Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 6. Sitzung des Landtages Brandenburg in dieser Wahlperiode und begrüße unter unseren Gästen insbesondere Schülerinnen und Schüler des Paulus-Praeterius-Gymnasiums Bernau. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg! Einen spannenden Vormittag wünsche ich Ihnen.
Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung folgende Information zu geben: Der Abgeordnete Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann ist mit Wirkung vom 04.12.2009 aus der Fraktion DIE LINKE ausgetreten.
Ich habe Sie gemäß § 20 Abs. 2 der vorläufigen Geschäftsordnung darüber zu informieren, dass sich inzwischen alle Ausschüsse konstituiert und ihre Vorsitzenden sowie Stellvertreter gewählt haben. Die konkreten Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem Blatt, das Ihnen eben auf die Tische gelegt worden ist.
Zur Tagesordnung gibt es zu bemerken, dass der Änderungsantrag in der Drucksache 5/178 vom Antragsteller zurückgezogen worden ist. Ansonsten liegt Ihnen der Entwurf der Tagesordnung vor. Wer nach dieser Tagesordnung verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.
Wir haben heute leider auf Herrn Ministerpräsidenten Platzeck und Herrn Staatssekretär Gerber zu verzichten. Sie wissen, es ist Ministerpräsidentenkonferenz. Der Ministerpräsident wird durch Herrn Dr. Markov vertreten und Staatssekretär Gerber durch Staatssekretärin Tina Fischer, sodass wir organisatorisch keine Probleme bekommen werden.
Es ist gute Gepflogenheit, dass der Antragsteller, in diesem Fall die Fraktion DIE LINKE, die Debatte eröffnet. Bitte, Herr Jürgens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz am Anfang, heute ist auch der fünfte Tag von Hanukkah. Darum: Chag Sameach!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit nunmehr sechs Wochen wird das Audimax der Universität Potsdam besetzt.
Gestern fand noch einmal eine Vollversammlung im Audimax statt. Auch an der Fachhochschule Potsdam, der Viadrina Frankfurt (Oder) und der BTU Cottbus gab und gibt es Proteste von Studierenden.
Bundesweit wird an rund 40 Hochschulen gestreikt bzw. werden diese besetzt. In vielen europäischen Städten gibt es ähnliche Aktionen. In Österreich ist die Forderung „Reiche Eltern für alle“ zum Satz des Jahres geworden. Mit zahlreichen bunten, witzigen, kreativen Aktionen wird in Deutschland und Brandenburg derzeit für bessere Bildung gestreikt. Ende November waren über 100 000 Menschen, Schülerinnen und Schüler, Studierende, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, auf der Straße. In Potsdam waren es über 1 000.
Eines sage ich zu Beginn ganz klar: Die Fraktion DIE LINKE steht solidarisch an der Seite all derer, die sich für eine bessere Bildung und für eine grundsätzliche Änderung des Bildungssystems einsetzen.
Bereits im Sommer 2009 gab es zahlreiche Aktionen im Rahmen der Bildungsstreikwoche. Auch damals schon war die Beteiligung überwältigend. Die Studierenden und die Schülerinnen und Schüler sehen offensichtlich kaum noch eine andere Chance, bezüglich ihrer Belange Gehör zu finden. Es sei denn, sie blockieren eine Straße, überfallen symbolisch eine Bank oder besetzen einen Hörsaal. Offensichtlich läuft etwas in unserem Bildungssystem grundfalsch. Denn aus lauter Spaß und Freude wird nicht protestiert. Die jungen Menschen würden mit Sicherheit lieber studieren und lernen, als nächtelang in der Uni zu schlafen. Aber bisher sind sie mit ihren Forderungen nicht gehört worden, jedenfalls nicht so, dass sie das Gefühl hätten, ernst genommen zu werden. Dabei möchte ich hier ausdrücklich hervorheben: Die Proteste waren immer friedlich. Gewalt wurde lediglich von denen angewendet, die die Studierenden an ihrem friedlichen Protest hindern wollten; und das war falsch.
Auch für Brandenburg gilt, dass die Forderungen der Bildungsproteste - ob im Herbst 2008, im Sommer 2009 oder heute nichts an Aktualität verloren haben. Im Sommer forderten die Studierenden erstens eine soziale Öffnung der Hochschulen. Sie meinten damit den Abbau von Zulassungsbeschränkungen, die Abschaffung von Studiengebühren und eine gesetzlich verankerte Gebührenfreiheit von Bildung sowie die finanzielle Unabhängigkeit der Studierenden.
Sie forderten zweitens die Abschaffung von Bachelor/Master in der derzeitigen Form. Damit meinten sie Abkehr vom Bachelor als Regelabschluss, das Ende von Verschulung und Dauerprüfungen, die Möglichkeit individueller Schwerpunktsetzung im Studium und die tatsächliche Umsetzung der Mobilität zwischen den Hochschulen.
Sie forderten drittens eine Demokratisierung des Bildungssystems. Damit wollten sie die Mitbestimmung aller Beteiligten im Bildungssystem unter anderem durch eine Viertelparität in den Hochschulgremien verbessern.
Sie forderten viertens eine Verbesserung der Lehr- und Lernbedingungen durch eine Beendigung prekärer Beschäftigungsverhältnisse im Bildungsbereich durch die Aufstockung des Lehr
Das, meine Damen und Herren, sind auch originäre Forderungen der Linken. Wir haben bereits in der Vergangenheit in diesem Landtag für derartige Verbesserungen gekämpft und werden das auch in Zukunft tun.
Da den Protesten keine substanziellen Veränderungen folgten, haben die Streikenden ihre Ziele seit dem Sommer noch einmal präzisiert, sodass heute sehr konkrete Wünsche und Forderungen an die Brandenburger Politik artikuliert werden:
Erstens: eine signifikante Erhöhung der Ausgaben für Hochschulen aus dem Haushalt des Landes, insbesondere die Schaffung von mindestens 300 Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau zur Verbesserung der Betreuungsrelation.
Drittens: Änderung des Brandenburgischen Hochschulgesetzes schwerpunktmäßig in vier Punkten: Rechtsanspruch auf einen Masterplatz; stärkere Mitbestimmung der Studierenden in den Hochschulgremien sowie die Stärkung dieser Gremien gegenüber der hochschulischen Exekutive; Rücknahme der Möglichkeiten zur Zwangsexmatrikulation und Einführung eines semesterweise wählbaren Teilzeitstudiums.
Das sind die berechtigten Forderungen. Sie ergeben sich aus den konkreten unzureichenden Bedingungen an den Hochschulen, auch hier in Brandenburg. Diese Bedingungen haben sich seit den Protesten im Sommer nicht gebessert; eher im Gegenteil.
Böse Zungen könnten jetzt meinen, dass sich die Proteste gegen die neue rot-rote Regierung richten. Doch uns allen sollte klar sein, dass sich die Studierenden nicht für dumm verkaufen lassen. Sie wissen sehr wohl, wem sie die aktuellen Bedingungen an den Hochschulen zu verdanken haben. Da will ich exemplarisch nur die Betreuungsrelation an den Unis nennen. Sie ist in Brandenburg mit 21,1 Studierenden pro Professor deutlich schlechter als bundesweit mit 17,6. Die Studierenden wissen, wer sich gegen die Abschaffung der Rückmeldegebühr ausgesprochen hat. Sie wissen, wer die Mitbestimmung in den Hochschulen reduziert und die Zwangsexmatrikulation eingeführt hat. Sie wissen, wer die zusätzlichen Hürden beim Zugang zum Master festgelegt hat. Das alles geht auf das Konto der CDU und der damaligen Ministerin Frau Prof. Wanka.
Ein Großteil der Fehlentwicklungen - sie sind vorrangig der Grund für die Bildungsproteste - ist unter Federführung der CDU eingetreten. Diese Suppe werden wir nicht auslöffeln. Im Gegenteil, SPD und Linke haben sich mit den Studierenden solidarisiert und deren Forderungen aufgenommen. Doch dazu später mehr.
Betrachtet man die Reaktionen auf den Bildungsstreik, so mutet vieles fast schizophren an. Bundesbildungsministerin Frau Schavan findet die Proteste richtig. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz Frau Prof. Wintermantel begrüßt die
Aktionen der Studierenden. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Das alles zeigt, wie richtig die Forderungen sind.
Mittlerweile geht man sogar auf die Studierenden zu. Von kaum einer Institution im hochschulpolitischen Raum wird der Bologna-Prozess noch als Erfolg beschrieben. Der Reformbedarf des Bologna-Prozesses wird allgemein anerkannt.
Wie wurden die Studierenden und - daran darf ich erinnern die damalige PDS dafür ausgelacht, als wir schon vor Jahren auf Mängel im Bologna-Prozess hingewiesen haben! Jetzt stellt sogar die Kultusministerkonferenz erhebliche Schwachstellen bei der Umsetzung dieser Reform fest, wie es im Ergebnisprotokoll der Tagung von Mitte Oktober dieses Jahres festgehalten wurde. Man traut seinen Ohren kaum, wenn Frau Prof. Wintermantel Mitte November mitteilen lässt:
„Die Protestaktionen sind ein deutlicher Indikator dafür, dass politisches Handeln gefordert ist. Wir brauchen mehr Personal in der Lehre, um die Qualität des Studiums zu halten und zu verbessern. Studierendenzentrierte Lehre, wie sie in der Bologna-Reform gemeint ist, erfordert kleinere Seminare, in denen das Gespräch und der Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden möglich ist.“
Das ist geradezu revolutionär. Niemand will mehr für die verkorkste Reform verantwortlich sein. Die KMK und die HRK, die beiden Institutionen, die maßgeblich für die Umsetzung der Bologna-Ziele in Deutschland verantwortlich waren und sind, stellen endlich deren Mängel fest.
Doch bei dieser Feststellung darf es nicht bleiben. Die Kultusminister haben in der vergangenen Woche eine Veränderung der ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die gestuften Studiengänge beschlossen. Damit sollen unter anderem die Studierbarkeit und die Mobilität verbessert sowie individuelle Studienverläufe gesichert werden. Der Master-Zugang soll flexibilisiert, die Prüfungsleistungen sollen reduziert und die Transparenz des Studiensystems soll erhöht werden. Ich gehe davon aus, dass Frau Ministerin Dr. Münch in ihren Ausführungen noch detaillierter darüber informieren wird.
Das alles sind zunächst richtige Schritte. Wenn sie aber so gestaltet werden wie die bildungspolitischen Ziele der neuen Bundesregierung, dann muss man tatsächlich um Deutschland als Bildungsland fürchten. Die Forderungen im Koalitionsvertrag von CDU und FDP zeigen sehr deutlich, dass sie die falschen Lehren aus den Studierendenprotesten gezogen haben.
Sie verweigern sich weiterhin einem Bundesgesetz zum Hochschulzugang. Viel Chaos könnte vermieden und mehr Mobilität geschaffen werden, wenn der Hochschulzugang bundesweit geregelt wäre. Sie wollen ein Stipendienprogramm für begabte Studierende einführen; das soll allerdings zur Hälfte von der Wirtschaft finanziert werden, was eine massive Benachteiligung der wirtschaftsschwächeren Regionen darstellt.
Die Aussagen dazu, wie das Ziel des Bildungsgipfels, 7 % des Bruttoinlandprodukts für Bildung und Forschung zu verwenden, erreicht werden soll, könnten schwammiger nicht sein. Sie wollen das sogenannte „Bildungssparen“ einführen, welches mit hoher Wahrscheinlichkeit nur finanzstarken Familien zugu
Das alles zeigt: Mit CDU und FDP wird noch mehr soziale Ungerechtigkeit in das deutsche Bildungssystem einziehen. Damit werden die eingangs beschriebenen Forderungen der Streikenden ignoriert bzw. konterkariert.
Wir als Koalition aus SPD und Linke dagegen wollen auf die Studierenden zugehen. Es haben mehrere Gespräche stattgefunden. Wir werden im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, die berechtigten Forderungen umzusetzen. Dazu dient auch der Antrag, der heute Nachmittag zur Abstimmung steht. Ich denke, allen ist klar, dass wir nicht sofort alle Forderungen erfüllen können. Angesichts der finanziellen Lage werden wir uns konzentrieren müssen.
Dennoch ist es unser Ziel, mehr Geld für Lehrpersonal bereitzustellen. Außerdem wollen wir eine Bilanz des Bologna-Prozesses und eine Forcierung des Teilzeitstudiums. Das alles sind richtige und wichtige Schritte. Eine Anpassung des BAföG ist dringend geboten, sowohl hinsichtlich der Fördersätze als auch in Bezug auf die neuen Studiengänge. Punkte wie Demokratisierung und Abschaffung der Rückmeldegebühr stehen auf unserer Agenda. Sie gilt es im Laufe der Legislatur in Angriff zu nehmen. Wir wollen den Studierenden zeigen: Wir haben verstanden. Wir reden nicht nur mit euch, sondern wir greifen eure Forderungen auf. Wir schieben nichts auf die lange Bank, sondern handeln zügig.
Bereits im I. Quartal nächsten Jahres soll die Ministerin Bericht erstatten, wie die Umsetzung der ersten Forderungen erfolgen kann. Die Bilanz des Bologna-Prozesses soll noch im Jahr 2010 erfolgen. Wir wollen daran Studierende, Lehrende, Gewerkschaften, Experten, das heißt alle hochschulpolitisch relevanten Gruppen, beteiligen. Das gemeinsame Suchen nach Lösungen ist ein Schritt auf dem neuen Weg dieser Koalition. Deshalb werbe ich schon an dieser Stelle für unseren Antrag.