Meine Damen und Herren, es ist Punkt 10 Uhr. Ich begrüße Sie zur heutigen Plenarsitzung und bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen.
Wir danken noch einmal - ich glaube, im Namen aller sprechen zu können - dem vereinigten Bläserchor für die freundliche Einstimmung in den heutigen Tag. Es war, wie immer, sehr beeindruckend. Möge es sich auf die Atmosphäre im Hohen Hause auswirken.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen eine Reihe von Mitteilungen zu machen:
Gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 2 der Geschäftsordnung des Landtages teile ich Ihnen mit, dass Frau Gerlinde Stobrawa mit Ablauf des 10. Dezember 2012 auf ihre Mitgliedschaft im Landtag Brandenburg verzichtet hat. Der Landeswahlleiter hat mitgeteilt, dass Herr René Kretzschmar mit Wirkung vom 11.12.2012 Mitglied des Landtages geworden ist. Er gehört der Linksfraktion an. Herzlich willkommen, Herr Kretzschmar!
Ich teile Ihnen weiterhin mit, dass die Abgeordnete Niels am 11.12.2012 in die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingetreten ist.
Ich teile Ihnen weiterhin mit, dass die Änderungsanträge in den Drucksachen 5/6504 und 5/6505, der Entschließungsantrag in der Drucksache 5/4800 sowie die Anträge in den Drucksachen 5/5129, 5/6466 und 5/6467 durch die Antragsteller zurückgezogen wurden. Damit haben sich die Beschlussempfehlung und der Bericht in der Drucksache 5/6272 erledigt.
Zur heutigen Sitzung habe ich Ihnen auch noch mitzuteilen, dass die Minister Baaske und Vogelsänger uns ab etwa Mittag verlassen und entsprechend vertreten werden.
Zudem liegen Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drucksache 5/6545 - Neudruck
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einen wunderschönen guten Morgen! Ich möchte mich zunächst einmal bei der FDP-Fraktion herzlich bedanken. Normalerweise hätte sie heute eine Aktuelle Stunde beantragen können. Dankenswerterweise hat sie sich auf einen Tausch eingelassen. Insofern können wir heute über ein Thema diskutieren, das in der Tat hochaktuell ist. Es ist nicht immer so, dass wir in der Aktuellen Stunde über ein Thema debattieren, das tagesaktuell ist; das heutige Thema ist es aber.
Seit der letzten Woche - nach den Treffen der Innenminister und der Ministerpräsidenten - ist klar, dass wir einen NPD-Verbotsantrag nicht mehr prüfen werden, sondern dass dieser am Freitag im Bundesrat beschlossen werden wird. Insofern wird der NPD-Verbotsantrag kommen und muss nicht mehr geprüft werden. Es geht nur noch um die Frage, ob sich die beiden anderen Verfassungsinstitutionen - der Bundestag und die Bundesregierung - diesem Antrag anschließen werden.
Dieser Antrag wird auf der Basis einer Materialsammlung eingebracht, die die Innenminister der Länder angelegt haben. Damit ist sicher, dass wir diese Auseinandersetzung erneut vor dem Bundesverfassungsgericht führen werden. Zu klären ist eben nur noch die Frage, ob alle Verfassungsorgane gemeinsam diesen Antrag stellen werden. Ich persönlich halte es für dringend notwendig, diesen Antrag zu stellen. Es ist höchste Zeit, dass er gestellt wird, und es ist gut, dass er gestellt wird.
Ich möchte hier auch deutlich zum Ausdruck bringen, dass ich Verständnis für die sehr langen Debatten darüber in einer Demokratie habe. Auch ich persönlich, der sich schon sehr lange mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt - dazu werde ich Ihnen gleich etwas sagen -, war nicht immer der Meinung, dass ein NPD-Verbotsantrag notwendig ist. Meine Position dazu hat sich jedoch entwickelt.
Mittlerweile bin ich seit 35 Jahren politisch aktiv. Der Kollege Dombrowski wird auch nie müde, darauf hinzuweisen, dass ich meine politische Sozialisation in Niedersachsen begonnen habe; das ist in der Tat so. Eine meiner ersten politischen Erfahrungen bei den Jusos war, dass ich gemeinsam mit anderen Jusos im Vorfeld des 40. Jahrestages der Reichspogromnacht im Jahr 1978 recherchiert habe, was in unserer Stadt Peine vorgefallen ist. Dieses Thema wurde Ende der 70er-Jahre auch in Westdeutschland sehr stark ausgeblendet. Insofern recherchierten wir damals, was in dieser Reichspogromnacht in unserer Stadt geschah.
In dieser Nacht fand in einem Gebiet, in dem sehr viele Juden lebten, ein Überfall durch SA- und SS-Leute sowie durch NSDAP-Mitglieder und -sympathisanten statt. Dabei wurde eine Frau bedrängt und sexuell belästigt. Ihr 17-jähriger Sohn versuchte, sie zu beschützen, wurde daraufhin von den Nazis in eine Synagoge verschleppt - ich und auch viele andere in mei
ner Heimatstadt Peine wussten bis dahin nicht, dass es in dieser Stadt eine Synagoge gab -, dort zusammengeschlagen und dazu gezwungen, sie anzuzünden, wodurch er auch starb.
Mit 16 oder 17 Jahren begannen wir, dies zu thematisieren, und zwar auch gegen viele Widerstände; denn viele wollten über das Thema Rechtsextremismus nicht sprechen. Nach unserem Engagement ist es gelungen, durchzusetzen, dass eine Gedenktafel an der Stelle angebracht wurde, an der die Synagoge stand, und dass die Straße - Straßenumbenennungen sind immer kompliziert, das wissen wir auch aus unseren Debatten -, in der sich diese Synagoge befand, nach dem jungen Mann, Hans Marburger, benannt wurde. Seitdem ist dies ein Thema, das mich nicht mehr loslässt und das uns alle nicht mehr loslassen sollte.
Eine Diskussion über Rechtsextremismus in Deutschland hat unsere besondere Verantwortung zu berücksichtigen. Rechtsextreme Phänomene gibt es auch in Frankreich und Italien, eigentlich überall in Europa - leider auch in Osteuropa. Wir haben es jedoch mit einer Geschichte zu tun, die zwölf Jahre des Faschismus umfasst und in der - das ist historisch einzigartig die industrielle Vernichtung von Menschen organisiert wurde. 6 Millionen Menschen - nicht nur Juden, aber sie waren die Hauptopfer des Holocaust - wurden umgebracht. Insofern muss diese Debatte, die sich heute mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt, auf dieses Thema Bezug nehmen. Wir müssen in Verantwortung vor unserer eigenen Geschichte, in unserer Verantwortung vor Europa und vor der Welt überprüfen, ob ein solches Verbot sinnvoll und notwendig ist. Ich glaube, dafür gibt es Anlass.
In den 80er-Jahren gehörte ich noch zu denjenigen in meiner Partei und in meiner Jugendorganisation, die vehement gegen ein NPD-Verbot waren. Argumentiert haben wir so ähnlich wie ein Plakat, das die Vorgängerpartei unseres Koalitionspartners in den 90er-Jahren herausgebracht hat: „Nazis raus aus den Köpfen!“ Diese Position finde ich auch heute noch richtig. Wir müssen um die Köpfe kämpfen und darum ringen, dass sich rechtsextremistisches Gedankengut nicht in den Köpfen festsetzt.
Ich war in den 80er-Jahren noch der Meinung, dass ein NPDVerbot nur bewirken würde, die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nicht zu führen, nach dem Motto: Wir verbieten die, womit dann alles gut ist. - Heute bin ich nicht mehr meiner Meinung von damals. Das hat etwas damit zu tun, dass sich diese NPD geändert hat. Sie ist nicht mehr die Altherrenpartei, als die sie im Jahr 1964 von ehemaligen Ritterkreuzträgern gegründet wurde, die sich nicht sagen lassen wollten, dass in den zwölf Jahren, in denen sie den Kommunismus an der Ostfront bekämpft und vor Stalingrad für Deutschland geblutet haben, alles schlecht war. Das ist nicht mehr diese Partei. Vielmehr haben wir es heute mit einer anderen Partei zu tun.
Einmal abgesehen davon, dass diese Erlebnisgeneration - so nannten die Nazis diese Truppenteile - heute wahrscheinlich schon bei ihrem Führer angekommen ist, und zwar endgültig, haben wir es heute mit einer veränderten Partei zu tun. Die NPD hat sich für Truppenteile im rechtsextremistischen Lager geöffnet, die sich in den 80er-Jahren um Michael Kühnen - er weilt nicht mehr unter uns - versammelt haben. Sie hat sich für Kameradschaften geöffnet sowie ihre Rhetorik und ihr Pro
gramm geändert. Nachher werde ich - das kann ich Ihnen nicht ersparen - einige Zitate von NPD-Funktionären vortragen, die man im Internet findet.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die heutige NPD eine andere NPD ist als die, die im Jahr 1964 gegründet wurde. Sie ist eine offen rechtsextremistische Partei geworden, die neonationalsozialistisches Gedankengut in sich integriert, die sich schlicht und ergreifend in ihrer Strategie, ihrer Taktik und ihrem Vorgehen - auch bei uns im Land Brandenburg; dazu werde ich Ihnen gleich einige Beispiele nennen - deutlich verändert und sich zu einer Bedrohung für diese Demokratie entwickelt hat. Diese Bedrohung müssen wir mit allen Methoden, die einer wehrhaften Demokratie zur Verfügung stehen - dazu gehört auch ein Verbot -, entschieden bekämpfen.
Für mich gibt es noch ein weiteres Argument für ein Verbot. Wenn wir beim Thema Rechtsextremismus die Auseinandersetzung um die Köpfe führen, wird mir oft das Argument entgegengehalten: Was wollt ihr eigentlich? Schließlich leben wir doch in einer Demokratie. Und da die NPD eine demokratische Partei ist, gehört das, was sie sagt und wie sie auftritt, auch zum demokratischen Konsens.
Das ist etwas, bei dem wir uns als Demokraten in einer Glaubwürdigkeitslücke befinden. Wenn wir gegen Demonstrationen der NPD, die ihr nach unserer Verfassung zustehen, unseren Unmut ebenfalls durch Demonstrationen kundtun, kommen irgendwann die Bürgerinnen und Bürger und halten uns vor, dass dies halbherzig sei und dass wir uns, wenn wir gegen sie demonstrieren, auch der Frage stellen müssen, ob diese Partei in dem demokratischen Konsens zugelassen ist oder nicht.
Ich sage an dieser Stelle: Ich bin dankbar, dass viele Tausend Menschen auf die Straße gehen und demonstrieren, aber ich glaube auch, dass diese vielen Tausend Menschen, die auch in Brandenburg für ein Verbot von NPD-Demonstrationen auf die Straße gehen, von uns erwarten, dass wir konsequent sind und ein Verbot dieser Partei durchsetzen.
In dem Zusammenhang gibt es für mich ein weiteres Argument, und zwar schlicht und ergreifend die Tatsache, dass sich eine zugelassene Partei an Wahlen beteiligen darf und somit auch bestimmte Privilegien erhält, wozu unter anderem die Wahlkampfkostenerstattung gehört. Man kann nicht die Augen davor verschließen, dass ein wesentlicher Teil der Propaganda, die die NPD betreibt, nicht aus Mitteln der 6 000 NPD-Parteimitglieder finanziert wird, sondern aus staatlichen Mitteln. Insofern erhält diese Partei aus der staatlichen Parteienfinanzierung jährlich 1,2 Millionen Euro.
Wenn wir also erneut - wir erlebten dies bereits im letzten Abgeordnetenhauswahlkampf - erleben müssen, dass vor dem Holocaust-Mahnmal und in Wannsee - vor dem Haus der Wannsee-Konferenz - Plakate von der NPD aufgehängt werden, auf denen „Gas geben!“ steht, müssen wir wissen, dass diese Plakate wahrscheinlich zu guten Teilen aus Steuermitteln finanziert wurden. Auch hier stehen wir angesichts unserer Ge
schichte und im Interesse des Ansehens unseres Landes in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht wieder geschehen kann. Es darf nicht sein, dass eine Partei mit dieser Geschichte und dieser politischen Vorstellung in der Hauptstadt dieses Landes Plakate aufhängt, auf denen spielerisch mit dem Holocaust umgegangen wird und womit Menschen beleidigt werden.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur NPD in Brandenburg sagen. Wir haben - ich sagte das in verschiedenen Debatten über das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ bereits mehrmals - eine kluge Entscheidung getroffen, dass wir die Landtags- und die Bundestagswahl im Jahr 2009 gemeinsam durchgeführt haben. Dadurch erreichten wir eine sehr hohe Wahlbeteiligung und schafften es, dass nach zehn Jahren DVU im brandenburgischen Landtag hier keine DVU-Fraktion auch keine NPD-Fraktion - mehr vertreten ist. Das ist richtig, aber es ist kein Zeichen für Entwarnung; denn wir müssen erleben, dass nördlich und südlich von uns in Landesparlamenten die NPD sitzt. Sie sitzt dort und benutzt die Bühne des Parlaments, um Propaganda gegen Parlamentarismus, gegen Demokratie und gegen Toleranz zu betreiben. Insofern ist dies etwas, was nicht für alle Zeit für uns ausgeschlossen ist.
Leider müssen wir auch miterleben, dass Nazis der NPD bereits in Kommunalparlamenten vertreten sind und auch Propaganda gegen Völkerfreundschaft betreiben. Erst gestern habe ich mir berichten lassen, dass in der letzten Kreistagssitzung in Dahme-Spreewald NPDler Anfragen auf Herausgabe der Adressen von in Privatwohnungen untergebrachten Asylanten stellten. Da läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter.
Warum stellen sie solche Anfragen? Sie stellen sie, um zu erfahren - glücklicherweise beantwortete der dortige Beigeordnete der CDU, Saß, diese Anfrage klug -, wo Asylbewerber in Privatwohnungen untergebracht sind, um Unruhe zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Asylbewerbern, die zu uns gekommen sind, zu stiften, wenn nicht gar Schlimmeres. Sie verlangen die Herausgabe dieser Adressen, um damit Propagandaarbeit zu betreiben, wenn nicht gar Schlimmeres. Das geschieht in unseren Parlamenten. Die NPD nutzt diese Bühne, um rassistische Hetze zu betreiben.
Zudem mussten wir vernehmen, dass sich die NPD in Mecklenburg-Vorpommern geweigert hat, zu einer Gedenkminute für die NSU-Opfer aufzustehen. Auch das ist für mich ein wesentliches Argument für die Annahme, dass mehr als klammheimliche Sympathie für das vorhanden ist, was damals geschehen ist.
Auch verweigern sich in Kommunalparlamenten NPDler, an Gedenkstunden für die deutsche Vereinigung teilzunehmen; denn sie vertreten die Meinung, dass diese deutsche Vereinigung nicht stattgefunden habe, sondern es lediglich eine Teilvereinigung gewesen sei. Schließlich gebe es noch Gebiete, die unter polnischer Besatzung stünden.
Genau das findet derzeit in unseren Parlamenten statt. Damit verstoßen sie nicht nur gegen bestehende Vereinbarungen, die
wir getroffen haben und wozu Franz Josef Strauß einmal sagte: „Pacta sunt servanda“ - die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie -, sondern sie gefährden auch die Freundschaft mit unseren Nachbarn. Wir als Brandenburger haben die längste Grenze zu unseren polnischen Nachbarn und dürfen nicht zulassen, dass eine Partei in unseren Parlamenten gegen diese Freundschaft, die wir aufbauen wollen, hetzt und diese infrage stellt. Es gibt auch dort Vorbehalte, dass Revanchisten hier noch etwas zu sagen hätten.