Protocol of the Session on December 17, 2009

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 7. Sitzung des Landtages Brandenburg in seiner 5. Wahlperiode.

Als Gäste begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Immanuel-Kant-Gymnasiums Teltow. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg! Einen spannenden Vormittag wünsche ich euch.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Ihnen ist die Tagesordnung - heute ohne Änderungen - zugegangen. Wer bereit ist, nach ihr zu verfahren, den bitte ich um sein zustimmendes Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit verfahren wir nach dieser Tagesordnung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Auswirkungen des großen Verkehrsvertrags auf das Bahnangebot in den ländlichen Regionen

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 5/109

Wir beginnen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion. Der Abgeordnete Genilke spricht.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie alle haben sicherlich die Berichte gelesen, die wir in der vergangenen Woche zur Kenntnis nehmen durften, denen zufolge das Land Brandenburg für die mit der DB Regio AG ausgehandelten Verkehrsleistungen von 2002 bis 2012 bis zu 300 Millionen Euro zu viel zahlt. Nach einer von den privaten Bahnkonkurrenten eingereichten Beschwerde sieht die EUKommission nun offenbar den Verdacht bestätigt, dass es sich hierbei um unzulässige Beihilfen an den Bahnkonzern handelt. Sie fordert nun eine Verpflichtungserklärung der Bahn, die vorsieht, dass die überschüssigen Ausgleichszahlungen für den Betrieb an das Land zurückzuerstatten sind. Damit wird nun das bestätigt, was viele Kritiker dem Vertrag von Beginn an angelastet haben.

(Görke [DIE LINKE]: Das hat keiner gemerkt?)

Bereits seit 2003 steht er unter Beobachtung der EU-Kommission, denn er wurde im Dezember 2002 eben nicht im Wettbewerb vergeben, sondern - unter der Verantwortung des damaligen Verkehrsministers Hartmut Meyer - direkt mit der Deutschen Bahn AG ausgehandelt. Angesichts der Größenordnung der im Raum stehenden Zahlen sehen wir als CDU-Fraktion die Landesregierung in der Pflicht, sich dazu zu erklären. Wir möchten daher diese Aktuelle Stunde dazu nutzen, über die Auswirkungen des großen Verkehrsvertrags von 2002 - mit ca. 1,94 Milliarden Euro der größte jemals abgeschlossene Vertrag

Brandenburgs - auf das Bahnangebot in den ländlichen Räumen zu diskutieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich persönlich muss gestehen, dass ich von der Höhe der genannten Beträge, sollten sie sich tatsächlich als belastbar erweisen, geradezu geschockt bin.

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Ich sage das explizit auch als Vertreter jener Regionen, die infolge der Umstrukturierung des SPNV-Angebots vor drei Jahren direkt von den damaligen Zugabbestellungen und Taktausdünnungen betroffen waren.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Damals war die CDU beteiligt!)

Zu jener Zeit wurden Einsparvorgaben und die Kürzungen der Bundesregionalisierungsmittel zum Anlass genommen, das vom Land bestellte SPNV-Angebot neu auszurichten. Viele Regionen in Brandenburg mussten damals schmerzhafte Einschnitte ihres Schienenverkehrsangebots verkraften. Zahlreiche Brandenburger wurden dadurch von einer direkten Verbindung nach Berlin oder generell von einem wohnortnahen Schienenverkehr abgeschnitten.

Ich sage sehr deutlich: Die in der vergangenen Woche veröffentlichten Zahlen werden in diesen Regionen reines Unverständnis hervorrufen. Das Land forderte einerseits von ihnen im Sinne notwendiger Einsparungen ein erhebliches Opfer; andererseits unterzeichnete das Land offensichtlich einen völlig überkompensierten, nicht durch Leistungen gedeckten Verkehrsvertrag mit der DB Regio AG. In diesen Regionen fragt man sich natürlich ganz offen, inwieweit ihr damaliges Opfer lediglich einer inkompetenten Verhandlungsführung oder gar einer eigennützigen Vorteilsnahme des damaligen Verkehrsministers Meyer geschuldet war. Viele von Ihnen erinnern sich noch an die Polemik, die sein kurz nach der Vertragsunterzeichnung mit der Bahn vollzogener Wechsel als Berater zu eben jener Bahn provozierte. Schon 2003 lag der Verdacht nahe, dass damals nach dem Motto „Tust du mir etwas Gutes, tue ich dir etwas Gutes“ verfahren wurde.

(Görke [DIE LINKE]: Deswegen hat die Staatsanwalt- schaft die Ermittlungen eingestellt!)

Zwar wurden die damaligen Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts gegen ihn ergebnislos eingestellt.

(Görke [DIE LINKE]: Deshalb sollte man vorsichtig sein!)

Angesichts der nun offensichtlich vorliegenden Ergebnisse der EU-Kommission stellt sich allerdings die Frage, ob die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Ex-Minister und die damaligen Vorgänge nicht neu aufgerollt werden müssen. In Anbetracht der Beträge, um die es hier geht, hat die Öffentlichkeit unserer Meinung nach ein Anrecht, wenigstens drei Fragen beantwortet zu bekommen: a) wer eigentlich die Verhandlungen führte, b) ob und wenn ja, wann externer Sachverstand beteiligt wurde und c) warum der Landtag angesichts der nicht ganz unerheblichen finanziellen Details des Vertrags nicht im Geringsten beteiligt wurde.

(Krause [DIE LINKE]: Diese Fragen hätten Sie damals alle stellen können!)

- Das konnte ich nicht, weil ich als Nicht-Abgeordneter hier nicht reden durfte.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE: Aber Ihre Kolle- gen! Sie sprechen für die CDU!)

- In erster Linie spreche ich für mich.

(Lachen bei der Fraktion DIE LINKE)

- Die Fragen, die ich heute stelle, stelle ich als neuer Abgeordneter.

Meine Damen und Herren, das ist durchaus von der parlamentarischen Meinungsfreiheit gedeckt.

- Genauso ist es.

Wir erwarten Antworten auf diese Fragen. Gleichzeitig hoffen wir, dass sich die SPD zur Aufklärung bereiterklärt und für die Zukunft ein klares Bekenntnis dazu abgibt, dass eine derartige Vermischung von politischen Ämtern einerseits und Tätigkeiten für Wirtschaftsunternehmen andererseits unredlich ist. Ich sage das so deutlich, weil ich noch die Äußerung von Herrn Ness im Ohr habe, der damals davon sprach, dass er die Aufregung um Herrn Meyer nicht verstehe. Ness verteidigte damals den Wechsel Meyers zum Bahnkonzern mit folgenden Worten:

„Die Bahn ist einer der größten Arbeitgeber in Brandenburg - wenn ein erfahrener ehemaliger Bauminister dort einen Beratervertrag hat, ist das kein Verbrechen, sondern eine Auszeichnung seiner Kompetenz.“

Wir meinen, es geht hier nicht nur um die Frage der Kompetenz, sondern auch um die Frage der Glaubwürdigkeit. Die jetzt im Raum stehenden Zahlen zeigen, dass zumindest eine dieser Eigenschaften auf Herrn Meyer offensichtlich nicht zutreffen kann. Angesichts eines möglichen Fehlbetrags von 300 Millionen Euro muss entweder an seiner Kompetenz oder an seiner Glaubwürdigkeit gezweifelt werden, vielleicht aber auch an beidem. Ich denke, es ist offensichtlich, dass damals Fehler gemacht wurden. Wenn sich die Zahlen in dieser Größenordnung bestätigen, müssen wir die Vorgänge aus dieser Zeit neu bewerten und untersuchen.

(Beifall CDU)

Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass so etwas in Zukunft nicht wieder geschehen kann. Die CDU-Fraktion spricht sich daher klar für europarechtskonforme und transparente Ausschreibungen der SPNV-Leistungen aus. Wir unterstützen weiterhin den in den vergangenen Jahren erarbeiteten Wettbewerbsfahrplan und hoffen, dass er auch unter der rot-roten Regierung weiterhin eingehalten wird. Das Beispiel des Verkehrsvertrags von 2002 zeigt, was passieren kann, wenn der Wettbewerb immer als etwas Schlechtes gesehen wird, der deshalb ausgehebelt werden müsse. Es lehrt uns, dass nur durch einen transparenten Wettbewerb eine höhere Attraktivität und Qualität des SPNVVerkehrs zu marktgerechten Preisen geleistet werden können.

(Beifall CDU)

Laut Angaben des Ministeriums werden wir allein durch die Vergabe der bisher im Wettbewerb vergebenen Leistungen ca. 40 Millionen Euro im Jahr einsparen.

Ich möchte an dieser Stelle gern an die Weisheit von Helmut Schmidt erinnern, der festgestellt hat - viele im Raum werden den Ausspruch kennen -: Märkte sind wie Fallschirme. Sie funktionieren nur, wenn sie offen sind. - Offen meint hier: offen für konkurrierende Unternehmen, offen für ein faires Vergabeverfahren und offen für einen diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass alle Verkehrsunternehmen gleich behandelt werden. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass die Verkehrsleistungen zum Wohle des Kunden auch von privaten Bahnunternehmen in einer hohen Qualität zu marktgerechten Preisen erbracht werden können.

Wir sollten daher auch für andere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht blind und pauschal den Wettbewerb an sich als Sündenbock für Missstände verantwortlich machen. Die CDU-Fraktion ist überzeugt davon, dass ein transparenter und leistungsbezogener Wettbewerb einer wie auch immer gearteten Verhandlung in politischen Hinterzimmern vorzuziehen ist.

(Beifall CDU)

Die Bundesregierung rechnet damit, dass die konkreten Zahlen der EU-Kommission im Januar auf dem Tisch liegen werden. Nachdem die Ausschreibungen in diesem Jahr zeigten, dass die im Wettbewerb vergebenen Verkehrsleistungen 25 % preisgünstiger sind, erscheinen die genannten Zahlen der letzten Woche im dreistelligen Millionenbereich zumindest nicht ganz unplausibel.

Die CDU-Fraktion fordert die Landesregierung daher auf, sich bei den Nachverhandlungen mit der Deutschen Bahn AG an diesen Einsparquoten zu orientieren. Das Land hat heute noch weniger Spielraum als bei der Vertragsunterzeichnung im Dezember 2002. Die Bürger haben ein Recht darauf, dass ein möglichst hoher Betrag in konkrete Verkehrsleistungen fließt.

Zur Verwirklichung dieses Ziels sollte das Parlament zumindest an den Nachverhandlungen in ausreichendem Maße beteiligt werden. Dazu muss der Vorgang heraus aus den politischen Hinterzimmern, und der Verkehrsvertrag, bei dem es um öffentliche Mittel in Höhe von fast 2 Milliarden Euro geht, muss zumindest für die Landtagsabgeordneten offengelegt werden. Gleiches gilt im Übrigen auch für den S-Bahn-Vertrag in Berlin, an dem Brandenburg zu ca. 15 % beteiligt ist. Auch dort ist es offensichtlich, dass die im Vertrag ausgehandelten Zahlungen nicht durch die erbrachten Leistungen gerechtfertigt werden können.

Auch wenn über die neuen Zahlen bislang nur spekuliert werden kann, wollen wir als CDU-Fraktion hier die Möglichkeit nutzen, über eine mögliche zukünftige Verwendung der Gelder zu diskutieren. Ich möchte diesbezüglich den katastrophalen und maroden Zustand vieler Bahnhöfe, vor allem in den ländlichen Regionen, erwähnen.

Wenn wir den SPNV weiter stärken wollen - ich gehe davon aus, dass wir da durchaus im Einklang sind -, müssen wir hier Lösungen suchen, durchsetzen und anbieten. Wir sollten im Einvernehmen mit den Kommunen und der Deutschen Bahn AG als Eigentümer zahlreicher Immobilien ein Konzept entwi

ckeln, mit dem die Bahnhöfe als Eingangstore für die Städte und Gemeinden aufgewertet werden. Ein Beispiel dafür - das konnten wir in der letzten Woche der Presse entnehmen - ist die Verfahrensweise in Sachsen-Anhalt.

Darüber hinaus fordern wir, dass die vor drei Jahren erfolgte Umstrukturierung des SPNV-Angebots überarbeitet wird. Es kann nicht sein, dass einzelnen Mittelzentren und Wachstumskernen eine direkte Erreichbarkeit zur Hauptstadt verwehrt bleibt. Die Pendler sind die Stützen des ländlichen Raums. Sie gewährleisten, dass ein gewisses Maß an Kaufkraft und urbaner Vitalität auf den periphären Raum ausstrahlt. Dies kann aber nur durch eine gute Erreichbarkeit nach und von Berlin in adäquaten Fahrzeiten erreicht werden - ich betone: in adäquaten Fahrzeiten.

In der aktuellen Diskussion zeigt sich, dass der Verkehrsvertrag von 2002 und die Umstrukturierungen im Jahr 2006 klar und deutlich zulasten des ländlichen Raums gegangen sind. Der Verkehrsvertrag von 2002 sicherte der DB Regio AG bisher eine überdurchschnittliche und sehr honorige Vergütung von 8,61 Euro pro Zugkilometer. Bei den im Wettbewerb vergebenen Leistungen beträgt die Vergütung gerade einmal die Hälfte. Ich hoffe, dass nicht nur wir als CDU-Fraktion uns angesichts dieser Zahlen fragen, welche Verkehrsleistungen man hätte bestellen können, wenn der Vertrag nicht so schlecht verhandelt worden wäre. Hätte man sogar auf die Abbestellung von SPNV-Leistungen im Jahre 2006 ganz verzichten können?

Herr Platzeck, ich möchte daran erinnern: Wahrscheinlich wären Sie mit Ihrer Zugtour - Ihrer Sommertour 2008 - sogar nach Finsterwalde gekommen und hätten nicht auf das Auto umsteigen müssen. Aber das, was Sie an einem Tag nicht geschafft haben, weil Ihnen keine adäquaten Fahrzeiten mit der Bahn nach Finsterwalde ermöglicht werden konnten, haben die Pendler jeden Tag zu ertragen. Nach Berlin beträgt die Fahrzeit - wir haben gerade das Beispiel Finsterwalde gehabt - 2,15 Stunden, nach Potsdam 2,50 Stunden. Das schafft ein Profiradfahrer, selbst wenn er nicht gedopt ist, mit dem Fahrrad schneller. So ist es sicherlich nicht nur für mich naheliegend, dass hier die DB Regio AG Gewinne auf Kosten der ländlichen Regionen erzielt.