Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 74. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste, die Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Vertreter der Medien sehr herzlich. Ich darf Sie bitten, sich von den Plätzen zu erheben.
Vorgestern kamen durch einen Selbstmordattentäter, der sich unter eine Reisegruppe in Istanbul gemischt hatte, zehn deutsche Touristen zu Tode. Viele weitere unschuldige Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Wir verurteilen diesen barbarischen Terrorakt auf das Schärfste und trauern um die Opfer. Unser ganzes Mitgefühl gilt nun ihren Angehörigen, und wir hoffen, dass die Verletzten bald wieder genesen sind.
Heute Morgen haben wir erfahren, dass unsere Partnerstadt Jakarta von einem Terroranschlag erschüttert wurde. Ich sage: Die Terroristen werden es nicht schaffen, uns ihren abstrusen und menschenverachtenden religiösen Wahn aufzuzwingen, auch nicht mit Gewalt gegen Wehrlose, weder in Istanbul, Jakarta oder anderswo in der Welt.
Glaubenskriege im Namen Gottes sind Gotteslästerung. Wir werden uns nicht von unserer Überzeugung abbringen lassen, dass Frieden und Verständigung – manchmal auch im fruchtbaren Streit – das Maß der Politik sind. Im Frieden blühen unsere jeweiligen Kulturen auf. Der Krieg allein zerstört nur unsere Lebenswelten. Wir sehen das immer wieder. Syrien ist das aktuelle Beispiel für diese Einsicht.
Wir in Berlin werden alle Aktivitäten unterstützen, die im Nahen Osten zum Frieden führen könnten, und wir werden alles tun, damit Terroristen in unserer Stadt kein Unheil anrichten.
Wir stehen auch weiterhin zu unserer Unterstützung für Flüchtlinge. Wir werden helfen, so gut wir können. Von diesem Weg lassen wir nicht ab. Dem Terror werden wir nicht weichen.
Ich habe jetzt die traurige Pflicht, drei ehemaliger Kollegen und einer ehemaligen Kollegin zu gedenken.
Der SPD-Abgeordnete Rudolf Glagow gehörte unserem Parlament von 1971 bis 1979 und von 1982 bis 1985 an. Geboren wurde er am 12. Februar 1929 in Berlin. Hier erlernte er den Handwerksberuf Zimmermann. Später holte er das Abitur nach und studierte an der Technischen
Fachhochschule Berlin Bauingenieurwesen und Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Rudolf Glagow als Dozent bei der Staatlichen Ingenieurakademie für Bauwesen. 1971 wurde er Professor an der Technischen Fachhochschule Berlin.
Rudolf Glagow war eines der Gründungsmitglieder des Neuen Berliner Kunstvereins und seit 1969 ehrenamtliches Vorstandsmitglied sowie in der Ankaufskommission des Vereins. Am 24. Dezember 2015 starb Rudolf Glagow in Berlin.
Ursula Besser wurde am 5. Januar 1917 in Berlin geboren. Von 1943 bis 1949 studierte sie Germanistik und Romanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1945 trat Ursula Besser der Ost-CDU bei. 1954 verließ sie den Ostteil Berlins und ging in den Westen der Stadt. Hier arbeitete sie als Übersetzerin, Privatlehrerin und Publizistin. Neben ihrem christlichen Engagement in der BerlinBrandenburgischen Synode arbeitete sie in der Kommunalpolitik des Bezirkes Schöneberg mit. 1967 zog Ursula Besser für die CDU in das Berliner Abgeordnetenhaus ein. Abgeordnete blieb sie bis 1985. Sie erwarb sich einen Ruf als ausgewiesene Wissenschaftspolitikerin. 1990 wurde Ursula Besser die Würde einer Stadtältesten verliehen. Ursula Besser starb am 19. Dezember 2015.
Werner Dolata kam am 23. Februar 1927 in Brandenburg an der Havel zur Welt. Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung zum Dentisten. Durch Weiterbildung erwarb Werner Dolata 1953 die Approbation als Zahnarzt, nachdem er die DDR 1949 verlassen hatte. Im Bezirk Schöneberg engagierte er sich in der CDU, der er bereits 1946 beitrat. Die Mitarbeit in christlichen Jugendverbänden während zweier Diktaturen prägte Werner Dolata. Zeit seines Lebens engagierte er sich hauptsächlich in der Jugendpolitik: zunächst in der BVV Schöneberg, dann ab 1967 im Berliner Abgeordnetenhaus, dem er bis 1981 angehörte. Das wählte ihn im selben Jahr in den Deutschen Bundestag, dem er bis 1987 angehörte.
Werner Dolata erhielt die Stadtältestenwürde am 18. Oktober 1998. Am 20. Dezember 2015 – sechs Tage vor seinem Tod am 26. Dezember – wurde Werner Dolata für seine besonderen Verdienste um die römischkatholische Kirche von Papst Franziskus zum Komtur des Gregoriusordens ernannt.
Siegmund Jaroch wurde am 20. November 1926 in Stettin geboren. Die Kriegswirren brachten ihn nach Berlin; an der Eckener-Oberschule in Mariendorf machte er 1947 sein Abitur. Ein gerade begonnenes Studium der Wirtschaftswissenschaften brach er ab und begann sogleich eine Verwaltungsausbildung in der Tempelhofer Bezirksverwaltung. 1947 trat Sigmund Jaroch auch der CDU bei. Von 1959 bis 1965 war er erstmals Mitglied unseres Hauses. Sein politischer Weg führte ihn aber zurück in das Bezirksamt Tempelhof als gewählter Stadtrat für
Finanzen und Wirtschaft. 1975 dann erlangte die CDU im Bezirk Tempelhof die Mehrheit in der BVV; Sigmund Jaroch wurde Bezirksbürgermeister. Er bekleidete dieses Amt bis 1991 und kehrte als gewählter Abgeordneter zurück in unser Landesparlament. 1995 kandidierte Siegmund Jaroch nicht mehr für das Abgeordnetenhaus. Im März 2000 wurde ihm die Würde eines Stadtältesten verliehen.
Besondere Verdienste erwarb sich Siegmund Jaroch als bürgernaher Bezirkspolitiker, dem die deutschamerikanischen Beziehungen immer wichtig waren. Sigmund Jaroch starb am 9. Januar 2016 im Alter von 89 Jahren.
Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren der Verstorbenen und als Zeichen der Trauer und des Respekts für die Opfer des Terroranschlags und ihre Angehörigen von den Plätzen erhoben haben.
Die Fraktion der SPD hat mich mit Schreiben vom 5. Januar 2016 darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Abgeordnete İlkin Özışık mit Wirkung von diesem Tag erklärt habe, aus der Fraktion der SPD auszuscheiden. Von diesem Zeitpunkt an ist der Abgeordnete Özışık somit Mitglied des Hauses ohne Fraktionszugehörigkeit.
Ich darf Frau Barbara Loth, der Staatssekretärin für Integration und Frauen, herzlich zum heutigen Geburtstag gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für das neue Lebensjahr!
Ich habe dann wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Flüchtlingspolitik: Nach Ruck-Rede und neuen Vorwürfen gegen Czaja – wann handeln Sie, Herr Müller?
− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Flüchtlingspolitik: Nach Ruck-Rede und neuen Vorwürfen gegen Czaja – wann handeln Sie, Herr Müller?“
− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Flüchtlingspolitik: Nach Ruck-Rede und neuen Vorwürfen gegen Czaja – wann handeln Sie, Herr Müller?“
Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD, Stichwort „Perspektive für die BVG“. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den
bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Die drei Oppositionsfraktionen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann war Ersteres die Mehrheit. Dann rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 auf. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.
Dann möchte ich Sie wieder auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.
Entschuldigung eines Senatsmitglieds für die heutige Sitzung: Der Regierende Bürgermeister ist ab 17.30 Uhr entschuldigt, Grund ist die Eröffnung der Internationalen Grünen Woche 2016.
Mir liegen dann noch zwei Anträge der Koalitionsfraktionen auf Änderung von Ausschussüberweisungen vor. Die Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/2583 „Gesetz zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen“ wurde in der ersten Lesung in der 72. Sitzung am 26. November 2015 federführend an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr und mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales, den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Nunmehr soll die Vorlage federführend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt, mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales sowie an den Hauptausschuss überwiesen werden. Hierüber lasse ich abstimmen. – Wer dieser veränderten Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltung? – Bei Piraten, Grüne und der Fraktion Die Linke.
Die Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/2620 „Gesetz zur Errichtung eines Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten und zur Anpassung betroffener Gesetze“ wurde in der ersten Lesung in der 73. Sitzung am 10. Dezember federführend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie an den Hauptausschuss überwiesen. Die Überweisung soll nun auf den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und den Hauptausschuss beschränkt werden. Wer dieser Änderung der Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind wieder die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltung bei den drei Oppositionsfraktionen.
Bevor ich nun unseren ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, freue ich mich, dass wir erneut eine Gruppe kaufmännischer Auszubildender der Berliner Stadtreinigung im zweiten Lehrjahr mit Herrn Dr. Klöckner zu Besuch
Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion der SPD. – Herr Kreins! Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Verständnis dafür, dass die Grünen, Linken und Piraten über die derzeit größte Herausforderung dieser Tage, Wochen und Monate sprechen wollen. Die Unterbringung der geflüchteten Menschen, ihre soziale und medizinische Versorgung, die Umsetzung der Schulpflicht, die Fragen der Sprachförderung, die Aufgaben des Registrierens und Bearbeitens der Anträge auf Asyl, die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt – all das sind unbenommen große Herausforderungen und unbestritten auch der parlamentarischen Diskussion notwendig.
Dieser Diskussion entzieht sich aber niemand, und Sie werden auch wahrnehmen, dass sie in fast allen Gremien dieses Hauses allgegenwärtig ist.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten allerdings auch von uns, dass wir jene Probleme lösen, die den Grünen, Linken und Piraten nicht als drängendste erscheinen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns zu Recht, dass wir eine verlässliche und langfristige Politik machen. Deshalb haben wir heute das Thema „Perspektiven für die BVG: Investitionen in den ÖPNV“ auf die Tagesordnung gesetzt. Es geht schlichtweg um nichts weniger als die Mobilität aller Menschen in unserer Stadt. Und auch diese Herausforderung gehen wir an.