Protocol of the Session on November 19, 2009

Unter unseren Gästen begrüße ich den Politikkurs der 10. Klasse der Bruno-H.-Bürgel-Oberschule Rathenow. Herzlich willkommen in Potsdam!

(Allgemeiner Beifall)

Gibt es von Ihrer Seite Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der FalI. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr folgen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Sollen Land und Kommunen für die Steuersenkungen bezahlen?

Antrag der Fraktion der SPD

Drucksache 5/41

Die antragstellende Fraktion eröffnet die Debatte. Es spricht der Abgeordnete Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Steuerschätzung liegt auf dem Tisch des Parlaments. Wir haben deutliche Einnahmerückgänge zu verzeichnen. Der Grund dafür ist allseits bekannt: die schwerste Rezession, die Deutschland je erlebt hat. Trotzdem stehen wir vor der Herausforderung - auch wegen der widrigen Rahmenbedingungen -, die Konsolidierung fortzusetzen und die Erneuerung aus eigener Kraft im Land Brandenburg voranzutreiben.

In einem Punkt herrscht sicherlich über die Fraktionsgrenzen hinweg Konsens: Die Lage der öffentlichen Haushalte - das gilt für den Bund, die Länder und die Kommunen - ist kritisch. Aber exakt in dieser schwierigen Situation legt Frau Merkel bildlich gesprochen: getrieben von Herrn Westerwelle - ein Steuersenkungspaket obendrauf. Die neue Bundesregierung startet mit Klientelpolitik und Steuersenkungen. Da dies zu erheblichen Löchern auch in der Landeskasse und in den Kassen der Rathäuser Brandenburgs führen wird, haben wir dieses Thema auf die Tagesordnung der heutigen Aktuellen Stunde gesetzt.

Meine Damen und Herren! Studien belegen, dass in Deutschland ein Defizit an Bildungsausgaben besteht. Studien belegen, dass Deutschland insgesamt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, etwa 25 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgeben müsste, um im internationalen Vergleich mithalten zu können. Exakt in dieser Situation, wo Studien dies belegen, plant die

Bundesregierung ein Steuerentlastungspaket, ein Steuergeschenkepaket in Höhe von satten 20 Milliarden Euro - Geld, das dringend für die Bildung einschließlich Hochschulen nötig gewesen wäre.

(Petke [CDU]: Entlastung von Familien und Kindern, Herr Kollege!)

Dramatisch ist dies auch, weil Sie damit, Herr Petke, in die Kassen der Länder greifen wollen. Warten Sie einmal ab, welche Folgen das noch haben wird.

(Petke [CDU]: Die Familien freuen sich!)

- Beruhigen Sie sich! Es ist noch früh am Morgen, Herr Petke.

In den Kassen der Länder, übrigens auch in denen der Rathäuser, wird das Geld fehlen: für Kitas, für Lehrerstellen, übrigens auch für Personal im Polizeikörper, Herr Petke.

Dabei hat die Öffentlichkeit ihr Urteil längst gefällt: „Klientel statt Klarheit“ oder „Finanzpolitischer Blindflug“. Das sind nicht meine Worte, das sind nur Zitate aus der aktuellen Tagespresse.

(Erneuter Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

- Hören Sie einmal kurz zu, bevor Sie dazwischenrufen!

Ungewöhnlich harsche Kritik hagelt es übrigens auch von ganz ungewohnter Seite, vom sehr unverdächtigen Rat der Wirtschaftsweisen, die in ihrem Gutachten vom vergangenen Freitag gesagt haben:

„Steuersenkungsversprechen ohne solide Gegenfinanzierung, wie sie sich im Koalitionsvertrag finden, sind unseriös... Auch wenn es die neue Bundesregierung nicht wahrhaben will: Ohne harte Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben oder ohne Erhöhungen von Steuern oder anderen Abgaben kann eine Konsolidierung der staatlichen Haushalte nicht gelingen.“

Als ob also die Wirkungen auf alle öffentlichen Haushalte in der Krise nicht schon schlimm genug wären, setzt die Bunderegierung in Meseberg noch einen obendrauf. Es ist eine Koalition - ich sage das ganz bewusst als Sozialdemokrat; es erschließt sich mir nicht anders - der sozialen Kälte.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Oh! bei der CDU - Frau Dr. Ludwig [CDU]: Sie haben gar kein Taschentuch dabei!)

- Frau Dr. Ludwig, ich habe ein Taschentuch dabei, das ist kein Problem.

In Meseberg wurden aber im Gegenzug vorweihnachtlich ganz liebevoll - sicherlich von Frau Merkel selbst gemacht - Weihnachtsgeschenke eingewickelt: Steuergeschenke für Erben großer Vermögen, Steuergeschenke für Hotelketten, Steuergeschenke für große Konzerne und Steuergeschenke für Besserverdienende.

Das Problem an diesen Geschenken, die in Meseberg so liebevoll verpackt worden sind: Die Rechnung dafür zahlen nicht nur die Bundesbürger generell, sondern auch die Länder und die Kommunen. Ich sage vorweg: Wir als SPD-Fraktion be

zweifeln, dass mit diesem Steuersenkungspäckchen für Besserverdienende, Hotelketten und Konzerne die Konjunktur belebt werden kann. Das Land Brandenburg und seine Gemeinden haben längst einen Kurs der Konsolidierung eingeschlagen. Das ist eine zwingende Voraussetzung, um weiterhin überhaupt noch mitgestalten zu können.

Wie sieht dieser Konsolidierungskurs im Einzelnen aus? Wir setzen nach wie vor Prioritäten. Das haben wir auch in der Koalition mit der CDU getan, übrigens gar nicht so unerfolgreich. Erste Priorität sind Bildung, Hochschulen und auch eine umweltfreundliche Wirtschaft. Zweitens: Wir bauen den Personalkörper sozialverträglich ab. Die Zielzahl für 2019 sind 40 000 Stellen. Drittens: Wir investieren zielgerichtet. Viertens: Die neuen Ausgaben sollen, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, durch zusätzliche Einsparungen erbracht werden. Alle vier Punkte sind auch Bestandteil des Koalitionsvertrages.

Dennoch ist der Schuldenstand des Landes Brandenburg inzwischen auf 18 Milliarden Euro angewachsen. Diese Schulden kosten uns allein in diesem Jahr 808 Millionen Euro. Ich versuche das zu übersetzen: Das sind etwa 2,2 Millionen Euro pro Tag.

Oder anders gerechnet - die Damen und Herren Bildungspolitiker werden jetzt bestimmt genau zuhören -: Der Gegenwert an Zinsen, den wir allein in diesem Haushaltsjahr an die Banken zahlen, beträgt 17 000 Lehrerstellen. Das sind meines Erachtens, Frau Geywitz, mehr Lehrerstellen, als wir jetzt überhaupt im System haben. Ich sage es noch einmal: Für 2,2 Millionen Euro Zinsen pro Tag, meine Damen und Herren - und das ist gerichtet an alle Kolleginnen und Kollegen - könnten wir im Land Brandenburg täglich eine Sporthalle bauen - ohne Kofinanzierung durch irgendeine Seite. Dies also ist die Situation.

Wir haben - bereits in der damaligen Koalition mit der CDU einen sehr klaren Konsolidierungskurs eingeschlagen. In den Jahren 2007 und 2008 musste der Landeshaushalt keine zusätzlichen Schulden aufnehmen. Die Finanzkrise selbst schlägt allerdings sehr starke Löcher in die Haushaltskasse. Wir haben erhebliche Spuren zu verzeichnen. Im Landeshaushalt fallen 550 Millionen Euro und bei den Kommunen ca. 100 Millionen Euro weg.

Wer bislang glaubte, dass Konservative sehr gut mit Geld umgehen können, wird in Meseberg eines Besseren belehrt. In Sonntagsreden wird gern behauptet, der Bund und die Länder müssten sofort eine Schuldenbremse einbauen. Und montags oder dienstags fährt man wieder nach Meseberg und macht Steuergeschenke auf Pump und auf dem Buckel der Länder und der Kommunen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das hat überhaupt nichts mit einem verantwortlichen Handeln in Sachen Steuern und Finanzen zu tun.

(Beifall des Abgeordneten Holzschuher [SPD])

Die Begründung ist: Das alles würde der Konjunktur nutzen. Es heißt im Gesetzestext „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen und ich glaube, das ist auch belegbar: Steuersenkungen haben in dieser Form noch nie in irgendeiner Form zu Wachstum geführt, außer im Portemonnaie der Besserverdienenden. Das ist der Fakt.

In Meseberg wurden im Einzelnen Geschenke eingewickelt. Das erste Steuergeschenk ist für Erben. Erben großer Vermögen werden nach den Plänen der Bundesregierung demnächst steuerlich entlastet. Die Mindereinnahmen - als Finanzpolitiker im Land Brandenburg sage ich, sie sind dramatisch - gehen vollkommen zulasten der Länder und schlagen auch im Landeshaushalt von Brandenburg konkret durch. Summe: 0,6 Milliarden Euro bundesweit.

Ein zweites Steuergeschenk wurde eingewickelt, und zwar die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelketten. Ich frage Sie: Wie bitte schön soll das die Konjunktur beleben? Selbst unabhängige Experten sind sich bis heute nicht recht klar darüber, ob diese Steuersenkung tatsächlich an die Kundschaft weitergegeben wird. Hier ist nicht nur der Bund, sondern es sind auch die Länder und die Kommunen betroffen. Meine Damen und Herren, alle, die Kommunalpolitiker sind: Auch das geht zulasten der Kommunen, denn wir haben einen Steueranteil, sowohl im Land als auch in den Kommunen.

Zum dritten Geschenk: Ich muss es zuspitzen. Die CSU hat sich an der Stelle offenbar durchgesetzt, ich kann das überhaupt nicht verstehen. Dass Familien, die ihre Kinder aus der Kita abmelden oder gar nicht erst planen, sie dorthin zu bringen, demnächst 150 Euro cash im Monat erhalten sollen, ist ein gewisser Gipfel, der nichts mit Bildung oder Gemeinsinn zu tun hat.

(Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90 - Zuruf der Abgeordneten Prof. Dr. Wanka [CDU])

- Frau Wanka, Sie schütteln vorsichtig den Kopf. Das steht so geschrieben. Lesen Sie bitte nach: 150 Euro im Monat für alle, die ihre Kinder nicht in die Kita bringen.

(Zuruf bei der CDU)

Ich möchte noch hinzufügen: Die Bundesregierung hat auch in Bezug auf Kinder Steuersenkungsversprechen gemacht. Dagegen hat niemand grundsätzlich etwas einzuwenden. Ich möchte aber zwei Punkte herausheben. Der erste Punkt: Das Kindergeld zu erhöhen ist nicht die klare Politik der SPD. Wir hätten das Geld lieber eingesetzt, um den Kindern direkte Leistungen zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel ein kostenloses Mittagessen oder die Kostenbefreiung für Lehrmittel.

(Dr. Woidke [SPD]: Richtig! - Beifall SPD)

Hier geht es weiter. Hier müssen wir beherzt miteinander diskutieren. Noch ein letztes Beispiel. Wenn ein Gutverdienender mit einem Kinderfreibetrag bis zu 440 Euro, ein Geringverdiener - davon haben wir leider eine ganze Menge in Brandenburg - aber nur maximal 240 Euro steuerlich absetzen kann, frage ich mich: Wo ist die Gerechtigkeit in diesem Land geblieben? Wo, bitte schön?

(Zuruf bei der CDU - Beifall SPD - Glocke des Präsiden- ten)

- Herr Präsident, ich würde gern fortsetzen.

Das ist die Redezeit Ihrer Nachfolger.

Der Nachfolger bin ich selbst. Deshalb würde ich fortsetzen, wenn Sie einverstanden sind.