Siegfried Lehmann

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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben heute nicht die erste Debatte zu dem Thema „Berufliche Gymnasien“, aber sicher die letz te Debatte hierzu in dieser Legislaturperiode.
Ich will auch nicht verschweigen, Frau Krueger, dass wir in der Enquetekommission eine sehr fruchtbare Diskussion über das Thema „Berufliche Gymnasien“ geführt haben. Wir wa ren uns in einem Punkt nicht einig, nämlich in der Frage des Rechtsanspruchs. Ansonsten besteht hier im Parlament bei der Bedeutung der beruflichen Gymnasien kein Unterschied in
der Bewertung. Das will ich einfach vorausschicken. Aber die ser Punkt, bei dem wir uns unterscheiden, ist essenziell und keine Kleinigkeit.
Ich möchte noch einmal darauf Bezug nehmen, was Herr Kaufmann eben angeführt hat. In der Debatte kam immer wie der das Argument auf, was für ein Menschenbild wir eigent lich haben, wenn wir einen solchen Rechtsanspruch fordern. Dies wurde sogar noch untermauert. Es wurde gesagt, es sei ein wenig abstrus, dass die beste Wahl immer auch ein mög lichst hoher Bildungsabschluss sei.
Ja. Aber die Argumentation, die damit verbunden ist, ist doch schräg, Frau Krueger. Denn heute wissen wir alle, dass wir möglichst hohe Bildungsabschlüsse für möglichst viele Menschen in unserem Land brauchen und dass wir allen Men schen, die dies wollen, die Wege hierfür schaffen müssen. Das gilt unabhängig von der Strukturdiskussion in der Bildungs politik.
Wenn Sie das bildungspolitische Ziel „Kein Abschluss ohne Anschluss“ wirklich ernst nehmen, müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen – wir haben unlängst über die Übergänge, auch über den Übergang von der Realschule auf das berufli che Bildungssystem, diskutiert –, dass mittlerweile jeder drit te Realschulabsolvent ein berufliches Gymnasium besucht, dass 50 % der Realschulabgänger ein Berufskolleg besuchen
und dass heute nur noch 17 % der Realschulabgänger den Weg ins duale System gehen.
Sie argumentieren, ein Ausbau der beruflichen Gymnasien würde dazu führen, dass das duale System noch mehr erodie ren würde. Das ist absurd. Denn wir sehen – dieses Argument ist auch in der Ausschussberatung angeführt worden –,
wo es die Doppelbewerbungen gibt, über die immer geredet wird. Die jungen Leute bewerben sich um einen Platz in ei nem beruflichen Gymnasium und natürlich auch um einen Platz in einem Berufskolleg, weil sie wissen, dass es zu we nig Plätze in den beruflichen Gymnasien gibt. Wo „landen“ sie, wenn sie studieren wollen? Sie gehen in ein Berufskolleg. Dadurch werden sie – zu dieser These stehe ich – nicht so gut auf ihr Hochschulstudium vorbereitet wie in einem berufli chen Gymnasium. Ich denke, das läuft den Interessen der jun gen Leute und auch den Interessen der Eltern zuwider.
Sie tragen das Ziel des bedarfsgerechten Ausbaus vor sich her. Dann muss man aber auch zur Kenntnis nehmen, dass in Waldshut und in Lörrach auf einen Platz in einem beruflichen
Gymnasien nach wie vor zwei Bewerbungen kommen. Ob das bedarfsgerecht ist, möchte ich wirklich in Zweifel ziehen. Ich glaube, da besteht dringend Handlungsbedarf.
Die Ausbaustufen, die Sie vorsehen, können nicht nur so be gründet werden, wie es die FDP/DVP tut. Diese hat gesagt, der Rechtsanspruch sei schon deswegen nicht richtig, weil man die nötigen Ressourcen nicht habe und die Lehrerversor gung nicht entsprechend sicherstellen könne.
Das kann kein ernsthafter bildungspolitischer Anspruch sein. Wir alle stehen jedoch dazu, dass wir die Schulpflicht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs haben. Das ist eine gesell schaftliche Errungenschaft, um die uns verschiedene europä ische Staaten beneiden. Das führt auch dazu, dass wir eine ge ringere Jugendarbeitslosenquote haben als andere. In Finn land gibt es keine Schulpflicht bis zur Vollendung des 18. Le bensjahrs. Deswegen haben wir auch ein Übergangssystem von den allgemeinbildenden Schulen zur beruflichen Bildung. Das muss man ganz klar zur Kenntnis nehmen. Ich will das nicht kritisieren. Aber wir müssen doch in dem System eine Veränderung vornehmen, damit dies wirklich zum Bildungs erfolg der jungen Leute führt.
Deswegen bedarf es eines Rechtsanspruchs. Der Rechtsan spruch auf einen Platz in einem beruflichen Gymnasium ist die andere Seite der Medaille der Schulpflicht bis zur Vollen dung des 18. Lebensjahrs.
Herr Kaufmann hat das treffend formuliert: Wir würden nie auf die Idee kommen, solche Sperren beim Gymnasium vor zunehmen.
Wir brauchen das. Ich glaube, deswegen ist es notwendig, et was im System zu verändern. Ein Bildungssystem muss trans parent, durchlässig und verlässlich sein.
Wenn ein Bildungssystem diese Mindestanforderungen nicht erfüllt, dann ist dringend politischer Handlungsbedarf gege ben. Ich habe das Beispiel von Lörrach und Waldshut ange führt. Dies ist ein untragbarer Zustand.
Frau Krueger, es gab einen einstimmigen Beschluss des Schul ausschusses in unserem Landkreis zum weiteren Ausbau der beruflichen Gymnasien. Wir haben zwei Klassen bei einem beruflichen Gymnasium bekommen. Die Berufsschulstandor te in Stockach und Radolfzell haben sich auch beworben und sind leer ausgegangen. Es gibt einen einstimmigen Beschluss – auch mit den Stimmen von Ratsmitgliedern der CDU –, dass wir auch an diesen beiden Standorten ein berufliches Gymna sium wollen, weil ein entsprechender Bedarf vorhanden ist.
Der Bedarf ist da.
Es kann nicht sein, dass Sie das sozusagen abbürsten und hier die jungen Leute im Regen stehen lassen. Deshalb ist der Rechtsanspruch notwendig und richtig.
Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Drei Wochen, nachdem wir Anfang De zember unseren Antrag zur Förderung kommunaler Schulent wicklung durch Genehmigung einzügiger Werkrealschulen
und integrativer Schulmodelle sowie Abschaffung der Grund schulempfehlung eingereicht hatten, stand die baden-würt tembergische Bildungspolitik mit der Werkrealschule wieder einmal vor einem Scherbenhaufen.
Zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode haben betroffe ne Bürger und Kommunen gegen die Bildungspolitik der Lan desregierung geklagt und recht bekommen. Ich muss Ihnen sagen: Wenn in Baden-Württemberg Gerichte Bildungspoli tik machen, dann ist das ein wirklich schlechtes Zeichen da für, wie die Landesregierung mit der Bürgergesellschaft und mit den Betroffenen vor Ort kommuniziert.
Wenn bildungspolitische Weltanschauungen durchgesetzt wer den, auch wenn sie nicht alltagstauglich sind und diese Nicht alltagstauglichkeit durch Gerichte festgestellt wird, dann muss das doch zu denken geben.
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie haben unlängst ein neues Regierungsprogramm verabschiedet.
Darin habe ich den Satz gelesen:
Wir wollen unser erfolgreiches Bildungswesen organisch weiterentwickeln – im Dialog mit Eltern, Schülern, Leh rern und Kommunen.
Man müsste noch hinzufügen: und natürlich auch mit den Ge richten.
Denn diese werden von Ihnen hier oftmals in die Bildungs politik einbezogen.
Eine Bildungspolitik wird nur gelingen können – das ist auch eine Lehre aus dieser Legislaturperiode –, wenn die Betroffe nen vor Ort ernsthaft einbezogen werden, wenn sie mitwirken und mitentscheiden können und nicht am Tisch des Kultus ministeriums oder des Kabinetts irgendwelche Entscheidungen getroffen werden, die jegliche Praxisnähe vermissen lassen.
Dies hat auch zur Folge, dass wir ganz groteske Regelungen haben, die Sie – auch in Verbindung mit der Werkrealschule – eingeführt haben. Man muss sich das einmal vorstellen: Ei
ne Werkrealschule ist nur dann eine Werkrealschule, wenn sie zweizügig ist. Sie ist eine Schulart, die mit der Hauptschule vergleichbar ist, aber es heißt: Werkrealschule darf sie sich nur nennen, wenn sie zweizügig ist. Wenn sie einzügig ist, ist es eine Hauptschule. Es gibt in der ganzen Bundesrepublik kein solches Schulmodell, das anhand der Zügigkeit einer Schulart festlegt, ob sie an einem bestimmten Standort laufen darf oder nicht.
Noch absurder wird es, wenn Sie, Frau Ministerin, sagen – das haben Sie ja festgelegt –, dass eine zweizügige Werkreal schule, die aufgrund des demografischen Wandels einzügig wird, dann Werkrealschule bleiben darf. Das müssen Sie ein mal jemandem im Land erzählen. Kein Mensch versteht, was Sie da eigentlich machen.
Wenn Sie in der Systematik Ihres dreigliedrigen Schulsystems bleiben würden, müssten Sie versuchen, wirklich auch in der Fläche Schulstandorte zu erhalten. Aber Ihr Programm, das Sie aufgelegt haben, ist im Prinzip ein Flurbereinigungspro gramm in der Bildungspolitik mit der Folge, dass in der Zu kunft immer weniger ländliche Regionen überhaupt noch ei nen Schulstandort haben.
Ihnen ist doch auch das Schulentwicklungsgutachten von Ti no Bargel bekannt, das eindrücklich offengelegt hat, dass bis zum Jahr 2020 nur noch in 17,2 % der Gemeinden in BadenWürttemberg ein Hauptschulstandort vorhanden sein wird. Das heißt, Ihre Aussage „Kurze Beine, kurze Wege“, die Sie auch in Ihr Programm hineingeschrieben haben, hat überhaupt keinen Wert; denn vor Ort wissen die Eltern, dass das eben nicht funktioniert, dass Schulen schließen.
Die Grundschulempfehlung ist ein weiterer Punkt, der in Ih rer Bildungspolitik eigentlich längst nicht mehr zu halten ist. Wenn man sich überlegt, dass in Heidelberg 15,4 %, in Waldshut aber 31,8 % der Viertklässler eine Grundschulemp fehlung für Haupt- und Werkrealschule bekommen, stellt sich für den Betrachter dieser Zahlen natürlich die Frage: Sind die Waldshuter dümmer als die Heidelberger? Das würde ich jetzt nicht sagen.
Genau das habe ich nicht gesagt.
Wenn dann in der Region Waldshut im Sommer 2010 zehn Hauptschulen den Antrag gestellt haben, als Hauptschulen be stehen bleiben zu können und als Werkrealschulen anerkannt zu werden, um sagen zu können: „Wir sind eine Werkreal schule“, dann wird das auch einfach vom Kultusministerium hier in diesem Land vom Tisch gefegt, weil man sagt: Das
geht nicht; das steht nicht im Gesetz drin. Aber Sie können das natürlich ändern. Sie sind dafür verantwortlich, wenn die se Schulstandorte im ländlichen Raum nicht mehr existieren können.
Ich hatte Ihnen auch an anderer Stelle schon einmal gesagt, welche Konsequenzen das hat: Wenn in unserem Bildungs system, wie Sie es immer sagen, Durchlässigkeit bestehen würde, dann müssten Sie auch dafür sorgen, dass z. B. die Durchlässigkeit zu den beruflichen Gymnasien, gerade in der Region Waldshut, gegeben ist. Diese besteht aber nicht. Ge rade in diesen Regionen haben wir den höchsten Mangel an Plätzen in beruflichen Gymnasien.
Das heißt, Sie haben eine Schulstruktur im ländlichen Raum geschaffen, die den Schulen keine Entwicklung mehr ermög licht. Das muss sich ändern.
Ich muss Ihnen sagen, recht putzig scheint mir das, was die FDP im Jahr 2006 in ihrem Wahlprogramm geschrieben hat:
Die FDP ist offen für regionale Schulprojekte, die flexib lere Übergangszeitpunkte in weiterführende Schulen zum Gegenstand haben...
Sie haben angekündigt, Sie wollen für integrative Schulpro jekte werben. Das war Ihr Ziel. Sie haben jetzt in Ihrem neu en Programm etwas verabschiedet, was genau dies beinhaltet. Dort heißt es:
Schulversuche sowie regionale Initiativen zur verstärk ten Kooperation von Verbünden und verschiedener Schul arten... sind förderungswürdig.
„Erfolgreiche Programme aus Schulversuchen“ sollen „wei tergeführt... und... von anderen Schulen übernommen wer den können“.
Da muss ich Sie fragen: Mit wem wollen Sie das denn ma chen? Die CDU hat hier ganz klar gesagt, dass das mit ihr nicht geht.
Sie betreiben ganz bewusst Wählertäuschung, weil Sie eben nicht bereit sind, hier irgendeine Veränderung vorzunehmen, und sich in der Bildungspolitik am Nasenring durch das Land ziehen lassen.
Dazu noch mehr in der zweiten Runde.
Frau Ministerin, Sie las sen uns ein bisschen verwirrt zurück.
Ich habe wirklich konzentriert zugehört, habe aber nicht ver standen, ob Sie in Zukunft die Umwandlung auch einzügiger Hauptschulen in Werkrealschulen zulassen wollen, wenn be stimmte Qualitätskriterien erfüllt sind. Diese klare Aussage hätten Sie machen können, haben Sie aber nicht gemacht.
Frau Ministerin, eines ist klar – das ist ein Bekenntnis, das ich in dieser offenen Form nicht erwartet hätte –: Nach der zwei ten Hauptschul-/Werkrealschulreform in dieser Legislaturpe riode kündigen Sie an,
dass nach der Reform vor der Reform sei, dass eine dritte Re form komme und –
das ist das besonders Bemerkenswerte – dass Sie im Kultus ministerium offensichtlich auf den Trichter gekommen sind, dass es wichtig ist, die Qualität in den Schulen zu entwickeln und ins Zentrum der Schulentwicklung zu stellen.
Das ist doch die Aussage, die hier gemacht wurde.
Frau Arnold und Herr Schebesta, wenn Sie unser Wahlpro gramm richtig gelesen haben, dann wissen Sie, dass wir für eine Schulentwicklung von unten eintreten. Wir sagen: Wir wollen uns das Ziel setzen – das ist nach vorn gerichtete Bil dungspolitik –, 10 % der Schulen zu entwickeln,
wir wollen die Ressourcen dafür zur Verfügung stellen, wir wollen individuelle Förderung einbringen. Das heißt aber nicht, dass wir das von oben verordnen wollten. Das ist eben nicht der Fall. Frau Arnold, was Sie jetzt hier noch einmal er klärt haben, hat mit dem, was eigentlich Regierungspolitik an geht, überhaupt nichts zu tun. Sie von der FDP/DVP stellten sich hier hin, als ob Sie die Opposition in diesem Landtag wä ren,
und vermitteln nicht den Eindruck, als gehörten Sie zur Re gierung.
Es ist wirklich putzig, dass Ihr Koalitionspartner von der CDU Sie im letzten Jahr in einer Pressemitteilung gemaßregelt hat, Sie seien hier auf dem falschen Dampfer.
Das kann es ja wohl nicht sein. Wenn Schulentwicklung in Baden-Württemberg so läuft, dass innovative Schulkonzepte nur umsetzbar sind, wenn hier Privatschulen gegründet wer den, müssten bei uns allen eigentlich die Alarmglocken läu ten.
Wir müssen Schulentwicklung nicht nur an Privatschulen zu lassen, sondern auch an staatlichen Schulen. Dann werden wir auch staatliche Schulen und auch die Schulen im ländlichen Raum stärken.
Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist jetzt fast zwei Jahre her, dass der Amoklauf in Winnenden und Wendlingen stattgefunden hat. Wir haben fast ein Jahr lang fraktionsübergreifend in großer Ernsthaftigkeit versucht, die Ursachen und die Gründe für die se unfassbare Tat herauszufinden. Wir haben versucht, Maß nahmen und Strategien zu entwickeln, damit so etwas nicht wieder passiert.
Der Sonderausschuss war – das müssen wir ganz klar feststel len; das ist auch Anlass für unseren Dank an alle, die daran mitgearbeitet haben – eine Chance, hinter die Kulissen der Gesellschaft zu schauen, sich anzuschauen, wie die gesell schaftliche Realität in Familien aussieht und welche Proble me wirklich vorhanden sind.
Was in Hochglanzprospekten, wenn man über Familie und Gesellschaft redet, eben nicht sichtbar wird, das ist im Aus schuss, in den Anhörungen sichtbar geworden. Auch die tie fe Verunsicherung, die es in vielen Familien gibt, ist sehr klar zum Ausdruck gekommen.
Wir haben ernsthaft um Maßnahmen und Konzepte gerungen und haben auch eine ganze Menge Punkte gemeinsam verab schiedet. Frau Kurtz hat vieles davon schon angeführt. Wir haben uns darauf geeinigt – das wird sicher auch bleiben –, dass wir die Strukturen, was die Schulpsychologen angeht, ausbauen wollen. Der Ausbau der Zahl der Präventionsbeauf tragten an den Schulen und der Beratungslehrer sowie der Ein stieg in ein flächendeckendes Gewaltpräventionsprogramm nach Dan Olweus sind weitere wichtige Maßnahmen, die wir gemeinsam verabschiedet haben. Das ist richtig und gut.
Sie haben jetzt einen Zwischenbericht dazu vorgelegt, was umgesetzt wurde. Die Beschlüsse, die wir im Sonderausschuss gefasst haben, die zum Teil harte Zahlen beinhalten, sind von diesem Zwischenbericht im Wesentlichen umfasst.
Ich glaube, dass es für die Zukunft – seit dem Amoklauf sind jetzt fast zwei Jahre vergangen – wichtig sein wird, dass sich nach diesem Sonderausschuss und nach diesen Vorfällen nicht nur gewisse Strukturen, was den Stellenplan angeht, verän dern. Das scheint mir ganz wichtig zu sein. Es ist auch eine Erkenntnis aus dem Sonderausschuss gewesen, dass die Prä vention, die hier gemacht werden muss und die auch auf eine Stärkung des Erziehungsauftrags der Eltern abzielt, sicher nicht mit ein paar zusätzlichen Stellen zu realisieren ist. Viel mehr ist es erforderlich – das ist uns auch nachhaltig im Be wusstsein –, dass die Netzwerke, die wir haben und die wir jetzt ausbauen, auch funktionieren und miteinander kommu nizieren können.
Ich glaube, ein isoliertes Betrachten dieser einzelnen Berei che wird uns zu der Einsicht führen, dass ein Zusammenfü gen der verschiedenen Informationen, wie wir es an verschie denen Stellen schon haben, in ein wirkliches Präventionskon zept des Landes erst noch geleistet werden muss. Da sehen wir noch Handlungsbedarf.
Ich bin auch gespannt, wie dieses Gewaltpräventionspro gramm nach Dan Olweus umgesetzt werden wird. Herr Staats sekretär, Sie können das ja nachher vielleicht noch ein biss chen konkretisieren.
Ich bin in einer der Vorlagen über einen Satz gestolpert, der lautet:
Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport spricht sich dafür aus, den Schulen kein Programm vorzugeben, sondern lediglich die Struktur nach Dan Olweus zur Ori entierung vorzugeben.
Da würde mich interessieren, wie das – wir haben über die ses Konzept auch im Sonderausschuss sehr intensiv geredet – später an den Schulen verbindlich wird.
Als Lehrer weiß ich sehr wohl, dass Unterlagen, die an die Schulen gehen und ihnen erläutern, was gemacht werden soll, häufig dicke Ordner füllen. Da wird viel abgeheftet. Wichtig ist dabei aber, dass Programme zur Gewaltprävention an den Schulen wirklich gelebt werden. Das, was mit OES in BadenWürttemberg auf den Weg gebracht wird, darf natürlich nicht nur darin münden – Sie haben es ja auch angeführt –, dass es zu einer reinen Formsache wird, die in Formularen abgehan delt wird, sondern das muss wirklich im schulpraktischen Le ben umgesetzt werden. Da ist sicherlich noch einiges zu tun. Deswegen wäre jetzt in diesem Punkt meine Bitte, auch von seiten des Kultusministeriums stärker hinzuschauen, was die flächenhafte Umsetzung dieses Konzepts angeht, und in die sem Bereich auch die Qualitätssicherung genauer zu beach ten.
Ein weiterer Punkt, der mir noch sehr wichtig ist und über den wir auch heftig gestritten haben, ist die Frage: Was ist im Be reich der Medienpädagogik wichtig? Es geht um Medienkom petenz.
Wir wissen es ja – das Wort „Medienkompetenz“ ist in aller Munde –: Nach dem Buchdruck ist die Digitalisierung der
Welt die Revolution schlechthin, und wir müssen die jungen Menschen darauf vorbereiten. Ich weiß als Lehrer, der in die sem Bereich unterrichtet, aber auch, dass das trotz Handlungs empfehlungen, trotz Bildungsplänen, die vorliegen, oft in den Lehrplänen stecken bleibt, dass die eigentliche Auseinander setzung mit den veränderten Realitäten in den virtuellen Wel ten, in denen junge Menschen heute aufwachsen, in keinem medienpädagogischen Konzept in den Bildungseinrichtungen vorgesehen ist und dass auch Eltern da große Probleme ha ben.
Ich glaube, das, was hier an Programmen vorgelegt wurde – auch darüber haben wir heftig diskutiert –, wird nicht ausrei chen. Wir haben auch die ersten Signale dazu bekommen, was sich in diesem Bereich in der Lehrerausbildung ändert. Ich glaube, wenn wir das Thema ernst nehmen, dann darf Medi enpädagogik nicht nach Belieben in der Lehrerausbildung vor kommen, sondern sie muss ein fester Bestandteil sein, sodass jeder, der solch eine Ausbildung durchläuft, wirklich verbind liche Module in diesem Bereich ableisten muss. Es reicht nicht, dies als eine Sache abzutun, die man zusätzlich anbie tet oder die irgendwo als Querschnittsausbildungsaufgabe mit läuft.
Die Dinge, die sowieso als Aufgabe mitlaufen, werden oft ver gessen, weil man in diesem Bereich eben nicht den ganz kon kreten Handlungsauftrag hat. Deswegen meine Bitte, was die Lehrerausbildung angeht – ich weiß, darüber wird zurzeit dis kutiert –: In diesen Bereich muss eine Verbindlichkeit kom men, die der Notwendigkeit, die Medienpädagogik hier zu stärken, wirklich gerecht wird. Denn ich glaube, gesellschaft lich wird es zu einer Spaltung kommen, wenn wir das nicht entsprechend aufnehmen und dafür Sorge tragen, dass die Kin der auf diese virtuellen Welten, die unsere Zukunft und die Lebensrealität der Kinder vollständig bestimmen werden, vor bereitet werden, damit sie wissen, was da auf sie zukommt.
Es reicht eben nicht, dass man die Schulen mit Computern, mit guter Software usw. ausstattet. Für einen Menschen, der in einer multimedialen Welt lebt, der diese Dinge wie selbst verständlich einsetzt, ist es unerlässlich, sich in diesem Be reich auch fortzubilden. Denn in Zukunft werden diese Gerä te in der multimedialen Welt grundlegend sein, und es ist wichtig, nicht von ihnen abhängig zu werden, sondern sie ins reale Leben zu integrieren. Das wird mit entscheidend bei der Frage sein, ob unsere Gesellschaft in der Zukunft noch funk tionieren kann. Da besteht wirklich noch viel Handlungsbe darf.
Ein letzter Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern. Ich muss Ih nen sagen – da möchte ich Frau Altpeter beipflichten –: Ich glaube, dass das Programm STÄRKE – in dem Zwischenbe richt rankt sich sehr viel darum, was man da macht; darüber haben wir auch im Sonderausschuss gestritten – nicht aus reicht. Ich meine, wenn wir die Erziehungskompetenz der El tern stärken wollen, müssen wir auch in diesem Bereich die Netzwerke stärker aufbauen. Wir müssen in den Kindergär ten und Betreuungseinrichtungen die Servicefunktion, den Kontakt, die aufsuchenden Hilfen für die Eltern verstärken. Ich glaube, mit dem Ansatz, den man mit dem Programm STÄRKE hat, vor allem auch mit den finanziellen Ressour cen, die da gebunden werden, wird man das nicht schaffen. Das wird nicht ausreichen. Da brauchen wir mehr.
Wir brauchen mehr aufsuchende Hilfen. Diese müssen auch direkter bei den Familien, die wirklich große Probleme haben, ankommen. Da ist noch einiges zu tun. Unsere große Bitte ist, dass wir gemeinsam stärker in den Fokus nehmen, dass die Familien wirklich gestärkt werden und in den Bereichen Hil festellung erhalten, in denen sie diese brauchen.
Ich danke Ihnen.
Herr Staatssekretär Wa cker, dass in einigen Landkreisen Unmut entstanden ist, liegt sicher daran, dass der Ausbau eigentlich überfallartig über die Landkreise gekommen ist.
Ich kann viele Argumente verstehen.
Beabsichtigt die Landesregierung bzw. das Kultusministeri um, in der Zukunft vielleicht nicht doch besser
einen konzeptionellen Ausbau der beruflichen Gymnasien, was die Profile angeht, offensiv zu vertreten, anstatt dies als geheime Kommandosache zu betreiben? Ich glaube, das hat auch für ein bisschen Unmut gesorgt. Dass Sie jetzt bestimm te Profile verstärken wollen ist vollkommen richtig und gut so. Aber die Art und Weise, wie das geschehen ist, ist viel leicht nicht ganz glücklich gewesen.
Frau Präsidentin, sehr ge ehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen keine Angst ma chen.
Von mir auch eine Vorbemerkung, weil die, glaube ich, schon notwendig ist: Wir haben fast ein Jahr lang diese Enquetekom mission gehabt. Wie Sie jetzt auch schon gehört haben, gibt es einen gewissen Grundkonsens, der sich auch in den Mel dungen der Verbände, von außen, zu den Ergebnissen der En quetekommission niederschlägt, nämlich den Grundkonsens, dass die Richtung stimmt. Ich denke, das haben wir in der En quetekommission, auch mit den uns beratenden Sachverstän digen, einvernehmlich erreicht. Wir haben eine Grundorien tierung geschaffen, von der wir sagen können: Die Richtung stimmt.
Es ist, glaube ich, für eine Weiterentwicklung im Bereich der beruflichen Bildung und der Weiterbildung wichtig, dass wir, nachdem wir in der Enquetekommission ein Jahr zusammen gearbeitet haben, zumindest schon einmal keine zwei Rich tungen in der Grundorientierung haben. Das ist – das möchte ich vorweg einmal sagen – ein ganz wichtiges Gut für die The men, über die wir uns natürlich trefflich streiten werden, Frau Krueger, wenn es darum geht, in welcher Geschwindigkeit wir vorgehen, wie tief wir in ein solches Thema einsteigen und wie wir es bewerten. Das möchte ich einfach voranstel len.
Die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, war mächtig. Denn wir hatten im Prinzip – Herr Bayer hat das auch angeführt – natürlich immer die Schnittstellen zum allgemeinbildenden Schulsystem, die Schnittstellen zur Weiterbildung, die Schnitt stellen zur Bundesagentur für Arbeit und natürlich auch die Schnittstellen zur Hochschule. Dabei standen wir immer vor der Frage: Wie weit gehen wir eigentlich in diese Bereiche? Wir haben sehr ausgiebig darüber diskutiert, inwiefern wir die Übergänge besonders thematisieren. Wir hätten uns ge wünscht, dass ein eigenes Kapitel „Übergänge“ geschaffen worden wäre, in dem wir diese Problematik wirklich genau hätten beleuchten können. Denn wir standen immer vor der Frage: Wie grenzen wir die Berufsschule vom dualen System, von beruflicher Weiterbildung, allgemeiner Weiterbildung ab? Das war ein Problem. Ich glaube, es wäre kein so großes Pro blem gewesen, wenn wir uns diese Übergänge ganz präzise als großes Kapitel gewählt hätten. Das hätten wir gern gehabt.
Denn, Frau Krueger – dabei unterscheiden wir uns in der Ana lyse –, wir sind der Ansicht, dass die Übergänge weitgehend nicht funktionieren. Das belegen die Zahlen eindeutig. Im Jahr 2009 hatten wir 76 000 neue Ausbildungsverhältnisse. Im Jahr 1984 wurden 108 000 Ausbildungsverhältnisse neu abge schlossen. Das muss man sich einmal überlegen. Da ist eini ges passiert.
Im Jahr 2009 befanden sich in Baden-Württemberg 60 000 Jugendliche im sogenannten Übergangssystem – ich will das Reizwort „Warteschleife“ nicht nennen –, in Maßnahmen, in Ausbildungsgängen, die nicht zur beruflichen Qualifizierung führen.
Im Jahr 2009 gab es in Baden-Württemberg über 26 000 Alt bewerber. Das sind Jugendliche, die sich schon einmal um Ausbildungsplätze beworben hatten, dann aber in dieses Über gangssystem hineinmussten. Diese wollen auch nach einem Jahr – oder nach welcher Zeit auch immer – weiterhin in die duale Ausbildung.
Frau Krueger, Sie haben erwähnt, dass 55 % der Jugendlichen eine duale Ausbildung machen wollen. In der Schweiz begin nen fast 70 % der jungen Leute eine duale Ausbildung, eine moderne, reformierte duale Ausbildung, die berufsbegleitend auch die Fachhochschulreife beinhaltet. 12 % der jungen Leu te in der Schweiz, die die duale Ausbildung beginnen, machen berufsbegleitend die Berufsmatura, die Fachhochschulreife, und die Hälfte davon beginnt direkt danach auch ein Studium.
Diesen Anspruch sollten auch wir in Baden-Württemberg ha ben. Wir haben um dieses Thema gerungen. Wir haben – das muss ich sagen – auch positive Signale bekommen, wie heu te vom Arbeitgeberverband, der es besonders hervorgehoben
und gewürdigt hat, dass wir den berufsbegleitenden Erwerb der Fachhochschulreife hier hineingeschrieben haben.
Uns geht das nicht weit genug. Wir hätten wirklich gern, dass die duale Ausbildung dadurch gleichwertig mit einer höheren Ausbildung wird, dass wir den jungen Leuten den ausbil dungsbegleitenden Erwerb der Fachhochschulreife über einen zweiten Berufsschultag ermöglichen. Wir waren sehr eng zu sammen. Aber wir hätten uns dabei mehr Verbindlichkeit ge wünscht.
Ich glaube, die Fachkräftelücke, die wir in den nächsten Jah ren bekommen, werden wir nur dann schließen, wenn wir die Ressourcen, die wir in diesem Bereich einsetzen, optimal nut zen. Im Übergangssystem Baden-Württembergs geben wir – wir haben es einmal überschlägig berechnet – jährlich 280 Millionen € aus. Gemessen am gesamten Landesetat – wir be raten ja über den Nachtragshaushalt – sind 280 Millionen € ein Wort.
Wir diskutieren über entsprechende Modelle, die Sie einge bracht haben, über die Frage, wie man hier Einsparungen vor nehmen kann. Ich sage Ihnen eines: Wenn wir an den Über gängen, die nicht funktionieren, qualifizierte Ausbildungsbau steine schaffen, die auch anrechenbar sind und auf die Aus bildung angerechnet werden müssen, auch hier als politische Forderung – Frau Berroth schüttelt schon wieder den Kopf –,
dann würden wir den Landeshaushalt nicht nur um 280 Mil lionen € jährlich entlasten, sondern wir würden den jungen Leuten auch eine echte Perspektive geben.
Deswegen müssen wir – das sehen wir positiv – die vollzeit schulischen Ausbildungsgänge unbedingt auch durchgängig zu Ganztagsschulangeboten mit individueller Förderung aus bauen. Aber wir müssen auch darauf achten, dass hier wirk lich berufliche Qualifizierungen, die anerkannt werden, ge schaffen werden.
Frau Berroth, ich muss Ihnen sagen: Den Akzent, den die FDP/DVP in der letzten Woche gesetzt hat – – Die „Bild“Zeitung hat getitelt:
Haare schneiden als Schulfach
Ist das das Angebot der FDP/DVP zur Lösung des Fachkräf temangels?
Bis zum Jahr 2030 brauchen wir 500 000 qualifizierte Fach kräfte, und Sie kommen mit einem solchen Vorschlag. Die dpa hat getitelt:
FDP plant „Waschen, Schneiden, Legen“ als Schulfach
Das ist nun wirklich nicht der Punkt, den Baden-Württemberg als Hightechland erreichen muss.
Wir brauchen eine Systematisierung der Übergänge mit An erkennung und ein Recht auf Berufsausbildung. Herr Bayer hat dies bereits gefordert. Wir haben die Schulpflicht bis 18. Deren Einführung war richtig und gut. Wir müssen aber den jungen Menschen in der heutigen Zeit, in der der Übergang in eine berufliche Ausbildung nicht mehr funktioniert, auch ein echtes Angebot bieten und sagen: Jeder hat ein Recht auf ei ne berufliche Ausbildung. Das muss eigentlich dahinterste hen. Das müssen wir realisieren und umsetzen. Dazu bedarf es Maßnahmen, und dazu muss die gute Berufsschulausbil dung, die wir an unseren beruflichen Schulen haben, auch wirklich anerkannt und angerechnet werden. Das ist einer der wichtigsten Punkte.
Wir brauchen aber auch die Übergänge von den allgemeinbil denden Schulen in die Berufsausbildung. Der Handwerkskam mertag hat gesagt: „Es fehlt die Ausbildungsreife.“ Das sind Aussagen, die wahr sind – vielleicht nicht ganz so wahr, wie es der Handwerkskammertag immer sagt. Das Handwerk und die Ausbildungsbetriebe haben natürlich auch eine Verantwor tung, auszubilden. Als ich in eine Berufsausbildung gegangen bin, hat der Ausbilder zu mir gesagt, es sei auch mit seine Auf gabe, mich auszubilden und zu formen. Das ist heute in vie len Betrieben nicht mehr so, muss man leider feststellen. Aber wir können das nicht einfach ignorieren. Wir müssen die Be rufsorientierung und die Berufsvorbereitung in den allgemein bildenden Schulen stärken.
Auch die Jugendberufshilfe muss schon früher ansetzen. Da von sind wir fest überzeugt. Sie muss schon in den allgemein bildenden Schulen ansetzen. Die Kompetenzprofilanalyse muss generell auch in Haupt-, Werkreal- und Realschulen vor genommen werden – ab dem siebten Schuljahr –
und dann mit entsprechenden Stütz- und Fördermaßnahmen zu einer beruflichen Ausbildung führen.
Frau Berroth, genau das ist das Ziel. Das Ziel ist, keine Übergangssysteme zu haben.
Vielmehr muss man von allgemeinbildenden Schulen – so, wie es in den Sechzigerjahren üblich war – wieder direkt in eine berufliche Qualifizierung gehen. Das muss das politische Ziel sein. Wir werden auch dafür kämpfen, dass das möglich wird.
Um die Abbrecherquote zu reduzieren, brauchen wir regiona le Netzwerke. Es bedarf einer Vernetzung dessen, was heute unkoordiniert ist und eben nicht funktioniert.
Wichtig ist auch noch, dass wir die beruflichen Schulen dazu befähigen. Strukturelle Unterrichtsdefizite müssen abgebaut werden. Da waren wir uns einig. Aber über die Frage, wie das geschehen soll, waren wir uns nicht ganz einig. Ich muss Ih nen sagen: Das Vorgriffsstundenmodell ist für die beruflichen Schulen, vor allem im Hinblick auf die Gewinnung von Lehr kräften in Mangelfächern, eine Katastrophe.
Wenn Sie den jungen Lehrern, die in eine Berufsschule gehen und die schwierigen Verhältnisse auf sich nehmen, jetzt sa gen: „Du musst noch eine Stunde mehr unterrichten“, dann weiß ich nicht, ob das ein Anreizprogramm für Quereinstei ger in den beruflichen Schulen ist. Ich glaube, das wird nicht funktionieren.
Wir brauchen natürlich, um die Durchlässigkeit zu schaffen, einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einem beruflichen Gymnasium. Das ist unser politisches Ziel. Da wollen wir hin kommen. Sie gehen da einen Schritt mit. Ich denke, dass die Grundrichtung stimmt. Wir würden es gern schneller machen.
Auch brauchen wir die Schulsozialarbeit, genauso wie eine individuelle Förderung und Unterstützungssysteme an den be ruflichen Schulen.
Jetzt komme ich fast nicht mehr zur Weiterbildung.
Einen Punkt möchte ich noch zur Weiterbildung sagen. Herr Bayer hat schon viel zur allgemeinen Weiterbildung ausge führt, was ich voll unterschreiben kann. Ein Punkt ist uns aber noch ganz wichtig gewesen, nämlich dass die präventive Tä tigkeit der Agentur für Arbeit in Zukunft gestärkt wird. Ich bin dankbar dafür, dass wir in diesem Punkt gemeinsam die Handlungsempfehlung getroffen haben, dass sich die Agen tur für Arbeit verändern muss, dass Prävention als zentrales Element beinhaltet sein muss und dass aus der Arbeitslosen versicherung eine Beschäftigungsversicherung wird, wodurch wirklich Erwerbslosigkeit und Dequalifizierung verhindert werden.
Wir möchten dafür wer ben, dass wir hier in Baden-Württemberg in der nächsten Le gislaturperiode gemeinsam vorangehen.
Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wurde schon gesagt: Die im vorgeleg ten Gesetzentwurf begehrte Änderung von § 90 des Schulge setzes – Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen – ist basie rend auf dem im Sonderausschuss „Amoklauf“ gefundenen Konsens diskutiert worden. Der Expertenkreis Amok hat zu diesem Punkt auch fünf Vorschläge eingereicht, mit denen wir uns im Schulausschuss bereits beschäftigt haben.
Der vorliegende Gesetzentwurf deckt einen großen Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen ab. Das ist gut und richtig so, und ich kann von unserer Seite bereits ankündigen, dass wir den Vorschlägen insoweit zustimmen werden. Mir fehlen je doch in diesem Bereich – das muss ich auch sagen – noch ei ne oder zwei Konkretisierungen.
Der Expertenkreis hat in seiner Handlungsempfehlung Num mer 11 vorgeschlagen, dass vor einem Schulausschluss abge stufte Maßnahmen ergriffen werden sollten. Bereits heute sind an den Schulen natürlich abgestufte Maßnahmen möglich; verantwortungsvolle Schulen und Lehrer verfahren heute auch schon so. An unserer Schule beispielsweise haben wir einen Stufenplan eingeführt, mit dessen Hilfe dann, wenn Ordnungs widrigkeiten vorkommen, auch für die Schüler ganz klar und transparent dokumentiert wird, was geschehen ist und welche Maßnahmen mit den Schülern jeweils vereinbart wurden. Zu dem werden Zielvereinbarungen getroffen, wonach innerhalb eines gewissen Zeitraums auch Verhaltensänderungen eintre ten müssen. Auch Stützmaßnahmen müssen darin enthalten sein.
Wir haben dies nicht etwa in Reaktion auf den Amoklauf in Winnenden und Wendlingen eingeführt, sondern weil wir an unserer Schule gemerkt haben, dass wir irgendwann an einen Punkt kommen, an dem sich zeigt, dass ein Schulausschluss – zumindest zeitweise – erforderlich ist, wir aber gar nicht richtig hatten dokumentieren können, dass eine solche Maß nahme wirklich angemessen ist. Da gab es rechtliche Unsi cherheiten.
Ich glaube, genauso wie wir sagen, dass soziale Dienste ver einbart werden können statt Ordnungsmaßnahmen zu verhän gen, ist es auch wichtig, ins Schulgesetz aufzunehmen, dass es ein gestuftes Vorgehen geben soll und eben auch Zielver einbarungen mit den jungen Leuten getroffen werden sollen.
Ich glaube, das ist in diesem Prozess wichtig. Deswegen soll ten wir diese Ergänzung ins Schulgesetz aufnehmen.
Unser grundlegendes Ziel muss es sein, den Schulausschluss – auch den zeitweiligen – zu verhindern. Dazu muss man sehr früh mit präventiven Maßnahmen anfangen. Das sollte mei nes Erachtens auch in § 90 zum Ausdruck kommen.
Der zweite Punkt – ich bin mir durchaus im Klaren, dass es schwierig ist, dies im Schulgesetz zu regeln –: Wir müssen das erreichen, was der Expertenkreis Amok als zwölfte Emp fehlung ausgesprochen hat: Kein Ausschluss ohne Anschluss: Perspektiven eröffnen. Das ist natürlich schwierig. Aber wir sollten uns zur Aufgabe machen, auch jungen Menschen, bei
denen ein Schulausschluss nötig ist, weil sie gegen geltendes Recht verstoßen haben oder Sonstiges, eine Perspektive eröff nen. Das ist meines Erachtens ein extrem wichtiger Punkt.
Wichtig ist auch – das haben Sie im Entwurf vorgesehen – die Verpflichtung zu einem Gespräch mit dem Jugendamt. Das war schon bisher angedacht. Wir hatten im Jahr 2007 in einer Diskussion über Schulgesetzänderungen einen Antrag einge bracht, in dem wir gesagt haben: Wir wollen den Kontakt zwi schen Schule und Jugendamt stärken. Wir wollten ihn auch organisatorisch einrichten. Man kann sich darüber streiten, ob das notwendig ist. Aber es muss doch eine stärkere Vernet zung mit dem Jugendamt und der Jugendhilfe stattfinden.
Es kann nicht sein, dass wir einfach sagen: „Wir entledigen uns des Problems mit dem Schulausschluss.“ Vielmehr muss nachfolgend etwas kommen. Ich glaube, wir sollten beim Schulausschluss zumindest eine Andeutung in diese Richtung machen, dass auch das berücksichtigt werden sollte und die Schule nicht nur sagt: „Gut, dass wir den jungen Burschen jetzt loshaben.“ Wir haben schließlich auch eine Verantwor tung für die jungen Leute. Egal, was sie getan haben: Sie müs sen wieder aufs richtige Gleis kommen.
Das sind unsere Anregungen, die in der weiteren Beratung be rücksichtigt werden sollten.
Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Krueger, sehr passend ist Ihr Spruch: „Es darf nicht sein: sprachlos, bildungslos, arbeitslos.“ Das stimmt. Nur: Welche Analyse werden wir ansetzen, und wel che Maßnahmen werden wir ergreifen? Stimmt es, was Sie gesagt haben, dass Baden-Württemberg im Prinzip eigentlich gut aufgestellt ist?
Ich glaube, wir werden in der Debatte nicht weiterkommen, wenn wir nur über den Bundesländervergleich diskutieren. Denn, Frau Krueger und Frau Schick, das Entscheidende bei PISA ist nicht, wie wir im Ranking der Bundesländer liegen, sondern das Entscheidende ist, dass auch in Baden-Württem berg ein Fünftel aller 15-Jährigen nur auf dem Niveau der Grundschule rechnen und schreiben können und einfache Tex te nicht verstehen können. Das ist es. Wenn es in anderen Bun desländern 25 % sind, ist das natürlich dramatisch.
Aber es gibt auch hier ein Problem. Uns hilft diese Debatte überhaupt nicht weiter, wenn wir das ignorieren.
Bundesweit hat ein Akademikerkind eine 4,5-mal so große Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu bekommen und aufs Gymnasium zu gehen, während der Faktor in BadenWürttemberg bei 6,5 liegt. Da müssen wir in Baden-Württem berg doch sagen, dass da etwas nicht stimmt.
Wir brauchen hier also doch offensichtlich Reformen.
Ein entscheidender Punkt in der ganzen Debatte ist dann nicht bloß das allgemeine Bildungssystem, sondern auch die Fra ge, wie es mit den jungen Leuten nach der Schulzeit weiter geht. Wir können uns trefflich über das dreigliedrige Schul system streiten. Aber die Frage ist auch: Was passiert danach?
Von den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss münden nur ca. 40 % in eine duale Ausbildung. Alle anderen, die eine be rufliche Ausbildung machen wollen, gehen in ein Übergangs system oder in ein Schulberufssystem. Bei den Jugendlichen mit Hauptschulabschluss sind es sogar 50 %, die in ein Über gangssystem gehen. Wir wissen genau, was dann passiert. Le diglich ein Drittel der jungen Leute, die an berufsvorbereiten den Maßnahmen an den beruflichen Schulen teilnehmen, kom men hinterher auch wirklich in die duale Ausbildung. Das Land sagt: „Wir haben unsere Pflicht erfüllt. Agentur für Ar beit, übernimm!“ So läuft das ab. Diese jungen Leute gehen nachher in berufsvorbereitende Maßnahmen der Agentur für Arbeit.
Davon wiederum schafft es nur ein Drittel wirklich, in die du ale Ausbildung zu kommen.
Da frage ich Sie: Was machen wir in diesen Punkten? Wir ha ben uns in diesem System eingerichtet. Das geht natürlich so nicht weiter. Wir brauchen berufsvorbereitende Maßnahmen nicht erst dann, wenn die jungen Leute auf der Straße stehen, sondern wir müssen früher in der Schule anfangen und dort das System verändern.
Das ist der falsche Ansatz.
Ich möchte jetzt meinen Beitrag in der ersten Runde beenden und mir erst einmal anhören, was Sie dazu zu sagen haben. Ich werde in der zweiten Runde eine Reihe konkreter Punkte hierzu auflisten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Krueger, ich glaube, Sie haben beim Stichwort „Rechtsanspruch“ wohl etwas falsch verstanden.
Wenn Kinder eine Grundschulempfehlung für ein Gymnasi um bekommen, dann haben sie einen Rechtsanspruch auf ei nen Platz an einem Gymnasium. Natürlich haben sie keinen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Gymnasium mit einem bestimmten Profil. Den haben sie nicht. Aber, Frau Krueger, sie haben einen Rechtsanspruch. Darum geht es.
Es kann bei einem beruflichen Gymnasium auch nicht darum gehen, dass man hier jetzt einen Rechtsanspruch auf ein be stimmtes Profil einführt. Aber Sie müssen sich in Ihrer Bil dungspolitik doch auch einmal wirklich konsequent verhal ten.
Wenn Sie sagen, Durchlässigkeit sei das oberste Prinzip in ei nem gegliederten Schulwesen, dann müssen Sie auch Rechts ansprüche schaffen. Sonst schaffen Sie keine Bildungsgerech tigkeit.
Wenn ein junger Mensch die Voraussetzung für eine Aufnah me an einem beruflichen Gymnasium erfüllt – mittlere Reife mit einem Notendurchschnitt von mindestens 3,0 –, dann muss die Politik auch dafür Sorge tragen, dass hier ein Rechtsan spruch auf einen Platz an einem beruflichen Gymnasium ein geführt wird. Solange Sie dies nicht machen, so lange sind Sie in Ihrem eigenen System nicht konsequent.
Ich möchte jetzt noch einen weiteren Punkt ansprechen: Es geht nicht nur um die Hochschulzugangsberechtigung. Ich ha be schon in der ersten Runde angeführt, dass es darum geht, eine Debatte über einen Punkt zu führen, der in der Öffent lichkeit eben nicht so präsent ist: Der Anteil der Einfachstar beitsplätze lag im Jahr 1978 bei 29,5 %, 2001 bei 14,8 %. Die Prognose für 2015 lautet 12,5 %. Was heißt das, wenn wir jun ge Leute aus der Hauptschule und auch aus der Realschule entlassen und ihre schulische Bildung nicht in eine berufliche Ausbildung münden lassen? Ich habe vorhin beschrieben, dass ein Großteil der jungen Leute dann eben nicht in die duale Ausbildung gelangt. Da haben wir doch offensichtlich ein gro ßes gesellschaftliches Problem.
Wenn wir auch noch berücksichtigen, dass über 25 % der Menschen in Baden-Württemberg einen Migrationshinter grund haben, und uns die Bildungsbiografien dieser jungen Leute anschauen, dann müssen doch bei uns alle Alarmglo cken läuten. Aber sie läuten bei Ihnen nicht. Denn Sie, Frau
Schick, sagen: Wir haben ein tolles System der Berufsvorbe reitung.
Ich muss Ihnen sagen: Das System der Berufsvorbereitung in den BVJ und den anschließenden Maßnahmen der BA ist, ge linde gesagt, eine Katastrophe,
die weder im Bund von den Verantwortlichen, von Frau Scha van, noch hier im Land angegangen wird. Das müssen Sie sich vorhalten lassen.
Wir haben von 1992 bis 2007 einen Anstieg um 111 % im Be reich der berufsvorbereitenden Maßnahmen, und zwar nicht deshalb, weil die jungen Leute dümmer geworden wären; das ist nicht der Fall. Mittlerweile haben über 30 % der jungen Leute in der Berufsvorbereitung einen Hauptschulabschluss, der im Schnitt besser als 3,0 ist. Aber sie haben keine Chan ce, heute in eine duale Ausbildung zu kommen. Darauf müs sen wir den Finger legen und dürfen nicht junge Leute in ir gendwelche Warteschleifen schicken, ohne Alternativen da für zu haben.
Ich sage Ihnen: Maßnahmen und Projekte macht der Bund und macht auch das Land. Sie haben z. B. die individuelle Lern begleitung hier eingeführt, ein Vierjahresprojekt. Wie tü ckisch! Es ist ein Projekt auf ehrenamtlicher Basis. Jetzt läuft es aus. Bei uns im Landkreis haben wir es auf der Tagesord nung gehabt. Jetzt wird es um ein halbes Jahr verlängert. Da frage ich Sie: Wo ist der konzeptionelle Ansatz? Der ist nicht da. Da werden Bildungsketten neu aufgelegt, man schafft Be rufseinstiegsbegleiter, anstatt junge Leute wirklich in berufli che Qualifizierungen, in anerkannte Ausbildungsberufe zu führen.
Frau Schick, wir brauchen eine Ablösung des Übergangssys tems und eine echte berufliche Qualifizierung – auch wenn das zweijährige Ausbildungsgänge sind, die auf eine dreijäh rige Ausbildung aufstockbar sind. Aber wir brauchen eine ech te Qualifikation.
Sie werden die Forderungen, die Herr Fehrenbach vor eini gen Tagen hier in Baden-Württemberg kritisch erhoben hat, mit den Konzepten, die Sie hier vorgelegt haben, nicht erfül len.
Frau Ministerin, eine Kurzintervention: Ist Ihnen bekannt, dass sich die Schweiz das Ziel gesetzt hat, den Anteil der jungen Menschen mit ei nem Abschluss der Sekundarstufe II bis zum Jahr 2015 auf 95 % zu erhöhen? Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, von dem wir sehr weit entfernt sind, weil wir uns den Luxus leisten, unsere Jugendlichen zum Teil berufsvorbereitende Maßnah men des Landes und der BA durchlaufen zu lassen und sie dann als Ungelernte in der Arbeitslosenstatistik verschwinden zu lassen.
Meine Frage ist: Welche konzeptionellen Ansätze hat die Lan desregierung in diesem Bereich dafür, dass nach einem allge meinbildenden Schulabschluss auch eine echte berufliche Qualifizierung mit Einmündung in den Arbeitsprozess gelingt? Welche Ziele hat die Landesregierung hier? Welche Maßnah men will sie in diesem Bereich konkret ergreifen?
Vielen Dank, Herr Kol lege. Ich bin bei mir vor Ort selbst im Aufsichtsrat der Stadt werke.
Die Stadtwerke sehen mit sehr großer Besorgnis, dass durch die Laufzeitverlängerung der Ausbau der Eigenstromerzeugung und der erneuerbaren Energien behindert wird.
Das haben Sie in den letzten Wochen sicher auch zur Kennt nis bekommen. Daher ist Ihre Aussage überhaupt nicht trag bar.
Vielen Dank. – Herr Rül ke, haben Sie das McKinsey-Gutachten gelesen? Darin wird gerade zur Clusterpolitik in Baden-Württemberg ausgesagt, dass die Art und Weise, wie die Clusterpolitik in Baden-Würt temberg gemacht wird – eben regional –, nicht richtig ist und dass man sie neu aufstellen müsste. Es wird gesagt, da gebe es Handlungsbedarf.
Sehr geehrter Herr Kol lege, ich habe hier schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es z. B. der Regionalverband Hochrhein-Bodensee abgelehnt hat, überhaupt ein neues Suchlaufverfahren durchzuführen. Es wird nämlich gesagt: „Wir haben eine Planung gemacht.“ Das Wirtschaftsministerium sagt: „Das ist nicht ausreichend.“
Wie wollen Sie aus diesem Konflikt, der hier offensichtlich besteht – Sie wollen eigentlich nicht mehr machen, während das Wirtschaftsministerium mehr machen will –, mit Ihrer Schwarz-Weiß-Planung herauskommen?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als wir diesen Antrag „Die Krise ist jung – Sicherung von Beschäftigung und Ausbildung für unter 25-Jährige“ im letzten Jahr eingebracht haben, war die Wirt schafts- und Finanzkrise auf dem Höhepunkt.
Heute müssen wir erfahren, dass sie noch nicht vorbei ist. Mittlerweile haben wir auch eine Krise der Staatsfinanzen in Europa.
Der Antrag ist natürlich nach wie vor aktuell: Obwohl die Ar beitslosigkeit wegen der Kurzarbeiterregelungen nicht so, wie befürchtet, durchgeschlagen hat, müssen wir doch feststellen, dass junge Menschen Schwierigkeiten haben, nach der Schul ausbildung in eine berufliche Ausbildung einzumünden, und dass Jugendliche mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung es in diesem verunsicherten Arbeitsmarkt heute schwer ha ben, bei den Betrieben unterzukommen. Diese Situation hat sich nicht verändert, und deshalb ist der vorliegende Antrag natürlich nach wie vor aktuell.
Im letzten Jahr stieg die Arbeitslosenquote bei den unter 25-Jährigen auf 42 %. Das ist ein gewaltiger Anstieg. Die IHK hat bereits im letzten Jahr gesagt – das hat sich inzwischen bestätigt –, dass ein Viertel der angefragten Unternehmen ge antwortet hätten, sie wollten weniger ausbilden. Das spüren wir auf dem Ausbildungsmarkt inzwischen ganz deutlich.
Ich nenne Ihnen jetzt einfach einmal die Zahlen vom März dieses Jahres, die die Situation in Baden-Württemberg wider spiegeln: Der Rückgang bei den Ausbildungsplätzen betrug 3,9 %; bereits im Jahr zuvor hatte es einen Rückgang um 6 % gegeben. Die Zahl der Bewerber hingegen stieg – trotz des demografischen Wandels – noch einmal um 2,4 %. Die Situ ation hat sich also weiter verschärft. Bemerkenswert aber ist – das sollte man ebenfalls nicht außer Acht lassen –, dass im Bund eine umgekehrte Entwicklung zu beobachten ist. Bun desweit gibt es bei den Ausbildungsstellen einen Zuwachs um 1 %; die Zahl der Bewerber ging um 1,3 % zurück.
Da gab es also eine Entspannung. Wir wissen auch genau, wo ran das liegt: Baden-Württemberg ist natürlich durch die Fi nanz- und Wirtschaftskrise sehr stark betroffen. Die Export abhängigkeit ist hoch, und in den Betrieben herrscht eine gro ße Verunsicherung. Dies drückt sich auch in diesen Zahlen aus.
Wir haben diesen Antrag auch deshalb gestellt, weil es uns wichtig war, dass die Politik sich nicht nur auf den Zuschau errängen breitmacht und die Lage kommentiert, sondern dass das Land Baden-Württemberg die Maßnahmen ergreift, die aufgrund der gesetzlichen Regelungen möglich sind.
In zwei Handlungsfeldern können wir tätig werden. Das eine sind die qualifizierten Ausbildungsgänge, die wir an den be ruflichen Schulen zur Verfügung stellen. Dabei sind in erster Linie natürlich die Berufsfachschulen zu nennen, aber auch die Berufskollegs, auf die ich gleich noch näher zu sprechen kommen will. Bei den beruflichen Schulen gibt es natürlich aber auch Meister- und Technikerschulen; es gibt Berufsober schulen und auch das sehr wichtige einjährige Berufskolleg zur Erlangung der Fachhochschulreife. Diese Angebote sind sehr wichtig. Unser Antrag zielt auch darauf ab, dass wir als Land in diesem Bereich stärker Verantwortung übernehmen und Ausbildungskapazitäten ausbauen.
Damit allein ist es aber nicht getan. Wir wissen das seit vie len Jahren: Wir haben das Problem, dass gerade die Ausbil dungsgänge, die nicht sofort für eine Berufsausbildung anre chenbar sind, häufig in eine Warteschleife führen. Mit der im Jahr 2005 erfolgten Novellierung des Berufsbildungsgesetzes ist jedoch nun eine Möglichkeit eröffnet worden, hier eine An rechnungsverordnung zu erlassen und diese Ausbildungsgän ge voll durchgängig in die duale berufliche Ausbildung zu in tegrieren.
Das hat das Land – leider, wie ich sagen muss – nicht ge macht. Wie ich immer wieder erfahren musste, gibt es hier ei nen Streit zwischen dem Kultusministerium und dem Wirt schaftsministerium. Das Wirtschaftsministerium sagt: „Das machen wir nicht.“
Das Kultusministerium dagegen sagt: „Wir müssen die Poten ziale heben; es ist Unsinn, junge Leute doppelt und dreifach auszubilden. Vielmehr müssen wir die Potenziale wirklich he ben und zu wirtschaftlich günstigen Bedingungen sowohl für den Staat als auch für die Betriebe kommen.“
Da steht die FDP/DVP nach wie vor auf der Bremse.
Im Bund ist das Berufsbildungsgesetz und hier vor allem der § 43 Abs. 2 aktuell wieder in die Diskussion gekommen. Das betrifft die Möglichkeit, Anrechnungen vorzunehmen. Bis zum Jahr 2011 soll das auslaufen. Nun gibt es verschiedene Bundesländer, die sagen: Wir brauchen gerade auch in Kri sen- und Umbruchzeiten die Möglichkeit, diese Potenziale über die beruflichen Schulen zu heben und entsprechend An rechnungen vorzunehmen. Das ist eine Gewinnsituation für alle.
Unser Antrag läuft ebenfalls darauf hinaus. Wir fordern: Ge rade in diesem Bereich muss Baden-Württemberg, muss das baden-württembergische Wirtschaftsministerium – ich schaue auf die Regierungsbank; da sitzt aber niemand vom Wirt schaftsministerium – seine Blockadehaltung endlich aufge ben und sich ebenfalls dafür aussprechen, dass es eine An rechnungsverordnung sowie auch eine Neuorientierung der Berufskollegs insofern gibt, als dass diese wirklich voll inte grativ in berufliche Ausbildungen einmünden und anerkannt werden. Das ist notwendig.
Notwendig ist aber auch, dass wir unsere Verantwortung in der Krise ernst nehmen. Herr Minister Pfister hebt seit Tagen und Wochen wieder darauf ab, dass uns ein Fachkräfteman gel bevorsteht. Die Prognos-Studie liegt vor. Danach werden bis zum Jahr 2030 ca. 500 000 qualifizierte Erwerbspersonen, hauptsächlich Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und Hochschulausbildung, fehlen. Schon bis zum Jahr 2015 werden 280 000 qualifizierte Erwerbspersonen fehlen – in Ba den-Württemberg, wohlgemerkt. Es wird ein rascher Wandel kommen.
Wir brauchen diese Wende heute. Wir müssen heute anfan gen, diesen Umstieg zu machen. Wir dürfen die jungen Leu te nicht in Warteschleifen setzen, sondern müssen ihnen wirk lich qualifizierte Angebote machen. Das ist unser Wunsch und die Intention unseres Antrags.
Zum Weiteren dann in der nächsten Runde.
Herr Wacker, Frau Ber roth, hinter den 3,5 %, dem Durchschnittswert der Jugendar beitslosenquote für Baden-Württemberg, stehen natürlich auch konkrete Zahlen, die die Dimensionen noch anders beleuch ten. Im Landkreis Böblingen z. B. ging die Zahl der Ausbil dungsplätze um 23 % zurück.
Daher kann man nicht sagen, es sei alles in Butter. Fast jeder vierte Ausbildungsplatz im Landkreis Böblingen ist wegge fallen.
Das muss doch auch Ihr Wirtschaftsministerium einmal zur Kenntnis nehmen. Als wir im letzten Jahr, Frau Berroth, den Antrag gestellt haben, dass man für die Insolvenzproblema tik Übergänge schaffen muss – –
D’accord, da haben wir keinen Widerspruch zu dem, was das Wirtschaftsministerium in diesem Bereich gemacht hat. Das erkennen wir an.
Aber in den anderen Bereichen haben Sie eben nicht gehan delt. Wenn Sie sagen, es sei alles in Butter, dann ist festzustel len, dass wir im Jahr 2009 82 132 neue Ausbildungsverträge hatten. Frau Berroth, wissen Sie, wie viele es vor 20 Jahren
waren? Da waren es 105 000 neue Ausbildungsverträge. Fast jeder vierte Ausbildungsplatz in Baden-Württemberg ist ver loren gegangen. Da kann man doch nicht sagen, es sei alles super. Ich will ja nichts schlechtreden,
aber ich möchte klarmachen, dass wir die vor uns stehende große Aufgabe, den demografischen Wandel zu bewältigen, nur hinbekommen werden, wenn wir Reformen machen.
Auf der Internetseite des Wirtschaftsministeriums heißt es – diesen Hinweis kann ich Ihnen, Frau Berroth, nicht ersparen –:
Gleichzeitig ist es wichtig, das aktuelle Ausbildungssys tem für die Zukunft fit zu halten. Es muss ständig moder nisiert, weiterentwickelt und an rechtliche Rahmenbedin gungen sowie wirtschaftliche, strukturelle und gesell schaftliche Veränderungen angepasst werden.
Aber was Sie machen, ist eine Blockade, wenn es darum geht, hier wirklich Veränderungen vornehmen zu wollen.
Wenn man sehen will, wie eine Reform im Bereich der beruf lichen Bildung aussehen kann, muss man nur ins Nachbarland Schweiz gehen. Dort durchlaufen fast 78 % der jungen Leute eine duale Ausbildung. Diese Situation hatten wir in Deutsch land auch einmal. Das ist eigentlich das Kriterium, das wir ha ben.
Das können wir nicht einfach so wegwischen.
Ein Punkt, Herr Wacker, ist mir noch ganz wichtig, nämlich die Frage der Freiwilligkeit. Wenn die Wirtschaft über Inge nieurmangel und Fachkräftemangel klagt – der für die nahe Zukunft vorhergesagt wird –, dann muss die Politik von der Wirtschaft auch verlangen, dass der Staat hier nicht als Puf fer dient, wenn es darum geht, junge Leute von einer Ausbil dung fernzuhalten oder auch nicht. Wir machen das hier mit Warteschleifen. Man muss von der Wirtschaft verlangen – das ist eine Frage der Verantwortung –, dass auch sie bereit ist, nicht zuletzt auch aus Kostengründen, die Ausbildungszeiten in den Berufskollegs anzuerkennen. Da möchte ich wirklich von Ihnen erleben, dass die Hasenfüßigkeit, die insbesonde re vom Wirtschaftsministerium betrieben wird, endlich ein mal aufhört.