Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie zur 24. Plenarsitzung. Ich begrüße unsere Gäste, insbesondere die Schülerinnen und Schüler des niedersorbischen Gymnasiums in Cottbus. Herzlich Willkommen und einen spannenden Vormittag für euch!
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich Ihnen mitzuteilen, dass die SPD Fraktion in ihrer Sitzung am 26. Oktober 2010 den Abgeordneten Bischoff zu ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer gewählt hat. Herzlichen Glückwunsch dazu und viel Erfolg bei dieser Arbeit!
Gleichfalls teile ich Ihnen mit, dass der Hauptausschuss in seiner Sitzung am 3. November 2010 den Abgeordneten Holzschuher zu seinem Vorsitzenden gewählt hat. Herzlichen Glückwunsch dazu! Das ist eine anspruchsvolle Arbeit.
Gibt des Bemerkungen oder Änderungswünsche zur Tagesordnung? Da das nicht der Fall ist, lasse ich über sie abstimmen. Wer nach ihr verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.
Ich teile Ihnen weiterhin mit, dass Minister Baaske heute von 17.00 bis 18.00 Uhr nicht anwesend sein wird. Minister Vogelsänger wird ihn vertreten.
Hierzu wurde vereinbart, keine Debatte zu führen. Wer diesem Antrag Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist Herr Mike Bischoff als Mitglied des Präsidiums gewählt. Herr Bischoff, nehmen Sie diese Wahl an?
Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP in Drucksache 5/2298 vor.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Die in einigen Medien und in Reihen der Politik geführte Debatte um die Sicherungsverwahrung bewegt sich oft auf einem sehr unsachlichen und emotional aufgeladenen Niveau. Die Betroffenen werden dämonisiert, und Ängste werden geschürt. Dieser Sicherheitsdiskurs wird seit geraumer Zeit geführt und ebnete den Weg für eine seit Ende der 90er Jahre in Gang gesetzte stetige Verschärfung des gesetzlichen Regelwerkes der Sicherungsverwahrung. Dieser Entwicklung, die sich weg von Freiheitsrechten hin zu vermeintlich mehr Sicherheit bewegt, muss zur Wahrung des Rechtsstaates Einhalt geboten werden.
Wir verkennen nicht, dass es vielfach Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung gibt, und diese Ängste nehmen wir ernst. Das bedeutet, dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen, und nicht, dass wir sie einfach übernehmen. Deshalb haben wir die heutige Aktuelle Stunde als Beitrag zur Diskussion und zur Aufklärung beantragt.
In Artikel 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 heißt es unter anderem:
„Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 17. Dezember 2009 der Beschwerde eines in der Bundesrepublik in Sicherungsverwahrung untergebrachten Gefangenen stattgegeben. Damit wurde in der seit dem 10. Mai dieses Jahres rechtskräftigen Entscheidung unter anderem die Vollzugspraxis der Sicherungsverwahrung in der Bundesrepublik Deutschland deutlich kritisiert. Die Sicherungsverwahrung gilt als die stärkste Sanktion des deutschen Strafrechts, obwohl sie eigentlich keine Strafe darstellt und darstellen darf. Doch immerhin erlaubt sie es, einen Menschen zum Schutz der Allgemeinheit auch nach Verbüßung seiner Haft viele Jahre, sogar Jahrzehnte hinter Gittern zu halten - damit trifft sie jedoch keineswegs immer die mutmaßlich schlimmsten Täter. An dieser Stelle sei an einen in Berlin-Tegel einsitzenden Heiratsschwindler erinnert.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte führt dazu, dass Straftäter, die dieser Entscheidung unterliegen, entlassen werden müssen. Das stellt die Bundesländer und
auch das Land Brandenburg vor die verantwortungsvolle Aufgabe, Vorkehrungen zu treffen, um einen größtmöglichen Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu erreichen, aber auch den Vorgaben des Urteils Folge zu leisten. So sind Entlassungen vorzubereiten, aufnahmebereite Einrichtungen zu finden und Bewährungshelfer auf derartige Risikopersonen einzustellen, damit keine unvorbereitete gerichtlich angeordnete Entlassung vorgenommen wird.
Am 20. Oktober 2010 hat das Bundeskabinett eine Reform der Sicherungsverwahrung beschlossen, mit der die Konsolidierung der primären Sicherungsverwahrung, der Ausbau der vorbehaltenen und die Beschränkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung umgesetzt werden sollen. Diese Vorschläge sind vor allem unter dem Licht des genannten Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umstritten.
Wir müssen Wege und verantwortungsvolle Lösungen suchen und finden und zugleich eine grundsätzliche Debatte zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung ermöglichen.
Ich rufe in Erinnerung: 1994 wurde die Sicherungsverwahrung auch in Ostdeutschland eingeführt; seit 1998 gilt sie unbefristet, vorher war sie auf zehn Jahre begrenzt. Seit 2004 konnte die Sicherungsverwahrung auch nachträglich - also während der Haftzeit - angeordnet werden. Seit 2007 ist die Anordnung der nachträgliche Sicherungsverwahrung auch bei Tätern möglich, die nach Jugendstrafrecht bestraft wurden.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass wir nicht über Menschen sprechen, die nach einer Tat ihre gerechte Strafe absitzen, sondern über die Frage, wie mit diesen Menschen nach der Verbüßung ihrer Strafe verfahren werden soll. Das geht weit über den strafenden Gedanken hinaus. Bei der Frage der Sicherungsverwahrung geht es um die Problematik des Umgangs mit Straftätern, bei denen anzunehmen ist, dass auch nach Verbüßung einer schuldangemessenen Freiheitsstrafe eine solch erhebliche Gefährlichkeit von ihnen ausgeht, dass aus Gründen des Schutzes der Bevölkerung eine Freilassung nicht verantwortet werden kann.
Das schließt eine notwendige Diskussion darüber ein, wann die Festlegungen einer Sicherungsverwahrung berechtigt sind und zu welchen Bedingungen und unter welchen Voraussetzungen das Instrument der Sicherungsverwahrung angewandt werden darf und kann.
In den vergangenen zehn Jahren hat dieses Instrument eine Ausdehnung erfahren, die mit der Konvention der Menschenrechte nicht vereinbar ist. Wenn es im Jahre 1999 bundesweit 2006 Fälle waren, so sind es aktuell 525 Sicherungsverwahrte. Nur 248 sitzen wegen Sexualstraftaten, alle anderen wegen Raub, Erpressung, Gewaltdelikten, Unterschlagung, Betrugs, Diebstahls oder sonstiger Delikte. Dieser Anstieg ist auch eine Folge des im Mai 2006 vom Bundesrat verabschiedeten Gesetzes zur Stärkung der Sicherungsverwahrung. Mit diesem wurde nicht nur der Katalog der Möglichkeiten erweitert, sondern auch auf Heranwachsende, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden, ausgeweitet. Gleichzeitig wurde auf das Erfordernis neuer Tatsachen verzichtet.
Es schien, als könne, ja wolle sich die Gesellschaft derer dauerhaft hinter Gittern entledigen, vor denen sie Angst hat. Aber dies funktioniert eben nicht.
Wir brauchen einen resozialisierenden Ansatz bereits in der Haftverbüßung ebenso wie in der Sicherungsverwahrung mit dem Ziel der Reintegration entlassener Straftäter in die Gemeinschaft. Dabei darf der Mangel an Geld und Personal nicht dazu führen, dass wir die Möglichkeiten der physischen und psychischen Therapierung von Straftätern vernachlässigen und so ihnen wie der Gesellschaft die Chance nehmen, nach Absolvierung ihrer Straftaten in die Gesellschaft zurückzukehren. So viel Sicherheit für die Gesellschaft wie nötig, so viel Freiheit in der Sicherungsverwahrung wie möglich - das ist die Herausforderung an zeitgemäße politische Entscheidungen.
Aber welchen Mut verlangt es bei einem Thema, das bei den Menschen massive Ängste schürt, bei einem Thema, wo der Bauch lauter schreit als der Kopf? Deshalb ist man schnell bei Stammtischdiskussionen, die nach dem Recht der Knackis fragen, danach, ob diese überhaupt noch die Sonne ohne Mauern wiedersehen dürfen, oder „Schwanz ab!“ oder „Todesstrafe bei Kindesschändern“ fordern, wenn es um Sexualverbrecher geht.
Wer will, wer kann es Eltern vergewaltigter oder auch ermordeter Kinder verdenken, dass sie nicht bereit und in der Lage sind, über das Recht auf Leben der Peiniger ihrer Kinder nachzudenken? Das gilt es zu respektieren und zu akzeptieren. Emotional gibt es kein Recht für Täter, rational, vor allem aber rechtsstaatlich stehen wir in der Pflicht.
Auch wenn es zu akzeptieren gilt, dass es in der Gesellschaft keine absolute Sicherheit geben kann und geben wird, ist die erste Prämisse bei allen Überlegungen zu künftigen Unterbringungsvarianten der Schutz der Bevölkerung vor Straftaten. Ich wünschte mich in diesem Ansatz in Übereinstimmung mit allen in diesem Haus vertretenen Parteien.
Auch wenn Kollege Eichelbaum als Erstes nach neuen Einrichtungen rief, so erfordert es doch, sich mit den notwendigen Lebensumständen der Häftlinge in Sicherungsverwahrung zu beschäftigen. Bei der Aufgabe Sicherungsverwahrung geht es insbesondere darum, langfristig einen Prozess in Gang zu bringen, der an den Angeboten des Strafvollzugs anschließt und eine Kontinuität in der Betreuung und Begleitung der Betroffenen garantieren muss. Denn nicht die räumliche Hülle ist Ausdruck einer hohen Qualität der Sicherungsverwahrung, sondern der therapeutische Prozess und die Vorbereitung der Entlassung in der Arbeit mit den Sicherungsverwahrten.
Kollege Eichelbaum, Sie ließen mitteilen, die Menschen in Brandenburg wollen, dass gemeingefährliche Straftäter weiterhin hinter Schloss und Riegel bleiben; kein Täter darf unkontrolliert in Freiheit kommen.
Vielleicht haben auch Sie am Sonntag die Dokumentation in der ARD „Wegsperren für immer“ gesehen, in der Vollzugsbeamte äußerten, dass wohl nicht alle, die als Sicherheitsverwahrte in Tegel einsitzen, auch wirklich dorthin gehören. Der Leiter der Einrichtung sprach davon, dass diese zunehmend ein Altenhaus werde denn eine Sicherungsverwahrung. Die Psychotherapeutin machte darauf aufmerksam, dass sich jeder vor den Konsequenzen fürchtet, wenn er einer Aufhebung der Sicherungsverwahrung zustimmt, denn 100 % Garantie auf Straftatlosigkeit gibt es nie.
Allein die Tatsache, dass wir uns einig sind, dass die Gesellschaft vor schweren Straftätern geschützt werden muss, ersetzt
erstens nicht die Überlegungen zur Gestaltung der Verwahrung, die sich eben nicht in ihren Bedingungen und Möglichkeiten an denen einer Haft orientieren soll, und zweitens ist zu prüfen und zu diskutieren, ob die Vorgaben, wer unter welchen Voraussetzungen diese Sicherungsverwahrung erhält, eingehalten werden. Dieser Diskussion und der notwendigen Präzisierung des § 66 des Strafgesetzbuches, „Unterbringung in der Sicherungsverwahrung“, haben wir uns zu stellen.
Dass bei alledem dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist, versteht sich unter verantwortungsbewussten Politikerinnen und Politikern von selbst. Wichtig ist uns aber auch, dass diese Fragen und Aufgaben in einem breiten gesellschaftlichen, politischen und juristischen Dialog geführt werden und wir die Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention erfüllen, und zwar bevor man sich zu Standorten verständigt. Denn der Inhalt bestimmt die Form und nicht umgekehrt.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes werden voraussichtlich 122 Sicherheitsverwahrte freikommen, davon neun in Berlin und drei in Brandenburg. Herr Eichelbaum, schon diese Wahrheit macht Ihre Forderung nach eigenständigen Objekten mit selbstständigen therapeutischen Resozialisierungsangeboten realitätsfern.
Es ist eine hohe Herausforderung, hier sachlich, konstruktiv und - weil erforderlich - auch zukunftsweisend zu arbeiten. Dazu laden wir alle in diesem Haus ein. Einen Vorschlag haben wir Ihnen dazu bereits im Rechtsausschuss unterbreitet: eine Bildungsreise in die Niederlande zum dortigen Longstayprojekt. - Vielen Dank.