Protocol of the Session on November 7, 2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 38. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich. Insbesondere heiße ich heute eine Gruppe kaufmännischer Auszubildender im zweiten Lehrjahr bei der BSR willkommen, die in Begleitung von Herrn Dr. Klöppner unser Haus besucht.

[Allgemeiner Beifall]

Herzlich willkommen!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Berlinerinnen und Berliner! Im Erinnerungsjahr „Zerstörte Vielfalt“ stellen wir uns in besonders intensiver Weise der deutschen Vergangenheit. Mit dem 9. November liegt ein Tag vor uns, der in vielerlei Hinsicht als ein Schicksalstag der Deutschen im 20. Jahrhundert bezeichnet werden kann.

In diesem Jahr jähren sich die Novemberpogrome der Nationalsozialisten von 1938 zum 75. Mal. Und wieder ist der 9. November das historische Datum. Der Historiker Wolfgang Benz nannte die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November den „Scheitelpunkt des Weges zur Endlösung, zum millionenfachen Mord an Juden aus ganz Europa“. Hitler hatte vor den Augen der Weltöffentlichkeit seine Schergen gegen die deutschen Juden losschlagen lassen. Und wie wir wissen, hatten sie auch die Unterstützung eines Teils der Bevölkerung. Die große Masse schaute zu und schwieg.

Die von der NS-Führung bewusst gezielten, angeblich spontanen Aktionen gegen Juden und deren Hab und Gut führten zu reichsweiten Pogromen kaum fassbaren Ausmaßes. In ganz Deutschland brannten die Synagogen oder wurden geschändet, ca. 7 000 Geschäfte wurden zerstört und geplündert, 30 000 Juden kamen in Konzentrationslager nach Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen, viele starben. Die Verfolgung der Juden hatte allerdings schon viel früher begonnen, gleich nach dem Machtantritt Hitlers.

1933 lebten ca. 500 000 Juden in Deutschland. Seit der Machtübergabe begannen die Nationalsozialisten mit pseudolegalen Mitteln, die Juden aus der sogenannten Volksgemeinschaft herauszudrängen. Schon im April 1933 wurden mithilfe des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ Beamte nichtarischer Abstammung entlassen, jüdische Geschäfte wurden boykottiert, jüdischen Ärzten wurde die Krankenhauszulassung entzogen. Es folgte ein Numerus clausus für jüdische Schüler und Studenten. An dieser Stelle ist es nicht möglich, alle Verordnungen und Gesetze aufzulisten, mit denen die nationalsozialistischen Machthaber die Juden

verfolgten und erniedrigten. Und das Entsetzliche: Alles geschah vor den Augen der Nachbarn.

Deshalb heißt heute das Gebot der Stunde: Gesicht zeigen, indem wir gemeinsam an die Vergangenheit erinnern und gleichzeitig die Zivilgesellschaft mahnen, nicht nachzulassen in ihrem Engagement gegen den aktuellen Rechtsradikalismus und Alltagsrassismus, wie er sich in unserer Stadt wieder zu zeigen wagt. Es ist eine enorme Herausforderung an uns alle, immer aufs Neue gegen Geschichtsklitterung, gegen fremdenfeindliches und antisemitisches Auftreten, gegen jede Form offen gezeigter Ressentiments unsere Stimme zu erheben.

Auch wenn es manchem als ein bloßes Ritual erscheinen mag, Gedenktage wie den 9. November jedes Jahr zu begehen, Tatsache ist, in den letzten 20 Jahren gab es in Deutschland 150 Todesopfer rechter Gewalt. Erschütternder Höhepunkt war die NSU-Mordserie.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin ist sich deshalb seiner Verantwortung sehr wohl bewusst, eine lebendige und demokratische Erinnerungskultur mitzugestalten. Unser jährlich stattfindendes großes Jugendforum denk!MAL vereinigt den Anspruch zu erinnern mit dem Blick auf die Gegenwart und kann mit Fug und Recht als ein gutes Beispiel moderner Erinnerungskultur gelten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Berlinerinnen und Berliner! An Sie alle richte ich meinen herzlichen Appell: Setzen Sie ein Zeichen gegen das Vergessen und für Toleranz und Vielfalt!

Für den 9. November rufen die evangelische und die katholische Kirche um 15 Uhr zu einem Schweigemarsch durch die Berliner Innenstadt auf unter dem Motto „Gedenken – Erinnern – Mitgehen“. Der Gedenkweg wird am Roten Rathaus beginnen und endet vor dem Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße.

Am 10. November ab 17 Uhr klingt auf dem Pariser Platz mit einer Großkundgebung das Berliner Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ aus, unter anderem mit den Zeitzeuginnen Inge Deutschkron und Margot Friedländer.

Auf eine ganz besondere Aktion der Berliner Kaufleute und Einzelhändler möchte ich Sie ebenfalls hinweisen: die „Schaufenster-Aktion“. Am nächsten Wochenende werden viele Geschäfte in der Stadt mit Fensterfolien in der Optik eingeschlagener Schaufenster auf die Zerstörungen und Plünderungen jüdischer Geschäfte vor 75 Jahren aufmerksam machen.

Es ist wichtig, dass möglichst viele Berlinerinnen und Berliner am nächsten Wochenende zeigen: Die Extremisten sind eine Minderheit in unserem demokratischen Gemeinwesen, und wir werden ihnen nicht erlauben, mit Drohungen und Gewalt Menschen einzuschüchtern und

zu terrorisieren. Wir werden nicht wegsehen. Unsere Antwort muss deutlich und nachdrücklich sein. Das ist unsere Verpflichtung auch gegenüber den Opfern, deren wir heute gedenken. – Vielen Dank!

[Allgemeiner Beifall]

Dem Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, möchten wir zur Eheschließung gratulieren. – Herzlichen Glückwünsch nachträglich, Herr Staatssekretär!

[Allgemeiner Beifall]

Zur Tagesordnung habe ich mitzuteilen, dass am Montag folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen sind.

1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Sporthauptstadt Berlin“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Sporthauptstadt Berlin“,

3. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „600 000 Stimmen für die Energiewende in Berlin – der Senat darf das nicht überhören“,

4. Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „600 000 Stimmen sind ein kraftvolles Votum: Jetzt ein leistungsstarkes Stadtwerk aufbauen und das Stromnetz wieder in öffentliche Hand bringen. SPD und CDU sind in der Pflicht.“,

5. Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „599 565 Berlinerinnen und Berliner ernst nehmen. Das Stadtwerk auf politisch und finanziell sicheren Boden stellen.“

Die Fraktionen haben sich inzwischen einvernehmlich auf die Behandlung des von der Piratenfraktion beantragten Themas verständigt, sodass dies unter Punkt 3 der Tagesordnung aufgerufen wird. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Ich möchte dann auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die heutige Sitzung: Der Regierende Bürgermeister wird ab 19.20 Uhr abwesend sein, weil er an der Eröffnung der Ausstellung „Es brennt! Antijüdischer Terror im November 1938“ teilnimmt. Herr Senator Henkel ist ganztägig abwesend, da er als Berliner Landesvertreter an den Gruppenberatungen der laufenden Koalitionsverhandlungen auf Einladung des Bundesinnenministers teilnimmt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Mündliche Anfragen

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Drucksache 17/MA38

Die erste Mündliche Anfrage stellt Frau Ülker Radziwill von der SPD-Fraktion zum Thema

Ergebnisse der Vietnamreise des Regierenden Bürgermeisters mit einer Berliner Delegation aus Wirtschaft und Wissenschaft

Frau Kollegin, Sie haben das Wort, bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage den Senat:

1. Welche wirtschaftlichen Potenziale bringt die Vietnamreise des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit vom 27. bis 31. Oktober 2013 mit einer Wirtschaftsdelegation für die Berliner Wirtschaft?

2. Welche Ergebnisse ergaben die Gespräche in Vietnam, und wurden die Erwartungen des Landes Berlin und der Wirtschaft erfüllt, und in welcher Weise trägt die Reise zur weiteren Internationalisierung des Wirtschaftsstandortes Berlin bei, insbesondere in welchen Branchen ist eine wirtschaftliche Zusammenarbeit geplant, und gibt es konkrete Vorhaben bzw. bereits Geschäfts- oder Vertragsabschlüsse?

[Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Es antwortet der Regierende Bürgermeister. – Bitte schön, Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete Radziwill! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Frage 1: Die wirtschaftlichen Potenziale Vietnams liegen in der starken Entwicklung des Landes seit der sogenannten Erneuerungspolitik. Seit Mitte der Achtzigerjahre gibt es Wachstumsraten von durchschnittlich mehr als 5 Prozent. In allen Bereichen der sozialen und technischen Infrastruktur besteht ein steigender Bedarf, um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, bis 2020 ein modernes Industrieland zu werden. Die vietnamesische Regierung behandelt prioritär den Ausbau dieser Infrastruktur und setzt dabei vor allem auf Direktinvestitionen und Know-how aus dem Ausland.

Die Berliner Wirtschaft hat eine hervorragende Expertise vor allem im Bereich städtische Infrastruktur. Die be

(Präsident Ralf Wieland)

sonderen Vorteile für Berliner Geschäftsaktivitäten in Vietnam sind eine sehr junge, bildungsinteressierte Bevölkerung und eine zunehmende regionale und weltwirtschaftliche Integration. Die Industrie- und Handelskammer Berlin hat im Vorfeld der Delegationsreise gezielt 14 Berliner Unternehmen aus den folgenden Branchen zur Reiseteilnahme und Markterschließung eingeladen: Sie kommen aus den Bereichen Bau und Architektur, Verkehr und Logistik, Energiewirtschaft, Umwelt- und Wassertechnik, Gesundheitswirtschaft sowie Informations- und Kommunikationstechnik.

Zu Frage 2: In Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt fanden Wirtschaftskonferenzen, einschließlich Branchenworkshops, und individuell organisierte Geschäftsgespräche und -besuche bei relevanten Partnerunternehmen statt. Die erste Resonanz der Wirtschaftsteilnehmer zum Erfolg der Reise hinsichtlich eines Marktüberblicks und ersten Geschäftskontakten war sehr positiv. Besonders vielversprechende Rückmeldung gab es aus den Branchen Energie, Verkehr und Architektur/Stadtplanung. Für den Großteil der teilnehmenden Unternehmen stand diese Markterschließungsreise am Anfang ihrer Aktivitäten in Vietnam bzw. Südostasien. Erfahrungsgemäß dauert es je nach Land zwischen zwei und sechs Jahren, bis sich aus ersten internationalen Kontakten konkrete Geschäftsabschlüsse ergeben. Im Rahmen der Förderung der Delegationsreise durch das Berliner Außenwirtschaftsprogramm „Neue Märkte erschließen“ wird demnächst eine detaillierte Auswertung der Delegationsreise, basierend auf den Rückmeldungen der Teilnehmer, durch die IHK Berlin erstellt. Diese Auswertung wird voraussichtlich ab Mitte Januar 2014 vorliegen.

Nicht unterschätzt werden darf zudem die Vorstellung der Berliner Wirtschaft und ihrer Vertreter bei den politischen Gesprächsterminen, die mit dem Premierminister und mehreren Ministern sowie mit Vertretern der Städte in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt stattfanden. Das Echo war sehr groß. Es ist in diesen Ländern üblich, dass dies auch als Türöffnung betrachtet werden kann. Da, wo schon wirtschaftliche Kontakte vorhanden sind, können auch Probleme gelöst werden, weil dann auch auf der administrativen Ebene darunter die Wichtigkeit der Lösung der Probleme im Mittelpunkt steht. Insofern hat sich dieser Besuch sicherlich in vielfältiger Hinsicht gelohnt.

Darüber hinaus hat sich Berlin auch als starker Partner im Bereich Wissenschaft präsentiert. An der vietnamesischdeutschen Universität in Ho-Chi-Minh-Stadt haben wir gemeinsam den von der Technischen Universität Berlin konzipierten Studiengang „Global Production Engineering and Management“ am 30. Oktober 2013 eröffnet. Die Hochschule für Wirtschaft und Recht arbeitet seit 2011 mit der Banking Academy of Vietnam zusammen und bildet im Masterstudiengang „Financial and Managerial Accounting“ junge Vietnamesen aus. Auch im Bereich der beruflichen Bildung hat es zwischen Berliner

und vietnamesischen Vertretern Kontakte gegeben, sodass dort sicherlich auch Kooperationen geschlossen werden konnten.

Vielen Dank! – Eine erste Nachfrage kommt von Frau Kollegin Bangert. – Bitte schön!