Natascha Kohnen
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Last Statements
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, wir beide haben nur wenige Dinge gemeinsam. Dazu gehört aber unser Geburtsjahr 1967. Das bedeutet, uns wurde vieles geschenkt: ein wiederaufgebautes, wirtschaftlich starkes Land sowie eine funktionierende und lebendige Demokratie. Unsere
Generation hat das alles auf dem Silbertablett überreicht bekommen. Besser kann man es eigentlich gar nicht erwischen.
Unsere Aufgabe ist es, dieses Erbe zu erhalten und weiterzuentwickeln. Bei der Wirtschaftskraft gelingt uns das, was aber maßgeblich an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Unternehmerinnen und Unternehmern in unserem Land liegt. Für uns als SPD ist dabei die Frage wesentlich, ob jeder davon profitiert. Darüber werden wir uns im Folgenden noch auseinandersetzen. Aber seien wir ehrlich: Egal, welche realistische Konstellation in Bayern nach der Wahl regiert, Bayern wird wirtschaftlich stark bleiben.
Mit dem anderen Bestandteil unseres Erbes ist es schwieriger; denn es zeigt sich, dass die Demokratie in Deutschland und auch in Bayern in schwierigem Fahrwasser ist. Unsere Generation von Politikerinnen und Politikern trägt die Verantwortung dafür, Demokratie und Zivilgesellschaft zu stärken und zu verteidigen. Die beiden Hauptaufgaben, vor denen die neue Bayerische Staatsregierung in diesem Herbst stehen wird, sind: erstens, Bayerns Erfolg und seine Stärke so zu nutzen und zu gestalten, dass alle die hier leben, davon etwas haben;
zweitens, die Demokratie und die demokratische Kultur in Bayern zu stärken und den menschenfeindlichen Populismus zurückzudrängen.
Sie, Herr Ministerpräsident, bewerben sich wieder um eine leitende Funktion in der nächsten Staatsregierung – so war Ihre Rede zumindest zu verstehen – und stehen kurz vor dem Ende einer etwa sechsmonatigen Probezeit. Diese gilt es heute zu bewerten. Es gilt zu überprüfen, ob Sie den oben beschriebenen Aufgaben gewachsen waren, ob Sie sich dieser Aufgaben tatsächlich vollständig bewusst sind und ob Sie dafür die notwendige moralische Reife mitbringen.
Herr Ministerpräsident, wir haben, wie gesagt, nicht viel gemeinsam, aber das schon: Wir kommen in Bayern viel herum, in diesen Wochen ganz besonders. Dabei fällt einem neben der Schönheit unseres Landes immer wieder die Vielfalt Bayerns ins Auge. Genau das ist unsere Identität. Unsere bayerische Identität liegt in dieser Vielfalt. Es ist die Aufgabe von uns Politikern, in dieser Vielfalt das Gemeinsame zu betonen, Gegensätze zu überwinden und das Land zusammenzuführen. Das gilt bis heute, und heute vielleicht mehr als je zuvor.
Was Bayern ausmacht, sind die vielen positiven Aspekte der Vielfalt, die interessanten Unterschiede, die unterschiedlichen Kulturen und Dialekte, die verschiedenen Lebensweisen und Ziele der Menschen sowie die unterschiedlichen Religionen und Konfessionen. Wenn wir durch dieses Land reisen und mit den Menschen sprechen, sehen wir aber auch Unterschiede und Ungleichgewichte. Wir sehen, dass die technischen und wirtschaftlichen Veränderungen in unserer Gesellschaft Gewinner und Verlierer produzieren. Wir sehen auch, dass die Wanderungsbewegungen innerhalb Bayerns von den ländlichen Räumen in die Metropolen auf beiden Seiten Herausforderungen mit sich bringen. Wir sehen leerstehende Häuser in manchen Ortschaften Hochfrankens einerseits und
Schlangen von Menschen beim Besichtigungstermin für eine Münchner Wohnung andererseits. Wir sehen die vielen bayerischen Dörfer ohne eigene Bushaltestelle einerseits und die Enge in den Münchner S- und U-Bahnen andererseits.
Wir sehen in Bayern starken Reichtum, stellen aber auch versteckte Armut fest. Manchmal muss man sehr genau hinsehen, warum zum Beispiel ein Kind beim Schulausflug nicht mitfahren kann und fehlt. Das macht es manchem leichter, bei der Armut in unserem reichen Land wegzusehen. Sie, Herr Ministerpräsident, sind dafür das beste Beispiel. 245.000 Kinder sind in Bayern von Armut bedroht. In manchen Gegenden, etwa in Hof oder Schweinfurt, ist es jedes
fünfte Kind. Dazu haben Sie als Ministerpräsident letzte Woche in unserem Duell bei den "Nürnberger Nachrichten" gesagt – ich zitiere –: "Ich weiß nicht, ob die Zahlen immer so stimmen." Nun ja. Das sind Zahlen Ihrer eigenen Staatsregierung, und darauf will ich mal vertrauen.
Diese Zahl passt nicht in das Bayernbild, das Sie zeichnen wollen. Aber wer verantwortungsvolle Politik machen will, muss das ganze Bild betrachten. Es geht darum – das habe ich anfangs gesagt –, unsere wirtschaftliche Stärke zu erhalten und weiterzuentwickeln, damit alle etwas davon haben. Wir als SPD wollen ein starkes Bayern für alle Menschen in diesem Land.
Darüber, wie wir Bayern wirtschaftlich und sozial weiterentwickeln wollen, haben wir grundsätzlich verschiedene Auffassungen. Das hat Ihre Regierungserklärung heute wieder gezeigt.
Bei meinen Gesprächen erzählen mir viele Menschen in ganz Bayern ihre Sorgen und Wünsche. Es sind die unterschiedlichsten Menschen, und deshalb erzählen sie die unterschiedlichsten Dinge, auch Ihnen. Einige Dinge kommen immer wieder vor, zum Beispiel: In meinem Dorf fährt der Bus nur zweimal am Tag. – Manchmal höre ich auch: Bei mir fährt gar kein Bus – oder: Ich finde keinen Kitaplatz für mein Kind. – Manchmal auch: Jetzt habe ich einen Kitaplatz, aber die Kita schließt viel zu früh – oder: Ich schaffe die Pflege meiner Mutter nicht mehr, aber bei uns im Ort gibt es keinen Pflegeplatz. – Am häufigsten höre ich natürlich: Unsere Wohnung ist für unsere Familie viel zu klein, aber wir finden einfach nichts Größeres, das wir uns leisten können.
Diese Anliegen sind zwar sehr unterschiedlich, haben aber eines gemeinsam: Der sogenannte freie Markt kann sie nicht lösen. Das kann nur der Staat, und damit nur die öffentliche Hand.
Herr König, keine Angst, das sagt nicht nur die SPD, sondern es ist eine Logik, und die versuche ich Ihnen nochmals nahezubringen.
Bayern ist durch die soziale Marktwirtschaft stark und erfolgreich geworden, aber auch durch Unternehmergeist und zupackende Arbeitnehmerinnen und Arbeit
nehmer mit starken Gewerkschaften. Das ist wohl unstrittig – Sie nicken. Unstrittig ist aber auch, dass der freie Markt nicht für das Gemeinwohl sorgt. Der freie Markt bringt keine Busse in jeden Winkel Bayerns. Der freie Markt will Profit, nichts anderes. Natürlich rechnet es sich betriebswirtschaftlich nicht, eine Kita für ein paar Kinder, deren Eltern länger arbeiten müssen, länger offenzuhalten.
In einem Punkt ist das Versagen des Marktes am deutlichsten, nämlich wenn es darum geht, eine bezahlbare Wohnung zu bekommen, etwa in Ingolstadt, Erlangen, Aschaffenburg, Regensburg oder München. Da hilft uns der freie Markt nicht weiter.
Herr Ministerpräsident, das gilt auch, wenn Sie, wie in den letzten sechs Monaten geschehen, Geld nach dem Gießkannenprinzip über das Land verteilen. Ein Familiengeld für Eltern von Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr gibt wirklich nur diesen Eltern die Möglichkeit, mehr für Kinderbetreuung zu bezahlen. Für Eltern mit älteren Kindern gibt es nichts. Es schafft auch keine neuen Kitaplätze. Es schafft auch überhaupt keine Kitas, die morgens früher öffnen, nachmittags länger oder in den Ferien offen haben.
Ein Pflegegeld schafft keine Pflegeplätze. Herr Ministerpräsident, deshalb ist es unehrlich, wenn Sie jetzt eine Pflegeplatzgarantie geben. Warum? – Pflegeeinrichtungen werden mehrheitlich von gemeinnützigen und privaten Trägern betrieben. Die tun das, was sich rechnet. Das müssen sie auch tun, weil sie auf dem freien Markt sind. Sie können gar nichts garantieren. Deshalb ist Ihre Pflegeplatzgarantie unehrlich.
Dasselbe gilt für den Wohnungsmarkt. Die Mehrheit der Mietwohnungen in Bayern ist in Privatbesitz. Das kann niemand bestreiten. Dazu haben Sie als Finanzminister und Sie als CSU während ihrer Regierungszeit beigetragen. Auch wenn Sie es nicht mehr hören mögen oder nicht mehr hören können, sage ich: Der Freistaat hat 33.000 öffentliche Wohnungen an Privatinvestoren verkauft.
Ich komme gleich dazu. Der Herr Ministerpräsident hat vorhin gesagt: Es gehört zu Anstand und Respekt zuzuhören. Das gilt auch für Sie.
Beginnen wir noch einmal. Auch wenn Sie es nicht hören mögen: Der Freistaat Bayern hat 33.000 öffent
liche Wohnungen an Privatinvestoren verkauft. Auch wenn Sie etwas anderes behaupten, die Begründung dafür war: Der Markt wird es schon richten.
Herr König, ich komme dazu. Der Fraktionsvorsitzende Herr Kreuzer hat das vor zwei Wochen beim Bayerischen Rundfunk mir gegenüber zugegeben. Die staatlichen Wohnungen wurden nicht an ein Konsortium bayerischer Städte verkauft, weil die PATRIZIA mehr gezahlt hat. Über die Kommunen hat Herr Kreuzer wörtlich gesagt: Die haben nicht genug geboten. Der Markt hat mehr geboten. – Das haben Sie zugelassen.
Bevor Sie sich über irgendetwas aufregen, sage ich gleich: Ja, auch der Bund hat Wohnungen verkauft. Das ist ein Fehler, egal, wer an der Regierung ist. Herr König, eines ist doch klar: Wo der Markt versagt, muss der Staat greifen.
Das hat nichts mit der SPD zu tun. Diese Erkenntnis und dieses klare Bekenntnis zur Rolle des Staates trennen uns weiterhin, Herr Ministerpräsident.
Das gilt nicht nur für die Versorgung mit angemessenem Wohnraum. Diese Aufgabe ist für die Staatsregierung sogar ein Auftrag, der in unserer Verfassung steht, da steht es geschrieben. Überall dort, wo die Menschen im alltäglichen Leben betroffen sind, überall dort, wo der Markt die zentralen Bedürfnisse der Menschen nicht erfüllt, muss die öffentliche Hand helfen. Das liegt doch in der klaren Logik, wie wir unseren Staat aufbauen. Die öffentliche Hand heißt: der Freistaat.
Die Kommunen tun das. Sie tun es tatsächlich. Die Kommunen tun, was sie können. Wir haben Glück, dass wir uns das leisten können. Wir haben Glück, dass wir uns in Bayern einen Wohlstand erarbeitet haben, den wir genau dafür einsetzen können: für einen starken Staat.
Schauen wir uns doch die Definition eines starken Staates an. Starker Staat heißt, da zu sein, wo die Menschen ihn brauchen. Wir müssen als starker Staat bezahlbaren Wohnraum schaffen und mit der Kraft des Staates die Mieten einbremsen. Die Antwort der
SPD ist eine bayerische Wohnraumoffensive und ein Mietenstopp in den Städten für die nächsten fünf Jahre. Das ist ein Muss.
Der Wohnungsmarkt geht unter der Kraft des Marktes zugrunde. Er wird sich nicht mehr erholen können. Deswegen muss der Staat in den Wohnungsmarkt hineingehen.
Sie müssen nicht den Kopf schütteln. Gehen Sie auf die Straßen, sprechen Sie mit den Menschen!
Sie verlassen sich auf den Staat. Das tun sie. Der Staat muss dort hinein.
Wir müssen als Staat noch etwas anderes tun: Wir müssen allen Kindern die gleichen Startchancen geben. Wollen Sie das etwa bestreiten? – Alle Kinder brauchen die gleichen Startchancen.
Die Antwort der SPD ist eine Qualitätsoffensive in unseren Kitas. In diesem Punkt stimmen Sie uns noch zu, aber es soll eben auch eine kostenfreie Kita sein. Damit garantieren wir kostenfreie frühkindliche Bildung für alle.
Niemand kommt auf die Idee, für den Schulbesuch Geld zu verlangen. In Kitas wird auch Bildung vermittelt. Warum kommen Sie nicht endlich zu unserer Erkenntnis, dass frühkindliche Bildung jedem zugänglich sein muss? Der Markt ermöglicht dies definitiv nicht.
Wenn wir nicht allen Kindern die gleichen Chancen geben, dann wird Armut weitervererbt; denn der Markt sorgt nicht für gleiche Chancen. Der Markt sortiert nach Arm und Reich, und nichts anderes.
Wir müssen als starker Staat auch dort eingreifen, wo Rechte nicht eingeräumt werden, Herr Ministerpräsident. Das Recht auf Weiterbildung in der Arbeitswelt gehört definitiv dazu.
Bildung, das werden Sie doch nicht bestreiten, ist ein Grundrecht. Sie ist unser einziger Rohstoff und ein Versprechen für die Zukunft. Die Antwort der SPD ist ein Weiterbildungsgesetz für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ein Recht auf Bildung brauchen.
Wer ein Recht auf Bildung bekommt, wird sich nie als Verlierer einer technologischen Entwicklung fühlen, sondern er ist sich sicher, dass er die Herausforderungen bewältigen kann.
Herr Söder, lassen Sie uns noch darüber reden, wie der Markt die Ungleichgewichte in Bayern verstärkt. Der Markt verschiebt Jobs und Chancen in die Ballungsräume. Das konnten wir in den letzten Jahrzehnten beobachten. In dieser Zeit haben Sie regiert.
Diese Verschiebung haben die Regierenden in unserem Freistaat ganz bewusst zugelassen. In den letzten zehn Jahren hat sich das entwickelt, wovor wir heute stehen. Sie können jetzt nicht so tun, als hätten Sie in den letzten sechs Monaten versucht, das zu verändern. Sie sind seit Jahrzehnten dabei. Was heißt das denn? – Der freie Markt schafft schnelles Internet nur dort, wo viele Menschen und erfolgreiche Firmen angesiedelt sind. Aber es gibt kein schnelles Internet, wo wenige wohnen und neue Firmen angesiedelt werden müssen. Als starker Staat müssen wir aber allen den Zugang zu schnellem Internet gewähren und damit die gleichen Chancen.
Sie werfen die Arme hoch. Ich sage Ihnen etwas: Der Kollege Erwin Huber ist schon länger als Sie im Landtag. Er hat in der Vergangenheit immer gesagt, der Markt würde es schon richten. Annette Karl, unsere Abgeordnete, hat in den zehn Jahren, die sie dem Landtag angehört, versucht, Ihnen klarzumachen, dass der Markt gar nichts richtet. Der Staat muss ran, damit das mit dem Internet endlich funktioniert.
Lassen Sie mich zu dem zweiten Punkt kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine starke Demokratie ist das zweite Erbe, das unsere Generation übernommen hat, Herr Ministerpräsident. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Für mich war das eine Selbstverständlichkeit. Als ich mit der Politik angefangen habe – das war vergleichsweise spät, später als
Sie beispielsweise, ich habe mit Anfang Dreißig begonnen –, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass die Verteidigung unserer demokratischen Grundordnung tatsächlich wieder ein großes Thema werden würde. Ich habe das nicht geglaubt, als ich jung war. Und ich hatte wahrscheinlich auch gehofft, dass es nie so kommt. Aber das ist heute Realität.
Demokratie ist so viel mehr als Wahlen und parlamentarische Abläufe. Demokratie gibt es nur dort, wo es einen vernünftigen, sachbezogenen, öffentlichen Diskurs gibt. Demokratie erfordert Respekt vor der anderen Meinung und vor dem politischen Gegner. Demokratie braucht freie und unabhängige Medien, die von der großen Mehrheit auch als solche wahrgenommen werden, als unparteiische Informationsquelle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Demokratie heißt nicht reines Mehrheitsprinzip. Demokratie existiert nämlich nur dann, wenn Minderheiten auch geschützt sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das ist in Gefahr.
Bayern steht nicht im Zentrum dieser Entwicklung, aber, Herr Ministerpräsident, Bayern steht auch nicht abseits. Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe der Staatsregierung, die Demokratie zu stärken und gegen ihre Feinde zu verteidigen. Was müssen wir tun, um die Demokratie zu stärken? – Zuallererst müssen wir gute Demokraten sein, sachliche Diskussionen führen, Ängste nehmen, statt sie zu verbreiten,
Vorurteile widerlegen, statt mit Stimmungen zu spielen. Herr Ministerpräsident, wenn Sie neuerdings sagen, Sie hätten den Kampf gegen den Rechtspopulismus ausgerufen, finden Sie – Herr Herrmann, ich komme dazu gleich, zuhören! – Worte der Empörung und versuchen sich abzugrenzen. Aber ich sage Ihnen klipp und klar: Ich nehme Ihnen das nicht ab.
Moment, zuhören! Ich habe bei Ihnen auch nicht dazwischengerufen. Hören Sie einfach zu. – Nochmal, ich nehme Ihnen das nicht ab. Wir nehmen Ihnen das nicht ab. Und noch viel schwerwiegender: Die Menschen in Bayern nehmen Ihnen das nicht ab, weil sich zu viele daran erinnern, welche Töne Sie vor der Sommerpause angeschlagen haben, und weil viele wissen, dass Sie morgen wieder einen anderen Ton anschlagen, wenn Sie meinen, dass Ihnen das taktisch hilft. Die Menschen haben genug von politischer Taktiererei, und sie haben genug von einem zynischen Umgang mit Menschen und mit Themen.
Sie sehnen sich nach Klarheit und nach Haltung. Sie sehnen sich danach, dass Politiker Maßstäbe haben, Werte, nach denen sie entscheiden, und Überzeugungen, zu denen sie stehen, auch wenn ihnen der Wind mal ins Gesicht bläst.
Herr Ministerpräsident, Sie sind das Gegenteil von all dem. Sie haben sich heute als Brückenbauer dargestellt, aber tatsächlich haben Sie Brücken in unserem Land abgerissen und das Land gespalten.
Ihnen geht es ausschließlich um das Machterringen und das Machtausüben und zwar ausschließlich, als reiner Selbstzweck. Das ist nicht neu. Das steht in einer gewissen Tradition in Ihrer Partei. Warum?
Das ist eine offene Debatte, eine ehrliche Debatte. Hören Sie genau zu, warum ich das sage. Sie waren schon vehemente Befürworter der Kernkraft und dann plötzlich doch dagegen. Sie waren schon Befürworter des Donauausbaus und dann doch wieder Gegner. Ihnen war Kinderbetreuung immer egal, und jetzt schreiben Sie sich die Kitas auf die Fahnen. Sie waren gegen staatlichen Wohnungsbau, und jetzt zaubern Sie vor der Wahl schnell "BayernHeim" aus dem Hut. Keine dieser Wendungen beruht auf einer Veränderung der Überzeugungen, auf einem Nachdenken über das Problem. Alle diese Wendemanöver beruhen rein auf Taktik.
Und so ist es auch – und jetzt wird es sehr ernst – mit der Tonlage gegenüber Migrantinnen und Migranten in Bayern. Sie haben monatelang die Rechtspopulisten kopiert, ihre Sprache und ihre Methoden.
Sie haben in sozialen Netzwerken gezielt islamfeindliche Botschaften an Sympathisanten von Rechtspopulisten ausgespielt. Ich sage Ihnen eines: Das Netz vergisst nie. Sie haben ertrinkende Menschen im Mittelmeer als Asyltouristen bezeichnet.
Ganz ruhig! Dieses Wort ist gefallen.
Sie haben – –
Hören Sie bis zu Ende zu! Sie haben dieses Wort nach einiger Zeit zurückgenommen.
Aber haben Sie das auch aus der Einsicht getan, dass dies eine unmenschliche Sprache ist, die auch zu unmenschlichem Handeln aufstachelt? Darum geht es doch.
Das taten Sie nur, weil Sie gemerkt haben, dass sich viele anständige, wertorientierte Menschen von Ihnen abwenden. Ich glaube, es ist doch Letzteres: nicht Einsicht, sondern schlichtweg Wahltaktik.
Sie haben vor zwei Wochen und auch heute wieder gesagt: So etwas wie in Chemnitz könnte bei uns in Bayern nicht passieren.
Herr Kreuzer sagt, das sei richtig. Das ist schon deshalb merkwürdig, weil Ihr Parteivorsitzender erklärt hat, dass er gerne mitmarschiert wäre, wenn er nicht dummerweise Innenminister wäre. Herr Kreuzer, ich sage Ihnen, warum so etwas in Bayern nicht passieren kann: wegen der Menschen in Bayern, die überall in unserem Land aufstehen und auf die Straße gehen und zeigen: Wir sind mehr!
Die Anständigen in unserem Land stehen im Moment auf gegen die Heß-Märsche in Oberfranken oder gegen die mickrigen Demos in München oder eben auch bei "Ausgehetzt"-Demos, die so genannt werden. Warum? – Dort treffen Sie alle Menschen unserer Gesellschaft: Nonnen, Kirchenvertreter, Leute vom Land, aus der Stadt, Familien, Alt, Jung. Das sind die Menschen, die gegen die Rechtspopulisten kämpfen; denen gebührt unser Respekt, von der SPD.
Eines ist sicher: Es liegt nicht an Ihnen und der CSU, dass sich diese Menschen gegen den Rechtspopulismus wenden. Aber Sie haben dafür gesorgt, dass diese Menschen jetzt genug haben von dem Populismus, den Sie betrieben haben.
Sie haben noch etwas getan, was fatal ist: Sie haben als Regierungspartei den Eindruck erweckt, dass sich der Rechtsstaat in unserem Land nicht mehr durchsetzen kann. Das bringt Menschen auf den Gedanken, das, was sie für Recht halten, selbst in die Hand zu nehmen. Das ist fatal. Sie haben den Rechtsstaat immer wieder infrage gestellt. Wenn eine Regierungspartei darüber hinaus erklärt, die Religion von Millionen von Bundesbürgern gehöre nicht zu unserem Land, dann ziehen Menschen daraus ihre Schlüsse.
Wenn ein Ministerpräsident das Wort "Asyltourismus" ausspricht, befeuert er damit primitivste Vorurteile. Das geht nicht.
Wenn ein Bundesinnenminister, der in Bayern zugleich CSU-Vorsitzender ist, die Migration als "Mutter aller Probleme" bezeichnet, dann legt er die Axt an die Grundlage unserer Gesellschaft.
Migration und Vielfalt sind ein Teil unserer bayerischen Identität. Oder wollen Sie das etwa bestreiten?
Jetzt denken die einen oder anderen von Ihnen vielleicht: Die macht hier nur Wahlkampf. – Nein, das mache ich nicht.
Wissen Sie, warum? – Da können Sie gerne lachen. – Meine Mutter kommt aus Irland. Ich bin Migrantin. Mich haben Sie aber wahrscheinlich nicht gemeint. Ja, so ist das.
Sie kommt aus Nordrhein-Westfalen? – Zu dem Umgang mit den anderen Bundesländern komme ich gleich noch. Das haben Sie hier gerade selbst hören können.
Der Punkt ist deshalb so ernsthaft, weil es um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geht, um nicht weniger und nicht mehr. Es geht darum, was eine stabile Gesellschaft ausmacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht mir nicht nur um den Zusammenhalt in Bayern, es geht mir auch um den Zusammenhalt außerhalb Bayerns. Wenn ich mit Menschen aus anderen Bundesländern zusammenkomme, dann be
gegnen mir immer zwei Bilder: Da ist zum einen das starke, das wirtschaftlich erfolgreiche Bayern, das Bewunderung erfährt. Mir begegnet aber noch ein zweites Bild, und das ist das arrogante, das überhebliche Bayern, das allen auf die Nerven geht, das aber auch unglaublich viele Menschen verletzt. Dann sage ich: Das erste Bayern, das sind wir tatsächlich. Das arrogante, das überhebliche Bayern, das sind wir nicht, nein, das ist die Regierungspartei, niemand anderes.
Wenn der Ministerpräsident eines Landes, und er ist derzeit der Ministerpräsident unseres Landes, Berlin als "Resterampe der Republik" bezeichnet,
wenn er Bayern das Penthouse der Republik nennt, dann ist das verächtlich.
Dann ist das unanständig und respektlos.
Das sind Politiker, die grundsätzlich allen anderen Bundesländern erklären müssen, dass Bayern besser sei. Heute haben Sie das in aller Ausführlichkeit getan. Das ist die CSU, die einerseits in Berlin Regierungsämter besetzen will, die andererseits aber jede Gelegenheit nutzt, um die Regierung an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen. Wer sich aber so verhält, der baut keine Brücken, sondern der reißt sie ein. Das ist das, was Sie tun.
Damit wollen Sie neuerdings nichts mehr zu tun haben. Das haben Sie auch heute wieder gesagt. Bei unserem Duell bei den "Nürnberger Nachrichten" haben Sie, Herr Söder, letzte Woche sinngemäß gesagt: Jetzt sollen die da oben in Berlin endlich mal ordentlich regieren. – Als ob Sie mit der CSU-Landesgruppe nur eine sehr entfernte Bekanntschaft verbindet.
Als ob Horst Seehofer nicht immer noch Ihr Parteivorsitzender wäre.
Sie haben das alles mit angefacht. Sie alle haben das mit zu verantworten.
Mag sein – –
Ihr Kollege ist Bundesinnenminister.
Das ist aber müde. Okay. – Mag sein, wenn Sie jetzt gleich auf die SPD zeigen, dass Ihnen das Verhalten von Horst Seehofer nicht mehr in die neue Strategie passt. Aber mal ganz ehrlich, da kommen Sie nicht mehr heraus. Das wäre politische Fahrerflucht und nichts anderes.
Wie gesagt, Herr Ministerpräsident, uns unterscheidet vieles. Drei Dinge aber unterscheiden uns ganz besonders. In den wesentlichen Punkten setzen Sie noch immer darauf, dass der freie Markt die Dinge in Bayern regeln wird.
Ich sage: Erstens. Das Bayern für alle, das schaffen wir nur, wenn der Freistaat eingreift, wenn er sich um die Bedürfnisse der Menschen, und zwar aller Menschen, kümmert. Das leistet der Markt eben nicht.
Zweitens. Sie machen Politik ohne Werte und ohne Überzeugungen.
Sie setzen auf politische Taktik, und Sie setzen immer auf das, was kurzfristig politischen Gewinn verspricht. Das tun Sie ohne Rücksicht darauf, welche Auswirkungen das auf die Demokratie in Bayern hat. Ich mache Politik tatsächlich deshalb, weil ich sehr grundsätzliche Überzeugungen habe. Die stehen nicht zur Disposition; denn Politik braucht klare Haltung und Anstand.
Sie stehen für ein Bayern, das gegenüber dem Rest der Republik großmäulig, arrogant und besserwisserisch auftritt.
Oh doch! – Ich sage Ihnen etwas: Ich will ein Bayern,
das aus seiner Stärke heraus solidarisch ist und an Lösungen mitarbeitet, statt immer wieder Konflikte anzuheizen. Vor diesen Alternativen steht Bayern: reines Vertrauen auf den Markt oder starker Staat für alle,
politische Taktiererei oder Politik mit Haltung. Ich sage Ihnen eines, krachlederne Arroganz oder Solidarität in Deutschland, das ist die Wahl, die Bayern hat, die Wahl, die Bayern treffen muss.
Glauben Sie mir – denn Sie schütteln den Kopf –, gehen Sie in sich, wenn Sie die Worte Respekt, Anstand und Haltung in den Mund nehmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ein paar Wochen war ich in Maroldsweisach. Für diejenigen unter uns, die diesen Ort nicht kennen: Der Ort hat ein bisschen mehr als 3.000 Einwohner. Er befindet sich im weit nördlich gelegenen Landkreis Haßberge an der thüringischen Grenze. Bei meinem Besuch dort habe ich gesagt: Es darf nicht sein, dass Busse nur morgens und abends fahren. Bei dieser Aussage haben viele genickt, und ein paar fingen zu lachen an. Ich habe gefragt: Warum lachen Sie denn? – Die Antwort war: Die Forderung ist schon richtig, aber in Maroldsweisach gibt es keinen Bus. Es gibt überhaupt keine ÖPNV-Anbin
dung. Die Menschen im Landkreis Haßberge sind schlichtweg abgeschnitten und völlig abgehängt. Im Landkreis Haßberge gibt es keine Alternative zum Auto.
Schauen wir uns nun den Landkreis München an. Meine Kinder, die jetzt 18 und 21 Jahre alt sind, sind etwa 15 km außerhalb der Großstadt aufgewachsen. Sie haben keinen Führerschein. Sie haben aber auch überhaupt kein Bedürfnis, einen Führerschein zu machen. Ihre Einstellung ist: Wozu denn? – Wir brauchen keinen Führerschein. Ihre Freunde haben auch keinen Führerschein. In München haben bis zu 30 % der jungen Menschen keinen Führerschein. Das Auto ist in München keine Alternative; denn es wird nicht benötigt.
In Bayern existieren also schlichtweg zwei Welten. Für die einen ist der öffentliche Nahverkehr eine Selbstverständlichkeit, und für die anderen ist er praktisch nicht existent. Viele junge Leute ziehen aus dem Landkreis Haßberge weg. Sie verlassen ihre Heimat. Viele von diesen jungen Leuten fragen sich: Finde ich hier alles, was ich zum Leben brauche? – Einen Job, eine Schule am Ort, eine Gesundheitsversorgung und schnelles Internet. Sie fragen sich: Wie komme ich ohne Auto in die nächste Stadt? – Das alles hängt zusammen. Die ländlichen Regionen Bayerns haben nur dann eine Chance, wenn wir dort schnelles Internet schaffen, die Schulen in den Dörfern belassen und die Gesundheitsversorgung flächendeckend einrichten. Das Stichwort sind Pflegestützpunkte. Wir müssen vor allem für die öffentliche Verkehrsanbindung sorgen. Nur dann siedeln sich Unternehmen in den ländlichen Räumen an und schaffen Jobs.
Die Mobilität ist der entscheidende Faktor für die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Regionen. Deshalb fordern wir, die SPD: In jedem Ort Bayerns muss tagsüber mindestens einmal die Stunde ein öffentliches Verkehrsmittel fahren, mindestens! Dieses Ziel, das muss klipp und klar gesagt werden, wurde von der bisherigen Regierung nie ins Auge gefasst. Für die Menschen in Maroldsweisach hat der Ministerpräsident eine Erklärung geliefert, als er kürzlich beim Wahlkampfauftakt in München sagte, Oberbayern sei das Herzstück Bayerns. Ich sage Ihnen aber eines: Die Menschen oben im Landkreis Haßberge ziehen ihre Schlüsse aus so einer Aussage. Das garantiere ich Ihnen. Wir, die SPD, sagen klipp und klar: Jeder Winkel Bayerns ist das Herzstück Bayerns. Vor allen Dingen aber ist jeder Mensch Bayerns das Herzstück Bayerns.
Wer logisch denken kann, weiß doch, dass eine konsequente Politik für die ländlichen Räume auch den Städten hilft. Die Städte gehen nämlich unter dem Wachstumsdruck in die Knie. Das sehen wir beispielsweise an den Wohnungspreisen, an den Kita-Gebühren und auch am ÖPNV, der inzwischen aus allen Nähten platzt. Die direkten Auswirkungen des schlechten ÖPNV-Angebots wie die schlechte Luftqualität in den Städten sind in aller Munde.
Im Übrigen bekommt der Bundesverkehrsminister beim Thema Dieselgate den Mund nicht auf. Dabei ist es doch klar: Ein Autohersteller, der betrügt, muss dafür sorgen, dass die Autos jetzt wieder in Ordnung gebracht werden.
Helfen Sie Ihrem Bundesverkehrsminister einmal auf die Beine, damit er endlich ein klares Bekenntnis zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern und zur Luftreinhaltung abgibt.
Daraus wird eines klar: Bayern braucht eine Verkehrswende. Wir brauchen sie, um das Klima zu schützen. Wir brauchen sie aber auch, damit Menschen in Bayern nicht mehr täglich im Stau stehen. Wir brauchen sie, um die Menschen unabhängig von ihrem Einkommen und ihrem Gesundheitszustand mobil zu machen. Verkehrswende heißt für uns: Niemand darf abgehängt werden. Die Menschen im Landkreis Haßberge dürfen nicht abgehängt werden. Die Menschen in München dürfen auch nicht abgehängt werden, indem sie sich das Ticket nicht mehr leisten können. Menschen mit gesundheitlichen
Einschränkungen dürfen nicht abgehängt werden, indem sie nicht einmal mehr den Einstieg in eine Bahn schaffen. Diese drei Herausforderungen müssen wir angehen.
Erstens. Wir müssen endlich ausreichend in den öffentlichen Nahverkehr investieren. Der Anteil der Ausgaben für den Nahverkehr im Landeshaushalt ist über Jahre hinweg nicht so gestiegen wie der Gesamthaushalt. So geht es nicht. Nur wenn wir beständig investieren und das Angebot verbessern, bringen wir die Menschen endlich dazu, vom Individualverkehr auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen.
Deshalb ist ein großes und zielgerichtetes Investitionsprogramm für den öffentlichen Nahverkehr notwendig. Dazu gehört ein Ausbau der S-Bahn im Großraum München und im Großraum Nürnberg-FürthErlangen. Dazu gehört die Weiterentwicklung der Tram zur Stadt-Umland-Bahn in Augsburg. Dazu gehört aber auch die Elektrifizierung des bayerischen
Bahnnetzes. Bisher ist nur etwa die Hälfte der Strecken elektrifiziert. In unserem Bundesland ist das eigentlich unvorstellbar.
Dazu gehört die dauerhafte Erhöhung der Zuschüsse für Fahrzeuge im Nahverkehr. Der Ministerpräsident hat das in seiner Regierungserklärung versprochen. Im Haushalt findet sich dieses Thema aber nicht. Das funktioniert nicht. Die Anbindung der ländlichen Regionen durch den öffentlichen Personennahverkehr darf nicht an den Landkreisgrenzen haltmachen. Wir brauchen auch einen vernünftigen Takt.
Zweitens. Mobilität ist ein Grundbedürfnis. Wer nicht von A nach B kommt, ist vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten. Öffentlicher Personennahverkehr muss daher bezahlbar sein. Unser Ziel als SPD ist es, den öffentlichen Personennahverkehr kostenfrei zu gestalten. Das wäre der stärkste Hebel bei der Verkehrswende: Einfach einsteigen und losfahren.
Der kostenfreie Nahverkehr lässt sich nicht von heute auf morgen einrichten und organisieren. Das geht nur Schritt für Schritt. Der erste und wichtigste Schritt ist das kostenfreie Bildungsticket für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende.
Bildung darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Kostenfreier Nahverkehr ist ein wesentlicher Beitrag zur Bildung für alle. Das gilt sowohl für die berufliche Ausbildung als auch für Studierende. Inzwischen können weder Auszubildende noch Studierende das Unternehmen bzw. den Studienort wirklich frei wählen, weil die Wahl von den nicht mehr zu bezahlenden Wohnpreisen bestimmt wird. Deswegen brauchen wir ein Bildungsticket. Der Zugang zu Bildung muss kostenfrei sein.
Das sagt übrigens auch das Handwerk. Genau da würde ein Ticket helfen, so Franz Xaver Peteranderl, der Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern.
Ich komme noch einmal auf die Situation im Landkreis Haßberge zurück. Genau dort würde ein solches Bildungsticket ganz stark greifen. Deswegen brauchen wir es. Es ist spannend, wenn der Ministerpräsident für sich kurz vor der Landtagswahl plötzlich das 365Euro-Ticket entdeckt. Im Gegensatz zu seinen sonsti
gen Initiativen vor der Landtagswahl – das ist das Interessante daran – soll dieses nicht noch schnell vor der Landtagswahl eingeführt werden, sondern erst – man höre und staune – im Jahr 2030. Das ist in zwölf Jahren. Es soll nur in den städtischen Regionen eingeführt werden. Genau darum geht es bei dieser Landtagswahl: Bildungsticket mit der SPD jetzt oder erst unter Söders Nach-Nachfolgerin oder NachNachfolger? – Diese Entscheidung muss getroffen werden. Wir sagen klipp und klar: Wir brauchen den Einstieg in den kostenfreien ÖPNV jetzt und nicht irgendwann am Sankt-Nimmerleins-Tag. Dafür stehen wir.
Schließlich müssen wir den Verkehr in Bayern endlich barrierefrei machen. Nah- und Fernverkehr auf der Schiene müssen für alle Bürgerinnen und Bürger nutzbar sein. Die Staatsregierung verspricht das seit Jahren. Aber Tatsache ist, dass nur 40 % der bayerischen Bahnhöfe für Menschen mit Behinderung uneingeschränkt nutzbar sind, 60 % sind es nicht. Das ist für den Lebensalltag eines Menschen mit Einschränkungen nicht erträglich und dient auch nicht unserem Zusammenhalt. In seiner Regierungserklärung zum Amtsantritt hat der momentane Ministerpräsident von Flugtaxis und Hyperloops gesprochen, aber nicht davon, wie Menschen mit Behinderung in unsere Bahnen kommen sollen.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Politik heißt vor allen Dingen, Prioritäten zu setzen. Zuerst sollte das getan werden, was den Alltag der Menschen tatsächlich verbessert. Die verkehrspolitischen Prioritäten der Staatsregierung heißen: Flugtaxis, Hyperloop und dritte Startbahn. Ein Flugtaxi mag eine hübsche Idee sein. Wer von uns stand in Bayern noch nicht im Stau und dachte sich: Jetzt einfach mal abheben? – Stellt man alle technischen und planerischen Fragen aber einmal beiseite, müssen wir uns fragen: Wer könnte ein Flugtaxi nehmen? Der Azubi auf dem Weg zur Ausbildungsstätte? Der alleinerziehende Vater zwischen Wohnung, Kinderkrippe und Arbeit? Die Rentnerin auf dem Weg zum Einkaufen oder zum Arzt? – Das zeigt doch klipp und klar, dass Sie die falschen Prioritäten setzen. Es geht nicht darum, die Geschäftsleute im Flugtaxi zu transportieren. Stattdessen geht es um das tagtägliche Leben der Menschen und darum, was jeder Einzelne als Herzstück Bayerns braucht. Die Menschen brauchen einen kostenfreien öffentlichen Personennahverkehr. Gehen wir endlich die ersten Schritte dorthin mit einem Bildungsticket, mit einem Seniorenticket und mit einem Sozialticket. Das ist der Weg.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolle
ginnen und Kollegen! In gut zwei Wochen verabschieden sich unsere bayerischen Schülerinnen und Schüler in die wohl schönste Zeit des Jahres für sie, in ihre wohlverdienten Sommerferien. Diese Freude hat aber einen verdammt bitteren Beigeschmack; denn viele derjenigen, die diese Schülerinnen und Schüler über ein Jahr betreut und ihnen eine Menge beigebracht haben, die ihnen auf ihrem Lebensweg mehr als nur Wissen mitgeben, können nicht in eine Erholungsphase gehen. Warum? – Weil der Arbeitsvertrag vieler bayerischer Lehrerinnen und Lehrer endet. Sie gehören zu den vielen befristeten Lehrkräften, für die der Beginn der Sommerferien nichts anderes als Arbeitslosigkeit heißt. Ihnen bleibt nichts anderes als der Weg zur Arbeitsagentur. Millionen Menschen in unserem Land fahren in den nächsten Wochen in Urlaub, mit ihren Freunden, ihren Familien. Diese Lehrerinnen und Lehrer können das aber nicht. Sie können noch nicht einmal planen, wie ihre Zukunft weitergeht, und zwar weder im Beruf noch familiär. Sie hängen völlig in der Schwebe. Oder lassen Sie es mich so ausdrücken wie der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Realschullehrer Jürgen Böhm, der aus Bayern stammt. Er veröffentlichte gestern folgenden Begriff: Er nannte die Realität an unseren Schulen: "hire and fire".
Wir sagen Ihnen, wie die Realität an den Schulen seit Jahren aussieht: Die Zahl der befristet Beschäftigten an unseren Schulen steigt und steigt und steigt. An den Grund- und Mittelschulen stieg die Zahl von 2012 bis 2016 um knapp 50 % auf 1.480 Lehrkräfte. An den Realschulen waren sogar 69 % Steigerung feststellbar, und zwar von 790 auf 1.332. Insgesamt waren im Jahr 2016 fast 7.000 Lehrkräfte in Bayern nur mit befristeten Verträgen angestellt. Aktuellere Zahlen hat Ihr Kultusministerium uns leider nicht zur Verfügung stellen können. Ich frage Sie: Welcher junge Mensch will mit so einer Perspektive Lehrer werden? Wer will sich so einer Einstellungspolitik nach Gutsherrenart aus dem letzten Jahrtausend ausliefern?
Ich würde nicht so laut dazwischenplärren. Wissen Sie, von wem der Satz mit der Gutsherrenart stammt?
Der stammt vom Vorsitzenden des Realschullehrerverbandes, von niemand anderem.
Bundesweit? Dann lesen Sie doch die Pressemitteilung, darin schreibt er: auch in Bayern.
Sagen Sie das auch Ihren Kollegen! Ich frage Sie, wer in diesem Saal würde so mit sich umgehen lassen, Herr Reiß? – Niemand! Dann frage ich die dafür Verantwortlichen in Bayern, und das sind alle Abgeordneten der CSU, zumindest die, die da sind: Wenn Ihre Kinder oder Enkel den Lehrerberuf ergreifen, wollen Sie, dass Ihre Kinder von einem befristeten Vertrag in den nächsten hineinstolpern und damit abgespeist werden? Wollen Sie, dass sie jedes Jahr im Juli und im August darauf hoffen, dass der Staat sie nach den Sommerferien vielleicht wieder einstellt und dann irgendwann vielleicht in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernimmt? – Ich sage Ihnen, wie Ihre Antwort lautet: Nein. Das wollen Sie nämlich nicht für Ihre Kinder und Enkel. Sie wollen, dass Ihre Kinder und Enkelkinder anständig behandelt werden.
Ich sage Ihnen deshalb: Gehen Sie mit den Lehrkräften in unserem Land anständig um, Herr Reiß!
Geben Sie den Lehrerinnen und Lehrern in unserem Land endlich Planungssicherheit!
"Beste Bezahlung"? – Wissen Sie was, reden wir doch einmal wirklich über Mathematik. Lernen Sie doch einmal aus den Statistiken, die können Sie sich von den Mathematiklehrern erklären lassen! Das ist doch nicht so schwer. Die Geburtenrate und der Zuzug in unserem Freistaat steigen. Die Zahl der Studierenden in Lehramtsstudiengängen sinkt. Die Pensionsreife von aktiven Lehrern ist demografisch klar, oder etwa nicht? – Dann nehmen Sie noch die Klassengrößen hinzu; die Klassen sind immer noch viel zu groß. Die Unterrichtsausfälle an den bayerischen Schulen sind eklatant hoch.
Sie regieren seit Jahrzehnten. Woher kommt das denn?
Es ist nicht falsch.
Mit diesen Daten können Sie ganz einfach ausrechnen, welchen Bedarf an Lehrkräften wir haben. Sie können überlegen, wie wir diesen Beruf endlich attraktiver gestalten können. Vielleicht setzen Sie dann noch Ihren gesunden Menschenverstand ein und schauen, was seit Jahren jedes Jahr aufs Neue passiert. Nehmen wir das Beispiel der Mobilen Reserve, eines Pools von Lehrkräften, die bei Mutterschutz, Elternzeit und Krankheit eingesetzt werden. Dieser Pool funktioniert am ersten Schultag. Komischerweise wird es aber schon am zweiten Schultag schwierig. Wissen Sie, was passiert, wenn die erste Grippewelle im Herbst kommt? – Dann sind Chaos und Unterrichtsausfall an unseren bayerischen Schulen perfekt. So schaut’s aus!
Lernt doch endlich mal aus den Fehlern der Vergangenheit! Lernt von den Fachleuten, was die nackten Zahlen sagen! Das ist doch keine Hexerei. Wenn ein Unternehmen so arbeiten würde, dann müsste es schlichtweg seine Produktion stilllegen. Sollen wir denn unsere Bildungseinrichtungen wegen Lehrermangels stilllegen? – Wir brauchen junge Lehrer!
Wenn Sie ganz ehrlich sind, müssen Sie eingestehen, dass der Umgang mit den Befristungen der Lehrer schlichtweg unanständig ist; denn alle Lehrer, die Sie im August kündigen, stellen Sie – –
Zuhören, zuhören! – Alle Lehrer, die Sie im August kündigen, stellen Sie im September wieder ein.
Können Sie mal aufhören? Das nervt. Einfach mal zuhören! – Sie stellen diese Befristeten im September wieder ein.
Damit es aber nicht zu Kettenverträgen kommt, tauschen Sie fröhlich einen Befristeten gegen den nächsten Befristeten aus.
Ich sage Ihnen was: Das ist zutiefst unanständig. Das gehört sich nicht. So gehen wir auch nicht mit Bildung um.
Jetzt frage ich Sie mal was. Wenn Sie immer dazwischenplärren: Haben Sie denn kein Bürgerbüro?
Diese Lehrerinnen und Lehrer kommen jetzt doch reihenweise in unsere Bürgerbüros und bitten darum, dass wir ihnen helfen. Leugnen Sie das doch nicht!
Ich sage Ihnen eines: Wie funktioniert Bildung? – Bildung funktioniert über Beziehung. Liebe Leute, wenn eine Bezugsperson jedes Jahr oder gar jeden Monat wechselt, dann geht das so nicht. So funktioniert Bildung nicht. Bildung ist der einzige Rohstoff, den wir haben.
Wenn ihr euch hier intern zofft, rege ich an, dass ihr das vielleicht nachher machen könnt. Ich glaube aber, er sagt was Richtiges, weil er gerade einen Kollegen anmacht. Seis drum.
Ich sage Ihnen, was paradox ist. Paradox bei der ganzen Sache ist doch Folgendes.
Nicht aufregen, Herr Kränzle. Sie können die Kollegen nachher überzeugen, dass sie Schmarrn reden. Ja, wahrscheinlich haben Sie recht. Keine Ahnung, vielleicht können wir ja nachher darüber reden. Aber ich sage Ihnen was.
Ja, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Bocklet, aber ich gebe Ihnen in Folgendem recht: Es ist schwer, wenn sich die eigene Fraktion da drüben permanent streitet. Das können Sie ja auch gerne nachher öffentlich machen.
Wie ist denn die Realität? – Die Realität ist, dass viele Lehrerinnen und Lehrer das Ruhestandsalter wegen der Belastung, die sie in ihrem Job haben, gar nicht mehr erreichen. Umgekehrt werden junge qualifizierte Kräfte mit befristeten Verträgen abgespeist. So sieht es in der Realität aus. Die bekommen überhaupt keine Anstellung.
Sie müssen endlich für Planungssicherheit im Leben vieler Lehrerinnen und Lehrer sorgen.
Entschuldigen Sie mal, Herr Reiß. Sie setzen die Befristungen systemisch ein. Was anderes machen Sie nicht.
Sie lernen nicht aus Ihren Fehlern der Vergangenheit, sondern es ist ein Flickenteppich, den Sie da weben. Sie weben diesen Flickenteppich nur deswegen, weil Sie nicht aus den Fehlern lernen wollen, die Sie in der Vergangenheit gemacht haben.
Ich sage Ihnen eines: Stellen Sie mehr Lehrer ein, und beenden Sie endlich diese Befristungen! Das ist unanständig!
Nachdem Sie mir vorgeworfen haben, dass Herr Böhm vom Verband Deutscher Realschullehrer in seiner Presseerklärung nicht über Bayern gesprochen hätte, habe ich sie mir herausgesucht. Er spricht über die befristeten Jobs am Ende des Schuljahres 2017/2018. Ich zitiere den Satz:
Bundesweit waren es bereits im Vorjahr rund 4.900 Lehrkräfte von Baden-Württemberg bis Bremen, von Bayern bis Berlin, die dieses Schicksal teilten und die Zahl wird sich 2018, so befürchtet Böhm, festigen.
Nehmen Sie das einfach zur Kenntnis. Wir brauchen eine Reserve. Sie sagen zwar immer, es mögen noch so wenige Lehrerinnen und Lehrer davon betroffen sein. Das stimmt nicht. Sie können das Schicksal solcher Menschen doch nicht in der Art beurteilen, dass es nur ein paar seien; meine Güte; so ist es halt. – Diese Leute haben für ihr normales Leben keine Planungssicherheit. Das ist doch das Problem. Ehrlich gesagt: In den letzten 30 Jahren haben Ihre Berechnungen nie gestimmt.
Deswegen funktioniert das Ganze nicht.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern liegt im Herzen Europas. Das ist nicht nur eine geografische Feststellung, sondern das beschreibt auch die Quelle unseres wirtschaftlichen Erfolges. Unser Wohlstand hängt unmittelbar an Europa. Unseren Erfolg in den letzten Jahrzehnten haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erarbeitet, darunter übrigens viele, die nicht in Bayern geboren sind, sondern aus ganz Deutschland, aber auch aus unseren europäischen Partnerländern kommen. Unseren Erfolg in den letzten Jahrzehnten haben natürlich auch die bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmer erarbeitet, die kluge und mutige Entscheidungen getroffen haben. Aber unser Erfolg der letzten Jahre wäre undenkbar ohne die europäische Einigung.
Niemand hat von der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor mehr als 60 Jahren mehr profitiert als wir in Bayern. Niemand hat vom EU-Beitritt unserer osteuropäischen Nachbarn mehr profitiert; denn dadurch ist Bayern wirtschaftlich wirklich in die Mitte Europas gerückt. Niemand hat von der Einführung des Euro, unserer Gemeinschaftswährung, die den Export bayerischer Produkte in den Euroraum so viel einfacher gemacht hat, mehr profitiert. Niemand hat vom Schengener Abkommen und von der Öffnung der Grenzen mit freiem Verkehr von Personen, Waren
und Dienstleistungen in einem Wirtschaftsraum mit 350 Millionen Menschen mehr profitiert. Das ist die Basis unseres Wohlstands. Die Verantwortlichen der bayerischen Wirtschaft wissen das sehr genau. Ich war letzte Woche bei der IHK für München und Oberbayern. Die wichtigste Botschaft dort lautete: Der Freihandel ist überlebenswichtig für die bayerische Wirtschaft. Dies bedeutet in Zahlen ausgedrückt: Mehr als jeder zweite Euro in Bayern wird im Ausland verdient. Mehr als jeder zweite Job in Bayern wird durch den Export gesichert. Das ist mehr als in den anderen Teilen Deutschlands. Das gilt für die Automobilindustrie, den Maschinenbau und ganz besonders die Elektrotechnik. Wir bauen in Bayern Spitzentechnologien. Wir bauen sie für die ganze Welt, besonders aber für Europa. Die bayerische Industrie ist stärker internationalisiert als die Industrie in ganz Deutschland.
Entschuldigung, Herr König, geht´s mal ein bisschen leiser? Sie sind fast lauter als ich. Vielen Dank.
Das ist eine Frage des Respektes. Sie müssen das selbst entscheiden.
Die Industrie in Bayern ist stärker internationalisiert als die Industrie in Deutschland. Unter den zehn wichtigsten Exportländern für bayerische Produkte befinden sich acht EU-Länder. Falls Trump den Handelskrieg in den USA eskalieren lässt und in der Folge Absatzmöglichkeiten wegbrechen, wird der europäische Markt für die bayerischen Unternehmen noch viel wichtiger. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Audi, BMW, Schaeffler und die großen Firmen, die jeder kennt. Nein, das gilt vor allen Dingen für die kleinen und mittleren Unternehmen. 80 % der exportorientierten Unternehmen in Bayern sind Mittelständler mit weniger als 250 Beschäftigten. Diese Unternehmen verfügen überwiegend über deutlich weniger als 250 Beschäftigte. Diese Unternehmen profitieren am meisten von Europa. Freier Handel ist somit – das leuchtet wohl jedem ein – das Fundament für den Wohlstand in Bayern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, freier Handel ist auch das Fundament für unsere Stärke. Die Erfolgsgeschichte des europäischen Binnenmarktes und der EU hat zu Wohlstand, zu partnerschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern und vor allen Dingen zu unserem Frieden geführt.
Jetzt komme ich zur CSU. Sie haben einen Bayerischen Ministerpräsidenten gestellt, der 1975 Folgendes gesagt hat:
Die Wiederbelebung eines deutschen Nationalstaates im Herzen von Europa kommt für uns nicht in Betracht. Wir stehen nicht für die Wiederbelebung einer europäischen Staatenwelt mit einem deutschen Reich in der Mitte.
Wir haben jedoch im Moment einen Bayerischen Ministerpräsidenten, der weder die historische noch die wirtschaftliche Bedeutung Europas und der Europäischen Union für Bayern verinnerlicht hat. Er hat nämlich vor wenigen Tagen die Axt an Europa angelegt, als er folgende Worte geäußert hat.
Ich zitiere Ihren Ministerpräsidenten, der im Parlament fast nie anwesend ist. Er sagte, die Zeit des geordneten Multilateralismus sei vorbei.
Das übersetze ich Ihnen gerne. Herr Freller, er sagte damit, Deutschland solle Fakten schaffen und seine Interessen im Alleingang durchsetzen. Das ist der O-Ton Ihres Ministerpräsidenten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Formulierungen kennt die Welt bisher eher von einem amerikanischen Präsidenten, der im Moment außer Rand und Band ist. Ein solches Verhalten kommt nun aus Bayern, aus unserem Freistaat.
Ein solches Verhalten kommt von einem Ministerpräsidenten, der eigentlich mit Anstand, Sachlichkeit, Geschicklichkeit und Empathie den Herausforderungen und Problemen im Leben jedes einzelnen Menschen begegnen sollte. Er sollte Lösungsvorschläge im Miteinander und nicht im Gegeneinander aufzeigen. Er sollte Lösungsmöglichkeiten im Kompromiss und nicht im Konflikt aufzeigen. Das ist das Wesen der Demokratie und nichts anderes.
Ich mache also giftigen Wahlkampf, aha. Was sagen Sie dann zum Zitat? – Hören Sie Ihrem Ministerpräsidenten einmal zu. Es kommt noch mehr. Warum? – Die Geschichte unseres Kontinents hat uns gelehrt, was die Demokratie wert ist. Als der Nationalismus vorherrschte, endete es im Krieg. Seit der Entwicklung des Multilateralismus – –
Ich beschreibe nur die Geschichte unseres Landes. Seit der Entwicklung des Multilateralismus leben wir größtenteils in Frieden auf unserem Kontinent. Kaum einer im Hohen Haus hat Krieg je erlebt. Das sollte auch so bleiben.
Deshalb frage ich Sie von der Regierungsfraktion – und Sie sollten sich die Antwort genau überlegen –: Wollen Sie wirklich zur Achse der angeblich Willigen gehören, die einen starken Nationalstaat als Lösung feiern, um Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung, Welthandel, Flucht- und Migration in den Griff zu bekommen, indem Ängste der Menschen geschürt und verstärkt werden? – Was in der Folge im nationalen Gegeneinander geschehen kann, hatten wir in unserer Geschichte bereits. Das brauchen wir nie wieder.
Wenn Sie ein geeintes Europa mit offenen Grenzen durch neue Grenzkontrollen, Schlagbäume, Zäune und Mauern beenden wollen, dann riskieren Sie in unseren Betrieben nicht nur Millionen von Arbeitsplätzen, sondern Sie stellen unseren Wohlstand schlichtweg infrage. Sie stellen dann unsere Stärke infrage. Sie stellen unsere bayerische Identität infrage. Das ist nicht unser Bayern; das kann ich Ihnen sagen.
Herr König, ich kann Ihnen das auch noch übersetzen. Sie gehören dann nicht zur Achse der angeblich Willigen, sondern Sie gehören zur Achse der Zerstörer und der Verantwortungslosen in Europa. Nichts anderes tun Sie.
Wissen Sie, was mich erschrecken lässt? – Es ist das, was Sie im Moment mit Ihrer Politik und mit Europa machen. Sie bringen eine ganze Gesellschaft ins Rutschen. Sie bringen die Demokratie ins Rutschen.
Was Sie machen, ist grenzenlos verantwortungslos.
Wir alle wissen: Europa ist nicht einfach. Einigungsprozesse klappen nicht von heute auf morgen. Die Lösung von Problemen funktioniert nicht von heute auf morgen.
Da Ihnen das nicht einleuchtet, zitiere ich nun Außenminister Heiko Maas, der vor wenigen Tagen Folgendes gesagt hat.
Es ist unser Bundesaußenminister, mit dem Sie in einer Koalition sind. Sorry.
Ich lese Ihnen vor, was Heiko Maas vor wenigen Tagen Kluges gesagt hat:
In zwanzig Jahren werden vermutlich neun Milliarden Menschen auf der Erde leben: Davon nur noch gut fünf Prozent in der EU. Das klingt wenig, aber fünf Prozent – das ist immer noch viel mehr als die Bruchteile von Prozentpunkten, die dann die nur noch einzelnen Staaten Europas ausmachen. Nur wenn diese fünf Prozent geeint sind, haben wir überhaupt noch die Chance, in dieser sich verändernden Welt irgendetwas mitgestalten zu können.
Das sollte Ihnen einleuchten.
Ich sage Ihnen, was unser Bayern braucht: Unser Bayern braucht eine verantwortungsvolle Politik, die auf Fakten und nicht auf Stimmungen basiert. Sie muss Vorurteile widerlegen, statt sie zu befeuern. Sie muss zusammenführen statt ausgrenzen. In unserem Bayern haben Populismus und Fremdenfeindlichkeit schlichtweg keinen Platz. Dabei bleibt es.
Liebe Kollegen der CSU, das Problem ist, dass Ihr Ministerpräsident behauptet, er wolle durch seine Politik den Populisten im Land nicht die Macht überlassen. Aber inzwischen zählt er zu denen mehr als je zuvor. Er ist selber einer der härtesten Populisten in unserem Land.
Zum Abschluss sage ich Ihnen eines: Die europäische Einheit ist ein Garant für Frieden, Sicherheit und Menschenrechte auf unserem Kontinent. Die Einheit ist ein Garant für das Fundament des Wohlstandes in Bayern. Deshalb sollten wir uns heute ohne Einschränkungen zu Europa bekennen, zu gemeinsamen Lösungen statt nationalen Alleingängen, zu offenen Grenzen statt zu Schlagbäumen. Ringen Sie sich dazu endlich durch!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von unserer Seite liegt ein Antrag zur Geschäftsordnung vor. Wir beantragen die
Absetzung des Tagesordnungspunktes 6. Kurz: Wir beantragen die Absetzung der Zweiten Lesung des Polizeiaufgabengesetzes.
Herr Reiß, wissen Sie überhaupt, was Respekt heißt? – Respekt heißt, die bürgerlichen Freiheitsrechte der Menschen zu achten. Das ist Respekt und nichts anderes.
In Bayern gehen in diesen Tagen Zehntausende Menschen auf die Straße, weil sie das Gefühl haben, dass sie für ihre Freiheit kämpfen müssen. Sie haben das Gefühl, ihre Freiheit verteidigen zu müssen. Herr Reiß, die Menschen spüren, dass diese – –
Ich schreie, so viel ich will. Das sage ich Ihnen.
Die Menschen spüren und sehen, dass diese Regierung, also Sie, der Bevölkerung mit tiefstem Misstrauen begegnet. Diese Regierung will die Bevölkerung in einer Form überwachen, die unsere Verfassung nicht mehr rechtfertigt. Es wird noch schlimmer: Nach der Großdemonstration in München mit über 40.000 Menschen hat der bayerische Innenminister nichts Besseres zu tun, als diese Menschen auf der Straße als Unbedarfte zu bezeichnen.
Im Morgeninterview des Bayerischen Rundfunks. Sie schleudern diesen Menschen also nicht nur Misstrauen entgegen, sondern auch eine Herabwürdigung. Sie tun gerade so, als wären diese Menschen nicht in der Lage, selbstständig zu denken und selbstständig zu entscheiden. Herr Reiß, das ist respektlos.
Herr Herrmann, Sie als Innenminister machen die Presse da oben dafür verantwortlich, die Menschen in die Irre geführt zu haben, indem Sie den Medienvertretern Lügenpropaganda unterstellen. Das ist nichts anderes, als die Axt an die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit anzulegen.
Damit legen Sie die Axt an die Grundwerte unserer Demokratie an. In meinen Augen haben Sie sich dafür bei den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land zu entschuldigen.
Der Ministerpräsident, der leider heute nicht da ist, scheint sich ja unsicher zu sein, was er über das Ganze denkt. Er sagt einerseits: Wir nehmen – –
Nur die Ruhe. Ihr Ministerpräsident sagt: Wir nehmen die Sorgen ernst, und er sei bewegt, dass sehr viele Menschen eine große Unsicherheit und eine große Angst vor dem PAG haben. – Man höre und staune. Da scheint der Ministerpräsident etwas erkannt zu haben, was der Innenminister noch nicht erkannt hat. Aber die Schlussfolgerung des Ministerpräsidenten ist schlichtweg grotesk. Wie wollen Sie denn jetzt bei diesem Gesetz vorgehen? – Sie wollen das PAG heute durchpeitschen. Herr Reiß, nichts anderes tun Sie.
Anschließend wollen Sie eine Informationsoffensive und eine Dialogreihe durchführen.
Wo gibt es denn so was? – Sie schaffen zuerst vollendete Tatsachen, und anschließend wollen Sie mit der eigenen Bevölkerung reden. Das ist grotesk und absurd. Herr Reiß, das ist vor allen Dingen respektlos.
Wissen Sie überhaupt, was das alles für die Menschen da draußen auf der Straße bedeutet? – Mit dem Gesetz begegnet ihnen der Staat nicht nur mit Misstrauen, sondern der Innenminister bezeichnet sie darüber hinaus noch als Unbedarfte. Der Ministerpräsident bietet einen Dialog an, wenn es nichts mehr zu reden gibt. Er presst das Gesetz allmächtig durch das Parlament. Das machen Sie heute. Ich sage Ihnen: Das ist unanständig.
Sie, die CSU, haben die absolute Mehrheit in diesem Landtag.
Sie haben die Macht, das durchzudrücken. Aber ich sage Ihnen: Mit dieser Macht geht eine Verantwortung
einher. Das ist die Verantwortung, Zweifel und Widerspruch tatsächlich ernst zu nehmen. Herr Reiß, dieser Verantwortung werden Sie nicht gerecht.
Wenn Bayern eine starke Regierung hätte, dann stünde das PAG heute nicht auf der Tagesordnung. Wenn Bayern einen souveränen Ministerpräsidenten hätte, dann würde er dieses Gesetz nicht durchpeitschen. Stärke besteht nämlich nicht darin, etwas mit der Brechstange durchzusetzen. Eine starke Regierung nimmt Kritik ernst und respektiert die Meinung anderer, Herr Reiß. Eine starke Regierung geht auf die Menschen zu, die Kritik üben und Zweifel äußern, und zwar vor der Entscheidung. Ein souveräner Ministerpräsident würde in dieser Debatte,
wenn er überhaupt da wäre, aufstehen und sagen: Wir beschließen heute nicht!