Protocol of the Session on July 8, 2015

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 49. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich bekannt geben, dass der Herr Ministerpräsident mit Schreiben vom 30. Juni 2015 der Präsidentin des Bayerischen Landtags mitgeteilt hat, dass er Herrn Staatssekretär Johannes Hintersberger unter Entbindung von seinen bisherigen Aufgaben als Staatssekretär mit Wirkung vom 30. Juni 2015 mit den Aufgaben eines Staatssekretärs im Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration betraut hat. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich wünsche ich Herrn Staatssekretär Hintersberger für die neue Aufgabe alles Gute und viel Erfolg. Ich gehe davon aus, dass ihm dies mitgeteilt wird.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf zwei weitere Glückwünsche aussprechen. Am 26. Juni feierte Frau Kollegin Martina Fehlner einen halbrunden Geburtstag, und heute hat Herr Kollege Günther Knoblauch Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Namens des Hohen Hauses und persönlich wünsche ich Ihnen viel Glück und Erfolg bei der Erfüllung Ihrer parlamentarischen Aufgaben.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 und 2 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Paul Wengert, Harry Scheuenstuhl u. a. und Fraktion (SPD) zur Sicherung der Ausübung des ehrenamtlichen Mandats eines Gemeinderatsmitglieds, Kreisrats, Bezirksrats (Änderung der Gemeindeordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung) (Drs. 17/2630) - Zweite Lesung

Antrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Jürgen Mistol u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verfassungsauftrag wahrnehmen - Maßnahmen zur Stärkung des kommunalen Ehrenamts ergreifen! (Drs. 17/2412)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt entsprechend der Vereinbarung im Ältestenrat 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich an der Redezeit

der stärksten Fraktion. – Erster Redner ist der Kollege Scheuenstuhl von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem leicht abgeänderten Zitat des großen Sozialdemokraten Herbert Wehner beginnen: Unter der Herrschaft der Konservativen ist die demokratische Ordnung immer wieder in Gefahr, zurückzufallen in Klassen, Klassenkasten und Cliquenherrschaft. Anders ausgedrückt: Das Verhalten von großen Teilen der CSU-Fraktion, aber auch der Partei ist meiner Meinung nach wahrlich eine Schande für die Demokratie.

(Karl Freller (CSU): Wie bitte?!)

Mein demokratisches Grundverständnis baut gleichermaßen auf den Werten Freiheit und Gleichheit auf. Jeder Mensch hat unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität und sozialer Stellung das Recht auf Teilhabe an der Demokratie.

(Beifall bei der SPD)

Hier steckt das Problem. Alle, die für einen Gemeinderat, Stadtrat, Kreistag oder Bezirkstag erfolgreich kandidiert haben, sind zu Recht darauf stolz, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten. Sie erwarten, dass sie an den Sitzungen der Gremien teilnehmen können. Aber was tatsächlich passiert, ist beschämend. Sie müssen Ihre Arbeitgeber anbetteln, freigestellt zu werden. Das ist einzig und allein Schuld der CSU.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus den verschiedenen Ordnungen ergibt sich die Pflicht der Gemeindebürger zur Übernahme gemeindlicher Ehrenämter. Ich betone: die Pflicht. Ich möchte anhand von zwei aktuellen Beispielen darlegen, wie paradox sich die Situation in Bayern darstellt.

Im mittelfränkischen Ansbach gibt es gegenwärtig eine Debatte um die Pflicht zur Teilnahme an Stadtratssitzungen. In der Bayerischen Gemeindeordnung ist die Pflicht zur Teilnahme an den Sitzungen festgelegt. Diese Pflicht gilt für die gesamte Sitzungsdauer. Ohne ausreichende Entschuldigung des betreffenden Gemeinderats ist es laut Artikel 48 Absatz 2 GO möglich, gegen dieses Mitglied ein Ordnungsgeld zu verhängen. Im schlimmsten Fall droht sogar der Verlust des Mandats. Auf der einen Seite gibt es also die Pflicht zur Übernahme gemeindlicher Ehrenämter und die Pflicht zur Teilnahme an Sitzungen. Auf der anderen Seite steht das paternalistische Demokratiever

ständnis der Union. Mit diesem Begriff wird eine Herrschaftsordnung beschrieben, die ihre Autorität und Herrschaftslegitimierung auf eine vormundschaftliche Beziehung zwischen Herrschern und beherrschten Personen begründet. Die CSU torpediert wissentlich die Ausübung des ehrenamtlichen Mandats im Freistaat.

Woher weiß ich das, liebe Kollegen von der CSUFraktion? - Ein Kreisrat ist auf mich zugekommen und hat mir Folgendes mitgeteilt.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Ein CSU-Kreisrat!)

Er ist Angestellter im öffentlichen Dienst, für eine Verwaltungsgemeinschaft tätig und wurde 2014 in den Kreisrat gewählt. Nun hat er Antrag auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung entsprechend der Urlaubsverordnung der Beamten nach § 17 gestellt. Hier ist anzumerken, dass die kommunalen Arbeitgeberverbände Bayerns ihren Mitgliedern empfehlen, Angestellte wie Beamte zu behandeln.

Der Antrag wurde seitens des Arbeitgebers mit der Begründung abgelehnt, dass es der Bevölkerung der Verwaltungsgemeinschaft nicht aufgebürdet werden kann, die Kosten für das ehrenamtliche Mandat zu tragen. Daraufhin hat der Kreisrat einen Antrag auf Arbeitsbefreiung ohne Lohnfortzahlung gestellt. Das heißt, er hätte vom Kreis eine Entschädigung bekommen. Voraussetzung ist allerdings, dass dieser gewählte Mann einen schriftlichen Nachweis über die Lohnkürzung erbringt. Der Arbeitgeber hat sich aber auch hier geweigert. Somit konnte der Kreisrat keinen schriftlichen Nachweis beim Landratsamt erbringen, da ja der Lohn nicht gekürzt wurde. An den Sitzungen kann der Kreisrat zwar teilnehmen; er muss die Teilnahme nun allerdings – das ist unvorstellbar – im Vorfeld schriftlich anzeigen. Er bekommt dafür Minusstunden. Das heißt, er muss die Zeit nacharbeiten bzw. mit Urlaub ausgleichen.

In der Güteverhandlung, die bereits stattgefunden hat, ging der Arbeitgeber so weit zu fordern, der Kreisrat möge die Teilnahme schriftlich unter Auflistung der vorhandenen Arbeitsaufträge beantragen. Der Arbeitgeber will dann nach Gusto entscheiden, ob sein Mitarbeiter an den Sitzungen des Kreistages teilnehmen kann. Die Güteverhandlung wurde aufgrund der Blockadehaltung des Arbeitgebers ohne Ergebnis geschlossen.

Nun raten Sie einmal, welchen Parteien die beiden angehören: Der Kreisrat und der Vorsitzende der Verwaltungsgemeinschaft sind Mitglieder der CSU; sie gehören noch dazu demselben CSU-Ortsverband an. Beide sitzen im Kreistag in einer Fraktion.

Mehr Schikanen kann es nicht geben. Bereiten Sie diesem elenden Treiben endlich ein Ende!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Geben Sie den Demokraten ihre Würde zurück! Hier wird unsere Demokratie, die wir gemeinsam tragen, mit Füßen getreten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen uns nicht zu wundern, dass es immer weniger Bürgerinnen und Bürger gibt, die sich für ein Ehrenamt bewerben wollen. Es ist beschämend, wenn wir im Ausschuss von einem Kollegen der CSU erfahren müssen, dass ein Kandidat nach der Wahl entlassen worden ist, nur weil er unseren Aufrufen, den Aufrufen der Parteien, gefolgt ist und sich für ein Ehrenamt zur Verfügung gestellt hat. Das ist beschämend. Nicht der Arbeitgeber, sondern das Volk – sonst niemand – bestimmt, wer an Sitzungen demokratisch gewählter Volksvertretungen teilnimmt.

(Beifall bei der SPD)

Werte Kolleginnen und Kollegen, heute kann der Tag sein, an dem wir hart arbeitenden Gemeinde-, Kreisund Bezirksräten ihre Ehre wiedergeben. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf – aus vollem Herzen und voller Überzeugung. Demokratie und Freiheit gehören zusammen. Freiheit – das heißt, keine Angst haben zu müssen, vor nichts und niemandem. Wir Demokraten müssen zusammenstehen und uns wehren.

Ich danke meiner Fraktion, insbesondere dem Vorsitzenden Markus Rinderspacher, der leider nicht anwesend sein kann, dass mein Anliegen so intensiv unterstützt worden ist.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Wir werden es ihm ausrichten!)

Ich möchte mit den Worten von Otto Wels schließen: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." – Freundschaft!

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege, für die markigen Worte. – Als nächster Redner hat Herr Kollege Mistol von der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Da kann der Kollege Mistol sicherlich nicht mithalten!)

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, um es gleich zu Beginn in aller Deut

lichkeit zu sagen: Die CSU verpasst heute eine große Chance, um das kommunale Ehrenamt zu stärken und bestehende Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD)

Starke Kommunalparlamente sind das Rückgrat einer lebendigen Demokratie vor Ort. In der Anhörung, die im Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport stattgefunden hat, ist deutlich geworden: Das kommunale Mandat lässt sich heutzutage oftmals nicht mit den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt in Einklang bringen und verliert dadurch immer mehr an Attraktivität.

Alle außer den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind in Sachen Freistellung auf das Wohlwollen des Arbeitgebers angewiesen; Kollege Scheuenstuhl hat schon darauf hingewiesen. Es darf aber nicht sein, dass man dafür "bitte, bitte" sagen muss.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Um Konflikte oder gar Nachteile am Arbeitsplatz zu vermeiden, scheuen viele Beschäftigte vor der Übernahme eines kommunalen Mandats zurück, das heißt, sie ziehen eine Kandidatur gar nicht in Erwägung. Deswegen wird es für Parteien und Wählergruppierungen immer schwieriger, insbesondere junge Leute für ein kommunales Ehrenamt in politischen Gremien zu gewinnen. Es ist aber wichtig, dass die Kommunalparlamente die Gesellschaft ausgewogen abbilden. Daher sprechen wir GRÜNEN uns deutlich dafür aus, berufstätigen Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern einen gesetzlichen Freistellunganspruch einzuräumen. Den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion tragen wir vollumfänglich mit.

In unserem Antrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht, gehen wir noch weiter, indem wir bei der Aufnahme eines gesetzlichen Freistellunganspruchs auch die Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Gleitzeit oder mit vollständig flexiblen Arbeitszeiten berücksichtigen. Außerdem fordern wir die Einführung eines Anspruchs auf Urlaub für die kommunalpolitische Weiterbildung; denn Fortbildung und Qualifizierung leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung der Qualität in der Ratsarbeit. Das ist auch von Expertenseite sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Wenn Sie gewollt hätten, hätten Sie das auch gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

Die Anhörung hat ebenfalls bestätigt, dass ein Freistellungsanspruch vor allem zur Rechtssicherheit beiträgt und die Position der Beschäftigten gegenüber den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern stärkt. In

Nordrhein-Westfalen ist ein Freistellungsanspruch bereits seit 1969 gesetzlich verankert und damit längst selbstverständlich. Eigentlich sollte das auch bei uns schon lange der Fall sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, das von Ihnen immer wieder gezeichnete Bild des ehrenamtlichen Feierabendpolitikers stimmt so nicht mehr. Sie haben offensichtlich wieder einmal die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind im Rahmen unterschiedlichster Arbeitszeitmodelle - zum Beispiel Gleitzeit oder Schichtdienst - tätig. Sie brauchen verbindliche Regelungen, um ein kommunales Mandat vernünftig ausüben zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)