Susanna Kahlefeld
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manche Artikel unserer Landesverfassung kann man gar nicht oft genug zitieren. Dazu gehört Artikel 10 Absatz 2:
Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden.
Dieses Diskriminierungsverbot richtet sich – genauso wie der Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem aufgrund des Widerstands der Union immer noch die sexuelle Identität fehlt – in erster Linie gegen den Staat. In zweiter Linie und auch nur mittelbar sind auch Bürgerinnen und Bürger an diese Grundrechte gebunden.
Doch wie steht es um den Schutz vor Diskriminierung? – Die CDU wird nicht müde zu behaupten, es gäbe schon genügend Gesetze. Das ist auf Bundesebene das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – kurz AGG –, das vor Diskriminierungen durch andere Bürgerinnen und Bürger schützt, auf der Arbeit, beim Einkaufen, in der Diskothek oder bei der Suche nach einer Wohnung. In diesen Fällen haben die Betroffenen klare Ansprüche auf Schadenersatz und Entschädigung, können sich von Verbänden unterstützen lassen und werden bei der Beweisführung entlastet. Doch was gilt bei Diskriminierungen in der Schule, auf dem Amt oder durch die Polizei? – Hier fehlt es nach wie vor an einer dem AGG vergleichbaren gesetzlichen Regelung. Das führt zu der absurden Situation, dass es heute einfacher ist, sich gegen eine Diskriminierung durch einen Vermieter oder eine Arbeitgeberin zu wehren als gegen die eines Lehrers oder einer Polizistin. Damit wird das Diskriminierungsverbot der Verfassung auf den Kopf gestellt, und deshalb brauchen wir ein Landesantidiskriminierungsgesetz, das genau für diese Fälle gilt.
Was wir zu Recht von Privaten verlangen, muss auch für die Polizei, die Schule und die Verwaltung allgemein gelten.
Die CDU hat im Fachausschuss gefordert, den Evaluationsbericht des AGG abzuwarten. Dieser liegt seit Mitte August vor und fordert genau das, was bereits unser Gesetzentwurf enthält: ein Verbandsklagerecht, längere Fristen und die Schließung von Schutzlücken. Sie können also Ihren Widerstand aufgeben, nachdem sogar die zu
ständige Senatsverwaltung im Fachausschuss erklärt hat, dass sie einem Landesantidiskriminierungsgesetz offen gegenübersteht.
Nicht erst seit dem vergangenen Sonntag diskutieren wir darüber, was wir den Rechtspopulisten entgegensetzen können. Werfen wir, so schwer es fällt, einen Blick in ihr Grundsatzprogramm, dann finden wir dort das genaue Gegenteil von Gleichbehandlung und Vielfalt, nämlich Diskriminierung und Ausgrenzung. Gesetze haben auch Symbolkraft, und der Beschluss eines Landesantidiskriminierungsgesetzes heute durch das Berliner Abgeordnetenhaus wäre ein klares Symbol, dass diese Stadt frei, weltoffen, tolerant bleiben und dort, wo sie es noch nicht ist, werden will. Es wäre eine klare Absage an Rassismus und Chauvinismus.
Aber wir wissen nach den Ausschussberatungen, dass es heute nicht zu einem Gesetzesbeschluss kommen wird. Auch wenn die SPD ein Landesantidiskriminierungsgesetz in ihrem Wahlprogramm fordert, wird sie gegen dieses Gesetz stimmen. Wir wissen, dass das vielen von Ihnen nicht leichtfallen wird, da Sie zugleich im Wahlkampf für das Gesetz streiten und es fordern. Wir wissen aber auch, dass Sie sich 2011 anders hätten entscheiden können, und wir hoffen, dass Sie sich nach dem 18. September an den heutigen Tag erinnern und auch daran, wie schwer es Ihnen hoffentlich gefallen ist, gegen das Gesetz zu stimmen, und dass Sie nach dem 18. September eine andere Koalitionsentscheidung treffen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die gesamte Arbeit des Senates zusammenzufassen und dann so zusammengeschnurrt an eine Superbeauftragte zu übergeben, das fordern die Piraten in ihrem Antrag, und wir werden diesem Antrag nicht zustimmen.
Frau Radziwill! Ich bin ganz erschüttert, dass ich Ihnen vollkommen zustimmen muss. Ich glaube, das ist das erste Mal.
Denn bei aller Kritik, die meine Fraktion und ich am Senat haben, dieser Vorschlag ist einfach kein gangbarer Ausweg.
Alles aus einer Hand, Bürgermeister, Senatorinnen und Senatoren werden überflüssig – ich glaube, das funktioniert einfach nicht.
Was steht denn in dem Antrag? Der Beauftragte soll ressortübergreifend die Prozesse optimieren, die mit dem Zuzug von Menschen nach Berlin in Zusammenhang stehen.
Eine Verbesserung des ressortübergreifenden Arbeitens ist in diesem Senat selbstverständlich notwendig in der Anerkennung von ausländischen Qualifikationen, oder wenn Menschen aus Qualifizierungsmaßnahmen abgeschoben werden sollen oder wenn landeseigene Liegenschaften für Kultur, Sozialpolitik oder Unterbringung von Geflüchteten zu nutzen sind. Das kann aber nicht an eine für den Zuwachs und die Partizipation zuständige Beauftrage ausgelagert werden.
Ich beziehe mich auf den Ursprungsantrag. Haben Sie das alles gestrichen?
Aber davon wird Ihr Antrag auch nicht besser!
(Fabio Reinhardt)
Also gut, Sie haben die Sachen auf die Prognosen zusammengestrichen – dann beziehe ich mich darauf. – Entschuldigung, aber es fällt mir schwer, diesen Antrag ernst zu nehmen! – Also Prognosen erstellen ist natürlich eine Sache, die wichtig ist für die Senatsarbeit. Aber ich finde auch, das sollte weder der Senat noch eine Beauftragte oder ein Beauftragter des Senats machen. Wenn man sich auf vernünftige Prognosen bezieht, hätte man tatsächlich absehen können, dass die Flüchtlingscamps nicht ausreichen und die Menschen herkommen. Dann hätten wir mehr Lehrer- und Lehrerinnenstellen. Aber auch das würden nicht so einem Beauftragten übertragen wollen.
Also gut! Was wir an dem ursprünglichen Antrag noch vernünftigerweise sehen können, wäre eine Auflistung von Aufgaben, die der Senat tatsächlich lösen sollte. Und ich würde mir tatsächlich wünschen, dass der Senat das ohne McKinsey hinbekommt und auch ohne die Superbeauftragte, die für alle Belange des Bevölkerungswachstums dann zuständig ist. Ich wünschte mir, dass er die Kraft und den politischen Willen hat, vernünftig zusammenzuarbeiten, anstatt sich gegenseitig zu blockieren. Und ich wünschte mir, dass er planvoll vorgehen würde. Aber als Allheilmittel für die Inkompetenz einiger Senatsverwaltungen und die Unfähigkeit des Senats zur Zusammenarbeit eine Beauftragte oder einen Beauftragten ins Rennen zu schicken, die oder der das Senatschaos dann beseitigen soll, halten wir für unrealistisch und auch nicht wünschenswert. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei den „Späti“-Betreibern geht es um die Existenz. Und um es gleich vorweg zu sagen: Um Grundsatzfragen wie den Schutz der Sonntagsruhe oder nächtlichen Lärm zu diskutieren, sind die „Spätis“ der falsche Anlass.
Das durchschnittliche Monatseinkommen eines „Späti“Betreibers liegt bei ca. 1 050 Euro – und das bei einer Öffnungszeit von 24 Stunden von Montag bis Samstag. Wahrscheinlich kennen Sie die „Späti“-Betreiber in Ihrer Nähe. Anja Kofbinger und ich kennen im Norden Neuköllns mittlerweile alle. Wir haben sie mehrfach persönlich zu unseren „Späti“-Dialogen eingeladen und mit ihnen über ihre Situation diskutiert. Klar ist: Diese Leute wollen alle nicht zum Amt gehen. Sie haben Berufsausbildungen und Abschlüsse, die hier nichts wert sind, oder sie konnten nie irgendwelche Abschlüsse machen. Aber sie können alle rechnen. In jedem „Späti“ wird mit dem ganz spitzen Bleistift gerechnet, damit am Ende des Monats genug Geld da ist, um die Familien zu ernähren. Im Schnitt, wie gesagt, liegt das Monatseinkommen bei 1 050 Euro.
Sonntag wäre der Haupteinnahmetag. Allein an diesem Tag können bis zu 250 Euro eingenommen werden. Das sind also nur die Einnahmen, davon geht auch noch etwas ab. Und darum geht es, denn der Verkauf am Sonntag ist den „Spätis“ verboten. Wir fordern, dass „Spätis“ künftig unter § 4 des Berliner Ladenöffnungsgesetzes fallen. Hier sind nämlich die Ausnahmeregelungen für den Sonntagsverkauf geregelt. Derzeit fallen „Spätis“ unter die allgemeinen Regelungen des Einzelhandels und werden damit behandelt wie Supermärkte. Das ist Unfug.
Aber der Arbeitsschutz! Die Linken haben bei der Formulierung ihres Programms auf Doro Zinke vom DGB gehört, die immer samstags schon weiß, ob sie sonntags etwas trinken möchte. Doch um den Arbeitsschutz geht es gar nicht, und bei den „Späti“-Betreibern selbst – da können Sie sicher sein – werden Sie mit diesem Argument ganz schlecht ankommen. 70 000 Euro Bußgelder im Jahr 2015 allein für die „Späti“-Betreiber in Neukölln, und das nur, um sie vor sich selbst und ihrer Arbeitswut zu retten! Das ist eine absurde Form der Fürsorge.
Wenn die Intensität der Kontrollen, die für das Eintreiben dieser Bußgelder aufgewendet wurde – und wir wissen zumindest aus Neukölln, dass das ein engagierter Polizist ganz alleine schaffen kann –, für die Kontrollen aufgewendet wird, dass an den Sonntagen wirklich nur die Inhaber hinter den Tresen sitzen, dann ist das der bessere Arbeitsschutz.
Und die Sonntagsruhe? – Als religionspolitische Sprecherin meiner Fraktion sage ich Ihnen: Jeder soll nach seiner Façon die Ruhetage einhalten.
Warum soll ein „Späti“-Inhaber, dem es wichtig ist, am Freitagnachmittag sein Gebet zu verrichten, nicht am Sonntag, der für ihn keine religiöse Bedeutung hat, den Laden aufmachen? In allen Gesellschaften, in denen Menschen verschiedener Religionen zusammenleben, wird zu unterschiedlichen Zeiten gebetet, gefastet, gefeiert und geruht. Der Ruhetag am Sonntag ist kein Naturgesetz. Die Juden halten in Deutschland schon seit 2 000 Jahren den Samstag als ihren Ruhetag, und wer nicht religiös ist, macht ohnehin das, was er oder sie will, oder hält sich an das jeweils Gewohnte. So ist das in einer offenen Gesellschaft.
Es geht in unserem Antrag um eine kleine und genau beschreibbare Gruppe von Personen – ca. 900 in Berlin – und um ihre wirtschaftliche Existenz. Es geht darum, dass sie nicht von Sozialleistungen leben wollen, und die allermeisten machen ihren Job auch noch gerne. Sie sind ein wichtiger Teil der Kiezkultur, und das wissen sie auch.
Sie die geballte Macht der christlichen Tradition des Abendlandes spüren zu lassen, indem sonntags die Bußgelder verhängt werden, ist völlig unangemessen. Über den Arbeitsschutz habe ich das Nötige schon gesagt. Es ist gut, dass wir das im Arbeitsausschuss noch mal diskutieren.
Herr Jahnke! Der Mitgliederentscheid der SPD ist in dieser Frage denkbar knapp ausgegangen. 54 Prozent Ihrer Leute haben für Nein gestimmt, alle anderen hätten sich das durchaus vorstellen können. Wir haben bewusst keine Änderung des Berliner Ladenschlussgesetzes vorgeschlagen, weil wir nicht herangehen wollen. Wir wollen für diese genau beschriebene Gruppe von etwa 900 Leuten eine Veränderung der Ausführungsvorschrift, wie auch immer das heißen mag. Das kann man noch ändern. Kein Antrag geht so in die Ausschüsse hinein, wie er wieder herauskommt.
Diese Vorschrift, wie auch immer sie heißen mag, was ich viel interessanter als den Namen finde, kann man nirgendwo online finden. Es gibt bei der IHK einen Link, der immer nur ins Leere geht. Da wüsste ich auch gern einmal, warum das so ist. Die „Späti“-Betreiber müssen sich für die rechtliche Grundlage ihrer Arbeit auf irgendwelche Zusammenfassungen zurückziehen, die nicht wirklich informativ ist. Dass unser Antrag rechtmäßig ist, das werden wir auch im Ausschuss diskutieren. Davon sind wir fest überzeugt. Darauf bezog sich auch der Vorschlag, den Jan Stöß für Ihren Mitgliederentscheid gemacht hat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir fordern für die Stadtteilmütter und Integrationslotsen und -lotsinnen einen Weg in die gesicherte Beschäftigung. Stadtteilmütter und Integrationslotsinnen und -lotsen sind eines der bekanntesten Integrationsprogramme überhaupt. Das allein aber schafft keine einzige Stelle. Zur Erinnerung: Die Stadtteilmütter sind entstanden aus einem EU-Programm, das Frauen an den Arbeitsmarkt heranführen sollte. Erste Schritte in die Arbeitswelt sollten geübt werden, und bis heute werden die Kiezmütter, wie sie in Kreuzberg heißen, und die Integrationslotsinnen und -lotsen zu einem großen Teil aus beschäftigungsfördernden Maßnahmen der Jobcenter finanziert.
Über der großartigen Arbeit, die viele Frauen und Männer in diesen Maßnahmen leisten, sollten wir nicht vergessen: Eine gute Beschäftigungsmaßnahme stopft nicht irgendwo Löcher in der Bildungs- und Sozialarbeit, sondern eröffnet den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Weg auf den Arbeitsmarkt. Die Stadtteilmütter und Integrationslotsinnen und -lotsen sind keine billigen Übersetzerinnen und Übersetzer, Begleitpersonen und Beraterinnen und Berater. Bei allem Lob für ihre Arbeit – der Ruf nach immer neuen Stadtteilmüttern und Integrationslotsinnen und -lotsen, wo immer es eine Mangelsituation
(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)
gibt, ist unverantwortlich. Probleme in der Schule? – Holen wir die Stadtteilmütter! Überforderung in den Unterkünften mit Geflüchteten? – Holen wir die Integrationslotsinnen und -lotsen! Kommunikation mit dem Jugendamt ist schwierig? – Die Stadtteilmütter sollen es richten! – Und sie richten ja auch vieles, wo in der Stadt die Regelangebote kaputtgespart wurden und werden.
Aber was passiert, wenn die Maßnahmen zu Ende sind? – Dann stehen viele Betroffene wieder genau da, wo sie vor der Maßnahme standen. Sie sind wieder unqualifizierte und schwer vermittelbare Arbeitssuchende. Das Problem: Sie haben zwar viel für sich gelernt und viel für die Stadt geleistet, aber eine formale Qualifikation, die ihnen auch auf dem Papier bescheinigt werden kann, konnten sie dabei nicht erwerben – und wir wissen doch, dass in Deutschland Papiere immer noch wichtiger sind als Fähigkeiten.
Was ist mit den vielen Frauen, die keine Schulabschlüsse, aber viel Lebenserfahrung und praktischen Verstand haben? Was ist mit den Menschen, die ohne Qualifikation dastehen, weil ihre Abschlüsse bei uns nicht anerkannt werden? – Aus beiden Gruppen gibt es Menschen, die sich bewährt haben. Ihre wertvolle Tätigkeit zu erhalten, muss das Ziel sein. Wir fordern, dass Integrationslotsinnen und -lotsen und Kiezmütter nach dem Auslaufen der Jobcenterförderung in den Bezirken weiter beschäftigt werden können. Dafür müssen Mittel bereitgestellt werden. Die zwölf Koordinationsstellen für das Lotsinnen- und Lotsenprogramm, auf die sich auch Integrationslotsinnen und -lotsen selber bewerben können, reichen nicht. Das ist zu wenig. Außerdem können sich auf diese Stellen wieder nur Menschen bewerben, die formale Qualifikationen schon mitbringen, die weit über die Lotsinnen- und Lotsentätigkeit hinausgehen.
Wir fordern weiterhin, dass bei der Ausschreibung sozialer Projekte und Förderprogramme den Trägern ermöglicht wird, Stadtteilmütter und Integrationslotsinnen und -lotsen abrechnungsfähig einzusetzen. Sie könnten mit ihrer Erfahrung das anerkannte Fachpersonal unterstützen. Denn seien wir ehrlich: Viele werden die Schulabschlüsse und Ausbildungen nicht mehr nachholen können, die sie für den ersten Arbeitsmarkt brauchen würden. Sie damit allein zu lassen und ihrer guten Arbeit dadurch die verdiente Wertschätzung zu versagen, ist unverantwortlich. Ihre Fähigkeiten nicht sinnvoll weiter zu nutzen, ist ein Verlust für unsere Stadt. Deshalb: Unterstützen Sie unseren Antrag, den Betroffenen die Existenz und Berlin die gute Arbeit der Stadtteilmütter und Integrationslotsinnen und -lotsen nachhaltig zu sichern!
Zum Berufsbild, jetzt soll es auch noch bundesweit werden: Dann ist es ja wirklich ganz weit weg. Dann braucht man überhaupt nicht damit anzufangen. Das ist wirklich ein ganz toller Vorschlag. Wir haben darüber gesprochen, dass ein Berufsbild immer formale Qualifikationen, zumindest einen Schulabschluss voraussetzt und dass die meisten, die als Stadtteilmütter oder Integrationslotsen unterwegs sind – zumindest für die Stadtteilmütter gilt das –, gerade keine Schulabschlüsse haben. Sie werden die auch nicht nachholen können. Das heißt, man muss sich auch für diese Klientel etwas überlegen, was ohne ein Berufsbild funktioniert.
Das Zweite ist: Natürlich ist das gangbar, was wir vorgeschlagen haben. Wenn die Träger zu ihrem qualifizierten Personal zum Beispiel Stadtteilmütter als eine Art Familienhelferinnen einstellen können, warum soll das nicht gangbar sein? Das ist kein Populismus!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition aus SPD und CDU hat im Ausschuss die Ablehnung der nachhaltigen Sicherung des
Karnevals der Kulturen beschlossen. Wirklich schäbig dabei ist, dass es nur im Wahljahr noch einmal eine Finanzierung gibt. Seit dem Desaster der Beinahe-Absage 2015 sind zumindest die tatsächlichen Kosten jetzt einmal bekannt geworden, nämlich 830 000 Euro. Die wird die zuständige Senatorin ausgeben, um sich dann noch einmal als Karnevalsprinzessin im Wahlkampf feiern zu lassen. Für 2017 war dann ursprünglich nur noch eine kleine Summe als Platzhalter vorgesehen. Enorm schlechte Presse und der Druck aus der Zivilgesellschaft konnten die Koalition zwar zu einer Erhöhung der Zuwendung im Jahr 2017 auf 500 000 Euro bewegen. Damit sind aber die Basiskosten wieder nicht gedeckt. Berlin blamiert sich mit dieser wirren Karnevalsdiskussion als Kulturstandort wie auch politisch.
Alles, was wir auf der Straße zu sehen bekommen – von den fantastischen Samba-Formationen über die Kulturpräsentationen bis hin zu den bunten Aktionen der Jugendeinrichtungen – ist sowieso ein Geschenk an die Stadt. Dazu kommen die Einnahmen aus dem Tourismus. Für die Jahre 2001 bis 2011 errechnete die Investitionsbank Berlin ein zusätzliches Bruttoinlandsprodukt von 53 Millionen Euro und schätzte die erhaltenen bzw. geschaffenen Arbeitsplätze auf 220. Die öffentlichen Einnahmen wurden für diesen Zeitraum mit 4,2 Millionen Euro beziffert.
Was infrage steht, ist der organisatorische Rahmen der Veranstaltung, für den der Senat die finanzielle Verantwortung ablehnt. Organisation, Öffentlichkeitsarbeit und die Sicherheit will die Koalition nicht finanzieren. Entsprechend hat die Integrationsverwaltung die Gruppen aufgefordert, selbst Vorschläge zu erarbeiten, wie sie über ihren bisherigen finanziellen Beitrag hinaus auch noch Mittel für diese Overheadkosten aufbringen könnten. Sie wissen, ich schätze die Power des freiwilligen Engagements. Diese Aufforderung enthält aber die politische Botschaft: Wenn ihr unbedingt für Vielfalt und gegen Rassismus auf die Straße wollt, dann finanziert das doch bitte selbst! – Das ist die falsche Botschaft.
Eine so weitgehende Finanzierung der Veranstaltung über Sponsoren bedeutet außerdem den Verkauf des Karnevals der Kulturen. Verantwortlich für diese politische Linie ist die Senatorin für Integration. Sie, Frau Kolat, sind mit dieser Haltung fehl am Platz.
Der Karneval der Kulturen ist nach den Morden in Solingen und Mölln entstanden. Damals gab es täglich Übergriffe, die so schlimm waren, wie wir es uns vorher nie hatten vorstellen können. Künstlerinnen und Künstler haben sich damals zusammengetan und nach interna
tionalen Vorbildern wie Notting Hill ein lautes und kreatives Bekenntnis zu einem offenen und vielfältigen Berlin auf die Straße gebracht. Die zuständige Senatorin hat, zu meiner Freude, mehrfach einen politischeren Karneval eingefordert. Aber dann waren dafür im Haushalt ab 2017 eben doch nur die schon genannten 270 000 Euro eingestellt. Die politische Abwertung von antirassistischer Arbeit und kultureller Vielfalt könnte nicht eindeutiger sein.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Sicherheitskonzept. Ein neues Konzept haben vor allen Dingen die großen Samba-Formationen und die Gruppen eingefordert, bei denen Frauen mitlaufen, die aufgrund ihres Kostüms Belästigungen ausgesetzt sind. Mit der Zunahme der Touristen beim Karneval hat das Betatschen und Bedrängen nach Angabe der Gruppen enorm zugenommen. Die Gruppen organisieren deswegen den Schutz der Tänzerinnen schon seit einigen Jahren selbst. Ich erwarte, dass dieses Problem zukünftig ernst genommen und nicht mit schmierigen Kommentaren abgetan wird.
Ich hoffe immer noch, dass Berlin den Karneval der Kulturen nach 20 Jahren endlich so finanziert, wie es seiner politischen und kulturellen Bedeutung entspricht: in jeder Hinsicht auskömmlich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die schon angesprochene Steigerung beim Partizipations- und Integrationsprogramm – also in dem Titel, aus dem Migrantenorganisationen gefördert werden können – wäre eine gute Nachricht, wenn Berlin noch so aussähe wie vor fünf Jahren. Aber was damals angemessen gewesen wäre, ist es längst nicht mehr. Zudem ist zu befürchten, dass mit noch mehr Geld die Klientelpolitik
der Senatorin fortgesetzt und im Wahlkampf 2016 aus diesen Mitteln Wahlkampfgeschenke an den Bedarfen vorbei verteilt werden. Wir meinen: Das darf so nicht sein.
In den letzten Jahren haben die Migrantenorganisationen, die Verbände und Stiftungen Integrationsmaßnahmen entwickelt, optimiert und evaluiert, die wir jetzt brauchen. Die gute Nachricht ist also: Konzeptionell ist fast alles da. – Deswegen fordern wir, meine Fraktion, für die Integrationsmaßnahmen insgesamt ein Mehr von 50 Millionen Euro. Auch das Partizipations- und Integrationsprogramm könnte damit vernünftig ausgestattet werden.
Notwendig wären u. a. eine Stärkung der arabischsprachigen Beratungs- und Begleitungskapazitäten und Anlaufstellen für Menschen aus Ostafrika bzw. Eritrea und für Menschen aus Afghanistan. Das sind alles Bereiche, die vor zwei Jahren bei der Förderung leer ausgegangen sind. Genauso übrigens wie die kurdischen Organisationen, obwohl auch zunehmend Menschen aus kurdischsprachigen Gebieten vor dem IS fliehen. Außerdem fordern wir die Aufstockung bei den Anlaufstellen der Wohlfahrtsverbände, die Kompetenz und Strukturen für die Geflüchteten bereithalten. Da die Zivilgesellschaft mit den Unterstützungsbündnissen für die Geflüchteten kooperiert, haben wir auch Mittel für das Management dieser Zusammenarbeit gefordert.
Ein Skandal im neuen Haushalt ist die Ausblendung der Roma. Die Bekämpfung von Antiziganismus ist aus der Aufgabenbeschreibung der Landesantidiskriminierungsstelle gestrichen. Gemeindedolmetscher für Romanes will die Integrationsverwaltung nicht mehr weiter mitfinanzieren. Es handelt sich hierbei um die am stärkste diskriminierte Gruppe in Europa. Die Menschen fliehen, weil sie von Bildung und Arbeit ausgeschlossen werden. Die Streichung von Mitteln in diesem Bereich ist ein politisches Statement der zuständigen Senatorin gegen Menschen, die überall in Europa an den untersten Rand gedrückt werden. Das lehnen wir ab.
Dieser Haushalt ist konzeptionslos, genauso wie die Integrationspolitik der vergangenen vier Jahre.
Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat: Als Reaktion auf brennende Flüchtlingsunterkünfte und Brandanschläge auf Häuser von Zugewanderten sind die Berliner Künstler damals auf die Straße gegangen und haben den Karneval der Kulturen gegründet. Ich frage Sie: Warum machen Sie jetzt diese Veranstaltung kaputt? Und können Sie uns etwas über den sinnlosen Machtkampf
der zuständigen Senatorin gegen die Karnevalistinnen und Karnevalisten erklären, die gerade dabei sind, sich neu aufzustellen?
Sie wissen, dass die Gelder 2017 so gering sind, dass der Karneval da nicht stattfinden kann. Sie wissen auch, dass der Konzeptdialog abgeschlossen ist. Meine Frage ist deshalb, da es um Geld nicht gehen kann bei einer halben Million, sondern es um etwas anderes geht: Wollen Sie die politisch denkenden Künstlerinnen und Künstler loswerden und sich im Jahr 2016 einen Karneval von den eingestellten Geldern einfach kaufen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich empfinde es auch nicht gerade als dankbare Aufgabe, drei Mal vor denselben Zuhörerinnen und Zuhörern über den Reformationstag zu sprechen.
Das fünfhundertjährige Jubiläum des Thesenanschlags wird ein einmaliger Feiertag für alle Berlinerinnen und Berliner, und alle werden frei haben, egal, ob sie wissen, was da gefeiert wird, egal, ob sie sich dafür interessieren oder Feiertage für überflüssig halten. Wer sich für Geschichte interessiert, wird an diesem Tag sicherlich für sich Veranstaltungen finden, die noch Neues bieten und das Verständnis erweitern.
Ich kann von dieser Stelle nur noch einmal sagen, dass die Bedeutung des Thesenanschlags für die europäische Geschichte einen Feiertag wert ist, da kann keiner aus seiner Haut. Als Geisteswissenschaftlerin sehe ich darin natürlich einen Wendepunkt des europäischen Denkens mit enormer Strahlkraft – Individualisierung und Verinnerlichung, Trennung von Politik und Bekenntnis, die Impulse für Kunst, Musik, Sprache, Aufklärung usw. Jeder kann das selber nachlesen, wenn Interesse besteht.
Meine Fraktion wird sich in der Abstimmung uneinheitlich verhalten.
Für viele geht es bei dem Reformationstag in erste Linie um einen religiösen Feiertag, und den lehnen sie ab. Wenn es um Religion geht, so finden wir alle, darf es keine Zwänge geben. Darin sind wir uns einig.
Was mich wieder zu dem Punkt bringt, über den wir hier zukünftig weiter zu reden haben: Was bedeutet Erinnerungskultur in einer globalisierten Einwanderungsgesellschaft? Welche Tage wollen wir in Zukunft feiern? Eine Gesetzesänderung zu verabschieden bedeutet, dass das
(Vizepräsident Andreas Gram)
Parlament diesem Tag eine allgemeine Bedeutung zumisst. Ich wünsche mir in Berlin eine Entwicklung, in der sich die Vielfalt der Perspektiven auf die Stadt auch in der Vielfalt von Gedenken und Feiern abbildet. Ich wünsche mir, dass wir als Parlament auch Gedenktage der Kolonialgeschichte, historische Daten der nichtchristlichen Religionen, soweit sie eine globale Bedeutung haben wie Luthers Thesenanschlag – darüber müsste man sich dann verständigen – zu Feiertagen erklären.
Arbeiten ist das halbe Leben, aber eben nur das halbe. Jede Kultur lebt davon, Geschichte zu erinnern und neu zu interpretieren, und das braucht Freiräume.
In einer sich verändernden lebendigen Kultur wird auch das Erinnern neu zu gestalten sein – da stehen wir sicherlich noch am Anfang.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Über das überwältigende Engagement der Berlinerinnen und Berliner zur Unterstützung der Geflüchteten haben wir zu Beginn der Sitzung schon gesprochen. Es ist großartig, es macht Mut, es macht optimistisch, dass sich unsere Gesellschaft zum Guten entwickelt und in Vielem weiter ist als die Politik.
Wir haben auch, glaube ich, alle verstanden, dass dieses Engagement Berlin verändert. Die Menschen in den Initiativen rund um die Unterkünfte und vor dem LAGeSo springen ein, wo der Senat über Jahre versagt hat: Abbau von Personal, von Unterbringungsmöglichkeiten und von Strukturen. Und das im Vertrauen darauf, dass die deutsche Abschottungspolitik funktioniert und die Geflüchteten an den Außengrenzen der EU hängen bleiben – was auch wortwörtlich zu verstehen ist, und Deutschland liefert dazu den NATO-Stacheldraht.
Die Menschen, die sich in den Initiativen organisiert haben, ignorieren Dublin. Sie fragen die Ankommenden nicht: Wo sind Sie eingereist, und woher kommen Sie überhaupt –, bevor sie Essen, Kleidung, gesundheitliche Versorgung und Unterkunft anbieten. Sie fragen einfach: Was brauchen Sie? Was können wir tun? Und sie sagen willkommen.
Nun stellen Sie sich einmal ganz kurz vor, wie es in Berlin aussähe, wenn es diese selbstbewussten und gut organisierten Initiativen nicht gäbe, in den Unterkünften, vor dem LAGeSo, auf den Straßen und in den Parks. Die
Bilder dieses Elends lassen einem den Atem stocken: ohne Wasser und Schatten, ohne Verpflegung, ohne Übersetzung und gutes Zureden, ohne gesundheitliche Versorgung, ohne Begleitung zu Ämtern, ohne Kinderbetreuung, ohne Wohnungssuche, ohne Anwohnerversammlungen, um alle informiert zu halten. Nach diesem bedrückenden Gedankenexperiment können wir ermessen, was die Berlinerinnen und Berliner in den letzten Monaten geleistet haben. Was wäre diese Stadt ohne all dieses Engagement, ohne die zahlreichen Inis, die kurzerhand Onlineplattformen zum Ehrenamtsmanagement programmieren und ins Internet stellen, ohne die vielen Helferinnen und Helfer, die Tag und Nacht pragmatisch anpacken?
Das Engagement für die Geflüchteten ist herausragend. Das Engagement im Bereich von Pflege und Betreuung, mit Jugendlichen, in der Nachhilfe, im Sport und in der kulturellen Bildung ist ebenfalls immens. Auch hier machen Freiwillige diese Stadt zu einem besseren Ort. Auch hier fehlt, was im Bereich der Flüchtlingsarbeit offensichtlich geworden ist: eine eindeutige und abgestimmte Unterstützung durch den Senat.
Die Berlinerinnen und Berliner fangen aktuell auf, was der Senat versäumt hat, wo staatliches Handeln nicht funktioniert, wo es an Ressortabstimmung, Planung und Koordinierung fehlt.
Das darf aber auf Dauer nicht so weitergehen. Ehrenamt ist nicht dazu da, Fehler der Regierungen auszubügeln. Und eine Regierung darf nicht ihre Verantwortung auf die Freiwilligen abwälzen.
Deshalb müssen die Verhältnisse zwischen Senat und bürgerschaftlichem Engagement neu geordnet werden. Die Vernetzungsstrukturen müssen unterstützt werden, Bürokratie muss abgebaut werden. Wir brauchen eine Verwaltung, die bereit und in der Lage ist, mit freiwillig Engagierten zu kooperieren, auch außerhalb offizieller Vereins- und Verbandsstrukturen.
Wir fordern deshalb in unserem Antrag den Senat auf, zur Unterstützung des Engagements in Berlin einen landesweiten und ressortübergreifenden Prozess der Strategieentwicklung einzuleiten. Ziel sollte es sein, eine gemeinsame und verbindliche Vereinbarung zu erarbeiten und Strukturen zu schaffen, die den Berlinerinnen und Berlinern die aktive Gestaltung und Mitbestimmung in der Stadt ermöglichen.
Dazu gehört die Stärkung der Netzwerkarbeit und des Informationsflusses. An Bestehendes wie die Freiwilligenagenturen und die Nachbarschaftsheime sollte an
geknüpft werden, Initiativen, Verbände, Stiftungen, Vereine wie das Landesnetzwerk für bürgerschaftliches Engagement, Migrantenselbstorganisationen und Willkommensinitiativen für Flüchtlinge sowie engagierte Menschen ohne Organisation sind einzubinden.
Ebenso wichtig ist es aber, die Verwaltung in Berlin auf die Zusammenarbeit mit den Engagierten zu verpflichten. Hier sind Weiterbildung und die Schaffung verbindlicher Strukturen vonnöten. Was vielleicht abstrakt klingt, würde im Fall der Flüchtlingshilfe bedeuten: Eine Verwaltung, die sich mit der Zivilgesellschaft auf gedeihliche Kooperation verständigt hat, wird bei der Vergabe von Unterkünften die Zusammenarbeit der Betreiber mit den Initiativen vor Ort vertraglich festschreiben. Um ein Beispiel zu nennen: Private Betreiber, die den Willkommensinitiativen den Eintritt aus Angst vor der Aufdeckung von Mängeln und unhaltbaren Zuständen verwehren, würde es künftig dann nicht mehr geben. Kurz: Berlin braucht eine Ehrenamtscharta. Die Länder Baden-Württemberg und Hamburg sind mit gutem Beispiel vorangegangen und haben erfolgreich eine Engagementstrategie entwickelt. Sie sind jetzt schon in der Umsetzungsphase, und dem sollte Berlin folgen.
Vielen Dank! – Ich mach’s auch kurz. Ich glaube, es ist klargeworden, dass wir die Strategie brauchen, die zusammen entwickelt wird mit den Bürgerinnen und Bürgern und dem Senat. Ich habe hier ganz oft gehört: Der Senat hat doch vorgelegt, der Senat lädt doch ein. – Ich habe auch diese Veranstaltungseinladung auf dem Tisch liegen. Aber sie sieht leider so aus wie alle diese Einladungen. Ich weiß gar nicht, wer da an der Konzeption vorher beteiligt war und wessen Bedürfnisse aufgenommen worden sind. Wir haben im Ausschuss hinreichend Material bekommen dafür, zu sehen – –
Okay. Dann beziehe ich mich nur darauf, dass ich – –
Er hat tatsächlich in vielem recht.
Auch Herr Krüger hat recht, wenn er sagte, dass wir Sachen weiterentwickeln müssen. Aber wir kriegen das nur mit dieser Strategie, in der die Bürger einbezogen sind, und nicht so, wie es im Moment läuft. – Danke!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bedeutung der Reformation für Moderne und Aufklärung steht außer Zweifel. Gewissens- und Redefreiheit in Europa sind von den Reformatoren erkämpft worden. Auch und gerade die, die sich gegen diesen freien Tag im Jahr 2017 aussprechen, profitieren von den Auseinandersetzungen und Kämpfen, für die der Thesenanschlag steht. Damit ist klar, dass das 500-jährige Jubiläum des Thesenanschlags durch Martin Luther 2017 durchaus ein Tag ist, der berechtigterweise als allgemeiner Feiertag gelten kann. Das heißt, alle Berlinerinnen und Berliner haben frei, auch die, die nicht zur evangelischen Kirche gehören.
Im Gesetzentwurf werden – ganz so, wie es sein muss – auch die möglichen Kosten dargestellt, die so ein freier Tag verursachen könnte. Das ist in diesem Fall nicht ganz ohne Ironie, denn in der Kostenabschätzung kommt die säkulare Form eines protestantischen Arbeitsethos zum Ausdruck, über das man an diesem freien Tag ruhig mal nachdenken könnte.
Man hätte Zeit, um vielleicht Max Weber oder Calvin zu lesen.
Wir brauchen Tage, an denen wir ohne „Schaffe“ und „Häusle bauen“ die Aufmerksamkeit darauf lenken können, uns mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen.
Ich würde mir in der Vorbereitung darauf eine Diskussion über Ereignisse wünschen, die wir nicht oder zu sehr nebenbei begehen. Was ist mit dem Tag der AfrikaKonferenz und der Erinnerung an die Kolonialgeschichte Berlins? Was ist mit dem 27. Januar? Was ist mit großen religiösen Festen der nicht christlichen Religionen?
(Fréderic Verrycken)
Das Iftar-Essen und das Kulturprogramm in den Nächten des Ramadan sind in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil der Festkultur Berlins geworden. Und das geht auch in die richtige Richtung.
Ein gutes Beispiel für die Erinnerungskultur in der globalisierten Einwanderungsgesellschaft war auch die diesjährige Debatte im Bundestag zum 100. Jahrestag des Genozids an den Armeniern. Ich wünsche mir in Berlin eine Entwicklung, in der sich die Vielfalt der Perspektiven auf die Stadt auch in der Vielfalt von Gedenken und Feiern abbildet, und wenn die Diskussion über diesen speziellen Feiertag uns in dieser Richtung weiterbringt, dann ist das ein Gewinn für alle.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Stadtteilmütter und Integrationslotsen sind sicher das bekannteste Projekt in Berlin. Auch wer sich sonst nicht mit Integrationspolitik befasst, meint, es zu kennen und findet es gut. Das ideale Projekt also, um es von Senatsseite zu kopieren und damit am Medienhype teilzuhaben.
Die Senatorin hat nun eigene Kiezmütter. Seit dem 1. Oktober 2013 kann sie 69 Lotsinnen und Lotsen ihr eigen nennen. Es gibt Tarifverträge und – endlich – eine Qualitätssicherung. Am 14. Februar 2014 verkündet die für Integration zuständige Senatorin im „Tagesspiegel“, wie wichtig ihr das Projekt sei und dass es bisher keine Qualitätssicherung gegeben habe. Übrigens, die Stadtteilmütter in Kreuzberg wurden durch die Berlin School of Public Health evaluiert und für sehr gut befunden. Die Charlottenburger Stadtteilmütter erhielten 2014 den bezirklichen Integrationspreis. Danke, werden sich da die Bezirke und die Träger gesagt haben, die seit über zehn Jahren Stadtteilmütter und Integrationslotsinnen ausbilden und finanziert haben. Danke für die Ignoranz gegenüber den entwickelten Ausbildungscurricula, danke für die Nichtanerkennung der jahrelangen Weiterentwicklung des Projekts mit über 400 Frauen allein in Neukölln. Das ist kein guter Stil, Frau Senatorin!
Aber so ein Neuanfang kann ja auch Chancen mit sich bringen, dachten wir. Dann mussten in Neukölln 2014
erst einmal 60 Frauen gehen. In Mitte standen die Kiezmütter vor dem Aus. Die Briefe an die Integrationsverwaltung und die Senatorin liegen mir vor. Unterstützung gab es nicht, die Bezirke mussten sich selbst helfen. Wo war der Senat? – Er hat bei all dem keine oder eine sehr traurige Rolle gespielt. Warum gibt es keine Unterstützung für die bewährte Arbeit in den Bezirken? Die soll ja nicht verstetigt, sondern es soll ein Landesprogramm fortgeschrieben werden. Also gut, was macht das Landesprogramm? Ausbildungsmodule konnten aus den Bezirken übernommen werden, die sind nach zehn Jahren weitgehend optimiert. In den Bezirken weiß man auch, dass es einen Unterschied zwischen Kiezmüttern und Integrationslotsen gibt. Die einen helfen bei den Kontakten zu den Familien, vermitteln zu den Regeldiensten, kümmern sich um Elterncafés in den Schulen und geben bei Hausbesuchen das Wissen über kindliche Entwicklung, gesunde Ernährung, Schulsystem und neun weitere Themen weiter. Die anderen, die Lotsinnen und Lotsen, begleiten zu Ämtern, in die Schulen und zu Ärzten, helfen beim Ausfüllen von Formularen und beraten ihre Klientinnen hinsichtlich der Strukturen und Angebote bei der Arbeitssuche. Die Lotsen für Flüchtlinge machen diese Arbeit mit einem spezifischen Fokus auf die Situation von Menschen, die noch nicht als Flüchtlinge anerkannt sind oder nach der Anerkennung die ersten Schritte tun.
Ob man beim Senat weiß, was die Kiezmütter und Integrationslotsinnen an unterschiedlichen Voraussetzungen mitbringen und welche unterschiedliche Arbeit sie leisten, würde ich nach all dem, was ich schriftlich in Händen halte, stark bezweifeln. Das ist schlecht in Bezug auf die Aussicht dieser engagierten Frauen und Männer, jemals auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Bisher kommen die Kiezmütter und Integrationslotsinnen nach ihrer Tätigkeit dem ersten Arbeitsmarkt keinen Schritt näher, da sie bei ihrer Tätigkeit zwar vielfältige Kompetenzen erwerben, aber leider keine am Arbeitsmarkt verwendbare formalen Qualifikationen.
Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Lassen Sie uns im Ausschuss über die Möglichkeiten diskutieren, den Kiezmüttern und Integrationslotsen eine Perspektive zu bieten, nach der begrenzten Zeit im Projekt auch persönlich weiterzukommen! Viele haben Qualifikationen, auf die sich aufbauen ließe, viele müssen sich Basisqualifikationen erst erwerben, aber sie alle sind mehr als ein PR-Gag im Integrationszirkus. Deshalb brauchen sie einen individuellen Stufenplan, um ihre individuellen Berufswünsche zu erreichen. All das ist in einer Vereinbarung festzulegen, und so sieht wirkliche Förderung aus. – Vielen Dank!
Ich wollte Sie noch mal bitten, eine Sache zu präzisieren, die Sie genannt haben. Sie haben gesagt, es wird jetzt tariflich bezahlt und es ist finanziell gesichert. Bisher ist es so, dass die 69 Lotsinnen, die die Senatorin für sich in Anspruch nimmt, aus Rest-ESF-Mitteln gefördert werden. Es ist also nicht so, dass das finanziell auf sicheren Füßen steht. Ich will ganz einfach nur wissen: Wie soll weiter finanziert werden? Wird es einen Haushaltstitel geben für Integrationslotsinnen und Stadtteilmütter oder wird auch auf Senatsebene weiterhin mit Arbeitsmarktinstrumenten und damit befristet gearbeitet?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Oppositionsfraktionen, den Begriff „Rasse“ aus der Berliner Verfassung zu streichen und durch eine Formulierung zu ersetzen, die das Verbot des Rassismus eindeutig fortschreibt, ist von der Koalition im Ausschuss leider abgelehnt worden. Nach einer Anhörung, zu der u. a. Vertreter der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, des Moses-MendelssohnZentrums für europäisch-jüdische Studien und des Deutschen Instituts für Menschenrechte eingeladen waren, sind die sachlichen Argumente eigentlich alle ausgetauscht. Es bleibt nur, das Bedauern meiner Fraktion darüber zu konstatieren, dass die Empfehlung, den Begriff zu ersetzen, keine Mehrheit gefunden hat. Die neue Formulierung – sie liegt auf Ihren Tischen – hätte gelautet: „Niemand darf rassistisch... benachteiligt oder bevorzugt werden.“
In den Empfehlungen des UN-Antirassismus-Ausschusses an Deutschland vom 15. Mai 2015 wird ausdrücklich moniert, dass die ungenaue oder ausweichende Definition von rassistischer Diskriminierung in Deutschland negative Auswirkungen auf die Rechtsprechung und den Schutz vor Rassismus hat. Das betrifft das übliche Ausweichen auf Begriffe wie „Xenophobie“ oder „kulturelle Differenz“, aber auch den überholten Bezug auf das Konstrukt „Rasse“. Die von uns vorgelegte Formulierung hätte klargestellt, dass Rasse nichts ist, womit man unbefangen arbeiten kann und worunter man, wie die Juristen sagen, subsumieren kann, ohne Gefahr zu laufen, dabei selbst zu diskriminieren. Die Formulierung, wie sie heute in der Verfassung steht, meint ja genaugenommen: Niemand darf wegen seiner Rasse, von der der Rassist annimmt, dass es sie gibt, benachteiligt oder bevorzugt werden – niemand darf also wegen einer Eigenschaft, die zu behaupten schon diskriminierend ist, benachteiligt oder bevorzugt werden. – Wir hätten klar formulieren können, was jetzt hinzugedacht oder erklärt werden muss. Schade, dass wir das nicht erreichen konnten!
Des Weiteren hätten wir gemäß den Empfehlungen des UN-Antirassismus-Ausschusses mit der neuen Formulierung zu einer Verbesserung des Schutzes der Opfer von Rassismus beigetragen. Unter den Begriff „rassistisch“ fallen nämlich nach internationalen Definitionen auch solche Handlungen, Äußerungen, Gesetze oder Verwaltungsrichtlinien, die nicht direkt diskriminierend sind, sondern in ihrer Wirkung, also mittelbar. Es kommt nicht allein auf die Intention an, sondern auf die diskriminierende Wirkung. Man redet vom Verbot faktischer Diskriminierung. In der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, des Bundesverfassungsgerichts
(Fabio Reinhardt)
und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird bereits nach diesem Prinzip geurteilt.
Zum Dritten hätten wir uns im Parlament mit der Verfassungsänderung dem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs gegenüber als lernfähig erwiesen. Es gibt in der deutschen Diskussion – und das sollten wir alle begrüßen – ein gestiegenes Problembewusstsein. Dass der englische Begriff „race“ nicht mit „Rasse“ übersetzt werden kann, ist im wissenschaftlichen und publizistischen Kontext seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. Das gehört zum Schulwissen. „Race“ impliziert eine Distanzierung von Rasse als biologistischer Konstruktion, die im deutschen Begriff „Rasse“ so nicht enthalten ist. Warum also konservieren die Koalitionsfraktionen einen Begriff, der im besten Sinne überholt ist?
Natürlich wird die Lebensrealität in Berlin nicht automatisch weniger rassistisch, wenn wir in der Verfassung die Begrifflichkeit ändern. Aber eine Verfassungsänderung wäre ein wichtiger und nicht nur symbolischer Schritt gewesen. Die Empfehlung der UN macht das deutlich.
Wir bedauern daher Ihre Ablehnung unseres Antrags. Sie ist provinziell. Selbst in Brandenburg konnten sich alle Fraktionen mit Ausnahme der CDU zu einer Änderung durchringen. Ich kann nur hoffen, dass wir in Zukunft unseren Verfassungstext seiner ursprünglichen Intention folgend aktualisieren können. – Vielen Dank!
Zunächst zum Begriff „rassisch“ und „rassistisch“: Die Intention der Verfassung ist, dass niemand aufgrund seiner „Rasse“ diskriminiert werden darf. Und genau das ist im Begriff „rassistisch“ ausgedrückt und nicht in dem Begriff „rassisch“. Man muss das Ganze im Kontext lesen.
Dass 14 Bundesländer bisher keine Änderung vorgenommen haben, ist genau das, was der UNAntirassismus-Ausschuss uns vorwirft, dass wir da zurückstehen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in Berlin einen Schritt weitergehen und den Empfehlung des UNAntirassismus-Ausschusses folgen.
Zur Anhörung: Herr Barskanmaz hat festgestellt, dass der Ersatz des Begriffs „Rasse“ den Rassismus nicht beseitigt. Da hat er vollkommen recht. Da sind wir uns ganz einig. Er stellt sich damit aber ganz explizit gegen die Haltung des UN-Antirassismus-Ausschusses, dem wir folgen, dass eine falsche Begrifflichkeit, eine unklare oder überholte Folgen auf die Rechtsprechung hat. Das blendet er in seiner Stellungnahme vollkommen aus. Da gibt es tatsächlich einen Dissens zwischen ihm und uns. Wir folgen der Stellungnahme des UN-AntirassismusAusschusses.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition hat unseren Antrag, eine Ombudsstelle für die durch die Integrationsverwaltung geförderten Organisationen einzurichten, mit dem Argument abgelehnt, man könne direkt miteinander reden, wenn es Probleme gibt. Wenn das der Fall wäre, hätten wir bestimmt nicht diesen Antrag geschrieben und eine Ombudsstelle gefordert.
Fakt ist: Seit Jahren gibt es Probleme mit den Förderentscheidungen der Integrationsverwaltung. Mal werden Gelder gestrichen, weil eine Einrichtung angeblich nach Jahren der Förderung ohne Beanstandungen irgendwelche Abrechnungsfehler macht.
Und oft gibt es überhaupt keine Erklärungen für die Entscheidungen oder – und das war dann wenigstens mal witzig – es heißt, dass irgendwo geraucht worden sei.
Gar nicht witzig ist die Übertragung der Anlaufstelle für Wanderarbeiter ohne jede Begründung an einen Träger, der in Absprache mit der Verwaltung gegründet wurde, um Gelder neu vergeben zu können – und das dann nur für eine Übergangszeit. Was für ein Chaos! Da standen nämlich die Ratsuchenden Anfang des Jahres plötzlich in der Kälte und wussten nicht, wohin, schließlich war der bis dahin beauftragte Träger jahrelang zuständig gewesen und bekannt, und die Menschen haben sich selbstverständlich an ihn gewendet.
Wenn es Kritik an der Arbeit eines Trägers gibt, der soziale und beratende Arbeit macht, dann erwarte ich, dass das Problem im Sinne der Hilfesuchenden gelöst wird. Die Arbeitsuchenden und die Familien, die aus Rumänien und Bulgarien nach Berlin kommen, dürfen nicht auf der Straße stehen, weil es in der Verwaltung – in „ihrem Haus“, wie die Frau Senatorin immer sagt – Rangeleien gibt oder ein neuer Verein gepusht werden soll. Sie sollte ihr Haus sauber halten. Es ist nicht Aufgabe des Abgeordnetenhauses, einzelne Träger auszuwählen. Es ist aber unsere Aufgabe, auf einen fairen und transparenten Umgang mit den Fördernehmer/-innen zu achten.
Wir brauchen in der Stadt die Arbeit der vielen kleinen und großen nichtstaatlichen Organisationen. Es gibt kaum ein Jobcenter, eine Schule oder ein Amt, in dem nicht die Flyer mit den Angeboten der Migrantenselbstorganisationen und anderer NGOs ausliegen. Was Migrantenorganisationen können, können nur Migrantenorganisationen. Die Arbeit der MSO ist längst zu einem Regeldienst geworden, auf den Berlin nicht verzichten kann. Ohne sie würden viele Menschen in der Stadt einfach verlorengehen. Stattdessen wird dann so getan, als ob die öffentliche Förderung eine Gnade wäre. Ich wette, dieses Argument kommt jetzt auch gleich in den folgenden Reden, wie toll Berlin ist, weil es hier überhaupt eine Förderung gibt. Aber was glauben Sie denn, wie Berlin aussehen würde, ohne die jahrzehntelange Arbeit der MSO.
Der Umgang der Senatsverwaltung für Integration mit den Fördernehmern und Fördernehmerinnen ist nicht fair und nicht transparent, und das betrifft nicht nur die Migrantenorganisationen. Eine Ombudsstelle hätte zur Qualitätsverbesserung der Mittelvergabe beitragen können. Denn was passiert derzeit? – Genau das, was die Koalition im Ausschuss dargelegt hat: Die Träger wenden sich an uns Abgeordnete, und wir Abgeordneten – Herr Dregger, Sie haben im Ausschuss erwähnt, dass man sich auch schon an Sie gewandt hat – sitzen dann über den seltsamen Briefen aus der Verwaltung. Wir versuchen herauszufinden, was die Lieblingsträger der Integrationsverwaltung mit den großen glatten Summen eigentlich machen und wie man es irgendwie verhindern kann, dass wichtige Vereine ausgehungert werden. Ich finde, für dieses Kraut und Rüben ist eigentlich die Senatorin verantwortlich.
Wir brauchen ein Konzept, das die Zusammenarbeit der Träger mit den Regeldiensten, Ämtern und Schulen, formuliert. Wir brauchen rationale Kriterien, die die Bedarfe der Stadt berücksichtigen, und wir brauchen vertrauensbildende Maßnahmen, dass sich die Verwaltung dann auch daran hält. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist sehr viel schwieriger, etwas wieder in Ordnung zu bringen, als es gleich von Anfang an richtig zu machen.
Genau das ist das Problem beim Karneval der Kulturen. Er wurde seit Jahren von einem Träger veranstaltet, der auf seiner Website schreibt: „Wir können mehr als Karneval“. –, und sich so von einer ungeliebten Veranstaltung distanziert. Seit Jahren unterfinanziert und seit Jahren nur Blockadehaltung der zuständigen Senatsverwaltung gegenüber allen, die die Mängel in Organisation und
Konzeption vorgebracht haben! – Frau Senatorin! Sie gefährden den Kulturstandort Berlin.
Hätten Sie einmal zugehört oder wenigstens Ihre Verwaltung angewiesen zuzuhören, dann hätte man leise und ohne Schaden für die Stadt die Mängel beheben können.
Die Karnevalsgruppen wollen den Karneval. Das haben die Karnevalistinnen und Karnevalisten in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, indem sie ihre Zeit, ihre Kreativität, unschätzbar viele Arbeitsstunden und eine enorme Menge privates Geld in diese Veranstaltung, die sie lieben, gesteckt haben.
Letzte Woche gab es ein Treffen, auf dem plötzlich alle Forderungen der Karnevalsgruppen erfüllt wurden. Es gibt ein Protokoll mit der Liste der Zusagen. Wunderbar! Damit könnte das Problem gelöst sein. Nur, warum soll jetzt plötzlich alles gehen, was in all den Vorjahren unmöglich gewesen ist? Die Senatorin und ihre Verwaltung haben das Vertrauen der Künstlerinnen und Künstler verloren. Das ist im Moment viel schwerwiegender als die Lösung organisatorischer Mängel.
Eine Gruppe der ersten Stunde schreibt auf ihrer Website:
Der Karneval der Kulturen, den wir in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre als praktische kulturelle Maßnahme gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit mit initiiert haben, wurde zu einem Publikumsmagneten, der der Stadt seit 18 Jahren positives Image und finanzielle Einnahmen bringt. Dass die Gruppen, auf deren Arbeit und Engagement dieses Großevent beruht, sich an Sponsoren verkaufen oder verschulden müssen, weil es keine öffentliche Förderung gibt, interessiert niemand.
Aber ohne die Gruppen ist der Karneval nichts. Der Senat kann ein Fest auf dem Blücherplatz machen – das ist jetzt für 2015 als Rückzugslinie im Gespräch –, aber mehr bekommt der Senat für sein Geld nicht. Denn alles, was den Karneval zum Karneval der Kulturen macht, ist nicht käuflich. Daraus aber die Schlussfolgerung zu ziehen, dass er dem Senat auch nichts wert sein muss und man sich auf die Kräfte der Selbstausbeutung verlassen kann, ist falsch. Wir stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen. Geben Sie, Frau Senatorin, dem Karneval das, was er braucht, um wieder zu dem zu werden, was er immer sein wollte!
Geben Sie den Karnevalistinnen und Karnevalisten den organisatorischen und finanziellen Rahmen, der nötig ist!
Dazu gehört zuerst, dass die Kommerzialisierung des Karnevals ein Ende haben muss. Nichts gegen eine teilweise Refinanzierung des Umzugs durch das Straßenfest! Es darf aber nicht sein, dass der Umzug in einem Besäufnis, Glasscherben und Dreck untergeht. Ich erwarte, dass dem Abgeordnetenhaus konkrete Zahlen vorgelegt werden, wo Einnahmen und Ausgaben in den letzten Jahren hingeflossen sind. Bisher kann man das Ausmaß der Unterfinanzierung nur schätzen.
Zu den Rahmenbedingungen gehören ein Sicherheitskonzept und die Bereitschaft nachzujustieren, wenn sich Problemlagen verschieben. Auch das ist über Jahre verschleppt worden, nicht nur über Monate. Dafür braucht man außer der Finanzierung auch die ernsthafte Kommunikation mit den Gruppen. Setzen Sie sich endlich zusammen!
Und wir brauchen einen Fonds für die Gruppen. Es ist gut, dass auch er letzte Woche zugesagt wurde. Und auch hier gilt: Erarbeiten Sie die Vergabekriterien mit den Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam, denn beim Karneval kann nichts, gar nichts gut werden ohne die Beteiligung der Karnevalisten.
Der Kulturstandort Berlin ist ohne den Karneval der Kulturen in Gefahr. Deshalb hoffe ich, trotz aller Kritik, dass Sie, Frau Senatorin, das Vertrauen wieder erwerben und die Abmachungen einhalten. Wenn das geschafft ist, darf es kein Zurück mehr geben in die Verwaltungsüberheblichkeit. Die Gruppen haben seit eh und je ihren Beitrag geleistet – 20 Jahre Vorleistung, könnte man sagen. Aber nein, das ist ganz falsch, denn der Karneval ist der Karneval ist der Karneval: fantastische Handwerkskunst, wunderbare Musikerinnen und Musiker, Tänzerinnen und Tänzer, Kreativität und eine umwerfend positive Power. Im letzten Jahr haben sich die Flüchtlinge einfach eingereiht und sind auf der ganzen Strecke gefeiert worden. Hier feiert sich das multikulturelle und weltoffene Berlin selbst. Das wollen alle erleben, die nach Berlin kommen, um mitzufeiern. Der Karneval war bisher nicht kaputt zu kriegen, aber jetzt muss er endlich besser werden. – Danke!
Frau Senatorin! Wenn Sie sich gekümmert hätten, wäre es nicht notwendig gewesen, dass sich die Gruppen an Parlamentarier wenden, um hier endlich eine Stimme zu bekommen. Das nennen Sie Instrumentalisierung? Das ist mein Job. Dafür bin da.
Es geht hier nicht um eine Übergangsphase, sondern um die Krise, in die Sie den Karneval gebracht haben, im Übrigen auch die Werkstatt der Kulturen, denn diese hängt auch noch daran. Die müssen wir, sobald der Karneval läuft, auch noch wieder auf das Gleis bringen.
Duisburg beispielsweise war 2010. Warum ist denn da gar nichts passiert? Das ist nicht eine Krise, die erst in den letzten vier Wochen entstanden ist. Wir haben dieses Problem schon lange. Ich weiß, dass Sie einen Teil auch geerbt haben. Sie hatten drei Jahre Zeit aufzuräumen. Jetzt stehen wir vor diesem Scherbenhaufen. Sie haben wieder nichts gesagt. Genau deswegen vertraut man Ihnen nicht. Deswegen vertraue auch ich Ihnen nicht in diesem Punkt. Dann auch noch durch moralische Appelle abzulenken und auf Pegida hinzuweisen, ist einfach schäbig. Das ist schäbig und kaschiert die eigene schlechte Arbeit.
Ich kann nur an Sie appellieren: Halten Sie Ihre Versprechen wenigstens einmal ein! Diese Veranstaltung ist ganz zentral für die Kulturstadt Berlin. Wir brauchen diese Veranstaltung hier in Berlin. Wir brauchen es auch, dass die Leute dem Senat wieder vertrauen. Halten Sie vor allem jetzt die Versprechen ein, was den Träger angeht, was die Finanzen angeht, was die Organisation angeht, die Verstetigung der Mitarbeit! Die letzten zwei Wochen Gespräche sind nichts, wenn es nicht verstetigt wird. – Vielen Dank!
Frau Senatorin! Was den Zeitdruck angeht, ist das tatsächlich ein Problem, und da haben Sie unser Mitgefühl und unsere Solidarität, aber an diesem Zeitdruck – da muss ich mich wiederholen – sind Sie und Ihre Verwaltung selbst schuld.
Und genau wegen dieser Ignoranz ist es in den letzten Jahren auch zu dem Vertrauensverlust gekommen, der die Lösung dieser akuten Krise jetzt so schwierig macht. Es wäre sehr viel leichter, wenn Sie wirklich im Gespräch wären und wenn man anknüpfen könnte.
Wenn Sie wirklich so gut in Kontakt sind, wie Sie gesagt haben, dann liegt Ihnen auch der Beschluss der Gruppen von Dienstag vor, wo ein erheblicher Anteil der Gruppen ihre Teilnahme an Bedingungen festmacht und Ihnen kein Vertrauen mehr entgegenbringt. Ich sehe ein, dass das jetzt ganz schwierig zu lösen ist. Wir sind da auf jeden Fall an Ihrer Seite, aber tun Sie endlich etwas, und reden Sie uns hier nicht wieder schwindelig!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Reformationstag ist seit der Wiedervereinigung ein gesetzlicher Feiertag in den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In diesem Antrag geht es jetzt darum, einmalig im Jahr 2017 den 31. Oktober auch in Berlin zum Feiertag zu erklären.
Warum war den Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR der Tag des Thesenanschlags so wichtig, dass er in all diesen Bundesländern zum Feiertag erklärt wurde? Was bedeutet der Thesenanschlag – gleichgültig, ob er historisch so geschehen ist oder erfunden wurde, um etwas zu verbildlichen, was Epoche gemacht hat? Wir haben ja mittlerweile alle gelernt, was ein Narrativ ist. Der Thesenanschlag ist so etwas. Luther geht in die Öffentlichkeit, um seine kritischen Thesen diskutieren zu lassen, und das ist der Punkt. Er traut sich, er geht raus, er nimmt das persönliche Risiko auf sich, ohne autorisiert zu sein, und stößt die Debatte an. Genau das tut er auch, wenn er auf Deutsch publiziert. Deshalb werden später die Reden veröffentlicht, die er an seinem Tisch beim Essen mit Gästen gehalten hat. Seine Übersetzung machte die Bibel allen zugänglich, die lesen konnten. Und auch wenn er für die Bauernaufstände nicht verantwortlich gemacht werden wollte, so hat er den Aufständischen doch mit der deutschen Bibel einen Text geliefert, auf den sie sich berufen haben.
Luther war damals nicht der einzige. Damals ging es los mit Flugblättern, Zeitungen und politischen Karikaturen. Es entstand damit das, was wir heute Öffentlichkeit nennen. Die Deutungshoheit der religiösen und politischen Autoritäten wird infrage gestellt, weil viel mehr Menschen mitreden können und das auch tun. Die Karikaturen
(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)
spielen dabei eine große Rolle: immer wieder der Papst, so zum Beispiel auf seinen Thron mit Tiara und langen Eselsohren. Das sind Holzdrucke, schnell und billig hergestellt und einfach verteilt. Man kann sie sich heute im Internet ansehen.
Es geht um die Freiheit des Wortes und um die Emanzipation des Individuums. Luther bricht mit dem Prozess der Reformation das Monopol der römischen Kirche und legt somit den Grundstein für religiöse Freiheit und Vielfalt. Er hat das vielleicht nicht so gewollt, aber die Reformation ist ein entscheidender Faktor für die heutige Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Dafür steht der berühmte Satz vor dem Wormser Reichstag: Hier stehe ich... usw. Sie kennen das. Dass es mit der Pressefreiheit in Deutschland dann noch lange gedauert hat, wissen wir alle. Danach haben noch viele in den deutschen Ländern in Gefängnissen gesessen oder mussten im Exil leben.
Innerreligiös geht es noch um etwas anderes. Luther kritisiert mit dem Ablasshandel eine Kirche, die sich anmaßt, die Gnade und Vergebung Gottes verkaufen zu können.
Luther hat den Menschen klargemacht, dass sie nicht reich sein müssen, um sich mit Ablassscheinen Eintrittskarten in den Himmel kaufen zu können. Auch von denen, die glauben, dass Religion sinnlos ist, kann man erwarten zu verstehen, dass das eine Emanzipation des Einzelnen bedeutet, die historisch nicht rückgängig zu machen war und aus der viele die Kraft zu politischem Widerstand und Mut gezogen haben.
Die Reformation ist ein großer Schritt in der europäischen Aufklärung – egal, wie man persönlich zu Religion steht. Ich verstehe die Freundinnen und Freunde aus den ostdeutschen Ländern, dass sie das feiern wollen.
Aber zur Freiheit des Wortes und dem Respekt vor der persönlichen Einstellung gehört es auch, dass wir in unserer Fraktion in religiösen Fragen keine Mehrheitsbeschlüsse fassen. Wir diskutieren den Antrag jetzt mit Ihnen im Innenausschuss. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem zuletzt Gesagten, dass Sie Ihren Antrag in einen Zusammenhang mit den antisemitischen Äußerungen und den Hetzpredigten stellen, möchte ich vorweg sagen: Pierre Vogel ist Konvertit. Viele von denen, die mit ISIS kämpfen, sind ebenfalls entweder Konvertiten oder Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, die hier aufgewachsen sind. Wir exportieren den Terror im Moment, wir importieren ihn nicht!
Im Ausschuss haben wir gemeinsam beschlossen, dass Imame, die nach Berlin kommen, um die hiesigen Gemeinden zu betreuen, einen Deutschkurs angeboten be
kommen. Das ist sinnvoll, weil die Imame, Sie haben das beschrieben, Kontakte selbstverständlich nicht nur innerhalb der Gemeinden haben sollen, sondern auch darüber hinaus, und weil sie im Idealfall eine Brückenfunktion übernehmen könnten. In dem Antrag ist allerdings nicht geklärt, was mit diesem Angebot eigentlich gemeint ist. Ich habe das schon in meiner ersten Rede hier gesagt: Ist damit gemeint, dass auch die Kosten übernommen werden? Ist Ihnen die Sache so wichtig, dass sie Sie auch etwas kosten darf? Ich will das nicht noch einmal wiederholen, aber nach meinen Berechnungen würde man für die Sprach- und Orientierungskurse auf eine maximale Gesamtsumme von 9 000 bis 10 000 Euro pro Jahr kommen. Dazu haben Sie erneut nichts gesagt. Was für ein Angebot soll das sein? Ich habe nach wie vor das Gefühl, vor allem durch den Zusammenhang, den Sie zu den Ereignissen im Sommer hergestellt haben, dass es sich um einen Stänkerantrag handelt und eben nicht darum, den Imamen wirklich eine Brückenfunktion zu ermöglichen.
Der Antrag soll einfach nur auf die Defizite der aus dem Ausland kommenden Imame hinweisen, was ihre sprachliche und politische Bildung angeht, statt sie wirklich einzubeziehen. Da kann ich nur zu Vorsicht raten, denn wenn man mit einem Finger auf andere zeigt, zeigen immer drei auf einen selbst zurück.
Drei Dinge will ich auch nennen – erstens: Warum müssen Imame überhaupt aus dem Ausland nach Deutschland kommen, um hier für die Gemeinden zu sorgen? – Weil Muslimas und Muslime kaum die Möglichkeit haben, eine theologische und pastorale Ausbildung an deutschen Hochschulen zu machen. In Berlin gibt es diese Möglichkeit gar nicht.
Das erinnert mich daran, dass wir am 22. Mai letzten Jahres im Wissenschaftsausschuss beschlossen haben zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen ein Lehrstuhl für islamische Theologie in Berlin einzurichten wäre. Ich wüsste gerne mal, was da mittlerweile passiert ist.
Zweitens: Was passiert eigentlich im Berliner Islamforum? Das wäre doch der Ort, über diese Dinge zu reden, die Sie hier angesprochen haben. Haben Sie Ihren Antrag da mal mit den Muslimen besprochen, die Fachleute für ihre eigene Situation sind? Hätte man dort nicht gemeinsam mit den Gemeindevertretern ein Gesamtpaket entwickeln können, um die Probleme ehrlich und wirklich wirksam anzugehen, die wir in der Stadt dadurch haben, dass Imame von auswärts kommen müssen, weil es gar nicht anders geht? Das neue Protokoll des Islamforums ist vom 5. Juni 2013. Es gab 2013 immerhin zwei Treffen, sonst gibt es immer nur eins im Jahr. Wie sieht es 2014 aus? – Ganz, ganz mau!
(Burkard Dregger)
Drittens: Das Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen berichtete in der zuletzt genannten Sitzung im vergangen Jahr von einer Zunahme von Hassbriefen und anderen Delikten gegen muslimische Einrichtungen. Auch hierzu wüsste ich gerne mal, was passiert ist. Warum hat es zwei Wochen gedauert, bis sich der zuständige Innensenator Henkel nach dem Brandanschlag in der Mevlana-Moschee hat blicken lassen? Ich habe stark den Eindruck, dass, wenn es um Religion in der Stadt geht, und speziell, wenn sich Ihre Partei dazu äußert, konsequent mit zweierlei Maß gemessen wird. Ich hoffe, dass ich Sie morgen bei der Kundgebung sehen kann, die der Koordinierungsrat der Muslime vor der MevlanaMoschee unter dem Motto organisiert hat: Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht – auf dass wir als Grüne dort nicht wieder alleine stehen wie am Tag nach dem Anschlag!
Frau Senatorin! Wenn Sie die Versprechen so gut gehalten haben, wie können Sie sich erklären, dass die Flüchtlinge bisher de facto keine Beratung bekommen haben, dass man nirgendwo einen Flüchtling trifft, der schon eine Beratung bekommen hat in Bezug auf die berufliche Weiterbildung? Wie erklären Sie sich, dass die Flüchtlinge keine Hilfestellung beim Gang zur Ausländerbehörde bekommen haben und dass die Karte, auf der registriert ist, dass sie zum Agreement gehören, im Moment eher ein Abschiebungsgrund ist als ein Vorteil? Es ist nicht so, dass alle versorgt sind. Es haben nicht alle ein Bett, und es bekommen auch nicht alle Bezüge. Wie erklären Sie sich das?
(Senatorin Dilek Kolat)
Vielen Dank! – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Überschrift des Antrags der Koalition verspricht Gutes: „Transparente Veröffentlichung im Internet aller Möglichkeiten für die Beantragung von Fördermitteln im Bereich Integration“. Das
hätten wir uns schon im vergangenen Sommer gewünscht: eine transparente Ausschreibung der Fördermittel. Stattdessen: drei verschiedene Veröffentlichungen mit vage formulierten Handlungsfeldern, mit Anforderungen an Projektkoordination, die sich bis zum Schluss noch geändert haben. Das war konzeptlos und für die bisherigen Fördernehmer ebenso unübersichtlich wie für neue Bewerber.
Und so intransparent, wie die Bewerbungsvoraussetzungen waren, sind dann auch die Entscheidungen ausgefallen. Die üblichen Verdächtigen haben wieder die glatten und runden Summen zugewiesen bekommen, bei den anderen wurde entweder nachträglich die Nichtteilnahme an den Sitzungen des sogenannten Qualitätsdialogs ins Feld geführt, um eine Ablehnung zu begründen, oder die Zusammensetzung des Vorstandes, je nachdem, was man so gefunden hat. Viele Projekte, die sich die Mühe gegeben haben, bei der Beantragung der Gelder Handlungsfelder und Ähnliches in ihren Anträgen zu berücksichtigen, erhielten schließlich zu ihrem Erstaunen einfach die üblichen unveränderten Zuwendungen. Viele für die Stadt wichtige Projekte sind aus der Förderung herausgefallen.
Und angesichts der Situation im Görlitzer Park, am Oranienplatz und angesichts der allgemein zunehmenden Zuwanderung von Menschen vom afrikanischen Kontinent hätte es nicht passieren dürfen, dass die eingereichten Projekte afrikanischer Vereine bis auf eines unberücksichtigt geblieben sind. Wir brauchen hier die Sprachkompetenz, das Wissen um die Herkunftsländer und ihre Kulturen.
Ebenso ging es den Projekten für arabisch- und kurdischsprachige Menschen, als ob es keine syrischen Flüchtlinge gäbe – von den großen Communities in der Stadt mal ganz abgesehen.
Stattdessen werden Projekte von Trägern gefördert, die nicht mal in Berlin ansässig sind, und Projekte von Trägern, die ganz eindeutig kommerziell ausgerichtet sind. Wo bleibt da die Transparenz? – Nähe zur Senatsverwaltung, das ist leider die einzige plausible Erklärung für diese Förderentscheidung. Wer es weiß, für den ist dann auch das transparent.
Jetzt will die Koalition die Förderangebote Europas und des Bundes transparent auf ihre Website stellen. Das ist eine nette Fleißarbeit, die die Senatsverwaltung für die Träger der Stadt übernehmen möchte, aber mehr ist es nicht. Denn Zuschüsse und Zuwendungen der EU sind den Trägern im Zeitalter des Internets doch längst bekannt. Was sie benötigen würden, wäre z. B. eine temporäre finanzielle Hilfe, um die Zeit zu überbrücken, in der sie finanziell in Vorleistung gehen müssen, da EU-Gelder häufig sehr spät ausgezahlt werden. Sie sind zu knapp bei
(Burkard Dregger)
Kasse, um mit ihren guten Projekten EU-Gelder nach Berlin holen zu können.
Auch Fördermöglichkeiten aller Senatsverwaltungen des Landes Berlin sollen jetzt aufgelistet werden. Da bin ich gespannt. Ist damit nur der Titel bei IntMig gemeint, der gerade ausgeschrieben war? Oder geht es jetzt auch um Fördermöglichkeiten bei anderen Senatsverwaltungen? Das wäre wirklich eine Neuerung. Bisher erhalten nur die Träger, die aus der Integrationsverwaltung die großen runden Summen bekommen, auch aus anderen Verwaltungen Förderungen. Haben Sie nun vor, diese Möglichkeit auch anderen Organisationen und somit den bisher weniger gut vertretenen Communities zu ermöglichen? Hier ist noch eine ganze Menge unklar. Angesichts der massiven Probleme in der Förderpraxis des Senats fällt es mir ziemlich schwer, diesen Antrag ernst zu nehmen.
Damit ist wirklich kein Blumentopf zu gewinnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Trennung von Kirche und Staat ist grüne Beschlusslage, und wir meinen es ernst. Das heißt auch, dass wir so einen Schaufensterantrag wie den von den Piraten ablehnen werden, weil wir ihn nicht ausreichend finden. Er besagt nämlich nicht mehr, als dass die
(Christopher Lauer)
Kirchen die Kirchensteuer selbst eintreiben sollen und dafür eine eigene Finanzbehörde aufbauen müssen. Die Piraten – ich wiederhole das noch mal – stänkern da nur so ein bisschen gegenüber den Kirchen herum: Macht euren Kram allein, und dann könnt ihr mal sehen, was ihr davon habt!
Eine ernsthafte Trennung von Amtskirche und Staat in Deutschland müsste aufgrund der historischen Gegebenheiten – auch da muss ich mich wiederholen, weil wir es immer wieder diskutieren müssen – ungefähr so betrieben werden wie eine Scheidung. Nach ca. 400 Jahren Zusammenleben mit unendlich vielen Verpflichtungen, Zuwachs an Vermögen, Verantwortungen, die man gemeinsam übernommen hat: Wenn man da ordentlich herauswill, sodass beide Seiten einigermaßen unbeschadet bleiben, ist das ein Prozess, den man gemeinsam angehen muss und der auch einige Zeit in Anspruch nehmen wird.
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, sehen außerdem die Kirchen in vielen Fragen eigentlich auf unserer Seite, z. B. wenn es um Flüchtlinge geht – die Caritas hat die Bewohner des Oranienplatzes letzten Oktober aufgenommen –, aber auch, wenn es um Obdachlose geht: In meinem Bezirk Neukölln geht ohne die evangelische und die katholische Kirche gar nichts. Weiterhin auch in ganz allgemeinen Fragen, wo es um soziale und globale Gerechtigkeit geht.
Wir wollen außerdem einen ernst gemeinten und zielführenden Prozess der Trennung nach unserem Verständnis mit den Amtskirchen, mit kritischen Kirchenmitgliedern und kirchenkritischen Christinnen und Christen gemeinsam machen. Auf diesem Weg ist so ein Antrag, wie der von den Piraten, überhaupt nicht produktiv. Dass wir den Antrag der Koalition, Gebühren für den Austritt aus den Kirchen zu verlangen, ablehnen, habe ich auch im Ausschuss und auch hier schon gesagt: Das ist ein bisschen schäbig.
Ja!
In Friedrichshain-Kreuzberg kann man völlig zu Recht keine Medaille für etwas bekommen, was man innerhalb der Kirche für diese Kirche geleistet hat, weil wir das gar nicht beurteilen können. Das halte ich für absolut richtig. Ich würde auch nicht von der staatlichen Stelle für religiöses Engagement ausgezeichnet werden wollen. Wenn ich aber als religiöser Mensch etwas tue, dann kann ich selbstverständlich auch in Kreuzberg dafür ausgezeichnet werden.
Vielen Dank, ich war ohnehin am Ende!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Anklang hält es sich ziemlich in Grenzen. Das Berliner Gesetz zur Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse kommt nicht nur spät, sondern es geht auch an der Zielgruppe vorbei, die es erreichen sollte. Berlin war verpflichtet, das Bundesgesetz umzusetzen, und hat das getan wie eine faule Schülerin, die ihre Hausaufgaben macht – nur das Nötigste und natürlich auf den letzten Drücker.
Für die meisten Berufe gilt das Gesetz in Berlin nämlich weiterhin nicht. Berufe, für die das neue Anerkennungsgesetz gilt, lassen sich an einer Hand abzählen. Wenn Sie es durchblättern, werden Sie sehen – ist ausgeschlossen, ist ausgeschlossen, ist ausgeschlossen. Wir haben damit einen völlig unübersichtlichen Flickenteppich an Zuständigkeiten und Geltungsbereichen. Am ärgerlichsten aber ist, dass das Berliner Gesetz für die Menschen, die unter ihrer Qualifikation arbeiten und durch die Anerkennung der mitgebrachten Berufsabschlüsse eine neue Perspektive bekommen sollten, überhaupt nicht ausgelegt ist. Der Berliner Senat hat ein Gesetz nur für Menschen im Leistungsbezug vorgelegt. Die vielzitierten Reinigungskräfte,
Taxifahrer, Kassiererinnen, sie alle müssen die mit ihrer Anerkennung verbundenen Kosten inklusive Verdienstausfall während einer Nachqualifikation alleine tragen. Wer soll das schaffen? Wer lässt sich darauf ein, wenn eine Familie vom Einkommen abhängig ist, wenn am Ende der Anerkennung vielleicht nur ein Jöbchen als Vertretungslehrerin auf der Basis von PKB-Mitteln steht? – Da kann man doch nur abraten.
Die Arbeitssenatorin hat uns im Ausschuss erklärt, dass bisher überwiegend Menschen aus dem Leistungsbezug Anträge auf Anerkennung gestellt haben. Das mag sein. Das wird aber vor allen Dingen auch so bleiben, da es in Berlin, anders als in Hamburg, kein Stipendienprogramm für Antragstellerinnen und Antragsteller gibt, die schon berufstätig sind. Sie werden in Berlin weiter von Menschen, die in der Türkei Biolehrer waren, ihr Essen serviert bekommen, und Ihr Taxi wird von einer brasilianischen Diplomlinguistin gefahren werden. Unter der Idee, dass Sie irgendwie den Bedarf von Leuten mitbekommen, die nicht im Leistungsbezug stehen und trotzdem ihre Qualifikation anerkannt bekommen möchten, kann ich mir überhaupt nichts vorstellen. Menschen, die jetzt schon arbeiten, die es geschafft haben, ihren Lebensunterhalt hier zu verdienen, werden sich, bevor sie in das Anerkennungsverfahren gehen, sehr genau überlegen, ob sie sich das leisten können. Die werden sich das durchrechnen, die werden von Anfang an gar nicht ankommen. Die sind doch nicht dumm und laufen da hin und stellen dann fest: Oh, Mist! Das wird ja teuer, das lass ich lieber bleiben. – Was Sie gemacht haben, ist: Sie stellen keine Gelder zur Verfügung, die Menschen werden keine Anträge stellen, und Sie werden sich in vier Jahren hinstellen können und sagen, es kommen nur Leute im Leistungsbezug, wir brauchen kein Stipendienprogramm.
Die Gelder für dieses Stipendienprogramm sind nirgendwo eingestellt. Wie wollen Sie nachsteuern, wenn sich doch jemand traut zu kommen und sagt: Ich will zwar, ich kann es mir aber nicht leisten. Sorgen Sie mal dafür! – Wer macht das, und wie wollen Sie das bezahlen?
Die Evaluation für das Gesetz ist erst in vier Jahren vorgesehen. Mit Zeit geht der Senat großzügig um, das haben wir schon bei der Vorlage des Gesetzes gesehen. Vor allen Dingen dann, wenn es um die Zeit der anderen geht. Die Zeit der Betriebe, die auf Fachkräfte warten, die Zeit der Schulen, die auf Lehrer warten, die Zeit der möglichen Antragsteller und Antragstellerinnen.
Wir werden daher von Anfang an und kontinuierlich nachfragen, wie es mit der Umsetzung aussieht, denn zu dem halbherzigen Gesetz kommt offenbar eine Verwaltung, die dann auch noch ab und zu in Ihrem Sinne nachsteuert. Menschen, die ihren Abschluss als Lehrerin, als Lehrer anerkannt haben wollten, mussten bisher in Berlin als Voraussetzung für die Antragstellung einen Auf
(Franziska Becker)
enthaltstitel für zwei Jahre nachweisen. Das war im Gesetz so nicht vorgesehen. Diese Verwaltungspraxis muss nun korrigiert werden, nachdem wir das im Ausschuss moniert haben. Hier waren irgendjemandem die Regelungen offensichtlich nicht strikt genug gewesen – oder wie erklärt sich sonst eine solche vom Gesetz abweichende Praxis?
Wir erwarten von den politisch Verantwortlichen, dass sie ihre Verwaltungen anhalten, Gesetze ihrem Sinn entsprechend umzusetzen. Alles in allem: Kein toller Start in Berlin für das Anerkennungsgesetz, aber immerhin liegt jetzt etwas vor. Wir werden zustimmen im Sinne derjenigen, die sich nun endlich auf den Weg machen können, Anträge auf Anerkennung zu stellen.
Ja, ich wollte nur kurz bemerken, dass ich es ganz erstaunlich finde, wie hier Gemeinsinn in Anspruch genommen wird oder an den Gemeinsinn appelliert wird, aber kosten darf es nichts. Ich habe dargelegt, dass die Leute, die in das Anerkennungsverfahren gehen wollen, die Kosten dafür selber tragen müssen, dass sie z. T. ihre
Jobs für eine Weile aufgeben müssen, wenn sie Nachqualifikation machen müssen. Und ich höre danach eine Rede, wo es nur um Gemeinsinn geht, diesen Gemeinsinn, der einen nichts kostet. Was nichts kosten darf, ist auch nichts wert. Ich finde, das sind Allgemeinplätze. Davon kann sich niemand was kaufen. Davon wird kein einziger Taxifahrer sich in dieses teure Verfahren begeben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe nur drei Minuten. Deswegen nenne ich nur die drei größten Ärgernisse im Kapitel 0910 – Integration. Erstens: Der Titel 684 10 – Partizipations- und Integrationsprogramm – wurde von 1,2 Millionen Euro um lächerliche 300 000 Euro erhöht. Mehr ist dem Senat die Arbeit dieser circa 34 Migrantenselbstorganisationen nicht wert. Sozial- und Rechtsberatung, Begleitung zu Ämtern und Jobcentern, Kulturarbeit in den Kiezen, Kulturprojekte, die Betreuung Ehrenamtlicher, Gremienarbeit in den Bezirken und QMs – all das wird von den Organisationen gefordert, und die sogenannten Regeldienste würden ohne diese regelmäßige Zuarbeit gar nicht mehr funktionieren. Die Abgeordneten genehmigen sich heute 10 Millionen Euro mehr für Büromieten, Ausstattung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Gemessen daran, waren die 1,2 Millionen Euro schon lächerlich wenig und die Erhöhung um 300 000 Euro ist einfach nur peinlich.
Zweitens: Das sogenannte Integrations- und Partizipationsprogramm ist nicht nur unterfinanziert, sondern wird derzeit neu aufgestellt, und zwar nach Gummikriterien, die jede und keine Auswahl rechtfertigen. So ist zum Beispiel der Afrikarat schon in der ersten Runde mit der Begründung ausgeschieden, er leiste keine Integrationsarbeit. Der Afrikarat ist ein Dachverband von 38 Vereinen, in denen ebenso viele Nationen organisiert sind. Sollten nicht eigentlich herkunftsübergreifende Zusammenarbeit und der Aufbau von Netzwerken besonders gefördert werden? Gucken Sie sich mal um, was in der Stadt los ist! Denken Sie nicht, dass es Zeit wäre, die afrikanischen Vereine in ihrer Integrationsarbeit durch
(Senatorin Dilek Kolat)
den Aufbau eines Netzwerks endlich zu unterstützen? Wenn diese ganze Neuausschreibung mit dem ganzen Dialogtamtam überhaupt einen Sinn machen soll, dann den, auf neue Bedarfslagen in der Stadt reagieren zu können und nicht nur einfach das große Aufräumen zu veranstalten.
Drittens: Mindestlohn und Tarifanpassung sollten nach dem Willen der Koalition auch für Zuwendungsempfänger und ihre Auftragnehmer und Auftragnehmerinnen gelten. Dass dafür kein Geld eingestellt ist, haben wir schon mehrfach gehört.
Wir werden dem Einzelplan 09 aus diesen und anderen Gründen nicht zustimmen.