Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur 36. Plenarsitzung des Landtages Brandenburg. Ich begrüße unsere Gäste, Schülerinnen und Schüler aus dem Oberstufenzentrum in Hennigsdorf. Herzlich willkommen, einen spannenden Vormittag für euch!
Ich teile Ihnen gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 3 der Geschäftsordnung des Landtages mit, dass der Ausschuss für Haushaltskontrolle den Abgeordneten Ziel am 11. April 2011 zum Vorsitzenden gewählt hat. Viel Erfolg bei dieser Arbeit, Herr Ziel!
Gibt es Bemerkungen zur vorliegenden Tagesordnung? - Da das nicht der Fall ist, bitte ich um Zustimmung zu dieser Tagesordnung. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Tagesordnung beschlossen.
Wir haben ab 12.15 Uhr auf Frau Ministerin Tack zu verzichten, die von Dr. Markov vertreten wird, und ab 11.30 Uhr auf Herrn Dr. Schöneburg, der von Herrn Minister Christoffers vertreten wird.
Dazu liegt Ihnen mit Drucksache 5/3185 ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie mit Drucksache 5/3229 ein Entschließungsantrag derselben Fraktion vor.
Wir beginnen mit dem Redebeitrag der antragstellenden Fraktion. Der Abgeordnete Vogel spricht zu uns.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Ministerpräsident! Ich hoffe, dass wir mit dieser Aktuellen Stunde einen wichtigen Beitrag in einer notwendigen Debatte leisten können. Ich zitiere:
„Es geht dabei auch um die Verständigung über faire und nachvollziehbare Maßstäbe für die Aufarbeitung der DDRVergangenheit. Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass wir diese Debatte in Brandenburg streitbar, offen und zugleich konstruktiv führen. Offenheit und Transparenz sind meiner Meinung nach der beste Weg, um das Ansehen der Polizei wirksam zu schützen.“
So sagte es Innenminister Woidke vor einigen Tagen, und er hat Recht. Wir brauchen diese Debatte, und wir müssen sie streitbar, offen und konstruktiv führen. Was ist der aktuelle Anlass? Wir reden aufgrund von Medienberichten von Menschen, die früher eine Geheimpolizei unterstützten, eine Geheimpolizei, die der Einschüchterung Einzelner, die der Zersetzung von Familien und Freundeskreisen diente, und die dessen ungeachtet nach 1990 Führungsfunktionen übertragen bekommen haben.
Dass diese Zusammenarbeit ganz verschieden ausgesehen hat und jede individuelle Geschichte auch individuell bewertet werden muss, ist klar, aber es geht in dieser Debatte um mehr als Einzelfälle. Führungsfunktionen sind auch Vorbildfunktionen. Minister Woidke dringt deswegen zu Recht auf Klarheit, gerade wenn es um die neu zu vergebenden Führungsposten bei der Polizei geht. Und er hat Recht, wenn er sagt: Das liegt auch und gerade im Interesse der Polizei selbst. - Er will Gewissheit, dass nicht ständig neue Minen hochgehen. Es geht um das Image der Polizei, heißt es, und auch darum, dass Polizeiführer nicht erpressbar sein dürfen, weil sie ihre Vergangenheit verheimlicht haben.
Der Innenminister hat sich für Problemlösung statt Problemverlagerung entschieden, und er fordert Zugang zu den Unterlagen der Jahn-Behörde. Er will es nicht akzeptieren, dass zwar Journalisten und Wissenschaftler Zugang zu den Stasi-Akten erhalten, der Dienstherr jedoch außen vor bleibt und der Medienberichterstattung mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist.
Gäbe es in dieser Regierung nur den Innenminister, dann könnte ich jetzt meine Unterlagen zur Seite legen.
Wir diskutierten ein bisschen, ob eher die Rechtslage oder die übertriebene Zurückhaltung der Jahn-Behörde die Einsichtnahme des Dienstherrn in die Stasiunterlagen verhindert. Mit der einstimmigen Verabschiedung unseres Entschließungsantrags könnten wir die Landesregierung in ihrem Aufklärungswillen unterstützen und zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen. Aus zwei Gründen ist dies heute nicht der Fall.
Zum einen gibt es einen Justizminister, dem der Weg zur Einsichtnahme in die Akten der Stasi-Unterlagenbehörde für die Richterinnen und Richter uneingeschränkt offen steht, der diese Option aber nicht wahrnehmen möchte. Zum anderen wurden in den letzten Tagen grundsätzliche Positionen in die Debatte eingebracht, die auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung erfordern.
Beginnen wir mit dem Justizministerium: Hieß es vor eineinhalb Jahren noch, es gäbe keine stasibelasteten Richter oder Staatsanwälte im Land, so war im April erstmals von drei Richtern und ist seit Mai von dreizehn Richtern, einem Staatsanwalt und 144 weiteren Justizangestellten die Rede. Das überrascht nicht wirklich, wenn man weiß, dass der Wissenschaftler Müller-Enbergs 1999 in einer Studie für den Bundestag für das Jahr 1996 noch 428 brandenburgische Justizmitarbeiter mit Stasi-Kontakten ausgemacht hatte.
Einen Anlass für eine Überprüfung anhand der aktuellen Quellenlage kann der Minister allerdings nicht erkennen.
Dabei verweist er selbst darauf, dass längst neue Erkenntnisse vorliegen. Als im Jahr 2004 die sogenannte Rosenholz-Datei auftauchte, hätte man überprüfen können wie in anderen Ländern auch, sagt der Minister.
Warum jedoch, Herr Schöneburg, soll das, was vor sieben Jahren angezeigt gewesen wäre, heute falsch sein?
Warum sollen zwar Polizeibeamte geprüft werden, Richterinnen und Richter aber nicht? Richter haben nicht über ihre Vergangenheit getäuscht, sagen Sie. Ich hoffe das auch. Ich hoffe das sehr - genauso wie alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land das hoffen. Doch mit der Täuschung in eigener Sache ist es so ein Ding; ein ehemaliger Bundesminister hat damit in den letzten Wochen auch so seine Erfahrungen gesammelt, und da ging es um weit Nichtigeres.
Doch der Landesminister schweigt - kein Handlungsbedarf. „Solange es keine neuen Erkenntnisse gibt, halte ich eine Untersuchung für nicht notwendig.“ - Was ist denn das für eine Erklärung? Der Minister weigert sich nachzufragen und sagt: „Gibt doch nichts Neues!“
Herr Schöneburg macht das Ergebnis einer Überprüfung zur Bedingung der Überprüfung. Das ist eine bemerkenswert schiefe Argumentation.
In der Diskussion fällt neuerdings oft das Wort Vertrauensschutz - ein großes Wort und ein wichtiger Grundsatz unserer Rechtsordnung. Das von den Bürgerinnen und Bürgern der staatlichen Gewalt entgegengebrachte Vertrauen muss geschützt werden - richtig! Doch wir dürfen uns schon fragen, ob dieses Vertrauen geschützt wird, wenn ständig neue Fälle das Ansehen der Justiz in diesem Land beschädigen. Soll denn die Kette von Enthüllungen dieses Land immer weiter in Atem halten? Öffnen Sie, Herr Schöneburg, wenn Sie sich weiter weigern, Auskünfte einzuholen, nicht der Denunziation Tür und Tor?
Ich bin überzeugt davon, dass wir in unserem Land hervorragende Richterinnen und Richter sowie Staatsanwälte haben. Genau deswegen geht es eben nicht um einen Generalverdacht, sondern um das Gegenteil davon: die Vermeidung eines Generalverdachts. Niemand soll verdächtigt werden, ohne dass man das überprüfen kann. Es geht darum, sowohl einzelne Richter als auch einen ganzen Berufsstand vor Verunglimpfung zu schützen. Das jedenfalls verstehe ich unter Vertrauensschutz.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Die Frage sei erlaubt, warum die Landesregierung in Gestalt ihrer Minister zweimal mit Rechtssicherheit und dem Image der jeweils Untergebenen
argumentiert, um dann in der Folge zu diametral entgegengesetzten Konsequenzen zu kommen? Herr Schöneburg will keinen Generalverdacht gegen Führungskräfte. Herr Woidke will das auch nicht. Das ist gut. Das will niemand. Aber warum erkennt das eine Haus dann akuten Handlungsbedarf, der gegebenenfalls sogar juristisch durchgesetzt werden soll, während im anderen Haus die Hände in den Schoß gelegt werden? Ist ein Richter, der womöglich seine Verstrickungen verheimlicht hat, weniger gefährlich und gefährdet als ein erpressbarer Polizeibeamter? Ich bin mir sicher: Selbst in den Regierungsfraktionen braucht es viel guten Willen, um hier eine Logik zu erkennen.
Ein Vorgehen wird nicht dadurch schlüssig, dass der Ministerpräsident es in beiden Fällen lobt. Was wir brauchen und was die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu Recht erwarten dürfen, ist eine schlüssige Strategie der Landesregierung, wie Schaden vom Land ferngehalten werden kann.
Kommen wir zum Grundsätzlichen: Frau Kaiser führte in ihrer Rede zur ersten rot-roten Regierungserklärung aus, dass es keinen Schlussstrich geben darf. Ich zitiere wörtlich:
„Es gibt einen Konsens über den Umgang mit Stasiunterlagen, und der sollte wichtig bleiben. Aufarbeitung sollte stattfinden, Opfer sollten unterstützt und Täter erkannt werden.“
Wir müssen darüber reden, ob wir die Wahrheit heute noch erkennen wollen oder lieber nach 20 Jahren die Akten schließen und die Augen verschließen, wie es Egon Bahr am Montag nahelegte.
(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das ist ein grobes Missver- ständnis! Da haben Sie offenbar nicht zugehört! Das ist Verleumdung! - Holzschuher [SPD]: Er war gar nicht da! Er weiß nicht, wovon er redet!)
Wir müssen darüber reden, ob wir den offenen Umgang der Täter mit der eigenen Vergangenheit immer noch als Voraussetzung für Versöhnung mit den Opfern ansehen. Es geht dabei nicht um Stasi-Jäger und deren Jagden, wie es Staatssekretärin Stachwitz kürzlich feuilletonistisch erklärt hat. Es geht auch nicht um Rache, wie Herr Stolpe oder um Revanche, wie Herr Kuhnert - jeweils hart an der Schmerzgrenze - mutmaßten.