gerade heute, da Rechtspopulisten Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit schüren, ist die Forschung zu Ursachen und Folgen des Holocaust aktueller denn je.

Bildung ist auch in diesem Fall die richtige Antwort auf die Ewiggestrigen, auf die Schlussstrichzieher, auf den Rechtspopulismus und den -extremismus in all seinen Facetten. Hessen stellt sich damit seiner Verantwortung in hervorragender Art und Weise. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vielen Dank, Kollege May. – Das Wort hat Abg. Grumbach, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema passt irgendwie gut zu gestern. Ich finde schon, dass wir eine Einrichtung begrüßen dürfen, die die Wissenschaftsfreiheit dringend verdient und mit der wir gemeinsam dafür sorgen müssen, dass dort die Frage, was Wissenschaft und Forschung ist, nicht in völkischem Unsinn untergeht. Das sage ich jetzt einmal so zugespitzt. Ich finde auch gut, dass wir nicht nur eine, sondern mit Gießen eine zweite Anlaufstelle dafür haben. Ich habe schon den Eindruck, dass die politische Instrumentalisierung dieser Themen inzwischen so weit fortgeschritten ist, dass es vielleicht auch hilft, sich ein Stück zurückzubesinnen.

Ich will einmal an einen berühmten Satz von Charlotte Knobloch, der früheren Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, erinnern, die einmal gesagt hat, sie verstünde bestimmte Debatten nicht, z. B. die Debatte über die Frage mehrerer und unterschiedlicher Kulturen in Deutschland. Es habe nur eine Zeit in Deutschland gegeben, in der es nur eine Kultur gab. Sie war zwölf Jahre lang. Manchen Leuten kam es vor, als seien es 1.000 gewesen. – Diese Zeit wollen wir nicht wiederhaben. Ich finde schon, dass man die Grundlagen dafür legen muss, dass wir diese Zeit nicht wieder bekommen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe einen ganz persönlichen Nebengedanken. Ich fände es gut, wenn irgendjemand noch einmal Anstrengungen unternehmen würde, den Namensgeber des Instituts der Goethe-Universität ein bisschen weiter zu erforschen. Das, was Fritz Bauer für die Aufarbeitung der Vergangenheit geleistet hat, ist nach meiner Einschätzung – angesichts seines Lebenswerks und des Ärgers durch die Verfolgung, der er durch die Aufarbeitung der NS-Verbrechen ausgesetzt war – eigentlich unterlichtet. Das ist nur ein kleines Nebenthema. Aber ich glaube, wenn man das Thema politisch angeht, wird man auch diejenigen Personen wieder ein Stück aus der Versenkung holen, die zu den Zeiten angefangen haben über das Thema zu reden, als es in Deutschland noch ein Tabu war, darüber zu sprechen. Insofern wäre ein bisschen Beschäftigung mit Fritz Bauer ganz sinnvoll.

(Beifall bei der SPD, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Der Punkt, von dem ich denke, dass wir darüber noch einen Moment nachdenken müssen, ist: Wir haben jetzt sozusagen die Erforschung eines Zeitraums instrumentalisiert. Was wir noch nicht haben, ist, wie das, was dort erforscht wird, dann auch aus dem Elfenbeinturm heraus

geht. Ich glaube, da wird es noch andere Debatten geben, z. B. erneut mit der Landeszentrale für politische Bildung, die das Thema schon eine Weile sehr ordentlich verfolgt, sowie mit anderen. Und – Klammer auf –: Mir geht es nicht um die Haltung der Forscherinnen, sondern mir geht es darum, dass wir auch ein Stück Unterstützung materieller Art leisten müssen, wenn man vernünftige Veranstaltungen machen will, wenn man aufklären will, wenn man Ausstellungen machen will und wenn man das Thema verbreiten will. Mit Verlaub: So etwas organisiert sich nicht von selbst. Ausstellungen und Ähnliches mehr entstehen nicht von alleine. Das Ganze hat keinen Sinn, wenn es nicht als klares Gegengewicht zu populistischem Unsinn in die Welt getragen wird. Ich glaube, dass wir als Landtag bei der einen oder anderen Haushaltsberatung zwar keinen großen, aber doch einen kleinen Anschub liefern müssen. Sonst wird das einfach nur Forschung. Forschung allein bewegt in unserer Gesellschaft nichts, sondern Wissenschaft heißt dann auch, die Ergebnisse in der Bevölkerung zu verbreiten und dafür zu sorgen, dass sich das herumspricht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich habe noch einen ganz winzigen, abseitigen Satz zu dem Thema. Wir haben hier häufig schon über die Autonomie von Hochschulen geredet, und dass es der Politik nicht möglich sei, Forschung zu beeinflussen. Zumindest haben wir hier – jenseits von Wettbewerb – das Gegenbeispiel geliefert. Vielleicht fällt uns so etwas bei dem einen oder anderen wichtigen Punkt auch noch einmal ein. Das ist in der Tat möglich, wenn Politik sagt: Die Gesellschaft braucht einen bestimmten Bereich, der erforscht sein muss. Die Politik muss in der Lage sein, so etwas in einem sehr kooperativen Verfahren mit den Hochschulen durchzusetzen. – Ich merke mir das; denn ich habe die eine oder andere Debatte noch im Kopf.

Wir haben eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Fragen. Ich nenne einmal ein simples Beispiel. Ich finde es völlig irre, dass wir seit Jahrzehnten in Deutschland über die Rentenversicherung reden, dass es aber in Deutschland seit sieben Jahren keinen einzigen Lehrstuhl mehr gibt, der sich strukturell mit Sozialversicherungsfragen beschäftigt, sondern dass es nur noch abgeleitete Wirtschaftsforschung gibt, die das als Nebenprodukt betreibt. Ich will das nur beschreiben; denn ich glaube, dass auch das ein Punkt ist, an dem wir ein Stück weit politische Impulse setzen müssen. Aber insgesamt freue ich mich wie alle anderen darüber, dass es die beiden Professuren gibt. Ich hoffe, dass wir sie in diesem Landtag vielleicht auch einmal politisch zu hören bekommen. Ich bin gespannt auf die Debatte danach. – Herzlichen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Das Wort hat Abg. Jürgen Banzer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In Oberursel, meiner Heimatstadt, gibt es einen Naturstein am Rathaus, auf dem steht: „Nur wer die Vergangenheit verleugnet, ist in der schrecklichen Gefahr, sie zu wiederholen.“ – Richard von Weizsäcker.

1982, als ich als kleiner Fraktionsvorsitzender im Oberurseler Stadtparlament zusammen mit dem damals für mich großen SPD-Fraktionsvorsitzenden Ernst Welteke diesen Vorschlag eingebracht habe und wir dann gemeinsam beschlossen haben, diese Inschrift auf einem entsprechenden Gedenkstein anzubringen, war das für mich schon ein schöner Moment. Ich habe damals begriffen, wie wichtig es ist, sich mit Geschichte zu beschäftigen – auch mit den schlimmen und dunkelsten Kapiteln, die es in der deutschen Geschichte gibt. Diese zwölf furchtbaren Jahre bleiben die schlimmsten Jahre in der deutschen Geschichte.

Wir dürfen das nie vergessen, und wir müssen vor allem auch an die Generation nach uns denken. Wir haben die Zeit zum Teil noch erlebt – ich nicht mehr mit Jahrgang 1955 –, aber über die Erzählungen unserer Eltern waren wir noch Miterlebnisgeneration. Für die Menschen jedoch, die heute aufwachsen, ist der Holocaust eine Zeitgeschichte, genauso wie Kriege in der mittleren und neueren Zeit.