Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 107. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg. Es ist jetzt 12:30 Uhr. Der Versuch, frü her anzufangen, ist kläglich gescheitert. Nachdem eine Schneewarnung vorliegt, hatten wir gedacht: Vielleicht kön nen wir den Beginn ein bisschen vorziehen.
Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜNE – Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg – Druck sache 14/6866
Das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Rede zeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt.
(Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Wieso die CDU? – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Moment! – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)
Es ist die Zweite Beratung des Gesetzentwurfs. In der Zwei ten Beratung richtet sich die Reihenfolge der Redner nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen.
Vielen Dank. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Welche Folgerungen wir aus dem Streit über Stuttgart 21 und der Schlichtung zu Stuttgart 21 ziehen, wird große Aufmerksamkeit auf sich ziehen, nicht nur in Baden-Württemberg selbst, sondern genauso im übri gen Deutschland, in Österreich, in der Schweiz und in ande ren Ländern.
Ich kann hier nahtlos an das anschließen, was der Herr Bun despräsident vorhin gesagt hat. Es geht darum, eine zeitgemä ße Bürgerbeteiligung in einem Staat zu organisieren, der für wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt steht. Der Konflikt um Stuttgart 21, liebe Kolleginnen und Kolle gen, ist – wenn man genau darüber nachdenkt – keine Frage danach, ob wir mehr direkte Demokratie brauchen oder ob wir an der bewährten repräsentativen Demokratie festhalten. Wenn wir die Berichte aus anderen Ländern mit mehr direkt demokratischen Elementen lesen, dann stellen wir deutlich fest, dass über das Thema Politikverdrossenheit dort nicht an ders diskutiert wird als bei uns.
Wir müssen uns um die repräsentative Demokratie selbst küm mern. Das ist unsere erste Aufgabe. Dabei ist unsere erste Auf gabe, vor der eigenen Haustür zu kehren und zu überlegen, ob wir selbst, alle Parteien miteinander, gewisse Fehler gemacht haben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte einmal in Bezug auf Stuttgart 21 und den Konflikt um Stuttgart 21 ge schrieben: „Politiker müssen ihr Handwerk wieder neu ler nen.“
Ob es in dieser umfassenden Art und Weise darum geht, weiß ich nicht. Aber sicher ist: Wir müssen vor der eigenen Tür keh ren, wir müssen überlegen, wo wir Fehler, die wir gemacht haben, beheben können.
Dabei geht es in erster Linie darum, dass wir Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger frühzeitig aufnehmen und ernst nehmen. Vielleicht war der Verweis auf Planfeststel lungsbeschlüsse und Planfeststellungsverfahren bei Stuttgart 21 im einen oder anderen Fall zu frech. Wenn ein Bürger ein echtes Anliegen hat, müssen wir dieses Anliegen aufgreifen. Wenn ein Bürger sagt: „Ich habe Angst, weil mein Haus di rekt über einem Tunnel steht, und ich habe Angst, dass mein Haus genauso absäuft wie das Stadtarchiv in Köln“, dann kön nen wir nicht sagen: „Hier hast du einen Planfeststellungsbe schluss; das sind die Akten, und da steht das alles drin.“ Viel mehr müssen wir diese Sorge ernst nehmen. Das Gleiche gilt für viele andere Themen.
Deswegen, glaube ich, sind wir uns in diesem Haus alle einig, dass die Schlichtung zu Stuttgart 21 ein großer Erfolg war. Das Motto von Ministerpräsident Stefan Mappus „Alles auf den Tisch, alle an den Tisch“ war das richtige Motto. Deswe gen sind wir auch zu einer deutlichen Befriedung der Situati on gekommen. Die Schlichtung war ein großer Erfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Heiner Geißler hat gesagt, es müsse Schluss sein mit „Basta!“ Worauf hat er sich dabei bezogen? Er hat sich darauf bezo gen, dass in der Vergangenheit beispielsweise mit den HartzBeschlüssen Pakete auf den Tisch gelegt wurden und dann zu den Parlamenten gesagt wurde: „Vogel, friss oder stirb!“ Und zu den Menschen wurde gesagt: „Vogel, friss oder stirb!“
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Bei uns heißt es nur: Friss! – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Nicht wieder aufregen!)
Jetzt hören Sie erst einmal zu, und dann reden wir darüber. Zuhören gehört auch zu einer vernünftigen demokratischen Kultur.
Wenn Sie eine Landtagsdebatte führen wollen und das Volk befragen wollen, bevor Sie die EnBW als börsennotiertes Un ternehmen kaufen wollen, dann sagen Sie es bitte. Aber das ist doch ein ganz anderes Thema.
Geißler hat sich mit seiner Aussage, es müsse Schluss sein mit „Basta!“, darauf bezogen, dass wir eine demokratische Kul tur brauchen, dass wir Projekte diskutieren wollen.
Ich glaube nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger von uns in Zukunft nicht auch Vorschläge für Projekte – auch für große Projekte – erwarten. Um unser Land voranzubringen, brau chen wir diese Vorschläge. Aber wir müssen als Volksvertre ter vorausgehen, und wir müssen dann die Beteiligung der Be völkerung auf Augenhöhe organisieren. Darum wird es in Zu kunft gehen.
Wer „Schluss mit Basta-Politik“ sagt, der muss auf der ande ren Seite auch sagen: „Wir brauchen ausführliche Diskussio nen.“ Aber, Herr Kollege Wölfle, wir brauchen keine endlo sen Diskussionen.
Heiner Geißler als Schlichter haben.“ Dann lese ich in der „Südwest Presse“ vom 6. Dezember 2010 – Zitat Wölfle –:
Wir sind nicht dafür da, den Schlichterspruch zu realisie ren. Wir kämpfen nicht dafür, das umzusetzen, nicht 1 : 1 und auch nicht 2 : 1.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gehört zu einem Wesensmerkmal der Demo
kratie, dass man, wenn man sich für etwas eingesetzt hat, wenn man einen Beschluss gefasst hat, dazu auch steht
und nicht das Weite sucht und nicht mehr versucht, sich schließlich zu der ganzen Situation nicht mehr zu bekennen. Sonst meint die Bevölkerung, wir führten sie an der Nase he rum.
dieses Zitat müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – empfiehlt seinen Aktivisten, auch in Zukunft etwas weiter zu gehen, als legal ist, und ganz bewusst Gesetze zu überschreiten.