Protocol of the Session on November 25, 2010

Meine Damen und Herren! Ich er öffne die 105. Sitzung des 14. Landtags von Baden-Württem berg und begrüße Sie.

Urlaub für heute habe ich den Herren Abg. Palm, Röhm und Dr. Schmid erteilt.

Krankgemeldet sind Frau Abg. Bormann, Frau Abg. Dr. Unold und die Herren Abg. Braun und Schwehr.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich Herr Mi nister Professor Dr. Reinhart, Herr Minister Köberle und Frau Ministerin Dr. Stolz.

Entschuldigt ist Herr Minister Professor Dr. Goll heute Nach mittag.

Dienstlich verhindert sind Frau Staatsrätin Professorin Dr. Ammicht Quinn, Herr Staatssekretär Richard Drautz – ab 13:00 Uhr – und Frau Ministerin Gönner ab ca. 17:30 Uhr.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

a) Aktuelle Debatte – Zuwanderung und Integration als

wichtige Bausteine zur Sicherung des Fachkräftebe darfs – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

b) Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des

Wirtschaftsministeriums – Interkulturelle Bewegungen am Arbeitsmarkt – Förderung der Integration auslän discher Facharbeitskräfte (Expatriates) in BadenWürttemberg – Drucksache 14/6869 (geänderte Fas sung)

Es gelten die für Aktuelle Debatten üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Rülke.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Als sich die Wirtschaftskrise, die wir jetzt hoffentlich im Wesentlichen überwunden haben, in ihrer ganzen Dramatik gezeigt hat, haben die meisten Volks wirte erwartet, dass wir infolge der Krise Arbeitslosenzahlen erreichen, die die Rekordwerte von vor etwa sieben Jahren übersteigen. Es wurde prognostiziert, wir würden wahrschein lich die Marke von fünf Millionen Arbeitslosen deutlich über treffen.

Erfreulicherweise hat sich die Entwicklung ganz anders voll zogen. Dies zeigt, dass alle Regierungen – in Bund und Land –, die mit dieser Krise befasst gewesen sind, im Wesentlichen richtige Grundsatzentscheidungen getroffen haben. Dies zeigt vor allem aber auch, dass die Unternehmen, insbesondere die in Baden-Württemberg, gut auf diese Krise vorbereitet gewe sen sind und die zur Verfügung stehenden Instrumente richtig genutzt haben.

Nachdem das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2009 um 7,4 % eingebrochen war, können wir im Jahr 2010 davon ausgehen, dass die Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg um 5 bis 6 % wächst. Wenn wir uns jetzt die Frage stellen, was das drängendste Zukunftsproblem ist, und wenn wir mit den Un ternehmen im Land reden, insbesondere mit den mittelständi schen Unternehmen, dann wird deutlich, dass wir eigentlich auf einem Weg sind, der in die umgekehrte Richtung verläuft als die, die befürchtet wurde.

Wir haben mit einer Arbeitslosenquote von aktuell wenig mehr als 4 % in Baden-Württemberg nicht das Problem der Mas senarbeitslosigkeit. Vielmehr ist das drängendste Problem der beginnende Fachkräftemangel. Dieses Problem wird sich in seiner Dramatik vermutlich noch deutlich steigern.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Prognos sagt für Baden-Württemberg für das Jahr 2015 280 000 und für das Jahr 2030 gar 500 000 fehlende Fachkräf te voraus. 65 % der mittelständischen Betriebe des Landes Ba den-Württemberg melden, sie hätten Probleme damit, Fach kräfte zu finden.

Für die Landespolitik heißt das, dass eine der wesentlichen Aufgaben der nächsten Jahre sein wird, sich des Themas Fach kräftemangel anzunehmen und die Frage zu stellen: Wie kön nen wir die Qualifizierung der Menschen in Baden-Württem berg so fördern, dass wir diesem Fachkräftemangel begegnen können?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Daher bin ich dankbar für das Programm zum Ausbau der be ruflichen Gymnasien, das die Landesregierung in dieser Wo che vorgestellt hat. Aber das allein wird nicht reichen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was können wir auf allen Ebe nen tun, um dem Fachkräftemangel zu begegnen? „Alle Ebe nen“ heißt, dass wir uns natürlich auch überlegen müssen, wie wir die abwandernden Fachkräfte in Baden-Württemberg hal ten oder wieder in unser Land zurückbringen. Es geht bei spielsweise um Ärzte, die in die Schweiz, nach Schweden,

nach Großbritannien oder wohin auch immer abwandern. Wir müssen also verhindern, dass Fachkräfte abwandern, und wir müssen sie qualifizieren.

Aber wir brauchen auch die Zuwanderung.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Richtig!)

Es ist völlig illusorisch zu glauben, man könnte die jetzt noch etwa 4 % Arbeitslosen in Baden-Württemberg so qualifizie ren, dass sie für hoch qualifizierte, technische oder ingenieur wissenschaftliche Tätigkeiten herangezogen werden könnten. Wir dürfen dieser Lebenslüge, man könne alle Arbeitslosen entsprechend qualifizieren, wie sie mancher Stammtisch glau ben machen möchte, nicht erliegen. Wir werden uns damit ab zufinden haben, dass wir ein gewisses Maß an Geringqualifi zierten in unserer Gesellschaft haben, die wir eher bei einfa chen Dienstleistungstätigkeiten und nicht als hoch qualifizier te Fachkräfte einsetzen können.

Deshalb brauchen wir die Zuwanderung. Aber wir wollen wohlgemerkt keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungs systeme, sondern eine Zuwanderung über die Bildungssyste me. Wir brauchen die hoch qualifizierte Intelligenz, und wir müssen sie in unsere Gesellschaft integrieren.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Das heißt, wir brauchen eine absolute Chancengleichheit im Bildungssystem, auch für Migranten.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Darüber hinaus brauchen wir eine höhere Beteiligung der Menschen mit Migrationshintergrund am Bildungswesen. Deshalb ist es auch richtig, wenn diese Landesregierung

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was schwätzt ihr? Macht es doch endlich einmal!)

einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Bildungspolitik auf den Bereich der frühkindlichen Bildung legt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir müssen aber, meine Damen und Herren, auch ausländi schen Absolventen deutscher Hochschulen bessere Chancen bieten, damit sie im Land bleiben können.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr richtig!)

Deshalb schlage ich konkret vor, den Zeitraum für die Suche nach einem Arbeitsplatz von einem Jahr auf zwei Jahre zu ver längern. Ich schlage konkret vor, die erlaubte Tätigkeit in die sem Zeitraum von 90 Tagen auf 180 Tage zu verdoppeln.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Wir brauchen auch die Hochqualifizierten aus Nicht-EU-Staa ten. Deshalb ist es aus meiner Sicht völlig unrealistisch, die Einkommensgrenze bei 66 000 € zu belassen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jawohl! – Abg. Die ter Kleinmann FDP/DVP: Auf die Qualität kommt es an!)

Wenn ich bei meinen Besuchen in mittelständischen Unter nehmen frage, ob es Berufsanfänger mit einem Jahreseinkom men von 66 000 € gebe, auch Hochqualifizierte und Hoch schulabsolventen, dann schütteln die Unternehmer nur den Kopf und sagen, das sei unrealistisch für einen Berufsanfän ger.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dieter Kleinmann und Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: So ist es!)

Deshalb wäre das natürlich auch unrealistisch für einen hoch qualifizierten Berufsanfänger, der aus dem Ausland zuwan dert. Konkret schlage ich daher vor, diesen Betrag auf 40 000 € pro Jahr abzusenken.

Wir müssen auch die Mindestinvestitionssumme für Existenz gründer absenken. 500 000 €, meine Damen und Herren, sind zu viel. Ich schlage vor, diesen Betrag auf 250 000 € zu hal bieren.

Im Übrigen: Es ist zwar eine Aufgabe des Bundes, aber es wä re sehr hilfreich, wenn die baden-württembergische Landes regierung eine entsprechende Bundesratsinitiative in die We ge leiten würde und wir dahin kämen, bei der Zuwanderung ein Punktesystem einzuführen, und zwar basierend auf den Erfahrungen Kanadas, Australiens, Dänemarks oder Großbri tanniens. Denn dieses Punktesystem, mit dem diese Länder gute Erfahrungen gemacht haben, hat sich bewährt. Es bietet einem Land die Möglichkeit, die Zuwanderung zu erreichen, die man haben möchte, nämlich die Zuwanderung von Hoch qualifizierten über das Bildungssystem, aber nicht die Zuwan derung in die sozialen Sicherungssysteme.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Schütz.

Sehr geehrter Herr Präsident, mei ne sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben – das wurde schon angesprochen – die schlimmste Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte überstanden und gut bewältigt. Maß nahmen wie Kurzarbeit und Weiterbildungsangebote haben dazu beigetragen, dass die Unternehmen ihre Beschäftigten halten konnten.

Der Aufschwung zeigt aber jetzt wieder deutlich ein Problem, das vor der Krise schon bestanden hat, nämlich den Fachkräf temangel. Die Auftragsbücher sind voll. Aber es ist im Mo ment schwierig, geeignete Fachkräfte zu finden. Medienbe richte zeigen – Sie haben es auch schon angesprochen –, dass 65 bis 70 % der Unternehmen derzeit Schwierigkeiten haben, solche Stellen zu besetzen. Es wird vorausgesagt, dass diese Schwierigkeiten in Zukunft über alle Qualifikationsniveaus hinweg weiter ansteigen werden.