Protocol of the Session on March 19, 2009

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 63. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg. Ich bitte Sie alle, Platz zu nehmen.

Krank gemeldet sind Abg. Christoph Palm, Abg. Klaus Dieter Reichardt und Abg. Hans-Ulrich Sckerl.

Aus dienstlichen Gründen haben sich Minister Dr. Wolfgang Reinhart, Staatssekretär Gundolf Fleischer und Staatssekretär Georg Wacker – 15:00 bis 16:00 Uhr – entschuldigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Aufnahmevoraussetzungen für Bewerberinnen und Bewerber an beruflichen Gymnasien verbessern – Drucksache 14/2617

b) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des

Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Übergangsquoten auf berufliche Gymnasien – Drucksache 14/4068

Dazu rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE, Drucksache 14/4206, und den Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 14/4218, mit auf.

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung zu a und b je fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Für die SPD-Fraktion darf ich Herrn Abg. Kaufmann das Wort erteilen.

(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Bin ich der Erste? – Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Entschuldigung! Ich hatte Sie gar nicht im Blick, Herr Kollege Lehmann.

(Heiterkeit)

Ich hatte nur nach links geschaut.

Ich darf für die Fraktion GRÜNE Herrn Abg. Lehmann das Wort erteilen.

Einen schönen guten Morgen, Herr Vorsitzender, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Heiterkeit – Zurufe, u. a. Abg. Norbert Zeller SPD: Wenn schon, dann „Präsident“!)

Das war Ihre Replik, danke.

(Heiterkeit)

Manchmal ist es besser, wenn man auch einmal in die Mitte und nicht nur nach links schaut.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Da haben Sie recht! Weiter so! – Abg. Peter Hofelich SPD: Das hätte ich jetzt nicht gesagt! – Unruhe)

Da gibt es manchmal auch etwas zu sehen.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Die Mitte ist hier, Herr Kollege!)

Gut. Darüber können wir uns einmal streiten.

Zur Sache: Wir hatten unseren Antrag zur Situation an den beruflichen Gymnasien im letzten Jahr eingebracht. Diese Situation ist landauf, landab von denen, die sich in den Landkreisen bewegen, in den letzten Jahren durchaus auch kritisch bewertet worden. Wir haben einen sehr starken Zulauf von jungen Menschen mit mittlerer Reife, von Berufsfachschülern und Wechslern von Gymnasien, die gern auf ein berufliches Gymnasium gehen würden. Ich sage vorab, Herr Minister: Die beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg sind ein Kleinod. Da hat sich etwas entwickelt, das sich wirklich auch – –

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der CDU)

Ich sage das vorweg, denn ich denke, die ganze Debatte, die wir hier führen, sollte man immer vor dem Hintergrund führen, dass man auch sagt, dass man da etwas Gutes hat.

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: „Etwas Gutes“! Das wird immer besser!)

Aber wir sind natürlich nicht zufrieden – das ist klar –, wenn das Gute, das wir haben, nicht entsprechend ausgereizt wird, wenn man hier nicht die erforderlichen Möglichkeiten für die jungen Menschen schafft. Auch Sie sagen ja immer: „Kein Abschluss ohne Anschluss.“ Das ist eine richtige Losung. Die

se Losung unterstreiche ich völlig. Aber dann muss man das natürlich auch mit Leben füllen. Man muss den jungen Menschen auch die Chance geben, das wirklich wahrnehmen zu können.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Herr Minister, wir waren im letzten Jahr doch sehr überrascht davon, dass Sie auf unsere Frage, wie eigentlich die reale Situation bei der Aufnahme an den beruflichen Gymnasien aussieht – wie viele Bewerber werden da abgewiesen, welcher Notenschnitt ist erforderlich, gibt es Wartelisten usw.? –, keine Antwort geben konnten. Und dies in einer Situation, in der wir auch gewusst haben, dass es im kommenden Schuljahr aufgrund des doppelten Mittlere-Reife-Jahrgangs aus G 8 und G 9 einen zusätzlichen Andrang geben wird.

Sie haben damals geschrieben:

Die Standorte, an denen ein Auswahlverfahren durchgeführt wurde, und der jeweilige für die Aufnahme an den einzelnen beruflichen Gymnasien erforderliche Notendurchschnitt werden in der amtlichen Schulstatistik nicht erfasst.

Ich muss Ihnen sagen: Das kann ja so sein. Ich denke, das war in den vergangenen Jahren wahrscheinlich so. Man hat darauf nicht geachtet. Aber spätestens seit dem letzten Jahr hätte das Kultusministerium bei dem doppelten Jahrgang sagen müssen: Wir machen eine saubere Analyse: Wie ist die Situation? Wie ist der Bedarf vor Ort?

Wir haben im September zum Schuljahrsbeginn eine Umfrage gemacht. Herr Minister, es hat sich genau das bestätigt, was in den Landkreisen die Leute, die sich mit diesem Thema beschäftigen, auch schon wahrgenommen haben. Das ist auch landesweit so. Wir hatten bei unserer Umfrage eine Rücklaufquote von 46 %. Da kann man sagen: Die Aussagen sind belastbar, sind sicher repräsentativ. Es gibt heute Umfragen, die mit einer geringeren Stichprobe gemacht werden. Wir haben festgestellt, dass 42 % der beruflichen Gymnasien einen zusätzlichen Bedarf haben, den sie über unsere Anfrage angemeldet haben, und 71 % der beruflichen Gymnasien eine Warteliste geführt haben.

Sie weisen ja immer darauf hin, dass alle, die auf einer Warteliste geführt werden, irgendwann einmal unterkommen und es ja eigentlich keinen gibt, der letztlich unversorgt bleibt. Aber man muss sich das wirklich einmal zu Gemüte führen: Im Durchschnitt sind auf diesen Wartelisten 41,5 % junge Bewerber pro Schule, die nicht zum Zuge gekommen sind. Die Spitze lag sogar bei 239 Bewerbern an einer Schule, die unversorgt blieben.

Jetzt kann man fragen: Wo bleiben die? Das wissen wir auch. Einzelne Schulen haben geschrieben: Wir haben die zwar nicht in beruflichen Gymnasien versorgen können, aber wir haben ihnen ein Angebot gemacht, auf die Berufskollegs zu gehen. Ich weiß selbst aus meiner Fachpraxis heraus: Viele gehen dann nachher als zweite Wahl auf das Berufskolleg und machen da ihren Abschluss.

Ich kann nicht verstehen, Herr Minister, warum man – wir haben ja Ressourcenknappheit an den beruflichen Schulen; auch das ist bekannt – junge Menschen eben nicht entsprechend ih

rem Wunsch in die beruflichen Gymnasien lässt, sondern in die Berufskollegs lenkt.

(Beifall bei den Grünen)

Man könnte einen Teil des Mangels dadurch beheben, dass man einfach Ressourcen von den Berufskollegs auf die beruflichen Gymnasien verlagert. Ich denke, das muss man systematisch machen, man muss das angehen. Man muss aber natürlich auch die Zahlen kennen. Deswegen meine Bitte, dass Sie dieses Thema gründlicher und substanzieller angehen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Sehr gut!)

Der Berufsschullehrerverband hat gesagt: Aufgrund des doppelten Jahrgangs und des schon bestehenden Mangels fehlen in Baden-Württemberg ca. 90 Klassen. Wir haben bei unserer Umfrage diese Zahl aufgrund der Situation der vergangenen Jahre bestätigt bekommen; der doppelte Jahrgang war da noch gar nicht eingerechnet. Ich möchte auch keine Kaffeesatzleserei machen, wie viele Klassen nun wirklich aufgrund der Wechselmöglichkeiten von G 8 zu G 9 zusätzlich benötigt werden. Darüber wird man trefflich streiten können. Aber das Grundproblem, Herr Minister, ist doch, dass wir hier einen Mangel haben, der schon seit Jahren besteht.

Wozu führt das? Der für die Aufnahme erforderliche Notendurchschnitt in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch oder einer anderen Fremdsprache, der in der Verordnung mit 3,0 festgesetzt wird, wird durch die neue Situation natürlich nicht mehr gehalten werden können. Jungen Menschen, die die mittlere Reife gemacht haben und jetzt im Anschluss an einem beruflichen Gymnasium die Hochschulreife erwerben wollen, wird also gesagt: „In der Verordnung steht 3,0, aber das reicht nicht.“ Wir haben herausgefunden, dass bei 42 % der beruflichen Gymnasien die Jugendlichen einen Schnitt von 2,6 und besser benötigen.

(Abg. Theresia Bauer GRÜNE: Das ist ein NC!)

Das muss man sich wirklich einmal überlegen.

Ich muss Ihnen sagen: Ich halte die Strategie, 30 Klassen über das Land zu streuen, um etwas abzufedern, für eindeutig zu wenig. Wir müssen den jungen Menschen, die eine vernünftige mittlere Reife gemacht haben, auch die Perspektive geben, dass für sie der Slogan „Kein Abschluss ohne Anschluss“ Wirklichkeit wird. Ich glaube, es ist eine große Enttäuschung für junge Menschen, wenn sie nach ihrem ersten Schulabschluss sehen, dass das, was auf dem Papier steht, mit dem, was tatsächlich als Aufnahmevoraussetzung besteht, nicht übereinstimmt, dass ihr Wunsch nicht Realität werden kann.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Da brauchen wir dringend eine Veränderung.