Protocol of the Session on November 12, 2015

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 57. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

An dieser Stelle möchte ich Sie darauf hinweisen, dass heute der Informationstag der lokalen und regionalen bayerischen Fernsehanbieter im Landtag stattfindet. Wundern Sie sich also bitte nicht, wenn hier im Plenarsaal mehr Kamerateams als üblich präsent sind.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am Dienstag verstarb im Alter von 96 Jahren der ehemalige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Helmut Schmidt. Mit seinem Tod verliert unser Land eine herausragende politische und intellektuelle Persönlichkeit, die die Entwicklung der Bundesrepublik über Jahrzehnte maßgeblich mitgestaltet und begleitet hat.

Früh machte sich Helmut Schmidt bei der Bewältigung der Flutkatastrophe 1962 als Innensenator in Hamburg einen Namen als Krisenmanager. Über drei Jahrzehnte gehörte er dem Deutschen Bundestag an, wo er ab 1966 Vorsitzender seiner Fraktion wurde, bevor er drei Jahre später in das Kabinett berufen wurde. 1974 erfolgte schließlich seine Wahl zum Bundeskanzler. In seiner achtjährigen Kanzlerschaft musste er mit enormen Herausforderungen fertig werden. Es galt, die weltweiten Wirtschafts- und Ölkrisen, vor allem aber den Terror der Rote-Armee-Fraktion zu bestehen. Während dieser Zeit war Helmut Schmidt mit politisch und persönlich schwerwiegendsten Entscheidungen konfrontiert, die er stets nüchtern in der Einschätzung der verfügbaren Mittel und zutiefst überzeugt von der Notwendigkeit pragmatischer Schritte traf. Trotz heftiger Kontroversen trat er vehement für die Umsetzung des NATO-Doppelbeschlusses ein, dem der Bundestag schließlich 1983 zustimmte und der in seinen Auswirkungen letztlich zum Zusammenbruch des Ostblocks beitrug. Mit tiefem Ernst widmete er sich auch der europäischen Einigung, in der er nach den Schrecken und Untaten des Dritten Reiches die beste Chance für Deutschlands Zukunft inmitten der europäischen Völker erblickte. Die Sorge um die Zukunft Europas hat ihn bis in seine letzten Jahre hinein nicht ruhen lassen.

Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik trug er als Publizist mit seinen präzisen Beiträgen zur öffentlichen Debatte bei. Seine oftmals mahnenden Worte hatten besonderes Gewicht, nicht zuletzt deswegen, weil aus ihnen die Erfahrung eines langen Lebens und eines durch und durch politischen Menschen sprach, der vom Kriegserlebnis und den Folgen persönlich tief geprägt war. Sein Handeln als Staatsmann war bestimmt von republikanischem Verantwortungsbewusstsein.

Helmut Schmidt hat sich als Parlamentarier, als Bundesminister und als Bundeskanzler größte Verdienste um Deutschland erworben. Der Bayerische Landtag trauert mit seinen Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Bevor wir nun zur Tagesordnung übergehen, darf ich noch zwei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Am 3. November feierte Frau Kollegin Judith Gerlach einen runden Geburtstag. Heute hat Frau Kollegin Eva Gottstein Geburtstag. Im Namen des gesamten Hauses und persönlich wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg für Ihre parlamentarischen Aufgaben.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der CSU-Fraktion "Ein guter Start ins Berufsleben - das Erfolgsmodell der Dualen Ausbildung in Bayern!"

Die Regeln der Aktuellen Stunde sind Ihnen bekannt. Ich darf den ersten Redner aufrufen. Es ist Herr Kollege Joachim Unterländer für die CSU-Fraktion. Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die duale berufliche Bildung ist ein Erfolgsmodell, das es sonst in Europa, ja weltweit in dieser Form nicht gibt. Den jungen Menschen, die eine Ausbildung in dieser Form absolvieren, eröffnet sich eine gute Perspektive. Wir müssen die duale berufliche Ausbildung erhalten und weiterentwickeln.

(Beifall bei CSU)

Deshalb lautet unsere Hauptforderung: Die berufliche Bildung muss der akademischen Ausbildung gleichberechtigt sein. In der Wirtschaft und vor allen Dingen in der Gesellschaft muss es Akzeptanz dafür geben, dass berufliche Bildung nicht subsidiär zur akademischen Ausbildung ist, sondern ihren eigenen Stellen

wert hat. Dies hat entsprechende Wirkungen auf die Bildungs-, die Wirtschafts- und die Sozialpolitik. Darauf werden die Kolleginnen und Kollegen im Folgenden noch detaillierter eingehen.

Die Lehrstellensituation im Freistaat Bayern ist gut. Auch das ist Ausdruck des Erfolgs des dualen Ausbildungssystems. Bayern hat zurzeit eine der besten Ausbildungsbilanzen in der Bundesrepublik: Auf 122 freie Lehrstellen kommen 100 Bewerber. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Situation bei uns ausgewogen ist, auch wenn nicht jeder von vornherein seinen Wunschausbildungsplatz erhalten kann.

Wir brauchen gesellschaftliche Bündnisse, um den hohen Stellenwert der beruflichen Bildung erhalten und das Modell weiterentwickeln zu können. Deswegen ist es begrüßenswert, dass die Bayerische Staatsregierung mit Ministerpräsident Horst Seehofer an der Spitze gemeinsam mit den Arbeitgebern und der Arbeitsverwaltung die "Allianz für starke Berufsbildung in Bayern" ins Leben gerufen hat. Diese Allianz ist ein Erfolgsmodell. Nicht die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Strukturen, sondern die Freiwilligkeit in diesem Sektor, das Mitmachen sind das Entscheidende. Ich sage auch: Die Wirtschaft, die vom Fachkräftemangel spricht – darauf wird Kollege Huber eingehen –, muss alles tun, damit genügend Ausbildungsplätze und Lehrstellen zur Verfügung gestellt werden.

Darüber hinaus muss es unser Anliegen sein, dass auch Jugendliche ohne Ausbildungsplatz eine Chance erhalten, in Ausbildung und Beruf zu kommen. Wir sehen, dass es insbesondere Schulabbrecher, LehreAbbrecher und Studienabbrecher sind, die sich schwertun, in eine qualifizierte Ausbildung, in einen entsprechenden Ausbildungsgang zu kommen. Deswegen sind die Ansätze, die die Bayerische Staatsregierung und der Bayerische Landtag mit ihren Beschlüssen geschaffen haben, der richtige Weg. Ich denke an "Fit for Work", ein Konzept, mit dem in den letzten Jahren über 10.000 Jugendliche in eine Ausbildung gebracht werden konnten. Ich denke an die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds, mit denen die Förderung verstärkt worden ist. Ich denke an Sonderprogramme für Schul- und Studienabbrecher.

Wir müssen auch in diesem Zusammenhang die Stärken des Ausbildungsmarktes mit flexiblen Modellen unterstützen. Es gibt "Fit for Work", und daneben haben wir die Aufgabe, Jugendlichen mit Behinderung bessere Chancen zu bieten, in eine Ausbildung zu kommen. Bei einem Fachgespräch des sozialpolitischen Ausschusses haben wir festgestellt, dass, auch wenn es sich um vermeintliche Nischenprobleme handelt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf während

der Ausbildung nach dem Konzept der Teilzeitberufsausbildung des Sozialministeriums mit verschiedenen Ansätzen verstärkt wird. Die Ministerin unterstützt dies auch ausdrücklich. Ich denke, dass diese Modelle notwendig sind.

Abschließend darf ich feststellen: Die berufliche Bildung ist im Freistaat Bayern ein Erfolgsmodell. Sie muss mit allen anderen Ausbildungsarten gleichberechtigt sein. Dafür steht die CSU-Landtagsfraktion.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächste hat Frau Kollegin Petersen von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde könnte, so wie Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU formuliert haben, auf der Einladung zu einem Elternabend stehen: Wir haben einen Tipp für Rat suchende Eltern,

(Widerspruch bei der CSU)

die sich darüber Gedanken machen: Wohin soll der Berufsweg mein Kind führen?

(Beifall bei der SPD)

Wir haben den Tipp für Sie: die duale Ausbildung, die in ihrer bayerischen Variante natürlich ein Erfolgsmodell ist. Bei einem Elternabend würde es auch genügen – so, wie es Kollege Unterländer eben dargestellt hat –, die Vorzüge der dualen Berufsausbildung herauszustellen.

Da wir hier aber nicht in der Schule, sondern im Parlament sind, muss auch zur Sprache kommen, wo und wie diese Form der Ausbildung zu verbessern ist. Wir sind uns einig, dass die Struktur der dualen Ausbildung grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Die Verbindung von schulischer und beruflicher Ausbildung vermittelt sowohl die theoretischen Kenntnisse als auch die praktischen Fertigkeiten, die in Industrie, Handwerk oder im Dienstleistungsbereich benötigt werden. Insofern wird die duale Ausbildung zu Recht als ein deutsches Erfolgsmodell – liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, es gibt sie nicht nur in Bayern; das ist ein deutsches Erfolgsmodell – in anderen europäischen Staaten zur Nachahmung empfohlen. So weit die Theorie. Wie aber sieht es in der Praxis aus,

(Karl Freller (CSU): Hervorragend!)

hier bei uns in Bayern?

(Karl Freller (CSU): Hervorragend!)

Das werden wir gleich sehen. – Ein duales System funktioniert dann und nur dann gut, wenn beide Partner gute Voraussetzungen für das Gelingen schaffen. Für die betriebliche Seite sind zunächst die Betriebe und die Kammern zuständig. Wir von der politischen Seite haben damit zunächst wenig zu tun. Für die schulische Seite hingegen ist der Staat und somit das Land zuständig. Hier müssten auch für Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, die Defizite unübersehbar sein.

(Beifall bei der SPD)

Die Defizite liegen nicht etwa darin, dass die beruflichen Schulen schlecht arbeiten, sondern dass die Ausstattung der beruflichen Schulen bei uns völlig unzulänglich ist.

(Beifall bei der SPD)

Der Bildungsetat für das Jahr 2015 umfasst 11,2 Milliarden Euro. Davon sind ganze 450 Millionen Euro für die beruflichen Schulen vorgesehen, also nicht einmal 5 %. Ich verstehe nicht, wieso Sie darüber klagen, dass die berufliche Bildung in der Öffentlichkeit als minderwertig gegenüber der akademischen Bildung bewertet wird, wenn Sie selber zu wenig für tatsächlich gute Rahmenbedingungen für die berufliche Bildung tun.

(Beifall bei der SPD)

Es kann nicht genügen, nur 5 % des Bildungsetats darin zu investieren. Der Unterricht an den beruflichen Schulen war nur durch Überstunden zu bewältigen. Im Sommer dieses Jahres haben die angefallenen Überstunden an den Berufsschulen 359 Planstellen entsprochen. Das ist mehr, als man akzeptieren kann.

Entgegen den Prognosen des Staatsministeriums ist die Schülerzahl nicht gesunken, sondern sogar um mehr als 3 % gestiegen. Die Bildungspolitik muss sich an der Realität ausrichten, nicht an Prognosen. Statt aber mit der notwendigen Mehrung von Stellen zu reagieren, wird einfach Pflichtunterricht gestrichen. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn jetzt im Nachtragshaushalt für die beruflichen Schulen erfreulicherweise 60 Millionen Euro mehr eingestellt werden. Dieses Geld dient im Wesentlichen dazu, dass Flüchtlinge beschult werden können, von denen bisher nicht einmal 50 % der berufsschulpflichtigen Jugendlichen auch tatsächlich beschult wurden. Dass etwas getan wird, ist sehr zu begrüßen, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Problematik an den beruflichen Schulen, dass nach wie vor Pflichtunterricht ausfällt. Wie kann sich die Staatsregierung und die sie

tragende Partei selbstgefällig zum dualen Ausbildungssystem beglückwünschen, wenn sie ihren eigenen Part dabei so schlecht ausfüllt oder, schulisch gesprochen, ihre Hausaufgaben nicht macht?

(Beifall bei der SPD)

Auch in diesem Schuljahr wird an vielen Berufsschulen der Deutschunterricht reduziert; der Sportunterricht wird ganz gestrichen. Beide Fächer sind Pflichtunterricht, das heißt, dieser Unterricht muss verpflichtend angeboten werden. Soll denn etwa der Bäckermeister seinem Azubi auch noch Deutsch beibringen? Oder soll er bewegtes Stehen oder Sitzen praktizieren, damit der ausgefallene Sportunterricht kompensiert wird? – Herr Kollege Waschler ist dafür Experte, wie er uns kürzlich im Bildungsausschuss demonstriert hat. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Reden Sie doch nicht solchen Blödsinn, Frau Kollegin! – Volkmar Halbleib (SPD): Bewegliches Denken wäre nicht schlecht!)

Wenn der Pflichtunterricht nicht erteilt werden kann, dann ist das umso weniger verständlich, als die Anforderungen an die - -.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Wenn Sie zuhören würden, könnten Sie etwas dazulernen.

(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Nicht, wenn es Blödsinn ist! So ein Schwachsinn, Frau Kollegin! – Zuruf der Abgeordneten Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU) – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

- Sie haben nachher auch noch einmal das Wort, und dann können Sie vorbringen, was Sie dazu anmerken möchten. Jetzt habe aber ich das Wort, okay?