Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 8. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Heute hat unser Kollege Peter Schneider Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses möchte ich ihm gratulieren und ihm alles Gute wünschen.
Aktuelle Debatte – Der angekündigte „Umbau“ der Hauptschulen in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion GRÜNE
Das Präsidium hat die üblichen Redezeiten festgelegt: jeweils fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und jeweils fünf Minuten für die Redner und Rednerinnen in der zweiten Runde.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Regierungserklärung hat Ministerpräsident Oettinger ausgeführt: „Wir wollen die Hauptschule umbauen und ihr ein neues Profil geben.“ Meine Damen und Herren, wer umbauen will, muss zunächst eine schonungslose Bilanz des Bestehenden ziehen. Sie haben das bis jetzt versäumt, und deshalb möchte ich das heute für Sie tun.
Die demografische Entwicklung betrifft vor allem die Hauptschulen. Nach der Modellrechnung des Statistischen Landesamts werden die Schülerzahlen an den Hauptschulen bis zum Jahr 2012 um rund 20 % abnehmen. Bis zum Jahr 2020 werden es sogar durchschnittlich 27 % der Schülerinnen und Schüler sein.
Rund die Hälfte der ca. 1 200 Hauptschulen in diesem Land werden dann von der Schließung bedroht sein. Das betrifft sowohl die Städte als auch die Landkreise. Dazu will ich Ihnen zwei Beispiele nennen:
In Heidelberg werden vier von jetzt acht Hauptschulen geschlossen werden – das wird allerdings schon im nächsten
Schuljahr erfolgen –, und im Ostalbkreis, wo es heute noch 42 Hauptschulen gibt, wird die Hälfte davon geschlossen werden müssen, wenn nichts getan wird. Es gibt im Ostalbkreis heute noch 42 Hauptschulen. Davon sind heute nur noch zwölf Schulen zweizügig. Im Jahr 2012 werden alle Hauptschulen einzügig sein. Die Hälfte dieser Hauptschulklassen wird durchschnittlich weniger als 15 Schülerinnen und Schüler haben.
Das sind doch dramatische Zahlen, die Sie bislang einfach immer ignoriert haben. Sie müssen sich jetzt endlich dieser Herausforderung stellen und fragen, wie es mit den Hauptschulen angesichts dieses dramatischen Einbruchs der Schülerzahlen in Stadt und Land in Baden-Württemberg weitergeht.
Dazu kommt noch, dass die Hauptschule in Baden-Württemberg – Sie versuchen, auch dieses Problem permanent wegzureden – in einer tiefen Krise steckt. „Es gibt keine gesellschaftliche Akzeptanz für die Hauptschule mehr.“ Das sagt der Vorsitzende der Vereinigung von Schulleiterinnen und Schulleitern in Baden-Württemberg, Herr Mack, in der letzten Ausgabe der „bw-Woche“, und er fordert, in BadenWürttemberg endlich mit Modellversuchen zu beginnen, um den dramatischen Zerfall der Hauptschulen zu verhindern.
Ich füge hinzu: Es gibt keine gesellschaftliche Akzeptanz für die Hauptschule mehr, obwohl die meisten Innovationen der letzten Jahre aus der Hauptschule gekommen sind. Ich nenne zum Beispiel Berufsfindung, Fächerverbünde, Projektarbeit und Projektprüfung. Das sind alles gute Ansätze gewesen, die zum Teil auch von den anderen Schularten übernommen wurden. Trotzdem will niemand freiwillig in die Hauptschule. Die Hauptschule ist eine Schule für diejenigen geworden, die nur durch eine Zwangseinweisung tatsächlich dort hingehen.
(Oh-Rufe von der CDU – Widerspruch bei der CDU – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP – Unruhe)
Die verpflichtende Bildungsempfehlung, die verbindliche Grundschulempfehlung ist de facto eine Zwangseinweisung in die Hauptschule.
Meine Damen und Herren, die Hauptschule ist zur Schule der sozioökonomisch benachteiligten Kinder unserer Gesellschaft geworden. Es ist die Schule geworden, in die zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund gehen. Schulleiter und Schulleiterinnen im Ostalbkreis sagen deshalb auch: Wir bekommen eine Parallelgesellschaft, und die beginnt in der Schule, wenn wir Kinder nach sozialer Herkunft so früh in unterschiedliche Schularten zwingen.
Dazu kommen noch die fehlenden beruflichen Perspektiven, wobei ich, Herr Minister Rau, die Modelle zur Verbesserung der Berufsfähigkeit von Hauptschülerinnen und Hauptschülern ausdrücklich begrüße. Aber solche Modelle und solche Module sind doch nicht an eine Schulart gebunden. Das sind hervorragende Modelle und hervorragende Impulse, die auch in integrativen Schulen für schwächere Schülerinnen und Schüler selbstverständlich angeboten werden müssen.
Schließlich: Den Hauptschulen gehen die Lehrer und Lehrerinnen aus. Auch dieses Problem ignorieren Sie. In Sonntagsreden wird seit Jahren immer wieder gesagt: „Wir müssen zumindest die Lehrer an den Brennpunktschulen besser bezahlen.“ Bisher haben Sie aber nichts gegen längere Arbeitszeiten, schlechtere Bezahlung und geringere Ausbildung unternommen. Sie selbst haben durch diese gravierenden Benachteiligungen dazu beigetragen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Hauptschule gesunken ist.
Meine Damen und Herren, während Sie in Untätigkeit verharren, kommt der Druck längst von unten. Ich nenne als Beispiel die Region Hotzenwald. Dort haben acht Gemeinden Modellschulen beantragt. Bislang ist das abgelehnt worden. Auch aus dem Ostalbkreis gibt es diese Signale. Es gärt an der Basis.
Sie sind dazu verpflichtet, endlich zu handeln und für Perspektiven zu sorgen. Das Mindeste, was Sie tun können, ist, dass Sie jetzt diese Modellschulen genehmigen, dass Sie endlich Ihr starres Festhalten am gegliederten Schulsystem aufgeben. Das ist der erste Schritt, den Sie tun müssen. Sie haben die Pflicht, weiterhin für wohnortnahe, gute Schulstandorte für alle Schüler und Schülerinnen zu sorgen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Das haben Sie bisher versäumt, und das ist jetzt die große Herausforderung, vor der Sie stehen.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir hier eine Diskussion über die Hauptschule führen und wenn meine Vorrednerin über die Akzeptanz der Hauptschule gesprochen hat, aber gleichzeitig von „Zwangseinweisung“ redet, dann gilt es als Erstes festzustellen: Lehrerinnen und Lehrer an vielen Hauptschulen in unserem Land machen eine gute Arbeit.
(Beifall bei der CDU – Abg. Boris Palmer GRÜ- NE: Das bestreitet doch niemand! Aber sie haben schlechte Bedingungen und eine schlechte Bezah- lung!)
Sie erreichen eine hohe Vermittlung in die berufliche Ausbildung. Ihnen gelingt die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und mit besonderem Förderbedarf aus dem sozialen und familiären Umfeld heraus. Sie tragen mit ihrer Arbeit dazu bei, dass schulischer Erfolg zustande kommt, der dazu führt, dass Baden-Württemberg bei der Zahl der Absolventen, die einen Hauptschulabschluss erreichen, einen Spitzenplatz hat und bezüglich derjenigen, die keinen Hauptschulabschluss erhalten, weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt: 7,1 % im Jahr 2004 in Baden-Württemberg, 8,3 % bundesweit. Sie tragen dazu bei, dass unsere Hauptschulen in ihrer schwierigen Situation dennoch bundesweit bei Preisen regelmäßig eine vorderste Platzierung erzielen. Dafür sind wir dankbar.
Wir wollen eine Orientierung der Hauptschule auf das Berufsleben, die es ja schon gibt, die mit den Herausforderungen in der beruflichen Ausbildung verstärkt werden muss. Deshalb haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass wir flächendeckend weitere Elemente aus dem Programm IMPULSE Hauptschule umsetzen wollen. Zum Beispiel planen wir für 2007 flächendeckend den Praxiszug.
Wir wollen die Motivation der Lehrerinnen und Lehrer unterstützen und prüfen deshalb, ob wir nach der Übertragung der Verantwortung für die Besoldungsstruktur das Eingangsamt spreizen und ein Beförderungsamt in der Hauptschule schaffen können.
Frau Kollegin Rastätter, wenn Sie die Schülerzahlen ansprechen und Ihr Konzept dazu darlegen, erwecken Sie den Eindruck, als ob Sie mit Ihrem Konzept mehr Schulstandorte retten könnten, als wenn es bei einem dreigliedrigen Schulsystem bleibt. Wenn Sie von Basisschule oder Ihre Kollegen von der SPD von Regionalschule sprechen, dann schauen Sie sich doch einmal in den anderen Bundesländern an, was das für Konsequenzen hinsichtlich der Mindestgröße einer solchen Schule hat.
Eine solche Schule hat in Sachsen mindestens 240 Schüler pro Schule und ist in Rheinland-Pfalz mindestens dreizügig. Das heißt, bei rund der Hälfte unserer Hauptschulen, die einzügig sind, werden überwiegend Standorte im ländlichen Raum gefährdet sein, und Sie werden mit diesem Konzept nicht mehr, sondern weniger Schulen halten können als bei Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems trotz der notwendigen Diskussionen vor Ort.
Wir halten die Position der Landesregierung bei all den Konsequenzen, die das für den Schulträger im baulichen Bereich und bei Standortdiskussionen hat, für richtig, in dieser Frage zunächst einmal das Gespräch mit den kommunalen Landesverbänden zu führen und hier nicht etwas zu beschließen, was weitreichende Konsequenzen an den Schulstandorten hat, ohne dass dabei ein pädagogischer Grund dahinter steckt; denn den gibt es für den Umbau des dreigliedrigen Systems aus unserer Sicht nicht.
Sie sagen, im internationalen Vergleich seien die Länder besser, die kein dreigliedriges System hätten. Es liegt vielleicht auch an etwas anderem als an der Dreigliedrigkeit, wenn in Deutschland die Bundesländer mit dreigliedrigem System bei den internationalen Studien bessere Ergebnisse als die Bundesländer ohne klare Dreigliedrigkeit erreichen. Deshalb braucht man nicht mit Ihren strukturellen Vorschlägen zu reagieren
und dann, wenn Sie sich aus inhaltlichen Gründen nicht durchsetzen, die Schülerzahlenentwicklung als Begründung heranzuziehen.
Wir halten das dreigliedrige System für das pädagogisch richtige System. Deshalb müssen wir in Abstimmung mit den Schulträgern eine Antwort auf die Schülerzahlenentwicklung finden, aber wir brauchen keine Umstellung des Systems.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem hat Frau Rastätter sicherlich Recht: Jede Reform und jeder Umbau, der diesen Namen verdient, erfordert zunächst einmal eine schonungslose Betrachtung der Wirklichkeit. Diese Betrachtung muss ungeschminkt ausfallen. Da darf man nichts beschönigen. Da braucht man auch eine Sensibilität für alle Betroffenen, für die Schülerinnen und Schüler genauso wie für die Lehrerinnen und Lehrer.