Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie begrüßen und eröffne die 74. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie ist wie immer vorab erteilt worden.
Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, habe ich die Freude, noch zwei Geburtstagsglückwünsche auszusprechen: Zum einen hatte Frau Kollegin Verena Osgyan einen halbrunden Geburtstag. Sie ist noch nicht da; aber die Glückwünsche werden ihr bestimmt bestellt. Zum anderen hatte Frau Kollegin Carolina Trautner einen halbrunden Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, alles Gute, Gesundheit und weiterhin viel Erfolg für Ihre parlamentarische Arbeit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf weiter das Ergebnis der turnusgemäßen Vorstandswahlen bei der SPD-Fraktion bekannt geben, die am 11. Mai 2016 stattgefunden haben: Als stellvertretende Vorsitzende wurde Frau Kollegin Margit Wild neu gewählt. Der Fraktionsvorsitzende, Herr Kollege Markus Rinderspacher, die stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Simone Strohmayr und Hans-Ulrich Pfaffmann sowie der Parlamentarische Geschäftsführer Volkmar Halbleib wurden in ihren Ämtern bestätigt. Im Namen des gesamten Hauses wünsche ich Ihnen weiterhin alles Gute, viel Erfolg in Ihrer parlamentarischen Arbeit, viel Kraft und vor allen Dingen auch gute Gesundheit.
Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Bayerisches Integrationsgesetz (Drs. 17/11362) - Erste Lesung
Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Christine Kamm u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für ein Bayerisches Integrations- und Partizipationsgesetz (Drs. 17/11501) - Erste Lesung
Den Gesetzentwurf der Staatsregierung begründet Frau Staatsministerin Müller. Ich darf sie hierzu ans Rednerpult bitten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr kamen in Deutschland rund 1,1 Millionen Menschen an. Viele von ihnen sind bei uns in Bayern verblieben. Wir haben derzeit in etwa 155.000 Menschen in festen Unterkünften untergebracht. Dass dies gelungen ist, bedurfte eines gewaltigen Kraftakts von uns allen.
Wir haben das gemeinsam mit den Kommunen und mit vielen Ehrenamtlichen geschultert, und alle waren intensivst beteiligt. Die weitaus größere Herausforderung ist die Integration derjenigen, die bei uns bleiben werden. Wir wollen, dass Migrantinnen und Migranten in Bayern mit uns leben, nicht neben uns und nicht gegen uns.
Mit dem Entwurf für ein Bayerisches Integrationsgesetz bekennt sich Bayern zu einer doppelten Verantwortung: Wir stehen für den Schutz und die Achtung der einheimischen Bevölkerung. Zugleich setzen wir uns aber auch für die menschliche Aufnahme von Flüchtlingen ein. Integration ist – das ist uns sehr bewusst – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Ebenen, Bund, Land und Kommunen, gleichermaßen berührt.
Der Gesetzentwurf basiert auf dem in Bayern bewährten Grundsatz des Förderns und Forderns. Dass Integration in Bayern genau nach diesem Grundsatz funktioniert, zeigen unsere großen Städte. Wir haben keine Parallelgesellschaften, wir haben keine Ghettos. Mit dem Integrationsgesetz wird gesetzlich festgeschrieben: Wer nach Deutschland kommt, muss sich hier bei uns auch integrieren.
Grundsätzlich gilt: In Deutschland darf jeder leben, wie er möchte. Aber die individuelle Freiheit hat Grenzen; denn selbstverständlich haben wir verbindliche Regeln, auch durch das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung, Regeln, nach denen wir handeln, egal, woran wir glauben, und egal, woher wir kommen. Deshalb fordern wir von Migrantinnen und Mi
granten Integrationsbereitschaft und Achtung unserer Werteordnung und unserer Leitkultur ein. Zum Kern der Leitkultur gehören die Religionsfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau und der respektvolle gegenseitige Umgang von Frauen und Männern.
Wenn jemand aus einem anderen Kulturkreis kommt und mit unserer Kultur nicht vertraut ist, sind Information und Aufklärung notwendig. Das ist keine Diskriminierung und Ausgrenzung, sondern geradezu die Voraussetzung für Integration, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Das Bayerische Integrationsgesetz schafft die Grundlage für Förderungen in vielen Lebensbereichen wie zum Beispiel Sprache und Bildung. Es bietet damit ein ausgewogenes Gesamtpaket.
Im Rahmen der sechswöchigen Verbändeanhörung haben wir 225 Verbände und die 110 Mitglieder des Bayerischen Integrationsrates zur Stellungnahme aufgefordert. Insgesamt gingen 68 Stellungnahmen ein, und die überwiegende Mehrzahl der Verbände hat ein Bayerisches Integrationsgesetz begrüßt.
Auch der Grundsatz des Förderns und Forderns wurde für gut befunden. Der Grundsatz des Förderns und Forderns hat sich bewährt, und auch der Bund hat diesen Grundsatz für das Bundesintegrationsgesetz fixiert. Das wird auch von der SPD auf Bundesebene unterstützt und für richtig befunden. Insofern kann ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht nachvollziehen, inwieweit das Bayerische Integrationsgesetz den Zielen des Bundesintegrationsgesetzes widersprechen soll.
Damit Integration gelingen kann, werden Wegweisung und Hilfestellung dringend notwendig sein. Der Gesetzentwurf bietet hierfür die richtige Grundlage. Im Interesse der Zuwanderer sowie der einheimischen Bevölkerung bitte ich um Unterstützung.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Die Begründung und Aussprache zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden mit der Aussprache zum Gesetzentwurf der Staatsregierung verbunden. Frau Kollegin Bause, ich darf nun Ihnen das Wort erteilen. Ihnen stehen 15 Minuten Redezeit zur Verfügung. Bitte sehr.
und Integration ist keines, das uns erst seit wenigen Monaten beschäftigt. Es beschäftigt uns seit vielen Jahren. Wir GRÜNE haben zum Beispiel zum ersten Mal im Jahr 2001, also vor 15 Jahren, einen Gesetzentwurf zur Integration zur Diskussion gestellt.
In all den Jahren gab es viele Debatten, vor allen Dingen auch viele Informationsreisen in klassische Einwanderungsländer, damit wir lernen, wie Integration gelingt, was andere Länder besser machen, was wir von ihnen lernen können. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Delegationsreise im Jahr 2008 nach Québec. Mitglieder dieser Delegation waren Alois Glück – er war damals noch der Präsident des Bayerischen Landtages –, Georg Schmid – er war damals Ihr Fraktionsvorsitzender –, Peter Paul Gantzer, Linus Förster und meine Person. Bei dieser Reise waren wir unter anderem in einem Integrationszentrum in Québec, einem Integrationszentrum, wie wir es in unserem Gesetzentwurf heute auch für die Kommunen in Bayern vorschlagen. Dort wurden wir von einer Dame mit einem herzlichen "Grüß Gott!" begrüßt. Sie hat uns in einer Powerpoint-Präsentation gezeigt, was Québec alles für gelingende Integration tut. Dies hat sie uns in einem wunderbaren Deutsch erklärt. Am Ende dieses Vortrags hat Alois Glück gesagt, dies sei sehr beeindruckend gewesen, aber am meisten habe ihn beeindruckt, wie gut sie Deutsch spreche. Er fragte: "Wo haben Sie denn so gut Deutsch gelernt?". Daraufhin hat die Leiterin dieses Zentrums gesagt, sie sei eigentlich Bürgerkriegsflüchtling aus dem Kosovo, sei in den Neunzigerjahren aus dem Kosovo nach Bayern geflohen, sei in München gewesen, habe dort fünf Jahre lang als Altenpflegerin gearbeitet, und in dieser Zeit habe sie natürlich Deutsch sprechen gelernt. Alois Glück fragte: "Aber, liebe Frau, wieso sind Sie denn dann ausgewandert? Solche Frauen wie Sie brauchen wir doch in Bayern!" Die Dame antwortete: "Das wollen Sie nicht wissen." Alois Glück entgegnete: "Natürlich will ich das wissen. Das interessiert uns." Daraufhin hat sie gesagt: "Weil Sie mich ausgewiesen haben."
Sie von der CSU scheinen aus Ihren Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt zu haben. Zuwanderung und Integration sind für Sie bis heute ein Angstthema. Wie muss es eigentlich um Ihre eigene Identität bestellt sein, wenn Sie Verschiedenheit nur als Bedrohung wahrnehmen können?
Integration ist eine Zukunftsaufgabe für unsere Gesellschaft und keine Strafaufgabe, wie Sie sie definieren. Integration ist eine große Zukunftschance, und ein Integrationsgesetz muss Lust machen aufs Mitmachen, Lust darauf, Teil dieser Gesellschaft sein zu
können. Ein Integrationsgesetz darf nicht Misstrauen, Unterordnung und Ausgrenzung festschreiben, so wie Ihr Gesetzentwurf das tut.
Mit Ihrem Gesetzentwurf führen Sie nicht zusammen; Sie spalten unsere Gesellschaft. Was Sie hier anbieten, ist kein Integrationsgesetz fürs 21. Jahrhundert; es ist ein reaktionäres Mottenkistengesetz.
Im Kern geht es bei der Integration um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen – in einer Gesellschaft, in der wir uns achten und uns gegenseitig helfen, in einer Gesellschaft, in der wir in dem anderen Menschen zuerst den Mitmenschen sehen und nicht den vermeintlich Andersartigen, in einer Gesellschaft, in der wir Menschen nach ihrem Verhalten und nicht nach ihrer Herkunft beurteilen, oder in einer Gesellschaft, in der wir fremden Menschen zunächst mit Misstrauen begegnen, uns von ihnen bedroht fühlen, sie als Menschen zweiter Klasse sehen und ihnen sogar die gleiche Würde wie uns selbst absprechen. Ich finde, die Antwort fällt nicht schwer, die Antwort ist eindeutig: Es geht darum, die besten Zukunftschancen für die Menschen, für die Wirtschaft, für Bayern herzustellen und zu gestalten.
Es geht um Integration, bei der wir alle gewinnen. Diese werden wir nur bekommen, indem wir die Menschen zusammenführen, und nicht, indem wir die Menschen mit Angst und Vorurteilen gegeneinander aufbringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Einwanderung gehört zur Geschichte unseres Landes. Sie hat unsere Gesellschaft geprägt. So kamen zum Beispiel die Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter kamen Anfang der Siebzigerjahre aus Italien und der Türkei. Die Aussiedler in den Neunzigerjahren kamen vorwiegend aus Russland und Kasachstan; Bürgerkriegsflüchtlinge kamen aus dem zerfallenden Jugoslawien, und es kamen Menschen aus anderen EU-Staaten. Viele von ihnen sind geblieben, und sie haben unser Land reicher gemacht, weil sie ihre eigene Geschichte, ihre Kultur, ihre Identität mitgebracht und weil sie sich in unsere Gesellschaft eingebracht haben, weil sie neue Ideen und andere Perspektiven haben und eingebracht haben. Reicher aber auch, weil der Wohlstand, den wir heute in Bayern haben, ohne die Eingewanderten gar nicht denkbar wäre.
So alt wie die Geschichte der Einwanderung ist aber auch das Geraune über drohende Überfremdung. Bei diesem Geraune spielen Sie von der CSU regelmäßig die Hauptrolle. Dieses Geraune hat sich als haltlos erwiesen. Im Großen und Ganzen sind die Eingewanderten in unserem Land gut integriert. Dass das so ist, liegt vor allem an den Eingewanderten selbst, und es liegt an den Menschen, die den Eingewanderten die Türen und die Herzen geöffnet haben. Integration hat bislang einigermaßen gut funktioniert – trotz und nicht wegen der Politik der CSU.
Es gibt aber auch Defizite, was die Schulabschlüsse angeht, was die Karrieremöglichkeiten im Beruf angeht, was andere Aufstiegsmöglichkeiten angeht, was die Vertretung in den Spitzenpositionen angeht. In allen diesen Bereichen sind Menschen mit Migrationsgeschichte in unserem Land deutlich unterrepräsentiert. Das ist aber ein soziales Problem und kein kulturelles Problem, als das Sie es darstellen wollen. Statt Migranten zu fördern und ihnen Chancen zu geben, haben Sie ihnen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Das zu ändern, ist eine politische Aufgabe, und hierbei haben wir deutlichen Nachholbedarf. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch der wirtschaftlichen Vernunft, wenn wir uns zum Beispiel den allseits beklagten Fachkräftemangel anschauen.
Diese Lehren sollten Sie, sollten wir beherzigen, wenn es nun um die Integration der Menschen geht, die in erster Linie aus dem Nahen und Mittleren Osten zu uns kommen. Was können wir tun, damit Integration gelingt? – Wir wissen es aus vielen anderen Ländern und von guten Beispielen: Es ist nicht so schwer. Erstens geht es um Bildung und Förderung von Anfang an und ausnahmslos für alle.
Wir brauchen zweitens klare und für alle verbindliche Regeln, auf die man sich verlassen kann, keine ungefähren Begriffe, keine dauernden Änderungen von gesetzlichen Vorgaben, sondern klare und verlässliche Strukturen für alle. Wir brauchen überschaubare Strukturen, damit man überhaupt weiß, wohin man sich wenden kann, wenn man eine Frage hat, und nicht 20 Ämter abklappern muss, um zu einer Klärung zu kommen. Wir brauchen Ansprechpersonen, die Orientierung geben und helfen; wir brauchen das Engagement von Ehrenamtlichen, das vom Staat gefördert und unterstützt werden muss. Das Allerwichtigste ist der Respekt für die Würde des Gegenübers – das
zeigen uns die Beispiele von Menschen, die sich hier eine neue Heimat und ein neues Leben erfolgreich aufgebaut haben.
All das steht in unserem Entwurf für ein Integrationsund Partizipationsgesetz. Darin geben wir klare Integrationsziele vor und verankern das Recht auf schulische Bildung für alle Kinder, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Bildung ist ein Kinderrecht, und daran darf nicht gerüttelt werden.