Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 72. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor knapp zwei Wochen erschütterten mehrere Terroranschläge unsere Partnerstadt Paris. Dieser Schock sitzt immer noch tief. Die Terroristen sind mit äußerster Brutalität vorgegangen. Sie wollten so viele schutzlose Menschen wie möglich töten und richteten ihre automatischen Waffen wahllos gegen jeden. Diesem Wahnsinn fielen 132 Menschen zum Opfer. Zum Glück konnte verhindert werden, dass Sprengstoffattentäter das Stade de France betraten. Ansonsten wären wohl noch mehr Tote und Verletzte zu beklagen gewesen.
Die Anteilnahme in Deutschland und Berlin war groß. So haben u a. der Regierende Bürgermeister und ich sich am Sonnabend nach den Anschlägen in das Kondolenzbuch in der französischen Botschaft eingetragen. Wir wollten damit unsere Betroffenheit und unsere Solidarität mit der französischen Bevölkerung zum Ausdruck bringen. Botschafter Etienne hat sich bei uns für die Anteilnahme – auch der vielen Berlinerinnen und Berliner, die sich am Pariser Platz versammelten – bedankt.
Am Montag, am ersten Arbeitstag nach dem Terrorakt, haben viele Mitglieder des Abgeordnetenhauses, haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung und der Fraktionen während einer Schweigeminute im Foyer unseres Hauses innegehalten.
Die Botschaft war überall dieselbe: Frankreich und Paris sind nicht allein. Wir trauern mit den Französinnen und Franzosen, und wir stehen an ihrer Seite.
Wir haben aber auch gespürt: Der nächtliche Terror von Paris war ein Angriff, der uns alle treffen soll. New York, London, Madrid, zweimal Paris in schneller Abfolge – ja, es hätte auch Berlin sein können. Das wissen wir. Schnell erfuhren wir: Es sind die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates, die die Verantwortung für den letzten barbarischen Anschlag in Paris tragen. Sie hassen das Leben in Freiheit. Sie verfolgen und töten alle Menschen, die nicht ihrer Überzeugung sind – übrigens auch viele Muslime.
Wir aber wollen in einer Gesellschaft leben, die zusammenhält. Die Terroristen hingegen wollen Unsicherheit verbreiten und Unfrieden säen. Sie wollen ihren Glaubenskrieg in unsere Gesellschaft pflanzen und Muslime gegen Christen und Christen gegen Muslime aufhetzen. Sie wollen unsere gute Nachbarschaft mit den Muslimen
zerstören. Unsere offene Gesellschaft, unsere Willkommenskultur passt ihnen nicht. Sie wollen einen Keil treiben zwischen Flüchtlinge und uns. Das aber werden wir nicht zulassen, denn die Flüchtlinge sind ja gerade vor diesen Mördern geflohen. Und deshalb müssen wir uns schützend vor sie stellen und diejenigen in die Schranken weisen, die diese leidgeprüften Menschen und deren Schicksal für ihre menschenverachtende Ideologie missbrauchen.
Sicher, der Terrorismus fordert uns heraus. Er greift unsere Überzeugungen und Werte an, die in der europäischen Aufklärung wurzeln. Er attackiert unsere Idee der Menschlichkeit, er bekämpft unser verbrieftes Recht auf Freiheit und Gleichheit. Vor allem aber wollen die Terroristen die Angst in unsere Gesellschaft tragen und damit die Solidarität zerstören.
Das wird ihnen aber nicht gelingen. Die Demokratie ist nicht wehr- und schutzlos. Sie werden wir jederzeit verteidigen – auch und gerade gegen gewalttätige Fanatiker.
In aller Klarheit noch dieses: Wir stehen zur Religionsfreiheit. Aber Hassprediger haben in unseren europäischen Ländern, haben in Deutschland und in Berlin nichts zu suchen. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam Wege finden, um junge Muslime, die ohne Orientierung sind, für unsere Gesellschaft und für unsere Werte zurückzugewinnen! Deren Gewaltbereitschaft hat nicht nur religiöse Anschubkräfte. Vielfach leben sie in sozialer Ausgrenzung oder empfinden es so. Hier müssen wir ansetzen, um diese jungen Menschen nicht aufzugeben. Was sie brauchen, sind Perspektiven.
Berlin steht wie kaum eine andere Stadt mit seiner Geschichte für den Freiheitskampf. Wir wissen sehr genau, was es heißt, unfrei zu leben. Niemand will das jemals wieder erleben. Und deshalb sage ich: Lassen Sie uns zusammenstehen, um unsere offene Gesellschaft zu schützen! Lassen Sie uns zusammenstehen für unsere Freiheit, für unsere Demokratie und für die Menschenrechte! Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben wir dem Terror keine Chance!
Ich habe dann wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Vier Jahre rot-schwarzer Streit sind genug – Infrastruktur und Verwaltung müssen wieder funktionieren“
− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Dringend notwendige Investitionen für Berlin statt symbolischer Schuldentilgung“
Ich lasse abstimmen und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion Die Linke, für den sich im Ältestenrat eine Mehrheit abgezeichnet hat. Wer diesem Antrag zum Thema Haushalt zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion Die Linke und die Koalitionsfraktionen. Gegenstimmen? – Bei den Piraten. Enthaltungen? – Bei den Grünen. Dann rufe ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde als Punkt 1 unserer heutigen Tagesordnung auf, und zwar in Verbindung mit dem Tagesordnungspunkt 25. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.
Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.
Die Fraktionsgeschäftsführer haben sich darauf verständigt, diese Beschlussempfehlung bereits heute dringlich zu behandeln. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich hatte den Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2565 nämlich vorab an den Hauptausschuss überwiesen – und darf nachträglich Ihre Zustimmung feststellen.
Für die Besprechung der Aktuellen Stunde und die Beratung des Antrages steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf
zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Dr. Schmidt, bitte schön. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wenn es um Finanzen geht, wenn Steuermittel ausgegeben werden, dann erwarten die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt mit gutem Recht, dass die Politik sich ernsthaft damit befasst und dass es seriös dabei zugeht – insbesondere bei denen, die die Regierungsmehrheit stellen. Doch mit Seriosität hat, was uns SPD und CDU hier Anfang der Woche präsentiert haben, leider herzlich wenig zu tun.
Seit Monaten befassen wir uns intensiv mit dem Haushalt, und seit Wochen gibt es eine verlässliche Steuerschätzung. Aber es gibt nichts, was die Koalition gemeinsam vorlegt. Da ging es offenbar auch nicht besser, als in einer Nacht- und Nebelaktion eben mal das Fell des Bären zu verteilen. Was muss das für ein wildes Geschacher gewesen sein? – Danach verkündete SPD-Fraktionschef Saleh gegen den Sachverstand in den eigenen Reihen und im Kita-Bündnis Kostenfreiheit bis 2018. Wie kurzsichtig, wo doch jeder erdenkliche Euro gebraucht wird, um für ausreichend Personal in den Kitas zu sorgen und dafür, dass 20 000 neue Plätze geschaffen werden, die die Stadt dringend braucht.
Und Herr Graf tröstete seine CDU mit einem Sicherheitspaket über die Demütigungen der letzten Wochen hinweg, hinter dem sich offenbar allerlei verbirgt. Wofür es wirklich gebraucht wird, weiß in der Koalition wiederum keiner, da wir es laut Senator Henkel in Berlin auch nicht mit einer veränderten Sicherheitslage zu tun haben. Das ist doch absurd!
Ich möchte das hier auch gar nicht weiter vertiefen, dafür ist in den Haushaltsberatungen noch ausführlich Gelegenheit. Aber mit einem Plan oder gar mit einer Idee für Berlin hat das alles nichts zu tun.
Sie behandeln uns in der Opposition bei solchen Gelegenheiten ja gern von oben herab, aber das haben Sie umsonst. Diese Stadt hat das Recht auf eine Regierung, die seriös arbeitet und Verantwortung wahrnimmt, die dafür sorgt, dass unsere Stadt nicht schlechter, sondern besser funktioniert auch für die vielen, die hier täglich neu ankommen. SPD und CDU zusammen können das ganz offensichtlich nicht.
Wir als Opposition nehmen unsere Verantwortung wahr. Denn was die Steuereinnahmen betrifft, hat Berlin eine besondere Chance – und wir wollen nicht, dass die spurlos verstreicht. Rund 500 Millionen Euro wird der Jahresüberschuss 2015 betragen. Die Einnahmen aus Steuern und die Aufstockung bei der Bundesbeteiligung Asyl werden zusammen rund 600 Millionen Euro über dem gültigen Nachtragshaushalt liegen. Und die Zinsausgaben werden erneut um rund 400 Millionen Euro unter den Ansätzen des gültigen Haushaltsplanes bleiben. Das sind zusammen – leicht gerechnet, das kann jeder – 1 Milliarde Euro. Selbst unter Würdigung von Mehrausgaben im Personalbereich, bei den Zuwendungen oder bei den Ausgaben für die Flüchtlinge bleibt ein großer Spielraum, um sofort zu handeln.
Wir haben eine Idee, wie das geht. Wie wollen, dass der Senat einen zweiten Nachtrag für das laufende Jahr vorlegt. Der muss nicht dick sein, der ist auch schnell gemacht, und das schafft der Senat bis zur letzten Lesung des Haushalts im Parlament am 10. Dezember. Wir wollen die 500 Millionen Euro Überschüsse dieses Jahres komplett und sofort investieren. Wir wollen dieses Geld nicht wieder bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in einem Sondervermögen parken und die Hälfte davon im Altschuldenloch versenken,
nur damit der Senat bei einer 59 vor dem Komma landet statt bei 60 Milliarden Euro Altschulden. Das ist Symbolpolitik. Es ist angesichts des bestehenden Sanierungsstaus in unserer Stadt und der insgesamt niedrigen Zinsbelastung volkswirtschaftlicher Unsinn, und es ist kein Wert an sich.