Protocol of the Session on April 25, 2013

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung. Weil bei uns Geschlechtergleichheit zählt, nehmen bei uns am sogenannten Girls‘ Day auch Knaben teil. Es heißt dann „Zukunftstag für Mädchen und Jungen in Brandenburg“. - Ich begrüße euch herzlich und wünsche euch einen spannenden Vormittag hier im Landtag.

(Allgemeiner Beifall)

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich noch Glückwünsche auszurichten: Der Abgeordnete Bommert hat heute Geburtstag.

(Allgemeiner Beifall)

Wir machen heute auch nicht so lang, damit er noch etwas feiern kann. Viel Vergnügen dabei.

Meine Damen und Herren, Ihnen liegt der Entwurf der Tagesordnung vor. Gibt es dazu Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich um Zustimmung zur Tagesordnung. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung angenommen.

Wir haben wiederum auf Ministerin Prof. Kunst zu verzichten sie wird von Minister Baaske vertreten - und ab 12.30 Uhr auf Ministerin Tack, die von Minister Dr. Schöneburg vertreten wird.

(Zurufe: Oh!)

- Das ist eine gute Vertretung. Stöhnt nicht.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Direktwahl der Landrätinnen und Landräte sicherstellen - Wahlrecht reformieren - Quorum abschaffen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/7140

Ferner liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/7202 vor.

Wir beginnen mit dem Redebeitrag der antragstellenden Fraktion. Die Abgeordnete Nonnemacher spricht zu uns.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, die am „Zukunftstag“ teilnehmen. Von Mark Twain ist folgendes Zitat überliefert: „Es ist schon ein großer Trost bei Wahlen, dass von mehreren Kandidaten immer nur einer gewählt werden kann!“

Das gilt aber nicht in Brandenburg - da wird gar keiner gewählt. Die Fakten sind bekannt: Am 14. April 2013 scheiterte im Landkreis Teltow-Fläming in der Stichwahl erneut eine Direktwahl der Landräte. Die siegreiche Bewerberin erhielt zwar zwei Drittel der abgegebenen Stimmen, verfehlte das Zustimmungsquorum von 15 % der Wahlberechtigten aber denkbar knapp, um 541 Stimmen.

Damit fällt zum sechsten Mal nach Einführung der Direktwahl 2010 die Wahl an den Kreistag zurück. Außer in Teltow-Fläming scheiterten die Wahlen im Barnim, in Elbe-Elster, in Ostprignitz-Ruppin, in Spree-Neiße und in der Uckermark am Quorum. Nur im Kreis Oberspreewald-Lausitz wurde am 24.01.2010 Siegurd Heinze in der Stichwahl direkt gewählt.

Die Wahlbeteiligung lag bei der Wahl in Teltow-Fläming mit 30,1 % bzw. 22,7 % in der Stichwahl im gleichen Bereich wie bei den Landratswahlen Anfang 2010. Damals wurden maximal 37,6 % - in der Uckermark, im ersten Wahlgang - und minimal 20,5 % - bei der Stichwahl im Barnim - verzeichnet.

Dass die Wahlbeteiligung bei Stichwahlen nochmals deutlich geringer ausfällt, ist eine weit verbreitete Beobachtung. Dass aber Wahlen scheitern können und an den Kreistag zurückfallen, ist ein spezifisch brandenburgisches Phänomen. In anderen Bundesländern reicht die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen - wenn man so will: ein Quorum von 50 %. Brandenburg hat als doppelte Absicherung ein zusätzliches Zustimmungsquorum eingebaut, welches sonst nur in der Volksgesetzgebung oder bei der Abstimmung über Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene üblich ist.

Die Direktwahl der Landräte in Deutschland wurde flächendeckend seit Beginn der 90er Jahre eingeführt - mit Ausnahme von Bayern, wo die Direktwahl seit Jahrzehnten verankert ist, und Baden-Württemberg, wo sie die grün-rote Landesregierung 2014 auf der Agenda hat. Brandenburg hat sich erst spät zur Direktwahl durchgerungen. 2007 wurde sie in die neue Kommunalverfassung aufgenommen und zum 01.01.2010 in Kraft gesetzt.

Um die Legitimation der Gewählten zu erhöhen, wurde das im Kommunalwahlsystem einmalige Zustimmungsquorum eingebaut. Dessen Implementierung verdanken wir vorwiegend der sich massiv gegen die Direktwahl sträubenden SPD. Sie stand aber auch unter dem Eindruck, dass Schleswig-Holstein 1998 die Direktwahl unter Verweis auf die niedrige Wahlbeteiligung wieder abgeschafft hat. Die Verbindung von Quorum und niedriger Wahlbeteiligung hat eine Direktwahl in Brandenburg also fast regelhaft verhindert. Dem Souverän wird das Wahlrecht entzogen.

(Zuruf des Abgeordneten Ness [SPD])

Die Bürgerinnen und Bürger der Kreise werden bestraft, wenn sie von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen. Dies wirft zahlreiche Fragen auf, insbesondere da wir in unserem Staatswesen keinerlei Wahlpflicht verankert haben. Das Wahlrecht fällt zurück an Kreistage, die auch nicht auf üppige Wahlbeteiligungen verweisen können. Richtig fragwürdig wird es, wenn der Landrat, wie 2010 im Barnim, per Los gewählt wird, weil in zwei Wahlgängen im Kreistag keine absolute Mehrheit zustande gekommen ist.

Im Fall von Teltow-Fläming muss zusätzlich bemängelt werden, dass die Zusammensetzung des Kreistages auf der Kommunalwahl von 2008 beruht und den Verschiebungen im Wählerwillen durch die Korruptionsvorfälle in jüngster Zeit nicht Rechnung trägt. Die durch die Skandale in ihrer Hochburg schwer angeschlagene SPD profitiert davon, dass sie fünf Jahre zuvor stärkste Fraktion geworden ist. Und ein Kreistag, der bald zur Neuwahl ansteht, entscheidet über die Verwaltungsspitze für die nächsten acht Jahre. Da von mehr Legitimität zu sprechen grenzt schon an Zynismus.

(Beifall B90/GRÜNE und FDP)

Natürlich sind niedrige Wahlbeteiligungen demokratietheoretisch nicht schön, sie sind aber auch kein Drama. Verfassungsrechtlich ist eine niedrige Wahlbeteiligung für die Wahl von Bewerbern irrelevant, solange das Mehrheitsprinzip eingehalten wird. Die notwendige Legitimation der Gewählten ist schon allein dadurch gewahrt, dass sich alle Wahlberechtigten an allgemeinen und freien Wahlen beteiligen können.

Seit Beginn der 90er-Jahre wird auf allen föderalen Ebenen ein Absinken der Wahlbeteiligung beobachtet. Dabei mobilisieren Bundestagswahlen mehr als Landtagswahlen und diese mehr als Kommunalwahlen.

Die Personalentscheidungen in der Kommune haben in der Regel eine geringere Wahlbeteiligung als Kommunalwahlen allgemein, und am Ende der Skala liegen die Europawahlen.

Es gibt viele Erklärungsversuche; die Gründe sind sicher vielschichtig. Neben Krisenszenarien vom Untergang unserer Demokratie und von Politikverdrossenheit wird von manchen Forschern aber auch ins Feld geführt, dass ein Rückgang der Wahlbeteiligung als Normalisierungsprozess in modernen, demokratisch gefestigten Gesellschaften aufgefasst werden kann. Wahlenthaltung ebenso wie Mitgliederschwund von Parteien und Gewerkschaften heißt nicht automatisch Unzufriedenheit mit dem politischen System, sondern wird als Ausdifferenzierung von Lebenslagen und -stilen bewertet.

Niedrige Wahlbeteiligungen sind auch bei anderen Wahlen zu beobachten. Jüngst wurde in Kiel die Oberbürgermeisterin mit einer Wahlbeteiligung von 31,9 % gewählt, und bei der Bürgermeisterwahl in Fürstenwalde lag die Beteiligung bei 27,8 %.

Wir halten fest: Ein Zustimmungsquorum ist zur Legitimation von Landratswahlen überflüssig.

(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Darüber hinaus hat es auch keinerlei mobilisierende Wirkung. Das Gegenteil ist der Fall: Bürger, die bei zwei Wahlgängen ihre Stimme abgegeben haben, werden mit der Annullierung der Wahl praktisch bestraft und frustriert.

(Zuruf DIE LINKE: Genau so!)

Wahlabstinenz wird indirekt belohnt und kann als taktisches Mittel eingesetzt werden. Auch ein überzeugender Wahlsieg mit Zweidrittelmehrheit wird zur Niederlage, weil die Gewinnerin von einer willkürlichen Marge ausgebremst wird. Ein solches System dient nicht der Legitimierung, sondern der Besitz

standswahrung - vornehmlich der SPD - und gehört umgehend abgeschafft.

(Beifall B90/GRÜNE und FDP)

In Brandenburg ist nicht die Direktwahl der Landrätinnen und Landräte, sondern ein bundesweit einmaliges, überflüssiges Quorum gescheitert. Wir Grünen wollen nicht nur das willkürliche Quorum abschaffen, sondern wir wollen effektive Wahlrechtsveränderungen zur Steigerung der Beteiligung. Während das Zustimmungsquorum definitiv nicht zum Instrumentenkasten zur Steigerung der Wahlbeteiligung gehört, ist die fördernde Wirkung der Zusammenlegung unterschiedlicher Wahlen eindeutig belegt.

Da die Koinzidenz von Landratswahlen und Bundestags- oder Landtagswahlen nur in Ausnahmefällen vorkommen wird, ist eine systematische Synchronisierung von Wahlen von Hauptverwaltungsbeamten und kommunalen Vertretungen herzustellen. Diese bilden eine politische Verantwortungsgemeinschaft und sollten gemeinsam für dieselbe Wahldauer gewählt werden. Der positive Effekt ist in Bayern zu beobachten, wo eine vor Jahrzehnten eingeführte gemeinsame Wahl Beteiligungen von durchschnittlich über 50 % generiert.

In Nordrhein-Westfalen wurde im März die gemeinsame Wahl für fünf Jahre ab 2020 von Rot-Grün wiedereingeführt. Die Trennung der Wahlzeiten durch Schwarz-Gelb wurde dort von stark sinkender Wahlbeteiligung quittiert und wird retrospektiv auch von der CDU als schwerer Fehler angesehen.

Wir Grünen weisen die Forderung der SPD nach Abschaffung der Direktwahl für Landräte - wie auch 2010 - entschieden zurück.

(Beifall B90/GRÜNE)

Die SPD hat auch keinerlei Legitimitätsprobleme damit, dass bei Landtags- und Bundestagswahlen Direktmandate nur mit äußerst schmalen relativen Mehrheiten vergeben werden. Nein, sie kokettiert als größte Partei in Brandenburg mit dem Gewinn aller Direktmandate 2013. Dass Frau Wehlan nicht Landrätin werden kann, findet sie aber legitim. Hinter der Forderung nach Abschaffung der Direktwahl steckt weniger die Sorge um unsere Demokratie als die Sorge um die eigenen Pfründe. Wir Grünen wollen, dass Bürgerinnen und Bürger, die sich beteiligen - ob an Wahlen oder anderen Mitwirkungsprozessen -, ernst genommen werden.

(Beifall des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE] - Frau Lehmann [SPD]: Jetzt ziehe ich die grüne Weste aus!)

Wir wollen Demokratie stärken und nicht dem Souverän das Wahlrecht entziehen. Wenn eine Direktwahl immer wieder am Quorum scheitert, dann wollen wir das Quorum und nicht die Direktwahl abschaffen.

(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE und FDP)

Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Der Abgeordnete Ness spricht.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich heute auf eine sehr sachliche Diskussion zu diesem Thema gefreut. Frau Nonnemacher, Sie haben eine Chance vergeben, eine sachliche Diskussion einzuleiten. Es war unnötige Polemik dabei; das war weder sinnvoll noch notwendig.

(Zurufe von der CDU: Oh!)