Protocol of the Session on January 29, 2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 59. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste, unsere Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Vertreter der Medien sehr herzlich.

Ich habe eine Mandatsänderung bekanntzugeben: In der Fraktion der SPD ist Herr Dr. Gregor Költzsch für Frau Birgit Monteiro nachgerückt. – Herzlich willkommen, Herr Kollege!

[Allgemeiner Beifall]

Der aus dem Abgeordnetenhaus ausgeschiedenen Kollegin Monteiro wünsche ich alles Gute für die Amtsführung als Bezirksbürgermeisterin in Lichtenberg.

Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Der Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/0860 „Integration durch Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen fördern“ wird von den antragstellenden Fraktionen zurückgezogen. Der Antrag ist in der 29. Sitzung am 21. März 2013 an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Integration, Berufliche Bildung und Frauen und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie überwiesen worden.

Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Positive Entwicklung am Berliner Arbeitsmarkt“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Positive Entwicklung am Berliner Arbeitsmarkt“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Olympiabewerbung 2024: Peinlicher Fehlstart statt Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Bescheidenheit“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Olympiabewerbung 2024: Peinlicher Fehlstart statt Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Bescheidenheit“

− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Olympiabewerbung 2024: Peinlicher Fehlstart statt Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Bescheidenheit“

Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat auf die Behandlung des Antrags der Fraktion Die Linke verständigt, sodass ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werde, und zwar in Verbindung mit Punkt 4 der Tagesordnung und den dringlichen Gesetzesanträgen der Oppositionsfraktionen Drucksache 17/2072 und 17/2073. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Ich möchte Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die heutige Sitzung: Frau Senatorin Scheeres, abwesend ab 14 Uhr, Grund: Teilnahme an der Sitzung des Wissenschaftsrates. Am gestrigen Tag hat mich nachträglich noch folgende Entschuldigung erreicht: Frau Senatorin Kolat, abwesend ab 17.15 Uhr, Grund: Teilnahme an der Veranstaltung „Demokratie und Freiheit“ der Friedrich-Ebert-Stiftung anlässlich des 75. Geburtstages von Herrn Bundespräsident Gauck, also dort eher in der Funktion der Bürgermeisterin. Sie soll den Herrn Regierenden Bürgermeister vertreten.

Dann rufe ich auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Olympiabewerbung 2024: Peinlicher Fehlstart statt Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Bescheidenheit“

(auf Antrag der Fraktion Die Linke)

in Verbindung mit

lfd. Nr. 4:

Gesetz über eine Befragung zur Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele in Berlin

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/2061

Erste Lesung

in Verbindung mit

Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin

Dringlicher Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/2072

Erste Lesung

in Verbindung mit

Gesetz über die Durchführung der Volksabstimmung nach Artikel 100 Satz 2 der Verfassung von Berlin am 26. April 2015

Dringlicher Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/2073

Erste Lesung

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die ersten Lesungen. Für die Besprechung der Aktuellen Stunde bzw. die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. – Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Herr Dr. Lederer! Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 2. Oktober 2014 gaben Sie, Herr Senator Henkel, uns im Plenum einen guten Rat. Ich zitiere:

Als Verfassungssenator kann ich nur empfehlen, keine Lex Olympia zu schaffen, sondern, falls eine solche Lösung gewünscht wird, sich grundsätzlich mit diesem Instrument auseinanderzusetzen und es zu regeln.

Das war vor dreieinhalb Monaten.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Guter Satz!]

Die grundsätzliche Auseinandersetzung hat es seitdem nicht gegeben – nirgends. Wir haben als Opposition Vorschläge unterbreitet, wurden eingeladen, wieder ausgeladen – still ruht der See. Nun präsentieren Sie uns Ihre Idee, und siehe da: Es ist eine Lex Olympia. Ich weiß nicht so recht, was in Ihrem Inneren abgeht, Herr Henkel, ob sich der Sport- und der Verfassungssenator miteinander streiten und wie es dem Sportsenator gelungen ist, die grundsätzlichen Bedenken des Verfassungssenators über Bord zu werfen. Aber wenn ich mir das Ergebnis angucke, das Sie uns hier vorgelegt haben, dann kann ich nur sagen: Als Verfassungssenator haben Sie versagt.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Jetzt werden Sie sagen: Was wollt ihr denn? Hauptsache, die Berlinerinnen und Berliner können abstimmen, und wir halten uns auch daran, alles andere ist völlig egal. – Aber so einfach ist es nicht.

Verfassungsrechtler sagen: Mit diesem Gesetz maßen sich Senat- und Parlamentsmehrheit an der Verfassung vorbei Rechte an, die sie nicht haben. Da hilft es auch

nicht, das Vorhaben als unverbindlich zu deklarieren, zumal Sie sagen: Für uns ist das verbindlich.

Dazu erstens: In der Verfassung ist das Recht auf politische Chancengleichheit der Opposition festgeschrieben. Indem Sie sich um eine Verfassungsänderung herumdrücken, Zeitpunkt und Abstimmungsfrage mit Ihrer Mehrheit einfach selbst festlegen wollen, verletzen Sie dieses Recht.

Zweitens: Es könnte ja mal sein, Sie bekommen Lust auf mehr. Was ist, wenn es mal eng wird mit den Mehrheiten im Parlament, wenn zu viele unangenehme Fragen auftauchen? Gibt es dann, weil die Umfragen gerade günstig sind, schnell eine unverbindliche Umfrage, damit Ruhe im Karton ist?

Sehr geehrte Koalition! Sehr geehrter Herr Henkel! Sie wissen sehr genau: Wenn Sie einmal die Tür für derartige Manipulationen öffnen, kriegen Sie sie nie wieder zu! Das müsste Ihnen, Herr Henkel, als gestrengem Innensenator doch eigentlich klar sein. Wie wollen Sie denn glaubhaft eine Nulltoleranzpolitik bei Gesetzesverstößen betreiben, wenn Sie eine Hundertprozenttoleranz beim Austricksen der Verfassung pflegen?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir haben Ihnen schon im vergangenen Jahr den Vorschlag gemacht, wie Sie bis zum 13. September 2015 rechtssicher und ohne Trickserei zu Ihrer Befragung kommen können. Aber Sie wissen natürlich auch, dass Sie das nur dann bekommen, wenn Sie umgekehrt auch über Verbesserungen für direkte Demokratie in Berlin mit uns reden. Aber das wollen Sie nicht. Die Phase der Nachdenklichkeit nach der Niederlage des Senats beim Tempelhof-Volksentscheid war genauso kurz wie konsequenzlos. Ihnen gefällt direkte Demokratie immer nur dann, wenn Sie die Bedingungen diktieren können – und das ist eigentlich das Demokratieverständnis in Oligarchien. So sieht leider auch Ihr Gesetz aus. Sie haben sich noch nicht einmal bemüht, den Anschein eines fairen Verfahrens zu wahren. Sie hatten noch nicht einmal den Mut, auch Berlinerinnen und Berliner ohne deutschen Pass sowie die Jugend der Stadt wenigstens ab dem 16. Lebensjahr mit abstimmen zu lassen. Wenn es überhaupt eine Begründung für Ihre unverbindliche Befragung hätte geben können – dann doch diese! Das wäre doch ein wirkliches Zeichen gewesen, dass Sie weltoffen sind, und das ist doch das, was Sie mit Olympia angeblich zelebrieren wollen!

Doch da kommen plötzlich die juristischen Bedenken: Das würde sich zu weit vom Abstimmungsgesetz entfernen. – Merkwürdig! An anderer Stelle interessiert Sie das überhaupt nicht. Ist es denn Zufall, dass der Senat ausgerechnet hier auf das Zustimmungsquorum von einem Viertel der Wahlberechtigten verzichtet? Ich sage es einmal so: Wir als Linke finden Zustimmungsquoren

(Präsident Ralf Wieland)

ohnehin daneben; wir würden sie am liebsten streichen. Aber wenn ein Zustimmungsquorum jemals irgendeinen Sinn gemacht hat, dann doch gerade bei dieser Befragung! Es steht in Ihrem Gesetzentwurf: Sie wollen prüfen, ob eine breite Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner hinter Olympia steht. Aber einmal angenommen, am 13. September sagen 15 Prozent Ja und 14 Prozent Nein. Halten Sie dann so ein Ergebnis ernsthaft für den Ausdruck von Olympiabegeisterung? Sieht so die breite Unterstützung aus, die Sie selbst immer wieder als notwendig benannt haben? Soll das dann Ihre Legitimation sein, einfach mal ein paar Milliarden zu verpulvern, die Berlin nicht hat?