Andreas Kuhnert
Appearances
5/4
5/6
5/7
5/21
5/24
5/26
5/36
5/39
5/40
5/46
5/55
5/57
5/58
5/64
5/66
5/67
5/69
5/71
5/76
5/84
5/91
5/94
Last Statements
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Eichelbaum, Sie sagten es bereits: Inhaltlich besteht zwischen uns breiter Konsens. Insoweit ist alles, was Sie dazu gesagt haben, zu unterschreiben.
Ihr Antrag ist aber terminlich überholt. Sie fordern eine Initiative des Landes auf Bundesebene. Sie kennen sicherlich die Entschließung, die im Bundesrat - auch dort sind alle fünf Parteien vertreten - angenommen worden ist. Da in dieser Entschließung genau das steht, was Sie hier beschrieben haben, brauche
ich das nicht noch einmal aufzulisten. Der Bundesrat hat seinen Beschluss am 11.04.2014, also vor einem Monat, gefasst. Insofern ist auf Bundesebene schon etwas geschehen - natürlich mit aktiver Unterstützung der Landesregierung Brandenburgs.
Die Entschließung enthält einen Punkt, auf den Sie in Ihrem Antrag nicht Bezug nehmen, den Sie aber in Ihrer Rede angesprochen haben: „Cyber grooming“ - so heißt dieser Fachbegriff. Das ist eine Sache, die immer gefährlicher wird. „Cyber grooming“ heißt zu Deutsch so viel wie „Internetanbahnung“. Da geht es darum, dass sich Straftäter auf an sich ganz harmlose Plattformen einschleichen, die für Kinder und Jugendliche gedacht sind, zum Beispiel „Bauernhof“, „Zoo“ oder etwas anderes Lustiges, und auf denen sie miteinander chatten bzw. sich vernetzen. Die Straftäter erwerben das Vertrauen der Kinder, etwa indem sie sich als jünger ausgeben, als sie tatsächlich sind, oder bringen die Kinder in Erpressungssituationen und nutzen dies aus.
Das, was in dem Beschluss des Bundesrates steht - die Gesetzesformulierung muss präzisiert und der Tatbestand ausgeweitet werden; das haben Sie auch beschrieben, Herr Eichelbaum -, ist das eine. Das andere ist, dass wir die Familien, die Erzieher und die Lehrer für das Internet firm machen müssen, damit sie genau diese Gefahren erkennen.
Wie der Zufall es wollte, hatte ich für Montag den Dozenten der Polizeifachhochschule Oranienburg, Thomas-Gabriel Rüdiger, einen europaweiter Fachmann auf diesem Gebiet, in das Kloster Lehnin eingeladen. Ich habe selten eine Veranstaltung erlebt, die so gut besucht war; 80 Leute bekommt man in Lehnin nicht so schnell zusammen. Alle Teilnehmer waren über die gesamte Veranstaltung hinweg bei der Sache, obwohl sie zwei Stunden ging. Ich habe mich umgeschaut und habe die Diskussion nicht unterbrochen, weil die anwesenden Jugendlichen, Lehrer, Erzieher und Eltern wirklich sehr gebannt waren. „Cyber grooming“ ist ein echtes Problem.
Ähnlich ist es mit der Prävention. Wir hatten im Ausschuss Vertreter des Klinikums „Ernst von Bergmann“ zu Gast, die ihr Projekt „Kein Täter werden!“ vorstellten; die Charité macht das schon länger. Dieses Angebot muss ausgebaut werden, es hat Brandenburgs Unterstützung. Herr Eichelbaum, Sie haben den Referentenentwurf von Heiko Maas erwähnt. Darin sind alle Forderungen, die Sie aufgestellt haben, beinhaltet. Es soll zusätzliches Geld, 70 % mehr, für das Projekt „Kein Täter werden!“ zur Verfügung gestellt werden.
Dann passierte etwas, was wir auch zur Kenntnis nehmen müssen: Kaum war der Referentenentwurf in der Öffentlichkeit, meldeten sich 27 Psychiater, Kriminologen und Juristen mit einer Warnung zu Wort: Man müsse bei der Verschärfung der Gesetze sehr vorsichtig vorgehen. Es dürfe nicht dahin kommen, dass die potenziellen Täter nicht mehr bereit sind, sich dem Netzwerk „Kein Täter werden“ zu stellen, sie also abgeschreckt werden.
Das ist vielleicht der einzige Punkt, in dem wir uns unterscheiden, Herr Eichelbaum. Sie sagen, die Gesetzesänderung solle zügig umgesetzt werden. Die SPD-regierten Länder im Bundesrat sind dafür, es gründlich zu machen. Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit - das sehen Sie sicherlich genauso. Das braucht halt seine Zeit.
Ich wiederhole: In der Sache stimmen wir völlig überein. Nur weil der Antrag überholt ist und das, was Sie fordern, schon geschieht, lehnen wir ihn aus formalen Gründen ab. Inhaltlich sind wir auf der gleichen Linie. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider hat auch die alte Bundesrepublik ein Vierteljahrhundert gebraucht, um
schwarze Pädagogik aus den Jugendheimen, aus den Jugendarrestanstalten und aus den Jugendstrafanstalten zu verbannen. Aber immerhin, Mitte der 70er-Jahre ist das geschehen.
Wir haben gerade etwas über die rechtlichen Grundlagen für Jugendarrest gehört, die recht diffus sind. Die Jugendarrestordnung stammt in ihren Grundzügen von 1966, also einer Zeit, in der man noch der schwarzen Pädagogik und der Repression vertraute und meinte, damit Menschen bessern zu können. Da gibt es zum Beispiel - das war für mich sehr anschaulich und sehr interessant, so etwas hatte ich noch nicht gehört - einen § 14, „Vollzug der strengen Tage“. Da wird genau geregelt: Holzpritsche, ein warmes Getränk, Brot - also im Arrest Repression, um Menschen zu bessern. Man wusste zu dieser Zeit schon, dass das nicht funktioniert. Es gab genug Studien darüber. Aber es hat halt seine Zeit gebraucht, bis es zum gesellschaftlichen Konsens wurde.
Diese Jugendarrestordnung wurde 1976 erneut vom Bund veröffentlicht. Dabei fielen schon einmal diese Paragraphen, auch der, den ich zitiert habe, weg. Trotzdem bleibt es eine rechtliche Grundlage, die den Herausforderungen des zweiten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert nicht gerecht wird. Deshalb ist das vom Minister beschriebene vorgelegte neue Gesetz notwendig und nach der Föderalismusreform auch möglich.
Der Richterbund hat damals, als Volkmar Schöneburg den ersten Entwurf vorgelegt hat, allen Rechtsausschussmitgliedern einen Brief geschrieben, in dem der Richterbund - und der muss es ja wissen - feststellt, dass es zum stationären sozialen Training im Jugendarrest und zu der Fortsetzung draußen keine Alternative gebe, und Brandenburg habe beim Jugendarrest eine bundesweit beachtete Vorbildfunktion. Solches Lob hören wir als Regierungskoalition natürlich gern.
Reflexartig kommt es nicht nur bei uns, sondern in allen 16 Bundesländern, egal, welche politische Farbe der Justizminister oder die Justizministerin hat, zu dem Vorwurf: Das ist ja Kuschelarrest! - Der Minister ist schon darauf eingegangen; ich will das noch ergänzen. Im § 3 wird das Ziel formuliert, dass dem Arrestierten das Unrecht und die Verantwortung bewusst gemacht werden. Für ganz wichtig halte ich § 4, in dem festgeschrieben ist, dass dem Arrestierten mit sozialpädagogischem Gespräch bewusst gemacht werden soll, welches Leid und welche Schäden er bei den Opfern angerichtet hat. Aber in den §§ 25 ff. sind durchaus auch Zwangsmaßnahmen vorgesehen, falls es halt anders nicht geht.
Wir haben schon die Anhörung für den 8. Mai beschlossen. Nach der Anhörung werden wir, so hoffe ich jedenfalls, in gewohnter Weise mit allen zusammen, auch mit den Oppositionsfraktionen, den vorgelegten Gesetzentwurf optimieren. Ich will mit einem bemerkenswerten Zitat schließen, das auch als Motto für unsere Diskussion über das Gesetz verwendet werden könnte - hören Sie es sich bitte an -:
„Das Jugendstrafrecht weiterzuentwickeln und den aktuellen Lebenswirklichkeiten anzupassen bleibt daher eine Daueraufgabe. Der Erziehungsgedanke und Prävention müssen dabei natürlich an erster Stelle stehen. Der Ausbau von Erziehungsangeboten kann in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug geschätzt werden. Die Erfolge, die damit erzielt werden, sprechen natürlich für sich. Das stellt hier keiner in Abrede.“
Solches sprach Frau Andrea Voßhoff, CDU, im Juni 2012 bei der entsprechenden Debatte im Bundesrat. Ich denke, das wäre ein guter Einstieg für alle fünf Fraktionen in die Debatte zu diesem Gesetz. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein sehr kompaktes Thema, das in fünf Minuten gar nicht abzuhandeln ist.
Deswegen kann ich hier nur stichpunktartig auf die Thematik eingehen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt eine ungleiche Situation bei den Erben der Bodenreform fest und bietet einen Ausgleich durch das vorgelegte Gesetz an. Das, was Sie nicht erwähnt haben, Herr Kollege Vogel, ist: Sie wollen auch den Ausgleich im Bereich der Verjährung. Jedenfalls habe ich das Gesetz so verstanden.
Verjährung ist ein Rechtstitel - wir haben es gerade gestern von Herrn Wichmann bei den Altlastenfragen gehört -, der seit dem römischen Recht im Zivilrecht und auch im Strafrecht gilt und der immer einschließt, dass am Ende eine ungleiche Situation entsteht und trotzdem seither von jeder Rechtsordnung übernommen worden ist, weil er halt seinen tiefen Sinn hat, den ich aus Zeitgründen hier nicht erklären kann. Aber er ist ja gestern aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils hinreichend beleuchtet worden.
Das, was Sie nicht erwähnt haben, ist, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg 2004 genau diese Rechtslage, diese Rechtsauffassung in der Bundesrepublik bestätigt hat.
Der zweite Punkt - Sie haben das erwähnt -: Zu DDR-Zeiten gehörte das Land denen, die es durch die Bodenreform bekommen haben. Die Praxis war anders, als Sie sie geschildert haben: Es wurde in der Regel vererbt, wenn die Erben den Boden bearbeitet haben. Das hat auch einen tieferen Sinn. Eine Bodenreform ist keine Vermögensbildung, wie ich finde, sondern sie gab gerade den Flüchtlingen damals Boden unter den Füßen, damit sie einer Erwerbsarbeit nachgehen konnten, dass sie ihr tägliches Brot erwerben konnten.
Aber wie man es auch immer sieht, 1990 hat eine nicht demokratisch gewählte Volkskammer ein Gesetz beschlossen, das dieses Eigentum in bürgerliches Recht überführt. Das ist für mich der schwierigste Punkt. Ich kann gut verstehen, dass sich Menschen gerade in dieser Umbruchzeit auf dieses Recht verlassen haben, wohl wissend, dass es keine demokratische Volkskammer war. Aber in dieser wirren Zeit damals wusste man ja eh nicht so genau, worauf man sich überhaupt verlassen kann.
Sie haben es ausführlich beschrieben: 1992 hat der Bundestag das geändert, allerdings nach einer sehr lebhaften, sehr intensiven Debatte. Man hat sich das nicht einfach gemacht. Auch diese Rechtsauffassung hat - das haben Sie auch verschwiegen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt. Der Verfasser Ihres Gesetzentwurfs hat ja, wenn ich es richtig sehe, dort die Klage geführt und eben verloren.
Drittens: Das BGH-Urteil von 2007, das nun wieder eine dritte Gruppe schafft, die wieder anders behandelt wird - nicht zu ihrem Nachteil -, was aber für die anderen, die davor waren - Sie haben das ja zutreffend beschrieben -, natürlich schwierig nachzuvollziehen ist.
Die Lösung, die Sie vorschlagen, ist, dass das Land Brandenburg an die Betroffenen gleichermaßen Land verschenkt oder Entschädigung zahlt. Denn eine Rückgabe ist laut Bundesgesetz nicht möglich. Aber Sie haben Recht: Im April dieses Jahres hat der Vertrag zwischen der Bundesregierung und dem
Land Brandenburg dem Land die Verfügungsgewalt über diese Bodenreformflächen gegeben und es könnte sie jetzt theoretisch weiterverschenken. Damals hat Frau Geywitz dazu gesprochen. Sie haben diesmal den Rechtsausschuss angesprochen. Deshalb müssen Sie jetzt mit mir hier Vorlieb nehmen.
Dagegen sprechen zwei Punkte: einmal - so denke ich - der Artikel 40 unserer Verfassung. Ich denke - ich habe das damals jedenfalls so erlebt, und ich habe mich natürlich auch mit Juristen beraten -, dass das auch so gemeint ist, dass das Land mit seinem Vermögen sehr behutsam umgehen muss und eine Art Schenkung in diesem Bereich des Artikels 40 nicht vorgesehen ist. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt.
Der andere Punkt, der entscheidend ist, ist der: Selbst dann, wenn das Gesetz, das Sie entworfen haben, umgesetzt würde, entstünde keine Gleichheit, wie Sie behaupten, sondern die Ungleichheit würde zu unseren Nachbarländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern bestehen bleiben. Denn die haben das Problem der Verjährung, und die haben das Problem mit 1990 und 1992 ebenfalls.
Mit anderen Worten: Dem Subsidiaritätsprinzip folgend ist es Bundesrecht und es bleibt Bundesrecht. Daher kann es nur auf Bundesebene geregelt werden. Ich halte es durchaus für berechtigt, es dort auch zu versuchen, gerade in den konkreten Fällen, die ich vor Augen habe. Aber das muss auf der Bundesebene geschehen, da das gesamte Beitrittsgebiet betroffen ist und nicht nur ein Land. Insofern wäre dies eine Chance gewesen, ein weiterer Grund für die Grünen, auf Bundesebene ernsthaft für eine schwarz-grüne Koalition zu arbeiten. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht stand hier vor einer schwierigen Entscheidung. Hier musste eine extreme Gratwanderung gemacht werden, die, wie ich denke, gut gelungen ist. Es geht darum, dass man Strafgefangenen, die ihre Haft bis zum letzten Tag verbüßt haben und die trotzdem - Sie haben es gesagt - eine Gefahr für die Menschen darstellen, das Freiheitsrecht, das ihnen jetzt eigentlich wieder zustünde, vorenthalten muss, ohne dass es ein neues Gerichtsurteil gibt. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht, glaube ich, auch keine andere Chance gehabt, als so zu entscheiden, wie es entschieden hat; Sie haben es gerade beschrieben: Einmal geht es um das Abstandsgebot - dass sich diese Sicherungsverwahrung von der normalen Haft unterscheiden muss - und darum, dass möglichst viele Dinge drinnen so sind wie draußen - bis auf das eine Recht, das Freiheitsrecht, das vorenthalten wird. Das schlägt sich auch in der Sprache
nieder, indem nicht mehr vom Verwahrraum die Rede sein darf, sondern es dann Zimmer heißt. Man wohnt dann also unter Ausschluss des Freiheitsrechtes.
Die Anhörung hat ergeben - jedenfalls wurde das von einer großen Mehrheit der Anzuhörenden, auch Vertretern der Opposition, so gesagt -, dass dieser Gesetzentwurf sehr nah an dem ist, was das Bundesverfassungsgericht vorgibt. Ich denke, das ist auch die einzige Möglichkeit, die wir haben, dieses Gesetz möglichst nah umzusetzen. Alles andere hätte neue Klagen und neue Gerichtsentscheide zur Folge.
Das Bundesverfassungsgericht hatte, glaube ich, auch keine andere Chance, als als zweites Standbein - Sie haben das genannt - zu entscheiden, dass die Unterbringung, die Sicherungsverwahrung freiheits- und therapieorientiert sein muss. Im anderen Falle hätten wir die Situation, die wir bei den nachträglichen Sicherungsverwahrungen haben, dass die Täter - also jene, die ihre Strafe schon abgebüßt haben - freigelassen und dann von einem Dutzend Polizisten rund um die Uhr bewacht werden müssen. Insofern muss die Sicherungsverwahrung therapieorientiert sein.
Es wurde uns in der Anhörung auch bestätigt, dass die Kriterien für Haftlockerungen so sind, dass die von Ihnen beschriebene Gefährdung der Bevölkerung nicht besteht.
Wichtig ist die von der Kollegin Teuteberg eingeforderte Berichtspflicht gerade bei diesem Gesetz, weil wir hier in allen 16 Bundesländern aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs und dann auch des Bundesverfassungsgerichts Neuland betreten und aus den regelmäßigen Berichten dann erkennen können, wo gegebenenfalls geändert und nachgebessert werden muss. - Ich empfehle das Gesetz zur Annahme. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer Fernsehdiskussion zum Thema Jugendgewalt hat ein Staatsanwalt mitgeteilt, ihm habe ein Jugendlicher, den er zu vernehmen hatte, gesagt: Sie sind der erste Erwachsene, der vernünftig mit mir spricht. - Ich will damit nicht sagen, dass wir ein Land seien, in dem Erwachsene nicht vernünftig mit Jugendlichen sprechen, aber es ist ein Hinweis darauf, dass es offensichtlich eine Gruppe von Jugendlichen gibt, die durch alle Raster fallen und um die wir uns kümmern und uns Sorgen machen müssen. Damit bin ich sozusagen vor der Anfrage, denn damit bin ich beim Thema Prävention. Noch besser wäre es ja, wenn die derzeit 155 Jugendstrafgefangenen gar nicht in der Haftanstalt sein müssten. Ich komme noch auf die Sache mit der Prävention zurück.
Gegenstand der Großen Anfrage war der Stand der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, und im Großen und Ganzen hat auch Frau Teuteberg schon darauf hingewiesen, dass es in Brandenburg recht gut gelaufen ist. Im Grunde ist das, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, auch das, was wir für den gesamten Strafvollzug mit unserem Reformgesetz vorhaben: ein Behandlungsvollzug und kein Verwahrvollzug. Bei Jugendlichen war das also schon immer vorgegebenes Recht.
Da ich davon ausgegangen bin, dass Sie die Details hier benennen, habe ich es einmal summarisch gemacht: Hier sind 12 anstaltsinterne Behandlungsmaßnahmen im psychosozialen Bereich oder in Arbeitstherapie, 17 anstaltsexterne Maßnahmen im psychosozialen Bereich - Suchtbehandlungen, um soziale Kompetenz herauszubilden, Antigewalttraining, was meist ein wichtiges Thema ist -, 31 verschiedene Arten von Sport - auch ein wichtiger Bereich, in dem man Soziales lernen, aber auch Aggressionen abbauen kann - und fünf wiedereingliedernde Maßnahmen, besonders im Bildungsbereich, aufgezählt. Das sind die fünf Eingliederungsmaßnahmen. Im Ausbildungs- und Beschäftigungsbereich sind hier sechs Maßnahmen aufgelistet, die auch bewährt sind.
Sie haben Recht, das ist immer die Schwierigkeit mit der Evaluation. Wir haben in diesem Landtag schon oft darüber disku
tiert, dass wir ganze Ministerien durch Berichterstattung stilllegen, aber ich denke, wir werden in der Diskussion einen Kompromiss finden. Ich halte es für richtig, dass gerade in diesem Bereich regelmäßig Bericht erstattet wird, aber so, dass das Ministerium auch noch seine restliche Arbeit machen kann, genauso wie beim Strafvollzug insgesamt. Aber in der Tat müssen die laufenden Programme, die schon vorevaluiert sind - Sie haben das genannt -, noch einmal in Bezug darauf evaluiert werden, wie sie bei uns funktionieren.
Ich komme zurück auf das Thema Prävention, denn ich denke, es bietet sich an, es noch einmal anzusprechen. 95 % der Inhaftierten in Brandenburg sind zwischen 18 und 25 Jahren alt. Über 56 % von ihnen haben keinen Schulabschluss und auch keinen sonstigen Abschluss. Andere haben niederschwellige Abschlüsse, mit denen man auf dem Arbeitsmarkt eher benachteiligt ist. Die Klienten sind männlich - das kennen wir auch aus dem Erwachsenenstrafvollzug. Dazu fallen mir Statistiken ein, die den Weg zeigen könnten, über den wir im Anschluss an die Antwort auf die Große Anfrage nachdenken sollten. Vielleicht sollten wir eine neue Große Anfrage stellen oder eine Erörterung durchführen, um Prävention zu verstärken.
Zwei Drittel aller Schulabbrecher - um solche geht es ja hier meist - sind männlich; zwei Drittel aller verhaltensauffälligen Schüler sind männlich. Bei ADHS sind es über 90 % - sagen uns die Statistiker -, und 90 % der häuslichen Prügelopfer sind männlich.
Das ist ein Argument, auf diese benachteiligte Gruppe, die es offensichtlich gibt, stärker aufzumerken. Denn Prävention - das haben wir schon oft diskutiert - ist Opferschutz, ist Schutz der Jugendlichen auch vor sich selbst. Kein Heranwachsender braucht diese dunkle Stelle in seiner Biografie. Es soll auch erwähnt werden, dass der Jugendstrafvollzug - wenn ich das richtig berechnet habe - knapp neun Millionen Euro im Jahr kostet. Das müsste auch nicht sein.
Nein.
Ich kann Ihnen zahlreiche Fallbeispiele nennen. Ich will hier auch keine Schnellschüsse machen, was Prävention betrifft, denn ich habe in meinem Bereich mehrfach erlebt, dass sich Lehrer, Erzieher, Jugendsozialarbeiter, Therapeuten und Jugendhilfe redlich bemüht haben, dass aber am Ende - fast im wörtlichen Sinne - das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es ist also eine sehr komplizierte Materie, die hier zu bedenken und zu bearbeiten notwendig ist, gerade aber im Blick auf das, was wir hier besprechen.
Deshalb ist das die Einleitung nach dieser Großen Anfrage, die den Jugendstrafvollzug relativ positiv beschreibt. Sie haben die Punkte benannt, bei denen noch Diskussionsbedarf besteht: offener Vollzug, Besuchsregelungen, Abbruch bei der Ausbildung, Lockerung. Dazu werden wir im Ausschuss sicherlich noch etwas hören, aber am Ende, denke ich, ist es wichtig, dass wir eine Situation in diesem Lande schaffen, in der im Sinne des Staatsanwalts, den ich eingangs zitierte, jeder Jugendliche - um
bei dem Bild zu bleiben - einen Erwachsenen findet, der ihm zuhört. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz hat einen rechtspolitischen Hintergrund - der Herr Minister ist ausführlich darauf eingegangen, das kann und will ich jetzt gar nicht wiederholen -, der bemerkenswert ist. Ich denke, man muss kein juristisches Examen haben - ich habe das nicht -, um zu erkennen, dass ein Straftäter, der seine Strafe - die von einem ordentlichen Gericht verhängt worden ist - bis zum letzten Tag verbüßt hat, nicht einfach im Strafvollzug festgehalten werden kann, es sei denn, es gibt ein neues Urteil. Das genau besagen - etwas verkürzt gesagt - die Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts. Diese sagen nicht, dass die Betreffenden jetzt freigelassen werden sollen, sondern dass sich Sicherungsverwahrung deutlich vom Strafvollzug unterscheiden muss. Genau das müssen und wollen jetzt alle 16 Bundesländer umsetzen. Sie haben einen gemeinsamen Musterentwurf entwickelt, der diesen Urteilen Rechnung trägt. Unser Gesetzentwurf, der hier vorliegt, ist nah an ihm dran.
Ich habe es vielleicht falsch verstanden, Herr Eichelbaum: Sie stellen es so dar, als seien die Opfer gefährdet. Das „Wegsperren“ bleibt ja, nur in einem anderen Zusammenhang, indem Behandlung und Verwahrung gleichermaßen eine andere Wichtigkeit bekommen, aber der Gefangene - der dann nicht mehr eine Strafe verbüßt - auch Rechte hat, die er dann auch wahrnehmen kann.
Willi Köpke vom Bund der Strafvollzugsbediensteten hat - zumindest mir, ich glaube, den anderen auch - ein Papier mit einem langen Katalog mit sechs Schwerpunkten überreicht, zu denen Gesprächsbedarf und eventuell Änderungsbedarf besteht. Ich kann mich anschließen, Herr Eichelbaum: Ich freue mich auf eine spannende Anhörung und eine spannende Debatte.
Ich empfehle die Überweisung dieses Gesetzentwurfs in den Ausschuss. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zehn Bundesländer haben sich zusammengetan - wir haben es gehört -, um einen Musterentwurf zu erarbeiten. Ich fand es von vornherein gut, dass es immerhin zehn waren, weil ich insgesamt die Kleinstaaterei in Deutschland nicht so positiv finde, auch in diesem Bereich nicht, zumal wir auch mit anderen Ländern kooperieren wollen.
Der Grundgedanke - der Minister hat es schon dargestellt - dieses Musterentwurfs, immerhin von allen ostdeutschen Bundesländern mit ausgearbeitet oder unterzeichnet, ist der, den Straf
gefangenen zu einem straffreien Leben und zur sozialen Reintegration zu befähigen, und - Sie haben es auch gesagt, Herr Eichelbaum - er leistet einen wichtigen Beitrag zum Opferschutz; es ist natürlich nicht der einzige. Wir haben in den letzten Tagen auch über vieles andere geredet. Es beginnt bei der Bildungs- und Sozialpolitik und geht bis zur Justizpolitik.
Die zehn Länder sind sich also in diesem Anliegen einig. Ich habe das Wochenende genutzt, um einmal nach allen 16 Bundesländern zu googeln. Die sechs Länder, die nicht zu dieser Gruppe gehören, haben auf ihren Homepages dasselbe Ziel beschrieben: mehr Behandlungsvollzug, weniger Verwahrvollzug. Darin sind wir uns alle einig, da sind wir in einer guten Debatte und müssen nicht gleich alle Gesetze zurücknehmen.
Die Umsetzung ist aber in den Ländern verschieden, da haben Sie Recht. Ich habe bisher nur einen dem Musterentwurf entsprechenden Gesetzentwurf gefunden, den von MecklenburgVorpommern; die anderen haben aber über Kleine Anfragen und Interviews schon die Tendenz angegeben, in die sie gehen werden; sie wird sich von unserer unterscheiden. Hier ist der erste Punkt, über den wir diskutieren müssen. Für mich ist klar: Die Justizministerin von Sachsen-Anhalt, einem Land, mit dem wir kooperieren, wird die erste Gesprächspartnerin unserer Fraktion darüber sein, warum dieses Land einen anderen Weg geht, natürlich nur an manchen Punkten. Ich meine, wir sollten uns gegenseitig dazu einladen und auffordern, diesen Diskussionsweg zu gehen und nicht gleich über „Alles oder nichts“ zu sprechen.
Der Regierungsentwurf von Brandenburg, der uns jetzt vorliegt, ist nahe an dem Musterentwurf. Die Debatte mit unseren fünf ostdeutschen Nachbarn - das liegt nahe, weil wir mit ihnen kooperieren und grenzüberschreitende Zusammenhänge haben - ist vor allem interessant für mich. Vielleicht haben Sie es auch ergoogelt. Die Ministerpräsidentin von NRW, Frau Kraft, hat extra einen Justizvollzugsbeauftragten berufen, der hochinteressante Themen formuliert, die Ihnen und auch mir sehr nahe kommen, zum Beispiel: Wie bindet man Opferbeauftragte in die Art des Behandlungsvollzugs ein? Das ist natürlich eine hochspannende, auch hochriskante, aber, wie ich meine, auch ganz wichtige Aufgabe, die genau in dem Sinne ist, der uns allen am Herzen liegt: dass natürlich Strafvollzug nicht gegen die Interessen der Opfer sein kann.
Übrigens ermöglicht der Gesetzestext, der uns vorliegt, auch so etwas, wie es sich Nordrhein-Westfalen vorstellt: Familienkonferenzen oder auch Wiedergutmachungsmöglichkeiten symbolischer Art, dass Täter durch Arbeit Geld ansparen und einen symbolischen Betrag an die Opfer zahlen. Solche Sachen in den nächsten drei Monaten zu diskutieren, darauf habe ich große Lust und das finde ich auch sehr spannend.
Von den Vorrednern wurden schon die beiden Punkte genannt, die in allen 16 Bundesländern kritisch und kontrovers diskutiert werden. Der eine ist die Arbeitspflicht. Dazu kann ich erzählen: 1990, als wir in Brandenburg begannen, war es genau umgekehrt. Damals brachen die volkseigenen Betriebe zusammen, so das Stahl- und Walzwerk oder das Getriebewerk, die Arbeitsmöglichkeiten im Strafvollzug angeboten hatten. Es war so, dass schätzungsweise 90 % der Gefangenen arbeiten wollten, wir aber gar keine Arbeit hatten. Inzwischen ist vielleicht für 60, 70 oder 80 % der Gefangenen Arbeit vorhanden. Insofern funktioniert die Arbeitspflicht auch gar nicht, weil wir
nicht genug Arbeit anbieten können. Aber das Entscheidende ist: Die große Mehrzahl der Gefangenen - ich habe keine Statistik, aber nach meinem Empfinden sind es über 90 % - will arbeiten, weil es gar nicht gut ist, 23 Stunden am Tag im Verwahrraum zuzubringen, und weil sie damit ihr Taschengeld aufbessern können, also eine ganz einfache Sache.
Das Grundanliegen hat der Minister schon erwähnt. Es geht um die Einbeziehung der Praktiker. Frau Stark hat in Bernau eine sehr gute Veranstaltung organisiert, wie ich gehört habe, wo auch Herr Feelgood dabei war, der die sozialtherapeutische Abteilung in Brandenburg leitet. Die Praktiker sagen uns: Arbeit muss natürlich in den Behandlungsplan integriert werden. Das hat der Minister auch gesagt. Arbeit an sich ist kein Wert, nur in den Behandlungsplan integrierte Arbeit ergibt einen Sinn. Manchmal sind andere sozialtherapeutische oder psychotherapeutische Maßnahmen vorrangig. Dann müssen diese vor einem Arbeitstraining stattfinden. Im Übrigen können per Gesetz § 68 durchaus Sanktionen verhängt werden das hat der Minister auch genannt -, wenn die Arbeit verweigert wird.
Die Haftlockerung ist der zweite Punkt.
Ich staune, dass das rote Lämpchen schon blinkt. Ich hatte den Eindruck, dass der Minister seine Redezeit überzogen hat. Oder ist das nicht so? Dann habe ich ja mehr Zeit.
Dann muss ich es kurz machen.
Die Haftlockerung ist wirklich der komplizierteste Teil. Dazu sagen uns die Praktiker: Ein Jahresschema hilft wenig. Es muss auch in den Behandlungsplan integriert werden und zu dem Zeitpunkt erfolgen, wo es sinnvoll ist. Sie wissen doch genau Sie sind doch von uns beiden der bessere Fachmann, jedenfalls vom Studium her -: Ein Langstrafer, der eine schlimme Straftat begangen hat - das sagen alle Praktiker, und das weiß ich aus den 22 Jahren, die ich im Strafvollzug in Brandenburg als Ehrenamtler bin -, braucht eine lange Strecke, ehe er auf dem Weg der Resozialisierung so weit ist, dass die Behandelnden sagen können: Hier wäre eine erste Ausführung möglich.
Wir werden trotzdem darüber diskutieren müssen, wie wir an diesem Punkt verfahren. Denn es ist abzusehen, dass alle anderen Bundesländer eine Zahl aufschreiben, und darauf werden wir reagieren müssen. Darüber sind wir, wie ich meine, in einer lebhaften Debatte, und das ist auch völlig richtig.
Wir werden also Anhörungen mit den Praktikern machen, das halte ich für ganz wichtig, weniger mit Hochschulprofessoren, sondern mit denen, die die Praxis kennen wie der Herr Feelgood, ein Name, der auch gleichzeitig Omen ist, mit den Opferverbänden, mit der Opferhilfe. Es ist schon wichtig, dass sie auch in den Behandlungsplan einbezogen werden, aber auch in die Art, wie das Gesetz gestaltet wird. Das habe ich in meiner Rede auch gesagt, dass wir die Opfer in ihrer Empfind
samkeit nicht ein zweites Mal verletzen dürfen. Weiterhin müssen wir mit den Bediensteten sprechen. Ich begrüße ganz herzlich Herrn Köpke. Natürlich müssen die, die das umsetzen müssen, ein gewichtiges Wort darüber mitreden können, wie das Ganze geschehen soll, und dann haben wir die Endfassung.
Nun hatte Frau Niels berechtigterweise noch etwas zu den Finanzen gefragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Genau gesehen ist dieser Einzelhaushalt 4 der wichtigste Einzelhaushalt überhaupt. Ich will Ihnen auch erklären, warum: Als wir hier vor 22 Jahren anfingen, unsere Landesverfassung zu debattieren, hatten wir natürlich unzählige Anhörungen dazu. Die Fachleute haben uns immer gesagt: Schminkt euch das mal ab mit der Trennung von Exekutive und Legislative, das hat in Deutschland noch nie geklappt, und - an der Regierungsbank sieht man
es - auch hier klappt es nicht. Das müsse auch nicht klappen, haben die uns gesagt, wenn denn die Judikative wirklich garantiert unabhängig sein könne. Und deshalb, meine ich, ist das der wichtigste Haushalt, weil wir hier das Geld zur Verfügung stellen - zur Verfügung stellen müssen -, damit die Judikative unabhängig agieren kann. Herr Eichelbaum hat schon darauf hingewiesen.
Wir hatten in der Beratung dazu auch einen Antrag. Herr Eichelbaum, ich wundere mich, wenn Sie so viel Kritik an dem Haushalt haben, warum nicht in der Beratung reichlich Änderungsanträge von Ihnen gekommen sind. Wir hatten nur einen Antrag - von den regierungstragenden Fraktionen; das hat der Kollege Groß schon gesagt - zu den 15 Proberichterstellen, die über eine Deckungsmöglichkeit, über die wir alle im Haushaltsausschuss nicht so glücklich waren, abgesichert werden konnten. Aber wir haben nichts anderes gefunden, und letztlich wurde der Antrag auch einstimmig so verabschiedet.
Ich stimme Ihnen auch gerne zu, Herr Eichelbaum: Ich wünschte mir noch 15 Richter zusätzlich. Aber für diesen Haushalt gilt dasselbe wie für alle anderen Haushalte: der enge finanzielle Rahmen.
So schlecht, wie Sie es geschildert haben, stehen wir nicht da. Ich frage mich natürlich auch immer wieder: Sie haben hier 10 Jahre lang das Justizministerium besetzt, sagen Sie doch mal, welche Verbesserungen Sie in dieser Zeit gemacht haben. Ich will es Ihnen sagen: Sozialrichter hatten wir damals 37, jetzt sind es 72 - das ist fast das Doppelte.
Sie können also nicht behaupten, dass wir da nichts getan hätten. Und diese 72 erfüllen auch den sogenannten PEBB§YSchlüssel, der vorgibt, wie viele Aufgaben ein Richter zu erfüllen hat. Wir haben hier damals auch einen Antrag an die Regierung gestellt. Das Pirmasenser Modell - Stichwort Bescheiderklärer - wurde genannt.
Das Arbeitsministerium hat inzwischen auch in dem Sinne gehandelt und eine Arbeitsgruppe gegründet, die versucht, die Jobcenter miteinander zu vernetzen und gute Beispiele zu multiplizieren, die wir in Potsdam-Mittelmark und in Teltow-Fläming haben, wie Bescheiderklärer die Klageflut mindern und damit auch die Gerichte entlasten können.
- Nein, die arbeitet noch, das braucht seine Zeit.
Ich selbst habe meine Mitarbeiterin auch beauftragt, als Erklärerin zu fungieren. Es ist ja auch unsere Aufgabe, dass wir Bürgerinnen und Bürger, die in unsere Sprechstunde kommen, beraten. Wir machen das wöchentlich und leisten somit auch einen Beitrag.
Verwaltungsgerichte: Das ist nach wie vor problematisch, aber immer noch besser als zu der Zeit, Herr Eichelbaum, als Ihre Partei den Minister stellte. Von 34 Monaten auf 20 Monate: Die
Bearbeitungszeit ist nicht gut, sie ist immer noch zu lang, aber eben schon besser. Ich verwies auf den Rahmen, den uns die Situation finanziell vorgibt. Ich hätte auch gerne noch mehr Richter. Die Bearbeitungszeit beim Arbeitsgericht liegt bei drei Monaten, und die anderen Gerichte arbeiten so, wie es sein muss.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns vorgegeben, dass wir für bestimmte gefährliche Häftlinge Sicherungsverwahrung einrichten müssen. Auch dafür ist Geld im Haushalt eingestellt; in Brandenburg-Görden wird für etwa 10 Millionen Euro gebaut werden. Die Presse hat heute darüber berichtet.
Wir haben in der Tat weniger Strafgefangene. Das hat nichts mit der Bevölkerungszahl zu tun. Die Ursachen sind nicht ganz klar, aber jedenfalls sind die Zahlen sinkend. Wir haben jetzt etwa 60 % der Zahl - 1 360 sind es, glaube ich, derzeit -, die uns einmal von Fachleuten prognostiziert worden ist. Das heißt, wir kamen und kommen nicht umhin, eine Anstalt zu schließen. Auch das spart Geld. Ich habe in Brandenburg an der Havel erlebt, wie es ist, wenn nur einzelne Hafthäuser geschlossen werden. Das spart nicht wirklich. Der Unterhalt kostet eine Menge. Insofern hatten wir keine Wahl. Ich denke, das ist auch ein Beitrag zur Finanzeinsparung in diesem Bereich.
Herr Eichelbaum, Sie haben gesagt, andere Bundesländer wären uns, was das Strafvollzugsgesetz betrifft, schon voraus.
- Ach Sicherungsverwahrung, dann habe ich es falsch verstanden, Entschuldigung.
Frau Niels, die Debatte haben wir übrigens übermorgen. Das ist ein Wunschdenken; morgen schon wäre schön. Wir haben übermorgen die Debatte zum Strafvollzugsgesetz. Ich denke, da werde ich sie dann auch führen und spare das heute aus.
Wir haben in Duben eine Kooperation mit Sachsen-Anhalt, auch das spart Geld.
Ich will auch auf die Rente mit 62 eingehen, wo Kollege Bernig und ich mitgewirkt haben, dass es dann doch zu dieser Lösung gekommen ist, die sozial angemessen ist.
Frau Nonnemacher, ich halte diese Beispiele immer für problematisch. Sie haben ja Recht mit der Nachtkrankenschwester. Nur, sollen wir uns wirklich nach unten orientieren? Ich würde genau andersherum argumentieren
und sagen: Die Nachtkrankenschwester muss besser bezahlt werden, und sie muss, wenn die Regelung reformiert wird, das haben wir mit der Altersgrenze von 67 Jahren vor, unter die Kategorie fallen, die eher in Altersrente gehen darf. Aber da sind wir uns wahrscheinlich auch einig.
Insgesamt haben wir im kommenden Jahr, glaube ich, 3 Millionen Euro mehr als im vorigen Jahr. Die Grenzen sind vorhanden. Ich wünschte mir mehr, aber wir müssen uns damit auch nicht verstecken, und die von mir eingangs erwähnte Arbeitsfähigkeit der Judikative und die Unabhängigkeit durch diesen Haushalt sind gewährleistet. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eben gehört: Bei der Einbringung des Gesetzes bzw. des Staatsvertrages gab es große Einigkeit, dass das Vorgeschlagene für unter Führungsaufsicht stehende Personen gut dafür geeignet ist, ihnen bei der Resozialisierung - dies wurde gerade genannt - ein Stück weit zu helfen, aber vor allem auch die Gesellschaft vor Straftaten zu schützen. Natürlich ist es kein Allheilmittel, aber zumindest ein Beitrag von vielen, der geleistet werden muss.
In Brandenburg sind von diesem Staatsvertrag - darüber waren wir uns in allen Debatten einig - relativ wenige Straftäter betroffen. Insofern ist es nicht sinnvoll, für Brandenburg eine Evaluierung anzuberaumen. Dies ist vielmehr - wenn ich es richtig sehe - für den Bund vorgesehen; denn es ist schließlich auch eine bundesweite Gesetzgebung bzw. ein bundesweiter Staatsvertrag.
Zudem hat der Minister bereits im Rechtsausschuss - wenn ich mich recht entsinne - zugesagt, dass er jährlich über den Vollzug dieser elektronischen Überwachung berichten wird. Falls er es dennoch vergessen sollte, können die drei Oppositionsfraktionen das auf die Tagesordnung setzen. Insofern sehe ich diesbezüglich kein Problem.
Auch die Richterweiterbildung ist im Blick und bereits angeschoben, sodass die Anträge der Fraktionen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP zwar nicht falsch sind, sich aber erübrigen.
In dem CDU-Antrag, Herr Eichelbaum, schlagen Sie ein Modellprojekt vor. Der Staatsvertrag mit all seinen rechtlichen und uns vorliegenden Regelungen ist aber bereits das Ergebnis einiger Modellversuche und Studien. In Vorbereitung auf diesen Tagesordnungspunkt habe ich mich noch einmal ein wenig durch den Blätterwald gepirscht. Es war hochinteressant zu lesen, welche Möglichkeiten und Modelle es gibt. Jetzt ist aber die Zeit der Studien - der Vergleichsstudien, wissenschaftlichen Studien sowie der Modellversuche - vorbei. Vielmehr befinden wir uns nun in der Phase der praktischen Umsetzung. Das ist der Sinn des Staatsvertrages, deshalb lehnt die SPD-Fraktion den CDU-Antrag ab.
Der Hauptausschuss hat - so habe ich das in meinem Demokratieunterricht gelernt - einstimmig beschlossen, dem Landtag zu
empfehlen, diesem Staatsvertrag zuzustimmen; denn eine Enthaltung ist ja keine Gegenstimme.
Wie Sie es auch immer haben wollen: Bei einer Enthaltung war eine große Mehrheit für Zustimmung, und diese empfehlen wir Ihnen heute auch. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidung auf Bundesebene, die elektronische Aufenthaltsüberwachung „Fußfessel“ - einzuführen und auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, hat ziemlich lange gedauert. Der Minister hat deutlich gemacht, wie differenziert diese Möglichkeit zu betrachten ist. Insofern ist eine ausführliche Debatte notwendig; das ist ja auch eine Stärke der Demokratie.
Ich erinnere aber gern daran, dass - ich glaube, es war vor zwölf Jahren - die damalige Hamburger Senatorin PeschelGutzeit und der damalige brandenburgische Minister Alwin Ziel genau für diesen Anlass - Kontrolle der Führungsaufsicht, wenn sie denn verhängt worden ist - die elektronische Überwachung vorgeschlagen haben. Beide sind Mitglieder der SPD; sie konnten sich aber damals im Bundesrat nicht durchsetzen. Nunmehr, nach zwölf Jahren, ist es so weit. Die Debatte, die dazu geführt hat, hat sich auch gelohnt.
Zur Sache selbst! Man kann nicht oft genug wiederholen, was der Minister gesagt hat: Eine Gesellschaft wie die, in der wir leben und die - trotz aller Bemühungen um Sozialstaatlichkeit sehr viele Verlierersituationen schafft, braucht sich nicht zu wundern, wenn auch die Kriminalität relativ hoch ist. Positiv ausgedrückt: Es ist unsere erste Aufgabe, an Sozialstaatlichkeit zu arbeiten.
Zur Überwachung selbst, nachdem Führungsaufsicht verhängt worden ist, fasse ich nur kurz zusammen: Der Richtervorbehalt ist selbstverständlich; auch kommt die Fußfessel nur bei schweren Straftaten in Betracht.
Herr Eichelbaum, beim Stadionverbot halte ich es mit der Bundesjustizministerin, die es ja wissen muss. Sie sagt, dort bestehe überhaupt kein Anlass. Rechtlich fragwürdig sei schon die Umsetzung eines Stadionverbots von Privaten. Jedenfalls gebe es insoweit überhaupt keine Probleme. Von Ihnen wird etwas gefordert, was eine statistisch nicht belegbare Grundlage hat. Insoweit folge ich der Bundesjustizministerin vollständig.
Es muss regelmäßig überprüft werden, ob die Notwendigkeit der Überwachung weiterhin vorhanden ist. Die Herstellung der technischen Einsatzbereitschaft wird durch das Gesetz geregelt. Der Datenschutz muss beachtet werden.
Die elektronische Fußfessel ist sicherlich eine gute Möglichkeit der Überwachung - der Minister hat es gesagt, Herr Eichelbaum auch -, aber, wie ich hoffe, auch der Resozialisierung. Sie ist aber nicht die einzige Möglichkeit. Man sollte nicht zu hohe Erwartungen an die elektronische Aufenthaltsüberwachung richten.
Wir als SPD-Fraktion stimmen selbstverständlich zu. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als im Jahr 2004 das Kammergericht in Moabit eine Grundsatzentscheidung getroffen und in einem Einzelfall entschieden hat, dass alle 4 000 in dem Jugendwerkhof Torgau untergebrachten Jugendlichen zu Unrecht eingewiesen wurden, weil die Gründe für die Einweisung und die dortigen Zustände den Menschenrechten in jeglicher Form widersprochen haben und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten, hätte die Politik - im Zweifelsfall wir - wach werden und Handlungsbedarf erkennen müssen. Dies hat jedoch noch eine Weile gedauert. Das ist die Geschichte von Ralf Weber, der geklagt hat und den die „Märkische Allgemeine“ am 22. Februar dieses Jahres auf der dritten Seite ausführlich gewürdigt hat.
Im Jahr 2006 hat Peter Wensierski - „Spiegel“- und ARD-Journalist - das Buch „Schläge im Namen des Herrn“ herausgegeben. Darin geht es um das Schicksal von Heimkindern im Westen, das keineswegs anders oder besser ist als das im Osten. Es ist insofern schlimmer, als es sich dort um kirchliche Heime handelte. Infolge dieses Buches wurde der Bundestag von Betroffenen West mit Petitionen überhäuft, sodass ein Runder Tisch gebildet wurde, der letztlich zu der Entscheidung kam, die Heimkinder West zu entschädigen.
Wer im Internet nachschaut - ich empfehle allen den Block von Dierk Schäfer, der das sehr präzise und sachkundig sortiert -, wird feststellen, dass kaum ein Heimkind West mit dieser Lösung zufrieden ist, dass die Entschuldigung West als halbherzig und die Entschädigung - 120 Millionen Euro für 800 000 Betroffene - als lächerlich empfunden wird. In Irland hat man 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, was 76 400 Euro für jeden Betroffenen bedeutete. Meines Erachtens ist der Fonds sogar nach oben offen - je nachdem, wie sich die Antragstellung darstellt.
Am Samstag hat die Fernsehsendung „ML mona lisa“ das Schicksal zweier Heimkinder West aufgegriffen, die vor dem Kölner Landgericht gegen diese Entscheidung klagen und eine Entschädigung in Höhe von 54 000 Euro einklagen wollen. Das können Sie in der Mediathek nachschauen.
Gestern fand im Landgericht Köln die Anhörung dazu statt. Leider kam es so, wie es kommen musste: Die Richter sagten, es bestehe kaum eine Chance auf einen positiven Ausgang die
ser Klage; denn man müsse präzise nachweisen, dass die erlittenen Schäden auf die Heimerziehung zurückzuführen sind. Dann fällt auch noch das Wort der Verjährung, das wir inzwischen bei solchen Fällen zur Genüge kennen. Und ganz banal: Bis 1973 war im Westen - in der DDR nicht - in den Schulen und Erziehungseinrichtungen das Schlagen erlaubt. Insofern können DDR-Heimkinder zumindest die erhaltenen Schläge als gesetzeswidrig beklagen.
Im Nachgang zu dieser Regelung West gibt es nun die Regelung Ost, die dieselben Mängel aufweist wie die Regelung West: Es ist zu wenig Geld und die Zahlen sind unklar. In den meisten Pressemitteilungen ist die Rede von 400 000 Euro. Das entspräche 100 Euro pro Heimkind. Das ist so lächerlich, dass ich es nicht weiter zu thematisieren brauche.
Derjenige, der traumatisiert ist - das habe ich mit einem Fachmann besprochen - und eine Therapie benötigt, braucht mindestens eine dreijährige Gesprächstherapie mit zwei bis drei Sitzungen pro Woche. Das ist unheimlich teuer und von diesem Geld nicht zu bezahlen.
Die Studie zur Heimerziehung in der DDR, die hier schon mehrfach zitiert wurde, ist auf der Homepage des Bildungsministeriums abzurufen. Zudem empfehle ich als Standardwerk Ost „Erziehung hinter Gittern“, das gegenwärtig erhältlich ist. Es lohnt sich, dort nachzulesen, wenn man Empathie nicht nur oberflächlich äußern will.
Sicher ist es wichtig - das haben die Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt -, dass die Würdigung und die Anerkennung des Unrechts und des Leids und die Möglichkeit, darüber zu sprechen und in der Öffentlichkeit zu sein, auch wichtige Punkte sind. Das sagen auch Heimkinder selbst, die andererseits das zu wenige Geld beklagen. Aber es geht auch um körperliche und seelische Schäden infolgedessen. Es geht um Gehaltseinbußen, um Lebensunterhalt und Rente, und dafür wäre aus meiner Sicht das irische Modell eindeutig das gerechtere.
Ich habe mir auch einmal überlegt, welches Wort denn treffend sei. „Wiedergutmachung“ ist ein Euphemismus, denn - die Vorredner haben es gesagt - Schädigungen dieser Art sind nicht wiedergutzumachen. „Entschädigung“ ist auch ein Euphemismus, denn die Schäden sind nur begrenzbar, aber nicht aufhebbar. Mir ist das Wort „Lastenausgleich“ eingefallen. Die, die es in der Diktatur besser hatten - oder anders: bei den Heimkindern West auch die, die es dort besser hatten -, wären eigentlich verpflichtet, denen einen Lastenausgleich zu zahlen, die schwerere Lasten in der DDR-Diktatur zu tragen hatten.
Ich will auch noch den Staatssekretär aus dem Sozialministerium in Berlin zitieren. Hermann Kues weist darauf hin, dass das Versagen der DDR eben nicht auf die Stasi zu reduzieren ist. Das sollten wir in diesem Haus gerade auch an diesem Beispiel lernen.
In Lehnin war ein Jugendwerkhof. Ich war damals einer, der die offene Jugendarbeit unter dem Dach der evangelischen Kirche gemacht hat. Die Jugendlichen durften nicht zu uns kommen. Wir durften nicht dorthin. Es durfte überhaupt keine Kontakte geben. Diejenigen, die die Verantwortung hatten, waren keine geheimen Stasi-Leute, sondern die Leute, die neben uns lebten und heute noch da leben und nach Ihrer Definition, Herr Dombrowski, eben nicht zu den Tätern zählen. Viel
leicht kommen wir zu einer sachlicheren Diskussion auch in dieser Frage.
Auch die SPD-Fraktion unterstützt die Einrichtung der Stellen, die bei Frau Poppe vorgesehen sind. Ich hoffe nur, dass da auch wirklich hochqualifizierte Fachleute sein werden, die etwas von einem therapeutischen Gespräch, von aktivem Zuhören oder eben auch von einem seelsorgerischen Gespräch verstehen. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In London fanden vor einem Jahr im August schwere Jugendunruhen statt, die in Vandalismus und Plünderungen ausuferten. Wer schon einmal in London war - ich war gerade über Ostern dort -, weiß, dass man dort stark videoüberwacht wird. Der Großteil der Straftäter ist auch fotografiert worden. Der Innenminister hat diese Fotos ins Internet, aber auch - wie man uns erzählt hat - auf Wagen gestellt und durch die Stadtteile fahren lassen, sodass die Jugendlichen identifiziert werden konnten. 4 500 Jugendliche seien infolgedessen vor Gericht gestellt und verurteilt worden.
Die EU lässt uns zum Glück nicht in Unkenntnis darüber, wie die Kriminalitätsentwicklung in den europäischen Ländern und Metropolen ist. Eine Studie der Europäischen Union weist London als die Stadt in Europa mit der höchsten Kriminalitätsbedrohung unter allen Großstädten Europas aus; Berlin liegt auf Platz 9. Auch bei den Ländern führen Irland und Großbritannien; Deutschland liegt auf Platz 9.
Wir sind also - das haben Sie ja zitiert - mit unserem derzeitigen Strafvollzugsgesetz von 1977 gut beraten, das als einziges Vollzugsziel Resozialisierung festschreibt. Da ist der erste Punkt, an dem ich Ihnen sagen muss, Herr Eichelbaum: Sie haben das Gesetz zitiert und gelobt, aber offensichtlich nicht gelesen.
Denn dort ist - ob mir das gefällt oder nicht - als einziges Vollzugsziel - und das wissen Sie auch - Resozialisierung aufgeführt. Das hat einen guten Grund, denn die Erfahrung, die ich gerade aus England geschildert habe - dass ein besonders martialisches Rechtssystem keineswegs dazu führt, dass es im Land, in den Städten weniger Kriminalität gibt -, ist alt. Es ist eine Erfahrung, die alle kriminalistischen Institute längst kennen. Die deutsche Politik hat sich daran ausgerichtet.
Ich habe 1990, als sich für uns auch die Gefängnistore öffneten, zum Beispiel die der JVA Brandenburg - sie gehört bis heute zu meinem Wahlkreis -, erlebt, welcher Widerspruch es
eigentlich ist, dass wir Resozialisierung zwar als oberstes Ziel benennen, die Strafgefangenen aber notgedrungen - es ist notwendig; das bestreite ich nicht - zunächst einmal aus allen sozialen Bezügen herausnehmen und in die Parallelgesellschaft des Strafvollzugs hineinbringen. Diese Parallelgesellschaft sucht wirklich ihresgleichen - das weiß man, nachdem man sie das erste Mal erlebt hat - und hat mit dem, was außerhalb passiert, keine Übereinstimmung. Ich betone: Es ist notwendig, dass Straftäter weggesperrt werden; aber das widerspricht im Grunde dem Ziel der Resozialisierung.
Also ist es doch berechtigt, dass - mindestens - zehn Bundesländer darüber nachdenken, wie man Resozialisierung als den besten Schutz für die Bevölkerung noch effektiver als bisher gestalten kann.
Was Sie uns auch verschwiegen haben, Herr Eichelbaum: Es sind drei CDU-geführte Bundesländer aus dem Osten, die an dem Musterentwurf mitgearbeitet haben.
Sie zitieren zwar Mecklenburg, aber Sie zitieren nicht Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen; es ist nicht bekannt, dass sich letztere von dem Musterentwurf distanziert hätten. Diese Länder werden gute Gründe dafür haben, nämlich die Gründe, die ich gerade genannt habe.
Auch wenn es in Ihrem Antrag nicht direkt darum geht, weise ich doch auf das schwedische Modell hin. Dort verbüßen sogenannte „Kurzstrafer“ - bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe - ihre Haft zu Hause, versehen mit einer Fußfessel und mit Auflagen, zum Beispiel Drogenentzug, Antiaggressionstraining usw. Wenn die Auflagen nicht erfüllt werden, müssen die Straftäter in den Vollzug. Dass sie - bei Beachtung der Auflagen - in ihren sozialen Netzen bleiben, ist in der Tat die beste Möglichkeit zur Resozialisierung, wenn man diese denn als besten Schutz für die Bevölkerung ansieht, und das derzeitige Bundesgesetz sieht es so.
Ich wiederhole es: Wichtig ist ein Nachdenken darüber, wie wir Resozialisierung noch effektiver machen können.
Herr Eichelbaum, Sie loben das Strafvollzugsgesetz von 1977. Aber Sie erinnern sich sicherlich auch daran, dass es damals von SPD und FDP - gegen die Stimmen der CDU! - beschlossen worden ist. Dass Sie nach 35 Jahren sagen, dass das Gesetz doch nicht so schlecht war, ist doch nur ein Hinweis darauf, dass der Prozess des Nachdenkens heute zu Recht weitergehen muss.
Auf der anderen Seite ist die Zumutbarkeit für die Opfer und ihre Angehörigen ein sehr wichtiger Aspekt; da bin ich völlig auf Ihrer Seite. Sie haben die Fälle beschrieben. Ich kann Ihnen versichern: Nachdem ich den Posten des rechtspolitischen Sprechers meiner Fraktion übernommen hatte, traf ich mich als Erstes mit Herrn Lüth, als Zweites mit Frau Priet - von der Op
ferhilfe - und als Drittes mit einem Verrieteter des Täter-OpferAusgleichs. Sie sollten nicht denken, dass uns die Opfer gleichgültig seien. Ich wiederhole: Die Zumutbarkeit für die Opfer und die gesamte Gesellschaft muss ein ganz wichtiger Aspekt in der Abwägung sein. Die Gesellschaft solidarisiert sich selbstverständlich mit den Opfern, nicht mit den Tätern.
Ich habe lange darüber nachgedacht, bin dann aber doch zu diesem Urteil gekommen: Wir dürfen in unserer Debatte und durch unser politisches Agieren die Würde der Opfer nicht ein zweites Mal verletzen. Insoweit ist sehr viel Sensibilität gefragt.
Im Übrigen bitte ich Sie, die Rechtslage nicht falsch darzustellen. Auch nach der - heute geltenden - Frist von zehn Jahren besteht kein solcher Rechtsanspruch. Dieser entsteht nur dann, wenn mehrere Gutachten - in der Regel zwei - bescheinigen,
dass der Täter zum Ausgang befähigt ist. Diese Regelung würde auch für alle anderen Fristen, die im Gespräch sind, gelten.
Die Debatte ist notwendig und berechtigt. Ich wiederhole: Auch die CDU-geführten Länder im Osten führen die Debatte; sie sind noch mitten drin. Uns liegt bisher nur ein Musterentwurf vor, noch nicht einmal eine Gesetzesvorlage.
Ich fasse zusammen: Die Debatte muss Resozialisierung als besten Schutz für die Bevölkerung im Auge haben; es gilt zu überlegen, wie sie verbessert werden kann. Ferner muss sie die Zumutbarkeit für die Opfer, deren Angehörige und die gesamte Gesellschaft im Auge haben.
Es ist wichtig, dass wir einen möglichst breiten Konsens zwischen allen Bundesländern herstellen können. Kleinstaaterei in diesem sensiblen Bereich kann uns nicht viel helfen, zumal wir gerade in unserem Land darüber nachdenken, wie wir im Justizvollzug mit anderen Ländern kooperieren können; das würde erschwert, wenn wir deutlich unterschiedliche Gesetzeslagen hätten.
Welche Zahl am Ende in diesem Gesetz stehen wird - das wir, wie gesagt, noch gar nicht kennen; es liegt uns noch nicht vor , wird eine gewissenhafte Debatte ergeben, die das Gesamtpaket und nicht nur einen Aspekt daraus umfassen muss.
Ich erlaube mir anzumerken, dass ich schon der Meinung bin, dass die Zahl näher an der 10 als an der 5 liegen wird. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau von Halem, ich musste heute an Folgendes denken: Vor 30 Jahren haben die Abgeordneten der Grünen im Bundestag die Reden manchmal so begonnen: „Herr Präsident! Leeres Haus!“ Aber das haben Rituale so an sich, die auch eine gewisse Fragwürdigkeit haben.
Wir stellen uns aber diesen Ritualen, und ich freue mich, von allen Fraktionen bisher gehört zu haben, dass wir die Judikative, wie wir wissen, die einzige wirklich unabhängige Größe im Staat - bei Legislative und Exekutive hat das seit 1949 noch nie geklappt - für so wichtig halten, dass sie auch hinreichend ausfinanziert sein sollte.
Bei den Gerichten, Herr Eichelbaum, hatten wir dank Ihrer Initiative im Ausschuss die verschiedenen Anhörungen. Dabei haben wir erst einmal gehört, dass wir bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit und bei den Arbeitsgerichten richtig gut liegen das ist schon einmal gut zu hören -, entsprechend dem, was die Landesverfassung auch vorgibt; Sie haben es zitiert. Sorgenkinder sind nach wie vor die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Sozialgerichtsbarkeit. Immerhin - da muss ich an das erinnern, was Frau Mächtig gesagt hat und was Sie wissen - können Sie sich gut aus der Verantwortung stehlen. Aber wir beide haben das zehn Jahre zu verantworten gehabt. Immerhin hat sich, wie wir im Ausschuss gehört haben, die Situation bei den Verwaltungsgerichten von „ganz schlecht“ auf „schlecht“ verbessert. Das ist nicht befriedigend, aber Sie können ja Ihre ehemalige Ministerin fragen, warum wir das nicht damals schon hingekriegt haben. Aber ein kleiner Fortschritt ist es.
- Ja, es lag dann wahrscheinlich an uns, da wir die Gelder nicht bewilligt haben. Der Koalitionspartner ist immer schuld, völlig klar.
Es ist nicht befriedigend, das ist überhaupt keine Frage, gerade weil bei den Verwaltungsgerichten Bürgerinnen und Bürger
vorstellig werden, die Verwaltungsentscheidungen überprüft haben möchten. In Rheinland-Pfalz dauert das drei Monate. Wir haben hier in der Tat ein Arbeitsgebiet, auf dem wir nach wie vor tätig werden müssen. Aber ich erinnere Sie, Frau Richstein und Frau Blechinger, daran, dass Herr Peter Macke, der damalige Oberlandesgerichtspräsident, immer wieder im Rechtsausschuss vorstellig geworden ist und genau das angemahnt hat, dass aber wir als Koalition es nicht geschafft haben, dies zu verbessern. Unter Rot-Rot ist es ein kleines Stück besser geworden; das soll wenigstens angemerkt werden. Auf der anderen Seite - das hat Frau Mächtig schon gesagt - müssten wir dann auch sagen, wo das Geld herkommen soll. Das ist eben immer die Frage. Wenn es nach mir ginge, könnten wir die Mitarbeiter und Richter alle einstellen.
Was die Lage an den Sozial- und Finanzgerichten betrifft, haben Sie zwar auch Recht; das ist auch dramatisch dargestellt worden. Aber wir müssen dazu sagen, dass hier der Bundesgesetzgeber durch Gesetze immer zuständig ist, und durch schlechte oder problematische Gesetzgebung von Rot-Grün, SchwarzRot und Schwarz-Gelb haben wir bei den Sozialgerichten diesen Anstieg von Fällen, sodass man auch hier diese Korrespondenz zwischen Bundes- und Landesebene sehen muss. Ähnlich ist es bei den Finanzgerichten.
Nein.
Was die Zusammenarbeit der Gerichte betrifft, stimme ich Ihnen zu, Herr Eichelbaum. Es ist ja gut, wenn Sie einen solchen Vorschlag machen, den wir aufnehmen und gemeinsam umsetzen können. Das halte ich in der Tat auch für wichtig. Da ist Ihr Vorschlag gut und hilfreich, jedenfalls vom Grundsatz her. Wir müssen sehen, welche Gerichte in welcher Weise zusammenarbeiten und sich gegenseitig entlasten können. Aber notwendig ist das auf jeden Fall in unserem dünnbesiedelten Land und bei der Aufsplitterung der Gerichtsstrukturen in sechs oder sieben Bereiche.
Ein weiterer Punkt, den auch die Vorrednerinnen und Vorredner angesprochen haben, betrifft die Justizvollzugseinrichtungen. Wir haben da einen Überhang, das wissen wir, und wir müssen Plätze einsparen. Ich meine, das Konzept - es ist erst einmal ein Konzept, das jetzt breit diskutiert werden soll -, das der Minister vorgestellt hat, einmal eine ganze JVA zu schließen, nicht einzelne Abteilungen, weil ein Haus immer Grundkosten verursacht, egal, wie viele Strafgefangene darin sind, ist vom Grundsatz her richtig und hat jedenfalls meine volle Unterstützung. Insofern ist es am meisten kostensparend, wenn man eine ganze JVA schließt. Der Vorschlag Frankfurt (Oder) auch wenn sich mein Kollege Wolfgang Pohl schon an mich gewandt hat, er hat damals als Oberbürgermeister die JVA eingeweiht - erscheint mir im Moment jedenfalls als der richtige. Wir werden hören, was die Diskussion ergibt.
Aber das Zweite halte ich für genauso wichtig: dass wir jetzt die Möglichkeit nutzen, die Resozialisierung im Laufe der nächsten drei Jahre zu stärken. Resozialisierung heißt einmal, wenn sie denn gelingt, mehr Opferschutz, und das ist etwas, was wir alle immer wollen und einfordern. Es spart perspekti
visch auch Geld. Wir denken oft zu kurzfristig. Im Moment würde die Schließung einer größeren Anstalt mehr Geld sparen; aber mehr Resozialisierung spart dann Geld, wenn die Strafgefangenen nach der Entlassung in die Gesellschaft integriert sind und nicht rückfällig werden. Da geht es um Einzelunterbringung. Das schreibt das Strafvollzugsgesetz des Bundes schon lange vor, auch die europäischen Richtlinien.
Es geht vor allen Dingen um den Wohngruppenvollzug. Den können Sie sich alle in Brandenburg an der Havel ansehen. Wir haben schon öfter eingeladen. Das Interesse - sage ich mal vorsichtig - war mäßig. Wenn es nach Holland oder irgendwohin geht, ist das Interesse größer. Ich erspare mir eine bissige Bemerkung. Sie können in Brandenburg sehen, was Wohngruppenvollzug bewirken kann, gerade bei jungen Straftätern, bei rechtsextremen Straftätern, bei jungen Gewalttätern, bei alkoholkranken Gewalttätern. Jürgen Schönnagel betreibt das dort seit 20 Jahren, ich begleite ihn auch seit 20 Jahren. Wohngruppenvollzug ist nicht nur dort unterstützenswert, sondern er sollte auch in anderen Anstalten multipliziert werden. Dafür brauchen wir mehr Plätze. Deshalb können auch weniger Plätze abgebaut werden.
Die anderen Punkte sind genannt worden. Mehr offener Vollzug hilft auch. Natürlich auch die Sicherungsunterbringung, die im Verbund mit anderen Ländern noch zu klären ist. Luckau-Duben zu schließen, das wäre die falsche Lösung gewesen, weil es nicht nur die modernste Anstalt ist, sondern die JVA auch die zentrale Diagnostik enthält und der Frauenvollzug dort ist.
Die Zusammenarbeit mit Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen würde ich auch ins Gespräch bringen. Die JVA Brandenburg - dort ist mein Wahlkreis - liegt ungefähr 20 oder 30 km von der sachsen-anhaltinischen Grenze entfernt. Es wäre zu überlegen, wenn das mit Berlin nicht so läuft, wie wir es gerne möchten, dass man es da untersucht.
Die Gerichtsreform, die Sie auch erwähnt haben, haben wir nun endlich auf den Weg gebracht und werden sie morgen mit Mehrheit beschließen. Da müssen wir auch wieder sagen, als Rot-Schwarz haben wir es zu lange ausgesessen.
Deshalb konnten die Bauvorhaben nicht durchgeführt werden. Sie haben zwar Recht, aber schuld ist nicht der linke Minister oder die linke Fraktion, sondern wir beide haben das fünf Jahre lang nicht zuwege gebracht. Das sage ich auch selbstkritisch. Aber es ist immer merkwürdig, wenn Sie so tun, als wären Sie in den letzten zehn Jahren nicht dabei gewesen.
Zur JVA Heidering will ich auch etwas sagen, weil das immer wieder in der Diskussion ist. Ich weiß nicht, wie es Frau Blechinger in Erinnerung hat. Ich habe es so in Erinnerung, dass wir in Brandenburg ein Defizit an Haftplätzen hatten. Als wir damals, 1989, sozusagen die „Bastille“ gestürmt haben, waren in Verwahrräumen der JVA Brandenburg, in denen zwei Menschen sein sollten, acht. So war die Situation. Und die Prognosen, die uns die Fachleute gesagt haben, waren sehr viel höher, als es dann gekommen ist. Deshalb haben wir ausgebaut. Dazu stehe ich auch. Das ist auch richtig. Dazu stehen Sie sicher auch.
Parallel dazu hatte Berlin immer die Auflage von Menschenrechtsorganisationen, vor allen Dingen aber von Gerichtshöfen,
oder die Kritik, die Abmahnung, dass dort die Haftverhältnisse nicht dem Menschenrechtsstatus entsprechen. Deshalb hat Berlin parallel die Planung begonnen. Das ist ein zeitlich unglückliches Zusammentreffen. Als wir dann hier merkten, dass wir zu viel haben, dass wir doch leere Plätze haben würden, war in Berlin die Planung schon fertig, war der Grundstein mit unserer freundlichen Beteiligung auch schon gelegt. Nun hätte man natürlich sagen können: Baustopp, wir zahlen lieber Vertragsstrafen, wir riskieren lieber eine Bauruine. - Aber wenn das gemacht worden wäre, hätte Berlin dieselbe Kritik bekommen, wie sie sie jetzt bekommt, weil es mit uns nicht kooperieren kann. Es war also eine verfahrene Situation, für die ich niemandem die Schuld geben möchte. Es ist so gelaufen.
Ich plädiere dafür, dass wir versuchen, mit anderen Ländern zu kooperieren. Aber ich plädiere vor allen Dingen dafür, dass wir die Leerstandsmöglichkeiten zur Einsparung nutzen, aber eben auch für die Resozialisierungskonzepte, die wir haben. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon gehört, dass wir 1993 - da saß ich schon im Landtag - eine erste Gerichtsreform hatten. 42 Kreisgerichte wurden zu 25 Amtsgerichten umgeformt und zurückgefahren. Vor sechs Jahren haben wir einen zweiten Versuch einer Gerichtsreform unternommen; der war - auch das haben wir schon gehört - finanziell motiviert: Wie könnten wir in dem Bereich Geld sparen? Lieber Herr Eichelbaum, wir beide - also Sie persönlich waren noch nicht dabei -, wir beiden Fraktionen - sollten da wirklich nicht mit Steinen werfen. Wir haben es in den vier oder fünf Jahren der letzten Legislatur nicht zustande gebracht, diese Gerichtsreform zum Ende zu bringen. Das finde ich nicht gut, das war kein Ruhmesblatt. Ich bin manchmal nahe daran, mich bei den Betroffenen, die das, wie wir schon hörten, zu erleiden hatten, zu entschuldigen.
Aber die Dinge hier mit billiger Polemik so darzustellen, als sei Rot-Rot daran schuld - das stimmt nicht mit den Tatsachen überein, und die Menschen vor Ort wissen das auch.
Damals standen sieben Gerichte auf dem Prüfstand: das Amtsgericht Zossen, Königs Wusterhausen, Luckenwalde und andere. Da sollten 21,4 Millionen Euro eingespart werden; der Weiterbetrieb hätte 23 Millionen Euro gekostet. Da wurde deutlich: Es geht nicht nur um Geld. - Bei dem Versuch dieser kleinen Einsparung, die bei der Unsicherheit solcher Schätzungen sowieso nicht genau festzustellen ist, wurde deutlich, dass es natürlich nicht nur um Geld gehen kann, sondern um eine - das haben wir schon vom Minister gehört - qualitativ hochwertige Rechtsprechung vor Ort, eine bürgernahe Rechtsprechung und -betreuung vor Ort. 2009 haben wir einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet; da sollten 13 Millionen Euro gespart werden. Die Gegenrechnung damals - übrigens auch von Kollegen der CDU-Fraktion - ergab aber etwas anderes, sodass wir darauf verzichtet haben. Dadurch hat es sich hingezogen.
Jetzt sind wir endlich so weit. Ich hatte diesen Punkt erst mit der Überschrift „Ende gut, alles gut“ versehen. Wir sind jetzt wirklich bei einem Gesetz, und es freut mich, dass wir in dem Punkt konform gehen, was ein gutes Gesetz ausmacht. Insofern
ist es wieder gut, dass wir so lange gewartet haben. Es wäre schlechter, wenn wir eine schnelle Entscheidung getroffen hätten, die aber falsch gewesen wäre.
Insofern kann ich dem sogar noch etwas Gutes abgewinnen.
Wir werden es so handhaben - ich nenne das immer so -, dass wir eine Reform fahren, die das Leben schreibt. Da, wo die Fallzahlen zurückgehen - wir haben die Beispiele aus Guben und Senftenberg im Amtsgerichts- und Arbeitsgerichtsbereich gehört -, werden Außenstellen eingerichtet. Wenn die Fallzahlen nicht mehr ausreichen, könnte man darüber nachdenken, ob im Einzelfall Gerichtstage abgehalten werden. Wenn die Fallzahlen - was wir ja alle wünschen - so weit zurückgehen, dass sich ein Gerichtsstandort wirklich nicht mehr lohnt, schließt sich das Gericht sozusagen von selbst.
Sie sagen, im Gesetz fehlten Angaben darüber, ab wann ein Gericht arbeitsfähig ist und ab wann nicht. Sie als Jurist wissen das viel besser als ich. Wenn man sich anschaut - ich habe mir das im Internet einmal angesehen -, wie der Pensenschlüssel berechnet wird, stellt man fest: Bei jedem Gerichtsverfahren, bei jedem Fall ist das anders; es ist genau in Minuten vorgegeben. Das kann man gar nicht so dezidiert und detailliert berechnen, um festzulegen: Ab so und so viel Fällen ist das Gericht nicht mehr arbeitsfähig. - Man könnte eventuell sagen: Solange die Arbeit für drei Richter ausreicht, ist es auf jeden Fall arbeitsfähig.
Wir wollten - das hatten wir uns fest vorgenommen - die Landkreisgrenzen an die Gerichts- und Polizeigrenzen und eben auch die Landgerichtsbezirksgrenzen an die Polizeidirektionsgrenzen anpassen. Das sah für ganz kurze Zeit gut aus, hat dann aber aus Gründen, die uns die Innenpolitiker einmal darstellen werden, doch nicht ganz geklappt. Das wird wohl der Knackpunkt sein, dazu liegen uns allen die Petitionen der Menschen auf dem Tisch, die an der Oder entlang oder andererseits in Oberhavel oder Neuruppin wohnen. Hier ist abzuwägen, was nun wichtiger ist: dass die Polizei eine Staatsanwaltschaft als Ansprechpartner hat oder dass ein arbeitsfähiges Landgericht entsteht? Vor dieser Entscheidung stand die Regierung; sie hat so entschieden, wie es im Gesetz steht. Wir werden das noch einmal abzuwägen und dann unsere Entscheidung zu fällen haben.
Ich hoffe, dass wir uns endlich einmal wieder im Rechtsausschuss um unsere ureigenste Sache kümmern und wirklich Rechtspolitik betreiben können. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Eichelbaum hat ja schon sehr ausführlich und mit seiner doppelten Redezeit den Inhalt der Anfrage wiedergegeben. Das ist ein für mich schon sehr interessantes Thema, aber in meinen fünf Minuten kann ich nicht auf alle Details eingehen; man beschäftigt sich allerdings im normalen Leben nicht so sehr damit. Für mich war auch die Statistik sehr beeindruckend: In Deutschland gibt es 155 000 zugelassene Anwälte. Demgegenüber stehen lediglich 58 000 Hausärzte. Ob man daraus nun schlussfolgern kann und soll, dass die Deutschen mehr Wert auf ihr gutes Recht als auf ihre Gesundheit legen, konnte ich jedoch noch nicht herausbekommen. In Deutschland kommt auf 525 Bürger ein Anwalt.
Dazu habe ich im Internet einmal recherchiert, wie das in Europa aussieht. Wie so oft gibt es in Europa ein Nord-SüdGefälle; in Skandinavien ist diese Zahl zwei- bis sechsmal niedriger. Daneben habe ich eine aktuelle OECD-Studie gelegt, die jetzt gerade auf unsere Tische flatterte, und zwar über den Zufriedenheitsindex der Industrienationen, vor allen Dingen in Europa. Sie werden sich nicht wundern, dass die Skandinavier dabei ganz vorn liegen: Dänemark mit 10 Punkten, Finnland mit 8,6, und die Deutschen liegen so etwa im missmutigen Mittelfeld.
Weil ich nun einmal Jäger und Sammler bin, hatte ich noch zwei andere OECD-Studien in meiner Schublade liegen, die schon ein paar Monate alt sind. Darin ging es um soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit in den Industrieländern. Hierbei stellen die Studien fest, dass in weiten Bereichen wiederum die skandinavischen Länder vorn liegen. Deutschland liegt bei der sozialen Gerechtigkeit im Mittelfeld - darüber sind wir ganz erstaunt, weil wir uns für so sozial halten -, bei der Bildungsgerechtigkeit - das wundert uns nicht - liegen wir im hinteren Drittel.
Nun wäre es interessant, zu erfahren, was herauskäme, wenn einmal ein Hochschullehrer den Auftrag an einen Studierenden geben würde, eine Beleg- oder Examensarbeit über die Zusammenhänge zwischen mehr Gerechtigkeit in einer Gesellschaft, mehr Zufriedenheit und einer geringeren Streitlust zu schreiben. Hier möchte ich nicht vorschnelle Schlüssen ziehen, aber es wäre interessant, das einmal herauszubekommen.
Eine zweite statistische Auffälligkeit ist folgende: In Thüringen, Sachsen-Anhalt und inzwischen auch in Sachsen gibt es je eine juristische Fakultät. In Brandenburg gibt es zwei exzellente, also eine mehr. In Berlin, der kreisfreien Stadt, die eigentlich zu uns gehört, weil sie inmitten unseres Landes liegt, gibt es nochmals zwei - wiederum sehr exzellente, wie man hört. Also haben wir in der Region Berlin-Brandenburg, in dem einen Bundesland, das wir eigentlich sind, vier juristische Fakultäten. Hierbei wird man, so denke ich, schon einmal die Frage stellen dürfen - bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit von Lehre und Forschung -, ob die Hochschulen nicht einmal darüber nachdenken lassen sollten, ob sie in einer Zeit, in der die Industrie und die Wirtschaft nach Ingenieuren und Naturwissenschaftlern sucht und ruft, in hohem Maße Geisteswissenschaftler und Juristen ausbildet.
Ferner habe ich gesehen, dass in Brandenburg die Zahl der Einwohner pro Anwalt doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt. Vielleicht sind wir hier doch etwas skandinavischer als andere Bundesländer. Wir haben 1 540 Einzelanwälte und 408 Anwälte in Doppelsozietäten. Die größte Sozietät hat 11 Anwälte. Ich habe auch in die Nachbarländer geschaut: Besonders in den großen Städten gibt es Anwaltskanzleien mit bis zu 70 Anwälten, die man schon als eine Art „Rechtsfabrik“ bezeichnen kann. Ich denke, gerade für das Flächenland und das ländlich geprägte Land Brandenburg sind wir mit unserer Anwaltsstruktur - wenn sie auch wirtschaftlich sehr unterschiedlich ausgestaltet ist - sehr gut bedient. Der Faktor der Rechtssicherheit und der Rechtsunterstützung im Notfall ist hier auch gut gewährleistet. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Opposition! Mein Vorgänger im Amt des rechtspolitischen Sprechers, Ralf Holzschuher, hat schon in der letzten Legislaturperiode eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit dem Thema Resozialisierung beschäftigt hat. Zu dieser Arbeitsgruppe sind alle Menschen eingeladen worden und haben beratend teilgenommen, die in Brandenburg etwas von dem Thema verstehen und wichtig in der Arbeit der Resozialisierung sind, also vom Generalstaatsanwalt bis zu den Sozialen Diensten der Justiz. Teilgenommen hat auch der Potsdamer Rechtsanwalt Dr. Volkmar Schöneburg. Das Ganze hat sich in einem Thesenpapier niedergeschlagen - das Sie sicher kennen, weil Sie sauber recherchieren, bevor Sie einen solchen Antrag einbringen -, das auf der Homepage der Fraktion der SPD nachzulesen ist. Mit anderen Worten: Sie müssen uns bei diesem Thema weder zum Jagen tragen, noch hat Ihr Antrag - das, was Sie hier vorgetragen haben, Frau Kollegin Niels - einen größeren Neuigkeitswert. Es war nicht falsch, aber es war nicht neu.
Zweitens: Die in Ihrem Antrag geforderte länderübergreifende Arbeitsgruppe gibt es längst. Zwölf Bundesländer arbeiten da zusammen - auch Brandenburg, und auch das wissen Sie - weil Sie ja sauber recherchieren, bevor Sie einen solchen Antrag einbringen -: dass es diese Arbeitsgruppe schon gibt. Dann frage ich mich natürlich, warum Sie diese Arbeitsgruppe fordern.
Beim Ministerium der Justiz gibt es eine Arbeitsgruppe Resozialisierung.
- Seien Sie etwas geduldiger. - Beide genannten Arbeitsgruppen sind kurz vor dem Zieleinlauf, werden also demnächst ihre Arbeitsergebnisse vorstellen. Die länderübergreifende Arbeitsgruppe wird einen Musterentwurf für ein Strafvollzugsgesetz erstellen. Da sind Sie also mit Ihrem Antrag etwas spät dran, liebe Opposition.
Die Ergebnisse der beiden Arbeitsgruppen müssen dann in Landesrecht umgesetzt werden - das ist richtig -, und dafür ist nun wieder Ihre Zeitschiene, die Sie hier mit 2011 aufbauen,
vermutlich etwas zu kurz. Also auch dem können wir nicht folgen.
- Alles, was in Ihrem Antrag steht, ist nicht falsch. Auch, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, ist nicht falsch. Es ist aber nicht neu, und dieser Antrag kommt zum völlig falschen Zeitpunkt. Deshalb lehnen wir ihn ab. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Vogel, auch aus Ihren jetzigen Ausführungen, die ich schon für sehr ernsthaft und für sehr mit der Sache beschäftigt halte, ist mir nicht deutlich geworden, wie durch Aushebelung von rechtsstaatlichen Kriterien - wie Einzelfallprüfung, keine Generalverdächtigung, Vertrauensschutz, aber auch das Prinzip der zweiten Chance - das Vertrauen in Justiz und Staat und Rechtsstaat gestärkt werden soll. Und das ist ja das, was Ihre Anträge signalisieren, was Sie damit erreichen wollen.
Ich schicke noch einmal voraus, dass ich hier als jemand spreche, der selbst Stasi-Opfer ist. Ich habe 1992 als einer der ersten meine Stasi-Opferakte einsehen dürfen, übrigens mit dem Arbeitstitel - der Sie wenigstens freuen wird - „Umweltschützer“.
In meiner Stasi-Akte finde ich auch drei KGB-Spitzel. Ich will wirklich einmal in aller Ausführlichkeit sagen, wie betroffen
ich bin. Und wir haben postum auch für unsere Eltern die Stasi-Akten beantragt und waren nicht überrascht, dass auch sie schon von der Stasi observiert worden sind. Ich kokettiere manchmal damit, dass ich seit meiner Geburt beobachtet werde. Spätestens war es - so geht es aus den Akten hervor - seit dem 17. Lebensjahr bis zum Ende der DDR der Fall. Im Januar 2011 hatte ich Besuch von der Stasiunterlagenbehörde. Stefan Raabe, der über Internierungslager im Bereich Belzig und Brandenburg forscht und dort meinen Decknamen gefunden hat, den die Stasi mir gegeben hatte, konnte mir mitteilen, dass ich ganz oben auf der Liste derer stand, die im Krisenfall sofort zu internieren gewesen wären. Das hatte natürlich auch biografische Folgen, nämlich dass ich Studienverbot hatte - mit der „neckischen“ Begründung gesellschaftspolitischer Unreife -, das will ich hier nur einmal andeuten.
Trotzdem war es ein Prinzip der friedlichen Revolution - und ich zähle mich zu den friedlichen Revolutionären -, dass wir Gerechtigkeit wollten und keine Revanche.
In der Volkskammer ist einer der Baumeister dieses Prinzips Alwin Ziel als Volkskammerabgeordneter und auch als Staatssekretär gewesen. Laden Sie ihn einmal ein, er kann Ihnen Details dazu schildern, wie das dort im Einvernehmen mit den meisten, mit der großen Mehrheit gelaufen ist.
Und das ist ja immer die Schwierigkeit nach einer solchen Revolution: Wir wussten, ich wusste, viele der Mitstreiter wussten, wohin es gehen soll. Aber dann braucht man halt die Fachleute, die das juristisch auch umsetzen.
Die Volkskammer hat im Einigungsvertrag - und die Volkskammer war ein demokratisch gewähltes Parlament - festgeschrieben, dass es eine Übernahme von DDR-Staatsdienern nach Überprüfung geben solle. Darüber kann man streiten, aber das war halt das Prinzip. Wir hatten eine friedliche Revolution, und nach einer friedlichen Revolution erfolgt Versöhnung und nicht Revanche.
Das ist das Besondere. Gerade Sie schmücken sich ja gerne in Sonntagsreden auch mit dem Thema „Friedliche Revolution“. Wenn es dann aber wirklich auf die Inhalte einer solchen Revolution ankommt, weichen Sie zurück - auf ganz altertümliche rechtsstaatliche Positionen.