Meine Damen und Herren, ich eröffne die 79. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie. Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen und die Gespräche einzustellen.
Aus dienstlichen Gründen haben sich Herr Ministerpräsident Oettinger, Herr Minister Professor Dr. Reinhart und Frau Ministerin Dr. Stolz entschuldigt.
Aktuelle Debatte – Investitionsstau im Fernstraßenbau auflösen – Pkw-Maut einführen – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP
Es gelten die üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und je fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neue Bundesverkehrsminister Ramsauer hat von einem „Aufbauprogramm West“ gesprochen. Es war vielleicht nicht besonders sensibel, das pünktlich zum 9. November 2009, also zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, einzubringen – der Zeitpunkt kam in den neuen Bundesländern möglicherweise nicht besonders gut an –, aber inhaltlich ist es richtig, dass nach dem Aufbau Ost nun die westlichen Bundesländer – insbesondere der Süden und ganz besonders der Südwesten der Republik – dran sind. Der verkehrspolitische Sprecher meiner Fraktion, Dietmar Bachmann, hat das schon deutlich früher als Herr Ramsauer artikuliert, nämlich in der Landtagsdebatte vom 5. Juni 2008.
Auch Minister Rech hat in derselben Debatte in seiner Funktion als Verkehrsminister formuliert, dass nach dem Programm
In der Tat sagen uns angesichts der Struktur der baden-würt tembergischen Verkehrswege, des Sanierungsbedarfs im Land und der Aussichten der nächsten etwa 15 Jahre die Experten, dass bis zum Jahr 2025 im Güterverkehr das Transportaufkommen auf der Straße nochmals um etwa 30 % anwachsen wird; sie sagen uns ebenso eine Steigerung des Individualverkehrs um 16,6 % voraus. Hochgerechnet entsteht durch Staus im Land Baden-Württemberg jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von rund 10 Milliarden €. Insofern erkennen wir dringenden und deutlichen Handlungsbedarf.
Durch den Straßenverkehr werden aktuell rund 50 Milliarden € jährlich an Staatseinnahmen generiert. Der Großteil dieser Einnahmen fließt aber nicht in die Verkehrsinfrastruktur. Deshalb brauchen wir zusätzliche Einnahmen, weil wir aufgrund der Haushaltssituation nicht in der Lage sind, in anderen Bereichen deutlich zu kürzen.
Ich sage ganz deutlich, dass dabei natürlich auch die ausländischen Verkehrsteilnehmer in Anspruch genommen werden müssen.
(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Ihr wollt doch immer Steuern und Abgaben senken! Jetzt seid ihr wieder die Abzocker! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Hören Sie doch zu!)
Der deutsche Autofahrer wird in den allermeisten europäischen Staaten für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur in Anspruch genommen, während die ausländischen Verkehrsteilnehmer die deutschen Autobahnen kostenfrei nutzen. Meine Damen und Herren, das kann mittel- und langfristig nicht so bleiben.
Wenn wir uns die Frage stellen, wie man das anders regeln kann, ist klar, dass wir natürlich zu keiner einseitigen Belas tung der ausländischen Verkehrsteilnehmer kommen dürfen – eine solche wäre mit dem Europarecht unvereinbar –, sondern wir müssen, wenn wir eine Maut erheben, zu einer gleichmäßigen Verteilung kommen.
Straßennutzung zum Nulltarif ist wie Kommunismus, für den Einzelnen vermeintlich schön, am Ende haben alle nichts davon.
Meine Fraktion plädiert mit Nachdruck für die Einführung einer Vignette. Eine solche Vignette ergibt einen planbaren Ertrag. Aber natürlich muss gleichzeitig eine Entlastung der deutschen Verkehrsteilnehmer durch eine Absenkung der Mineralölsteuer bzw. Abschaffung der Kfz-Steuer erfolgen.
Natürlich wird man uns entgegenhalten, eine Vignette würde keinen ökologischen Lenkungseffekt haben. Das ist sicher richtig. Auf der anderen Seite haben wir aber zum einen durch die Mineralölsteuer und zum anderen durch die Ökosteuer schon einen hinreichenden Lenkungseffekt. Über den Benzinpreis werden diejenigen deutlich belastet, die viel fahren und damit viel CO2 ausstoßen.
Die Alternative zur Vignette, z. B. das niederländische Sys tem, das in der Diskussion ist, lehnen wir ab, weil dadurch dem Datenschutz in keiner Weise Genüge getan würde. Es entstünden eindeutige Bewegungsprofile der Autofahrer. Genau dies wollen wir nicht, dies lehnen wir ab – ganz abgesehen von technischen Schwierigkeiten, die sich dort ergeben; die Experten bezweifeln, ob dieses System zum vorgesehenen Zeitpunkt in den Niederlanden funktionstüchtig sein wird. Toll Collect lässt grüßen. Ich denke, wir alle erinnern uns noch an die Schwierigkeiten bei der Einführung der Lkw-Maut in Deutschland.
Insofern noch einmal zusammengefasst: Unsere Forderung wäre die Einführung einer Vignette, um so auch die ausländischen Verkehrsteilnehmer heranziehen zu können, bei gleichzeitiger Entlastung im Bereich der Mineralölsteuer bzw. der Kfz-Steuer.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe Politik bisher eigentlich immer so verstanden, dass man, wenn man Probleme sieht, diese angeht und löst.
Es ist absehbar, dass wir bis zum Jahr 2025 auf den Straßen in Baden-Württemberg etwa 80 % mehr Lkw-Verkehr und mehr als 20 % mehr Pkw-Verkehr haben werden als heute. Bereits das sind Zahlen, die eigentlich jeden alarmieren müssten. Das Zweite ist, dass wir für über 2 Milliarden € – Tendenz deutlich steigend – planfestgestellte und rechtskräftige Verfahren sowie planfestgestellte und noch nicht rechtskräftig gewordene Verfahren haben. Wer diese beiden Zahlenblöcke betrachtet, kommt nicht umhin, zu sagen: Wir müssen uns mehr einfallen lassen als bisher.
Wenn man so weit übereinstimmt, kommt der nächste Entscheidungsblock. Es gibt genau zwei Möglichkeiten, das finanzpolitisch abzuarbeiten. Die eine Möglichkeit ist: Wir machen so weiter wie bisher – mit sehr bescheidenem Erfolg –; wir nehmen Geld aus dem normalen Haushalt. Wir brauchten dadurch zukünftig mehr Geld aus dem normalen Haushalt, was ich angesichts einer Nettoneuverschuldung von über 80 Milliarden € in diesem Jahr für eher schwierig halte. Die andere Möglichkeit ist: Wir machen uns Gedanken über alternative Finanzierungsmethoden, über etwas, was viele andere Länder schon machen, nämlich die Nutzungsfinanzierung.
Meine Damen und Herren, es gibt in Europa drei Staaten, die ihren Straßenbau noch so finanzieren wie wir. Das ist Albanien, das ist Finnland, und das ist Deutschland. Ich stelle jedem anheim, ob er weiter in dieser Liga spielen will oder ob er sich nicht lieber Gedanken darüber machen will, ob nicht alle anderen Länder mit Vignette oder zunehmend auch über eine Nutzerfinanzierung im Zweifel den besseren Weg gehen.
Herr Kretschmann, man kann mehr ökologische Momente mit hineinbringen. Man kann mit einer elektronischen Maut Verkehre steuern, z. B. zu unterschiedlichen Tageszeiten. Man kann über die Streckenfinanzierung ökologische Momente sehr viel stärker hineinbringen, als das bisher der Fall war.
23 % aller Personenkilometer auf bundesdeutschen Autobahnen werden von ausländischen Nutzern zurückgelegt. Kein anderes Bundesland ist so stark vom Transitverkehr betroffen wie Baden-Württemberg. Wenn jemand von außerhalb Deutschlands kommt und die vier Grundrechenarten auch nur annähernd beherrscht, dann tankt er nicht freiwillig in Deutschland, weil wir bekanntermaßen relativ hohe Benzinpreise haben; die Kfz-Steuer entrichtet er ohnehin nicht, und eine Nutzungsgebühr entrichtet er bis zum heutigen Tag auch nicht. Das heißt, für 23 % aller Personenkilometer ist die Fahrt durch Deutschland völlig kostenlos.
Es müsste eigentlich jeden Parlamentarier, egal, woher er kommt, einsichtig machen, wenn nach aktuellen Umfragen zwischen 53 % und 70 % der Deutschen für die Einführung einer Pkw-Maut sind – nicht dagegen, sondern dafür. Wann sonst gibt es ein Thema in der Politik, das man sachgerecht lösen kann und bei dem man gleichzeitig automatisch die große Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich hat?
Deshalb glaube ich schon, meine Damen und Herren, dass es jetzt Zeit wird zu handeln. Deshalb haben wir auf Vorschlag von Günther Oettinger – übrigens bereits vor drei Jahren – auf einem Parteitag gesagt: Wir fordern die Einführung einer Pkw
Maut, und zwar möglichst entfernungsabhängig, und wir wollen im Gegenzug die Absenkung der Mineralölsteuer, damit in grenznahen Gebieten wieder auf deutscher Seite getankt wird. Einer Studie von Aral zufolge gibt es im Grenzgebiet in einer Entfernung von bis zu 40 km zum Nachbarland bis zu 70 % Einbruch bei den Umsätzen. Warum wohl?
Wir fordern die Abschaffung der Kfz-Steuer. Da hat sich zwar in Richtung ökologischer Komponente etwas geändert, aber wir alle wissen, dass das aufgrund der geringen Beträge keine große Lenkungswirkung hat. Außerdem sind in Deutschland knapp 1 000 Beamte mit diesem Bereich beschäftigt. Wir glauben, dass es im Gegenzug richtig ist, ebendiese Nutzerfinanzierung einzuführen – und zwar unter einer Prämisse, meine Damen und Herren, nämlich dass 100 % dieser Mittel auch in den Straßenbau gehen.