Günter Garbrecht

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Last Statements

Herr Kollege Romberg, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sowohl die Ärztekammern als auch die Ärzteverbände vor zehn Jahren vor einer sogenannten Ärzteschwemme gewarnt haben? – Sie kennen sicherlich diese Diskussion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, das ist nicht meine letzte Rede.
Ich will zunächst über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil wahrlich keinen utopischen oder unfinanzierbaren Sozialstaat gefordert. Es hat aber den Sozialstaatsverächtern, die es in diesem Lande durchaus gibt, die unterste Grenze aufgezeigt, die zwingend einzuhalten ist, wenn der Staat nicht gegen seine eigenen Prinzipien verstoßen und handeln will.
Gut drei Wochen hat sich die Republik mit obskuren Berechnungen über den nicht einzuhaltenden Lohnabstand beschäftigt. Ruhe kehrte erst ein, nachdem der DPWV anhand von 196 Beispielrechnungen nachwies, dass der Lohnabstand zum Transfereinkommen auch in den unteren Lohngruppen eingehalten wird. Die Diskussion war völlig haltlos und obskur, weil bei den ursprünglichen Berechnungen Einkommensbestandteile wie Wohngeld und Kinderzuschlag ganz offensichtlich
vorsätzlich herausgelassen worden sind. – Das zur heutigen Realität des Lohnabstandes.
Ich möchte Ihnen ein anderes Bild der Realität zeichnen: 27.000 Arbeitslose bewerben sich auf 650 Stellen. Das stand nicht in der „Bild“-Zeitung, die uns ja immer von dem anstrengungslosen Wohlstand im Lande berichtet.
650 Stellen hatte die Berliner Stadtreinigung zu vergeben, und auf diese 650 Stellen – da ging es um Schneeschippen und darum, die Stadt vom Eis zu befreien – haben sich 27.000 Arbeitslose beworben.
Das, meine Damen und Herren, spiegelt die Realität eher wider, nicht aber die sich seit Jahren durch Talkshows ziehenden und von Medien verbreiteten Geschichten weniger Einzelner, die sich irgendwie durchs System schlängeln.
Deswegen sind auch die Ausführungen des Vizekanzlers über die spätrömische Dekadenz nicht nur ein offensichtlicher Frontalangriff auf den Sozialstaat, sondern er beleidigt damit auch Millionen von Menschen, die harte Arbeit leisten müssen und dafür Dumpinglöhne kassieren.
Und er stempelt die 11,7 Millionen Deutschen, die von Armut bedroht sind, die weder Arbeit noch Perspektive haben, zu Sozialschmarotzern ab, um von seiner Politik der Steuererleichterungen für wenige Wohlhabende abzulenken.
Und ohne das Verfassungsgerichtsurteil zu nennen, startet der Vizekanzler eine Attacke gegen den Leitsatz des Gerichtes, auf den unmittelbar verfassungsrechtlich abgesicherten Leistungsanspruch auf Gewährung einer menschenwürdigen Existenz. Wer in anderen Bezügen oder zumindest in früheren Zeiten die Verfassung und deren Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht so ignoriert und in Zweifel gezogen hätte, der stände schnell als Feind der Grundrechte und der Verfassung im Visier. Aber gilt dieser Maßstab eigentlich nicht für die Sozialpolitik? Und gilt dieser Maßstab nicht auch für den Vizekanzler dieser Republik?
Es gibt auch andere Maßstäbe, die zum Teil auch von Liberalen gesetzt wurden. Ich möchte Lord Dahrendorf zitieren. Er hat von „Sense of Belonging“ – ich hoffe, dass ich das richtig ausgesprochen habe; ich übersetze es aber – gesprochen.
“Besser als Oettinger“, höre ich gerade. Danke schön.
Der liberale Lord Dahrendorf hat von „Sense of Belonging“ – das bezeichnet das Zusammengehörigkeitsgefühl – gesprochen, wenn es um den notwendigen Zusammenhalt einer Gesellschaft geht. Das erfordert Solidarität der Starken mit den Schwachen und nicht deren Ausgrenzung.
Weiterhin hat Lord Dahrendorf gesagt:
Keine Gesellschaft kann es sich leisten, 10 % von ihren Chancen auszuschließen, ohne moralischen Schaden zu nehmen. … Wenn wir in zivilisierten Gemeinwesen leben wollen, dann müssen wir tun, was wir können, um die Ausgeschlossenen hereinzuholen in die Chancenwelt des sozialen Lebens.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren – das möchte ich den Liberalen gerne mit auf den Weg geben –,
ist auch der Vorschlag von Hannelore Kraft zu verstehen. Er hat nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Vorschlag von Westerwelle und der von ihm vom Zaun gebrochenen Diskussion zu tun.
Die Konsequenz aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eindeutig: Höhere Regelsätze erfordern einen gesetzlichen Mindestlohn, da der Sozialstaat ansonsten auch in seiner Finanzierbarkeit und seiner Akzeptanz geschwächt würde. Wir brauchen ein Lohnabstandsgebot von oben. Das bedeutet, die Löhne müssen höher sein als die Sozialleistungen der Grundsicherung.
Und wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Das ist heute so und muss auch in Zukunft so bleiben. Aber wer arbeitet, der muss dafür auch eine existenzsichernde Bezahlung erhalten.
Denn sozial ist nur existenzsichernde Arbeit.
Zum Lohnabstandsgebot, Herr Minister, erwarten wir auch noch Ihre Vorlage; Sie haben noch bis zum 9. Mai Zeit. Denn natürlich ist auch der § 28 des SGB XII, der das Lohnabstandsgebot regelt, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr haltbar.
Also, auch aus diesen Gründen brauchen wir zwingend den Mindestlohn, und ich gehe davon aus, dass sich auch die Union insbesondere hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit dieser Position anschließen wird.
Ich will nur noch zwei Sätze sagen, meine Damen und Herren, Herr Präsident.
Darüber hinaus muss für zumutbare Beschäftigung nach dem SGB II oder dem SGB III als zwingende Lohnuntergrenze die tarifliche oder die ortsübliche Bezahlung stehen. Bei der Abschaffung waren Sie leider die treibende Kraft, Herr Laumann. Sie könnten sich auch einmal auf der anderen Seite engagieren.
Niedriglöhne können und dürfen kein Maßstab sein. Darin stimmen wir Bert Rürup eindeutig zu. Denn damit würde eine verfassungswidrige Abwärtsspirale in Gang kommen. Kehren Sie endlich um. Machen Sie sich nicht aus dem Staub. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung.
Treten Sie mit uns für einen Lohnabstand durch Lohnanstand und für Mindestlöhne ein.
Danke. – Herr Minister, ich hätte die Frage gerne zu dem Zeitpunkt gestellt, als Sie die Zahlen vorgetragen haben. Wir werden das im Protokoll nachlesen. Sind die Zahlen, die Sie vorgetragen haben, die Genehmigungen, die Sie während Ihrer Amtszeit ausgesprochen haben?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Beitrag der Kollegin Steffens dahin gehend verstanden, dass sich der Ausschuss damit beschäftigt; denn er hat sich schon in der Vergangenheit sehr umfangreich mit dem Themenkomplex Zeitarbeit befasst.
Herr Minister, ich finde auch, Sie sollten sich, wann immer Sie hier am Rednerpult stehen oder sich irgendwo im Lande dazu äußern, darüber im Klaren sein, dass Sie selbst im Prinzip ein Zeitarbeitsunternehmer sind.
Ja, selbstverständlich. Wenn Sie das nicht wissen, will ich Sie gerne aufklären. In Ihrem Ministerium ist im Rahmen der GIP die START Zeitarbeit angesiedelt. Daran ist das Land Nordrhein-Westfalen mit 63,6 % beteiligt. Die START Zeitarbeit ist als arbeitsmarktpolitisches Instrument gegründet worden.
Es gibt viele Zeitarbeitsunternehmen im Lande, insbesondere bei den Kommunen. Ich selbst bin Aufsichtsratsvorsitzender einer städtischen Einrichtung, die ebenfalls Zeitarbeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument einsetzt.
Wenn wir den Einsatz von Zeitarbeitskräften betrachten, sollten wir alle Aspekte berücksichtigen. Herr Minister, Sie sollten sich in Ihrem Haus noch einmal genau umschauen, bevor Sie in dieser Frage hier solch einseitige Vorwürfe erheben.
Sie haben als Arbeitsminister gesprochen. Ich möchte Sie als Gesundheitsminister ansprechen, der für die Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in diesem Land Verantwortung trägt. Sie wissen um die prekäre Situation der Finanzierung. Worin besteht eigentlich der Unterschied im Einsatz von Zeitarbeitsunternehmen einerseits und dem Outsourcing ganzer Unternehmensbereiche andererseits, etwa bei kommunalen Kliniken und freigemeinnützigen Trägern, die wir überall im Land haben?
Ich nehme gerne die Initiative in dieser Frage auf, über den Grundsatz zu diskutieren, wie sich Arbeitsbedingungen gerade in diesem Feld der Gesundheitswirtschaft, der Pflege, in diesem Land zu
organisieren hat und welche Anforderungen wir stellen. Wir dürfen aber nicht nur Anforderungen formulieren, sondern wir müssen die Frage beantworten, wie Einrichtungen in ihren berechtigten Forderungen unterstützt werden können, um ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vernünftig entlohnen zu können. Wer A sagt, der muss in dem Fall auch B sagen.
Noch ein Gesichtspunkt zur Zeitarbeit insgesamt: Ich verstehe den Deutschen Gewerkschaftsbund und seine Gewerkschaften ganz gut, keine weiteren Tarifverträge im Bereich der Zeitarbeit abzuschließen. Denn wenn diese Tarifverträge nicht abgeschlossen werden, gilt der Grundsatz des Equal Pay: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit an einem Einsatzort. Damit wäre der Vorwurf, den Sie hier heute und gestern erhoben haben, obsolet.
Streiten Sie mit uns dafür, dass dieser Grundsatz, der schon jetzt im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz steht, zu einem tragenden Grundsatz wird, nicht aber der Tarifvorbehalt von Scheingewerkschaften. Ich will Sie in Ihrer Deutlichkeit noch ein bisschen übertreffen:
Die sich so nennenden „Christlichen Gewerkschaften“ sind eigentlich keine Gewerkschaften, sondern nur Scheingewerkschaften. Das gilt auch für viele andere. Sie sind arbeitgeberhörig. Das muss ich an dieser Stelle sagen. Solche klaren Worte hätte ich auch von Ihrer Seite erwartet. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits gestern haben wir uns im Landtag über die Treffsicherheit von Prognosen ausgetauscht. Schwarz-Gelb setzt im Bund wie im Land auf eine positive Entwicklung im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Ihre Maßnahmen der Politik gründen darauf. Es bleibt Ihnen auch kein anderer Weg übrig.
Sie ergreifen jeden Strohhalm, der diese Vermutung stützt. Ja, es gibt einen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ stabil gebliebenen Arbeitsmarkt. Dafür gibt es aber Gründe. Der erste ist darin zu suchen, dass wir für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Schutzschirm gespannt haben, einen Schutzschirm von Beschäftigungssi
cherung, nämlich die Kurzarbeit, die wir auf über 24 Monate verlängert haben.
Allein die Kurzarbeit in Nordrhein-Westfalen – so Stand August dieses Jahres – umfasst 318.000 Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit um ca. 30 % verkürzt haben. Das vermindert die Arbeitslosigkeit allein hier in Nordrhein-Westfalen um 100.000 Stellen. Ohne das Instrument der Kurzarbeit wären also in Nordrhein-Westfalen 100.000 Menschen mehr ohne Arbeit.
De zweite Grund: Mit Notlagentarifverträgen und dem Abbau von Stundenkonten leisten Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften ihren in dieser wirtschaftlichen Situation unverzichtbaren Beitrag zur Stabilisierung der Beschäftigungssituation. Das unterscheidet unser Land, Deutschland insgesamt, von allen europäischen Nachbarn.
Zu den Beiträgen des Landes Nordrhein-Westfalen: Das, was Herr Brockes vorgetragen hat, die Verlängerung der Außengastronomie-Zeiten, als einen wesentlichen Beitrag zu bezeichnen, dass dadurch eine Stabilisierung stattfinde und das Land besser gerüstet sei, lasse ich einmal dahingestellt. Ich nehme es mit Erstaunen wahr.
Auf jeden Fall haben auch unvoreingenommene Beobachter aus der Wissenschaft und den Medien einen nennenswerten eigenen Beitrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung noch nicht erkennen können.
Seit gestern wird in den Medien über die Prognose der EU-Kommission berichtet. Die „Welt“ titelte: „EU prophezeit Deutschland ein Job-Desaster“. Noch trägt Ihr Optimismus darüber hinweg. Ich finde es auch gut: Jede Steigerung des Auftragseingangs, der Konsumquote, der Neuzulassung von Fahrzeuge – das sind alles positive Meldungen. Ich meine auch, sie sind positiv, weil sie den sonst immer beklagten Pessimismus durchbrechen, der sich in Deutschland so breit macht.
Aber diese vereinzelten Wasserstandsmeldungen, meine Damen und Herren, aus den verschiedenen Bereichen dürfen nicht den realen Blick auf die Lage verstellen. Was heißt das? Der Rückgang des Bruttoinlandsproduktes wird in diesem Jahr auf 5 % prognostiziert. Für das nächste Jahr wird eine Steigerung von 1,3 % für möglich gehalten. Wir werden Jahre brauchen – das ist Originalton der Bundeskanzlerin Angela Merkel –, um wieder den Stand von 2008 zu erreichen. Es ist also beileibe keine Schwarzmalerei, wenn anhand dieser Daten ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit befürchtet wird.
Ich bin im Gegensatz zu den Rednern der Koalitionsfraktionen dem DGB-Vorsitzenden Guntram Schneider dankbar, dass er die Schönfärberei auf
dem Ausbildungsmarkt endlich einmal zum Thema gemacht hat.
Zunächst einmal ist die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge entscheidend. Da haben wir allein von 2008 auf 2009 in Nordrhein-Westfalen einen Rückgang um 9.000.
Ich möchte Ihnen auch noch einmal Folgendes in Erinnerung rufen. Ich möchte nicht auf den „Stern“Artikel vom Anfang diesen Jahres verweisen, wonach alle Zahlen frisiert werden. Man muss aber doch schon genau hinschauen. Die von der Bundesagentur für Arbeit geführte Stichtagsstatistik gibt eben nicht die reale Lage der Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen wieder. Ich will Ihnen einen Blick öffnen, der sich nicht an Stichtagen oder an Behauptungen, sondern an real erfassten Lebensverläufen orientiert. Wir verfolgen in Bielefeld seit über zwei Jahren die Lebensverläufe von mehr als 1.300 Schulabgängern von Förder-, Haupt- und Gesamtschulen. Daraus ergibt sich folgendes Bild – passen Sie genau auf –:
Von diesen 1.300 Schulabgängern gehen ca. 21 % in eine betriebliche oder überbetriebliche Ausbildung. 30 % besuchen eine weiterführende Schule. Fast 50 % wechseln in ein Übergangssystem. Von diesen 50 % – das sind in diesem Jahr 627 – werden noch 20 als sogenannte unversorgte Bewerberinnen und Bewerber erfasst.
Dann haben wir untersucht, was diejenigen, die im Übergangssystem verblieben waren, nach einem Jahr gemacht haben. Wir haben festgestellt, dass insgesamt nur 83 Abgänger, also 13 %, nach einem Jahr in eine betriebliche Ausbildung gegangen sind. Das ist das Bild erfasster Realität von Lebensverläufen gegenüber einer gepflegten, geschönten, bearbeiteten und verfälschender Statistik. Es gibt also einen akuten Handlungsbedarf, den nicht nur der DGB und wir beschreiben. Die BertelsmannStiftung hat vor einem Jahr eine Studie mit dem Titel „Volkswirtschaftliche Potenziale am Übergang von der Schule in die Arbeitswelt“ veröffentlicht. Ich kann das hier nicht ausbreiten; dafür ist die Aktuelle Stunde zu kurz. Initiativen der Landesregierung aufgrund dieser Studie sind dem Parlament jedenfalls bisher noch nicht mitgeteilt worden. Vielleicht arbeitet man ja im Verborgenen; das will ich nicht ausschließen. Erkennbare Initiativen und Schlussfolgerungen daraus sind bisher jedenfalls nicht gezogen worden.
Der Landesausschuss für Berufsbildung hat sich am 23. September mit dem Übergang von Schule zum Beruf beschäftigt. Er hat festgestellt, in NordrheinWestfalen befinden sich 50.000 Schulabgänger im Übergangssystem. Das sind keine Zahlen von mir, sondern es sind Zahlen des Landesausschusses für Berufsbildung.
Der Landesausschuss empfiehlt, Koordinierungsstellen in Trägerschaft der Kommunen in den Kreisen und kreisfreien Städten zu errichten. Die SPD hat gestern im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales den Antrag gestellt, dieser Empfehlung zu folgen. Er ist von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Der Präsident des Bundesinstituts für berufliche Bildung sagt: Die Gelder, mit denen teilweise überflüssige Wartezeiten finanziert werden, sind in der frühzeitigen Förderung und Unterstützung von individuellen Bildungsketten junger Menschen viel besser angelegt als nach dem jetzigen System.
Ein Handlungsprogramm der Landesregierung auf diesem Feld ist nicht erkennbar. Kommen Sie endlich in der Realität an. – Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal weise ich für die SPD-Fraktion die Vorwürfe, die Sie hier gegen den DGBLandesvorsitzenden Guntram Schneider erhoben haben, auf das Schärfste zurück.
Es werden nicht diejenigen aus irgendwelchem politischen Kalkül die Wahrheit aussprechen...
Ja, natürlich ist es die Wahrheit. Sie verschließen sich doch. Sie verstecken sich hinter Statistiken, die die Realität im Lande nicht abbilden. Es wird langsam Zeit, dass diese Statistikverfälschung, diese Schönfärberei aufhört und wir uns die Realität anschauen, gerade bei den Jugendlichen, die keine Chance auf eine Lehrstelle haben.
Wir sind Guntram Schneider, dem DGB und den Gewerkschaften dankbar, dass sie begonnen haben, dieses Thema endlich anzusprechen.
Es ist keine Schwarzmalerei. Ich bin gerne bei der Bertelsmann Stiftung. Das vorhin von mir angesprochene Gutachten hat das Institut der Deutschen Wirtschaft für die Bertelsmann Stiftung angefertigt, also ein Arbeitgeberinstitut. Dieses Gutachten weist aus, welche volkswirtschaftlichen Ressourcen wir im Übergangssystem verschleudern.
Ich kann die Landesregierung und auch die Koalitionsfraktionen nur auffordern, sich der Realität, in der die Menschen leben, zu nähern und aufzuhören, nur Statistiken „abzufeiern“. Sie werden noch Ihre Erlebnisse haben, wenn Sie so weitermachen, wenn Sie meinen, dass sich in den Statistiken die reale Lebenswelt der Menschen und insbesondere der Jugendlichen widerspiegelt. Wenn Sie diese Politik fortführen, werden Sie auch im Mai 2010 Schiffbruch erleiden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren – jedenfalls diejenigen Damen und Herren Abgeordnete, die mir noch zuhören wollen! Die Krise trifft besonders die Menschen mit geringen Einkommen, diejenigen, die sich in prekären und befristeten Arbeitsverhältnissen befinden, in der Leiharbeit.
„Die Betriebe müssen atmen können“, so lautet eine wohlfeile Formulierung. Ja, sie haben geatmet und
60.000 Leiharbeitnehmer ausgeatmet. Sie sind hier in Nordrhein-Westfalen in die Arbeitslosigkeit entlassen worden. Befristete Arbeitsverhältnisse laufen aus und werden nicht verlängert; ihre Zahl ist erheblich. Auch diese Menschen blicken in eine ungewisse und unsichere Zukunft.
Wenn diese Menschen in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb blicken, dann sehen sie wirklich schwarz. Für diese Menschen gibt es keinen Lichtblick, im Gegenteil. Größere Lasten kommen auf sie zu, nicht ein Mehr an sozialer Absicherung, was notwendig wäre, sondern ein Weniger. Das ist Ihre Botschaft an die Betroffenen. Sie setzen einen Zug auf die Schiene, der in die falsche Richtung fährt, aber dafür mit Volldampf.
Sie vertrauen den Stimmen, die heute prognostizieren, die Krise sei vorüber, das Wachstum komme. Sie vertrauen denjenigen, die bei der Prognose dieser Krise jämmerlich versagt haben.
Als Zugführer in Berlin haben Sie jemanden bestimmt, der in seiner früheren Tätigkeit als Minister eher als Wortakrobat auffiel. Dazu hat die „Financial Times“ vom 30. Oktober in einer Karikatur schon einen Formulierungsvorschlag gemacht: In Deutschland gibt es keine Arbeitslosigkeit, nur Leute ohne Jobs. – Ich habe nicht gedacht, dass sich schon vier Tage später die Befürchtungen bewahrheiten, wobei die „Rheinische Post“, in der Tat kein der Sozialdemokratie nahe stehendes Presseorgan in diesem Land, über den ersten öffentlichen Auftritt dieses Ministers resümierend feststellt: Er präsentierte sich als ein Minister des Ungefähren und Ungenauen.
Er hatte von der Verlängerung der Kurzarbeit über 24 Monate hinaus gesprochen. Nachträglich mussten ihn seine Pressesprecher korrigieren und klarstellen, es ginge nicht um die Verlängerung der Kurzarbeit über 24 Monate hinaus, sondern nur um die Prüfung, ob eine Verlängerung der Frist über den 31. Dezember 2009 hinaus möglich wäre.
Ich stelle hier noch einmal fest: Wir Sozialdemokraten wollen die Bezugsdauer auch im nächsten Jahr fortsetzen – nicht „prüfen“ wie Sie – und diese für Betriebe, die ihre Kurzarbeitenden weiterbilden, auch über 24 Monate hinaus verlängern.
Ich sage an dieser Stelle: Wir brauchen auch eine geförderte Altersteilzeit als Beschäftigungsbrücke für jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb muss sie fortgesetzt werden. Das ist das, was Sie kategorisch ausschließen. Im Koalitionsvertrag steht etwas über die Verlängerung der Erwerbsbetätigung Älterer. Das ist nichts weiter als reine Augenwischerei und als eine Worthülse.
Im Übrigen ist es der Voraussicht von Sozialdemokraten zu verdanken, dass für die Arbeitnehmerin
nen und Arbeitnehmer ein Schutzschirm zur Beschäftigungssicherung in Deutschland existiert.
Wie hieß es noch gleich, nur, um es noch einmal in Erinnerung zu rufen? Ein Minister des Ungefähren und des Ungenauen. Das lässt nichts Gutes erwarten. Denn Schwarz-Gelb stellt sich blind für die brennenden sozialen und ordnungspolitischen Fragen von Armutslöhnen und Lohndumping.
Die Instrumente zur Schaffung und Sicherung existenzsichernder Löhne werden entschärft. Die bereits eingeführten Mindestlöhne stehen unter einem Vorbehalt. Es ist davon auszugehen, dass es keine neuen Branchen gibt, die in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden. Nach diesem Gesetz wird neuen Mindestlöhnen eine Abfuhr erteilt. Durch ein doppeltes Veto der Arbeitgeber im Tarifausschuss und der FDP im Kabinett werden Mindestlöhne wirklich zu Grabe getragen.
Sie grenzen befristete Beschäftigung nicht ein, sondern ebnen den Weg in Kettenarbeitsverträge. Das gesetzliche Verbot sittenwidriger Löhne ist wirklich reine Augenwischerei. Schon heute sind Löhne, die Tariflöhne oder ortsübliche Löhne um mehr als ein Drittel unterschreiten, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sittenwidrig.
Das gesetzliche Verbot sittenwidriger Löhne ist keine Antwort auf die Forderung nach flächendeckenden Mindestlöhnen. Es ist nicht geeignet, die Negativentwicklungen in diesem Bereich zu stoppen. Die Löhne und die Lohnentwicklung stehen heute wegen des ausufernden Niedriglohnsektors unter Druck, befinden sich förmlich in einer Spirale nach unten. Und Sie wollen diese Spirale weiter befördern. Das ist eine von Ihnen gewollte Politik.
Als Deichgrafen, meine Damen und Herren, sind Sie nicht zu gebrauchen, denn bei drohender Flut schließen Sie nicht die Deichtore, nein, Sie öffnen sie.
Das, meine Damen und Herren, hat Tradition. Sie – insbesondere Herr Minister Laumann – haben nämlich in diesem Land die Zumutbarkeit für Löhne bis an die Grenze der Sittenwidrigkeit salonfähig gemacht. Diese Grenze des Niedriglohns bei der Vermittlung und Verpflichtung zur Annahne von Arbeitsangeboten – egal ob im SGB III oder im SGB II – haben Sie, Herr Minister Laumann, im Auftrag der CDU in den Vermittlungsausschussgesprächen im Jahr 2003 verankert.
Nur zur Erinnerung: Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen wollten als Grenze den ortsüblichen Lohntarif verankert wissen. Damitg sind wir an Ihnen gescheitert. Sie wollten und wollen immer den ungehemmten Zuwachs im Niedriglohnsektor.
Herr Laumann, Sie sind der Billigheimer der Löhne in diesem Lande, auch wenn Sie sich gerne anders darstellen.
Gerade Ihre Wahlparole „Sozial ist, was Arbeit schafft!“ zeigt Ihr Unverständnis für eine vernünftige, existenzsichernde Beschäftigung.
Wer die Augen vor der gesellschaftlichen Realität verschließt, prekärer Beschäftigung seinen Segen erteilt, die eben nicht dazu führt, dass die Menschen trotz Arbeit am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, legt schon ein gehöriges Maß an Ignoranz an den Tag. Bei Ihnen ist das aber nicht nur Ignoranz, sondern gewollte Politik. Das macht den Unterschied zwischen Ihrem und unserem Sozialstaatsverständnis aus. Nach unserer Definition ist sozial nämlich nur das, was gute, existenzsichernde Arbeit für die Menschen schafft.
Wohlfeil werden von Ihnen die Wahrung von Arbeitnehmerrechten und die Achtung der Tarifautonomie verkündet. Gleichzeitig akzeptieren Sie, dass fortan jede Allgemeinverbindlichkeitserklärung im Kabinett einvernehmlich erfolgen muss. War das eigentlich die Blaupause aus NRW? Hat sich mir irgendetwas nicht erschlossen? Bestimmt heute schon Herr Papke über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen auch hier im Land? Entscheidet er mit?
Sie legen in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene die Hand an fast alle Zweige der Sozialversicherung, oft im Ungefähren und Ungenauen. Sie legen auch die Hand an die Unfallversicherung. Die eher harmlosen Formulierungen erschließen sich erst dann, wenn man – wie ich gestern bei der Eröffnung der Arbeitsschutzmesse in Düsseldorf – dem Arbeitgebervertreter genau zugehört hat. Dann weiß man, was gemeint ist. Leistung auf die Kernaufgaben zurückführen – so wird es schön formuliert, heißt aber nichts anderes als: Ausgaben kürzen! Heißt schlicht: Aufgaben des Arbeitsschutzes verschlechtern!
Nur zur Erinnerung: Die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer im Lande tragen das mit Abstand höchste Unfallrisiko aller Beschäftigten. Sie wollen den Weg zur Arbeit nicht mehr unter den Schutz der Unfallversicherung stellen. Auch hier treffen Sie die Leiharbeitnehmer, die den weitesten Weg zur Arbeit haben, am härtesten, im Übrigen aber auch alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land. Erst vor kurzem ist veröffentlicht worden, dass sich die Wege zur Arbeit für alle extrem erhöht haben. Sie fordern von den Menschen Flexibilität, verweigern ihnen aber eine soziale Absicherung.
Eine Antwort auf die drohende Milieuverfestigung im prekären Bereich liefert dieser Koalitionsvertrag nicht. Aus der Perspektive derer, die in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten oder leben müssen, sind die Aussagen des Koalitionsvertrags eher ein Schlag ins Gesicht. Wo sind eigentlich die Haltelinien für Löhne im Land, wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit der neuen Beitrittsländer in Kraft tritt? Die Mindestlohnregelung atomisieren Sie in allen Bereichen. Wo sind denn die notwendigen Haltelinien? Wir Sozialdemokraten wollen, dass die Arbeit im Lande vorrangig erst einmal von den Menschen gemacht wird, die in diesem Land sind. Sie wollen eine Vereinfachung der Zuzugsregelung, der Erteilung von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen, und zwar nicht nur für Saisonbetriebe in der Landwirtschaft, sondern auch in der Pflege.
„Pflege muss am Bett ankommen“ ist, glaube ich, eine Aussage von Ihnen. Wir haben Sie gefragt: Wo steht das Bett, und – vor allen Dingen –wer steht vor dem Bett? Ist es eine ausgebildete Fachkraft, die sich mit dem zu Pflegenden verständigen kann? Mit Billigpflege nach dem Motto „Satt und sauber“ werden wir den demografischen Wandel und die Herausforderungen, die für ihn stehen, nicht bewältigen können. Ihre eigenen und die Landesversäumnisse bei der Ausbildung qualifizierter Pflegekräfte können Sie damit nicht kaschieren. Das geht unserer Überzeugung nach zu Lasten älterer Menschen.
Interessant ist im Übrigen auch das, was nicht im Koalitionsvertrag steht: Kein Wort zur Frage von Praktika! Keine Aussage zu der notwendigen sozialen Absicherung der Solo-Selbständigen! Kein Wort dazu, wie wir zukünftig die Absicherung unsteter Beschäftigungsverläufe regeln wollen! Kein Wort dazu, wie wir gerade für diese Menschen die drohende Altersarmut verhindern können!
Was die Politik jetzt schaffen muss, ist, Vertrauen und Verlässlichkeit für Arbeitsverhältnisse herzustellen, die Rechte auf gute Arbeit zu stärken und den Menschen eine Perspektive aufzuzeigen. All das, meine Damen und Herren, leistet diese schwarzgelbe Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag nicht. Sie werden dieser Verantwortung nicht gerecht. Sie setzen keine Schutzplanken für die Menschen, und zwar weder im Bund noch hier im Land. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Ministerin, ich bin ein bisschen erstaunt über Ihre Arroganz, die Sie hier an den Tag legen.
Ich frage Sie, ob es richtig ist, dass das EvKB und hier Herr Prof. Dr. Driessen in der Sitzung am 14. September, die Sie angesprochen haben, ausdrücklich festgestellt hat, dass ein Projektstart zum 1. November ohne die Befassung der Gremien, also hier des EvKB selber, nicht in Frage kommt.
Frau Ministerin, sind Sie als Mitglied der Landesregierung eigentlich bereit, die Erfahrungen, die dieses Haus und die Landesregierung, sowohl diese als auch die Vorgängerregierung, bei der Errichtung neuer forensischer Kliniken gemacht haben – den Widerstand, die Fragen und die Ängste der Bevölkerung – aufzunehmen und anzuerkennen, dass forensische Fachambulanzen, um die es hier geht, vor Ort, also in Langenfeld und in Bielefeld, überhaupt nur in einem dialogischen Verfahren umgesetzt werden können?
Das, was Sie nachträglich, nach der Veröffentlichung Ihrer Presseerklärung, in Langenfeld und auch heute erklärt haben: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, diesen Prozess aufgrund der Erfahrungen, die ich eben angesprochen habe, vorher zu organisieren, statt im Rahmen einer vorschnellen, mit den Trägern nicht abgestimmten öffentlichen Bekanntgabe zu agieren? Sind Sie bereit – vonseiten Ihres Ministeriums und Sie in Person –, diesen Lernprozess aufzunehmen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bezüglich der Notwendigkeit der Akademisierung nichtärztlicher Heilberufe gibt es eine große Einigkeit. Darauf, dass Anhörungen in einem Parlament zu einem solchen Gesetzentwurf immer Erkenntnisse bringen, hat bereits mein Vorredner hingewiesen. Ich möchte einen Punkt ansprechen, der auch bei der Auswertung der Anhörung im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales eine Rolle gespielt hat.
Über den Errichtungsbeschluss hinaus gibt es weitere Fachhochschulen im Lande, nämlich die Fachhochschule Bielefeld und die Katholische Fachhochschule in Köln, die schon vor mehr als anderthalb Jahren beantragt haben, neue Studiengänge zu entwickeln. Dies ist auch in der Anhörung konkret angesprochen worden.
Im Rahmen der Auswertung der Anhörung ist das zuständige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gefragt worden, wann nach mehr als anderthalb Jahren die Fachhochschulen eine Antwort auf ihren Antrag erhalten. Auf diese Frage ist mitgeteilt worden, dass jetzt zunächst einmal ein Kriterienkatalog entwickelt würde. Hinsichtlich der Akademisierung nichtärztlicher Heilberufe scheint es also die Landesregierung entgegen den eben gemachten Ausführungen nicht ganz so eilig zu haben.
Von daher sage ich an dieser Stelle mit allem Nachdruck: Es kann nicht sein, dass in Bochum mit viel Geld ein Leuchtturm neu gebaut wird und die Schiffe, die bereits unterwegs sind, auf Land laufen. Insofern noch einmal die ausdrückliche Bitte, den Appell, die Aufforderung an die Landesregierung, diese Studiengänge an den genannten Fachhoch
schulen zügig zu genehmigen, weil es einen Mehrbedarf über die Studiengänge und Studentenzahlen hinaus gibt, die in Bochum in Rede stehen. – Herzlichen Dank.
Herr Minister Laumann hat mir eine Vorlage gegeben, die ich gerne aufnehmen möchte. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mit dem letzten Punkt anfangen. Die Anträge der CDU-Fraktion zum Pflegenotstand und zum Modernisierungsstau in den Einrichtungen sind jedenfalls uns noch sehr präsent. Wir haben mit dem Landespflegegesetz, das wir geschaffen haben, versucht, gerade den Investitionsstau an dieser Stelle aufzulösen. Und wir haben ihn aufgelöst, meine Damen und Herren. Dass jetzt Korrekturen notwendig waren, ist richtig. Die haben wir auch unterstützt. Aber, Herr Minister, bleiben Sie immer ein bisschen bei der Wahrheit.
Wir haben sowohl privaten wie auch freigemeinnützigen und öffentlichen Trägern die Möglichkeit zur Umstellung der Finanzierung gegeben, um die notwendigen Investitions- und Modernisierungsmaßnahmen in den Pflegeeinrichtungen Nordrhein-Westfalens zu ergreifen. Sie waren in der letzten Legislaturperiode diejenigen, die immer gesagt haben, dass das notwendig sei. Wir haben über dieses Thema hier schon diskutiert. Und zumindest in dieser Hinsicht gab es Konsens.
Für mehr Ausbildung in der Pflege – nicht nur in der Altenpflege, sondern integriert in allen Gesundheitsberufen – gibt es in diesem Haus wohl Konsens. Aber: Die SPD hat zwei Anträge eingebracht und zwei Anhörungen durchgeführt, weil wir in Nordrhein-Westfalen zu wenig ausbilden. Sie haben sich dabei stets auf Zahlen gestützt, die wir kritisiert haben. Dass Sie jetzt ein Pflege-Monitoring machen wollen, finde ich wunderbar. Allerdings passt der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen nicht ganz zu Ihrem Vorwort, Herr Minister, das Sie in der „Landesberichterstattung Gesundheitsberufe Nordrhein-Westfalen 2008“ selbst geschrieben haben: „Ich bin überzeugt, dass die Landesberichterstattung … den Verantwortlichen auf allen Ebenen als wichtige Datengrundlage … dienen wird.“ Da besteht ein gewisser Widerspruch.
Ich stimme mit der Kritik überein, dass die Tabelle 18 auf Seite 54 aus dem Jahr 1995 nicht unbedingt den aktuellen Datenstand wiedergibt. Da sind wir schnell beieinander, meine Damen und Herren. Dennoch glaube ich, dass ein Pflege-Monitoring
und eine Gesundheitsberichterstattung in den Gesundheitsberufen insgesamt genau abgewogen werden müssen. Wir werden im Ausschuss darüber diskutieren, was in den einzelnen Bereichen notwendig ist. Ich bin gespannt auf das, was Sie sich vorstellen.
Wir sind immer davon ausgegangen, dass die die Ausbildung in der Pflege zunächst einmal von den Menschen gemacht wird, die hier im Lande sind. Wir haben genügend Jugendliche. Wir wollen nicht das Zeitfenster bis 2020, sondern wir sind im Hier und Jetzt. Im Hier und Jetzt haben wir 68.000 Altbewerber, die keine Ausbildungsstelle haben. Die Ausbildungskapazitäten sind also zu gering. Sie lasten nur auf den stationären und nicht auf den ambulanten Einrichtungen. Wir müssen hier also einen Ausgleich organisieren. Fragen wie die Wertschätzung und der Status von Pflege sind dagegen unstrittig.
Herr Kollege Romberg hat die Anhörung zu der Fachhochschule für Gesundheitsberufe angesprochen. Diese Anhörung werden wir noch auswerten. Dazu schreibe ich Ihnen ins Stammbuch: In der Anhörung ist uns bewusst geworden, dass von der Fachhochschule Bielefeld und der Katholischen Hochschule Köln seit zwei Jahren Anträge zur Ausbildung von Studenten in diesen Bereichen bei der Landesregierung vorliegen, die diese nicht genehmigt, meine Damen und Herren. Es geht nicht um die Studenten, die 2011 in Bochum studieren könnten, sondern es geht darum, dass 2009 in Köln und Bielefeld längst Studenten in diesen Bereichen studieren könnten.
Meine Damen und Herren, stapeln Sie mal nicht so hoch, bleiben Sie auf dem Teppich in dieser Frage und lassen Sie uns gemeinsam handeln.
Herr Minister, Sie haben eben die Frage der Absicherung des Landes angesprochen und haben dabei die Absicherung über eine Bürgschaft genannt. Läuft diese Absicherung noch? Wie ist die Höhe dieser Absicherung? Und welche Bank hat diese Absicherung ausgestellt?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise erfordert in der Tat die Überprüfung und Korrektur von bisher als unverrückbar geltenden arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Grundsätzen. In den Bereichen Rente und Kurzarbeit ist dies bereits geschehen.
Sie wissen, Kurzarbeit bedeutet für die Betroffenen und deren Familien einen harten Einschnitt, einen Verlust von Lohn und Gehalt. Insgesamt ist das Instrument der Kurzarbeit aber ein doppelter Gewinn für Arbeitnehmer und Unternehmer. Qualifizierte Facharbeiter werden bei einem kommenden Aufschwung benötigt, auch wenn uns die Bewältigung der Krise nach derzeitigen Erkenntnissen noch eine geraume Zeit beschäftigen wird. Von daher war es richtig, die Verlängerung der Kurzarbeit auf 24 Monate durchzusetzen und die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge ab dem siebten Monat festzulegen. Dies darf von den Unternehmen natürlich nicht so verstanden werden, die Qualifizierungsbemühungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückzufahren. Das wäre der falsche Weg.
Die Finanzkrise hat viele Menschen im Land verunsichert. Sie hat auch eine Vielzahl von privaten Altersvorsorgeprodukten faktisch entwertet. Die Zuwächse privater Kapitallebensversicherungen schmelzen dahin wie der Schnee in der Sonne. Die Versprechen der Überschussbeteiligungen gehen ins Minus. Diejenigen, die auf höchste Renditeversprechungen privater Versicherungsunternehmen gesetzt haben, stehen vor dem Nichts. Sie sind die Leidtragenden des Casino-Kapitalismus in diesem Land.
Jetzt schlägt wieder die Stunde der gesetzlichen Rentenversicherung. Viele insbesondere von der FDP, aber auch einige von der CDU haben dieses System mit Häme überzogen. Man hatte den Eindruck, der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm ist der einzige Verteidiger der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Seite der CDU.
Die gesetzliche Rentenversicherung erweist sich in dieser Stunde als solides Fundament der solidarischen Absicherung der Menschen in diesem Land. Auch die geschaffenen Produkte der privaten Altersvorsorge, der Riesterrente, geben den Menschen Sicherheit. Die Riesterrente lohnt sich auch
für Geringverdiener. Daneben gibt es eine Ausdehnung der betrieblichen Altersvorsorge.
Ich sage noch einmal: All diese Anlagen für die betriebliche Altersvorsorge, die Riesterprodukte – einschließlich Wohnungs-Riester – sind nach dem SGB II anrechnungsfrei.
Wir stehen vor der Aufgabe, für alle eine taugliche Absicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung zu gewährleisten. Hier geht es insbesondere um die sogenannten Soloselbstständigen, um nur einen Bereich zu nennen. Für uns Sozialdemokraten gilt im Übrigen der Grundsatz: Derjenige mit einem hohen Lebensalter und einer hohen Beschäftigungszeit wird auch in diesem System bessergestellt. Wir wollen nicht nur den Respekt vor der erbrachten Lebensleistung der Menschen, wir wollen auch, dass das bei jedem Einzelnen stärker spürbar wird.
Privatvermögen ist in diesem Land durch den Casino-Kapitalismus verbrannt worden. Trotz aller eingeleiteten Maßnahmen stehen uns Zeiten erhöhter Arbeitslosigkeit bevor.
Es geht darum, einen Weg zu beschreiten, der einen unverhältnismäßigen Vermögensabbau von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verhindert. Deswegen brauchen wir mehr Flexibilität im Rentenrecht.
Das kann durch zusätzliche flexible Einzahlungen von Beiträgen in die Rentenversicherung zur Sicherung von Leistungsansprüchen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Berufsleben erreicht werden. Es gilt, das System von Teilrenten weiterzuentwickeln sowie das Erwerbsminderungsrecht anzupassen, also insbesondere Wege des flexiblen Altersübergangs zu ermöglichen.
Deshalb wollen wir auch die Beibehaltung der geförderten Altersteilzeit – aber mit mehr gleitendem Übergang.
Mehr Armutsfestigkeit bei den Rentenansprüchen ist unlöslich verbunden mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns wie auch der Aufstockung von Geringverdienerrenten nach dem Mindestrentengesetz.
Ich sage Ihnen noch einmal, weil wir hier ja quasi eine vorgezogene Bundestagswahldebatte führen: Wenn Sie in das Bundeswahlprogramm der SPD schauen, werden Sie diese Forderung finden.
Wir sind ganz gespannt, wie das Wahlprogramm der CDU aussehen wird, ob es Steuersenkungen versprechen oder diese Punkte beinhalten wird.
Ich sage Ihnen nur: Beides geht nicht. Man kann nicht Steuersenkungen versprechen und gleichzeitig – wie es heute notwendig ist – ein System sozialer Sicherung garantieren.
Ein armer Staat kann ein hohes Sozialleistungsniveau nicht garantieren.
Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Welches soziales Koordinatensystem Sie haben – Sie, die CDU, nicht Sie als Landtagsfraktion; Ihnen will ich gar nichts unterstellen, obwohl ich eine Initiative von Ihnen dazu auch nicht vernommen habe –, zeigt sich allein an der Tatsache, dass Sie den 800.000 Aufstockern die Abwrackprämie verweigern.
Das, was Sie hier – das muss ich Ihnen ins Stammbuch schreiben, Herr Henke, Herr Laumann und allen anderen – als soziale Botschaften ins Land streuen, das wird von Herrn Kauder, von Herrn Röttgen, der sich ja im Übrigen als Bundesarbeitsminister qualifizieren will, von Herrn Kampeter und vielen anderen einkassiert. Sie erweisen sich zunehmend als die Verkünder sozialer Botschaften, sind aber auf der Bundesebene im Prinzip zunehmend ein sozialpolitischer Papiertiger. Das muss man Ihnen auch einmal sagen.
Die Wirtschaftskrise – ich habe das zu Anfang benannt – erfordert ein nochmaliges Nachdenken darüber, an welchen Stellen insbesondere des Sozial- und Rentenrechts nachjustiert werden muss. Ich will Ihnen dazu stichwortartig nennen: die Möglichkeit der Bindung, eine Auszahlung einer Kapitallebensversicherung für eine Beitragsnachzahlung zur Schließung von Versicherungslücken sowie zur Zahlung von Beiträgen zum Ausgleich einer Rentenminderung bei früherem Renteneintrittsalter zu verwenden. Erreichen wollen wir damit beim Bezug von SGB-II-Leistungen die Gleichstellung dieser Vermögensanteile mit Riester- und Rürup-Rente.
Eine ebensolche Freistellung und damit eine Gleichstellung mit Wohnungs-Riester wollen wir bei der Bindung einer Kapitallebensversicherung für die
Tilgung von selbst genutztem Wohneigentum erreichen. Ein solcher Weg wäre ziel- und sachgerecht.
Die Landesregierung aber trägt die Frage Schonvermögen quasi wie eine Monstranz vor sich her. Eine zielgerichtete Arbeit würde ja auch weniger mediale Beachtung finden. Aber eine solche zielgerichtete Arbeit wäre besser für das Land und für die Menschen.
Die sinkende Einflussnahme des Landes auf die Bundespolitik erfüllt uns im Übrigen mit Sorge. Nur als Beispiel: das Jobcenter.
Bleiben Sie mal ganz geschmeidig.
Die Bundesratsinitiativen dieses Landes, die der Minister immer vollmundig verkündet, landen ja meist im Nirwana, sind also in der Regel nicht erfolgreich. Sie führen zu Schlagzeilen in der Presse. Für die Menschen verändert sich nichts.
Von daher: Daran wollen wir uns nicht beteiligen. Wir fordern Sie auf, auch im Rahmen der Landespolitik die Möglichkeiten zu ergreifen, die Sie ergreifen können. Nutzen Sie dafür die Chance. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es bewährt sich immer, ein Gesetzgebungsvorhaben auch im zuständigen Fachausschuss ausführlich zu beraten. Obwohl leicht davon abgeraten wurde, haben wir zu diesem eine Anhörung durchgeführt. Sie hat dann auch zu einer Reihe von Änderungen geführt, die Herr Kollege Post schon aufgelistet hat.
Die Beschlussempfehlung enthält vorgeschlagene Formulierungen, die auf der Höhe der Sozialgesetzgebung sind.
Die bestehende Kontroverse bezieht sich auf den Einleitungssatz des Gesetzes. Das eben schon angesprochen worden. In dem Einleitungssatz wird beschrieben, für wen das Gesetz gedacht ist, wo und warum es angewendet wird. Es soll deutlich werden, warum Beschäftigte im deutschen Steinkohlenbergbau noch den Bergmannsversorgungsschein beantragen können: weil die Tätigkeit des Bergmanns trotz aller Technisierung und Erleichterungen immer noch ein sehr schwerer und belastender Beruf für die Menschen ist. Deshalb besteht ein hohes Schutzbedürfnis für diese Berufsgruppe.
Inhaltlich sinnvoll ist dieser Satz allemal. Das wurde auch in der Anhörung klar.
Außerdem eröffnet die Einleitung jedem Bürger und jeder Bürgerin die Möglichkeit, auf einen Blick zu erkennen, worum es sich bei diesem Gesetz eigentlich handelt und welchen Regelungstatbestand es aufgreifen will. Es gibt sehr wenige Gesetze, insbesondere Sozialgesetze, in denen das so komprimiert – in einem Satz – deutlich wird. Das wird, wie ich finde, zu Recht beklagt. Jetzt wird aber ein Weg gegangen, diese leichte Verständlichkeit zu streichen.
Warum soll er gestrichen werden? Er soll gestrichen werden – das hat auch die Anhörung im Ausschuss ergeben –, weil es einen entsprechenden Hinweis der sogenannten ressortübergreifenden Normprüfstelle gibt. Das war die Antwort des Ministeriums. Und hinzugefügt wurde: Wir als Ministerium wollten das eigentlich durchaus so lassen, aber die Normprüfstelle hat festgestellt, dass eine Streichung keine inhaltlichen Konsequenzen hat.
Wo ist eigentlich der Minister?
Sie vertreten den? – Hm.
Da muss ich ein bisschen schlucken. Ich weiß es nicht, aber er wird sicherlich wichtige Termine haben, die das begründen.
Ich will nämlich folgenden Sachverhalt ansprechen: Das Ministerium kann froh sein, dass das Wohn- und Teilhabegesetz, das wir vor Kurzem verabschiedet haben, nicht durch die Mühlen dieser sogenannten Normprüfstelle gedreht worden ist. Denn die in § 1 Abs. 2 aufgenommene Formulierung aus der Charta der Rechte der hilfs- und pflegebedürftigen Menschen hat genau einen solch deklaratorischen Charakter und zeigt im Prinzip auf, nach welcher Philosophie, in welcher Ausrichtung dieses Gesetz eigentlich verstanden werden soll. Die Formulierung sollte den Willen des Gesetzgebers deutlich machen, ohne aber eine rechtliche Bindung im Einzelnen zu entfalten. Nach den Kriterien aber, die auf den Einleitungssatz im Gesetz zum Bergmannsversorgungsschein angewendet worden sind, wäre auch § 1 Abs. 2 Wohn- und Teilhabegesetz zu streichen.
Das ist also ein bestimmter Anachronismus.
Was ist diese sogenannte Normprüfstelle? Ich weiß nicht, ob jeder Kollege und jede Kollegin das wissen. Die „BILD-Zeitung“ titelte, die Kontrolleure wären gnadenlos. Der Innenminister – Herr Staatssekretär Brendel ist da – schreibt, sie wäre ein sogenannter Normen-TÜV und gehörte zu den wichtigsten Reformfeldern dieser Landesregierung. In einer Presseerklärung, aus der ich jetzt zitiere, heißt es:
Er soll insbesondere dazu führen, dass die Gesetzessprache bürgernah und einfach, gleichzeitig aber juristisch präzise und unzweideutig formuliert wird. Insgesamt sollen nur notwendige und für den Bürger verständliche Vorschriften erlassen werden.
Bürgernah, lesbar und verständlich ist diese Einleitung. Von daher entspricht das auch den Einlassungen, die der Innenminister im Innenausschuss am 15. Januar dieses Jahres zu dieser Normprüfstelle gemacht hat. Also: Bürgernah, Gesetzessprache einfach und verständlich – das ist das, was Sie streichen wollen. Da muss die Normprüfstelle – Herr Brendel hat die Oberaufsicht über diese Normprüfstelle – wohl andere Kriterien angelegt haben. Welche Kriterien das waren, weiß ich nicht.
Wir bedauern das und stellen deswegen den Einleitungssatz hier zur Abstimmung. – Herzlichen Dank.
Ich heiße nicht Josef, ich heiße Günter. Ich hoffe, dass das Hohe Haus mir trotzdem zuhört.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will für meine Fraktion zunächst eine Vorbemerkung machen. Wir hätten es begrüßt, wenn die Koalitionsfraktionen zu diesem Anlass einen konkreten Antrag eingebracht hätten, den wir hier parlamentarisch hätten beraten können. Die Differenziertheit dieses Themas wäre es wert gewesen – was auch die Diskussion hier zeigt –, dies zu tun.
Ich wiederhole noch einmal die gestrige Bemerkung zur Unterrichtung der Landesregierung: Die Parlamentsmehrheit dieses Hauses dehnt die Geschäftsordnung bis an den Rand. Wir halten das nicht für guten Stil.
Zur Sache! Ich finde, man muss neben allen Problemlagen, die der Minister aus meiner Sicht richtig beschrieben hat, Folgendes an den Anfang stellen: Für die Versorgung im ambulanten Bereich gibt es ein Mehr an Geld, eine Steigerung um fast 10% von 22 Milliarden € auf 25 Milliarden €. Der erstaunte Beobachter fragt sich angesichts der Proteste doch: Ist dieses Geld eigentlich nur virtuell? Ist das in irgendeinem schwarzen Loch verschwunden? 16,1 Milliarden € der über 160 Milliarden €, die wir im Bereich der gesetzlichen Krankenkasse ausgeben, fließen in den ambulanten Bereich. Viele Menschen in unserem Land, die in wachsendem Maße Sorge um ihre Existenz, um ihren Arbeitsplatz haben, fragen sich: Wenn es da einen solchen Zuwachs gibt, über was diskutieren die eigentlich? Auf die Spitze treiben es da im Prinzip die Bayern.
Ich sage: Diese Diskussion, die hier im Lande zum Teil geführt wird, fußt nicht auf den Problemlagen, die wir tatsächlich haben.
Im Übrigen – Herr Henke hat es angesprochen – verlieren Sie in Ihrem Antrag kein Wort über die unberechtigten Vorkasseleistungen. Das zerstört das Vertrauen in das System.
Davor müssen wir die gesetzlich Versicherten in erster Linie schützen.
Der Gesundheitsbereich ist von massiven unterschiedlichen Partikularinteressen durchzogen; das wissen wir. „Haifischbecken“ ist in diesem Zusammenhang ein geflügeltes Wort.
Wir Sozialdemokraten sagen: Wir machen die Interessen der Patienten zur Leitschnur unseres Handelns. Daran sollten auch Sie sich orientieren. Wir glauben, dass der Kompass ein bisschen in eine andere Richtung schlägt und dass dafür das Magnetfeld des kommenden Wahltermins ursächlich ist. Sich die Interessen von Ärztegruppen vorschnell zu Eigen zu machen ist ein fataler Weg.
Die Position einzelner Ärzte und Ärztegruppen und auch die Ungerechtigkeit in diesem neu geschaffenen System können wir nachvollziehen; auch wir sehen hier Nachsteuerungsbedarf.
Aber die Rolle der Verbände – ich bin froh, dass der Minister dies in deutlicher Klarheit angesprochen hat –, die zu dieser Reform und deren Umsetzung maßgeblich beigetragen haben, kann unsere Zustimmung nicht finden. Noch im Januar – meine Kollegin Howe hat darauf hingewiesen – hat Herr Köhler diese Reform gefeiert, nun wollen die Ärztefunktionäre davon nichts mehr wissen, und es organisieren sich rechtswidrige Proteste. Gegen diese rechtswidrigen Proteste, Herr Minister Laumann, müssen Sie einschreiten. Die Verkürzung des Anspruchs der gesetzlich Versicherten auf Leistungen ist unerträglich.
Ich bringe noch einmal den Vergleich: Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen in diesem Land Lohn- und Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, ist die Forderung nach noch mehr Geld im System nicht nachvollziehbar und maßlos.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen gestern die Sendung „hart aber fair“ gesehen hat. Da gab es einen ganz bemerkenswerten Dialog.
Nein, die Sendung lief gestern Abend um 24 Uhr. Da waren Sie nicht mehr im Plenarsaal. Ich weiß nicht, wo Sie waren, aber ich saß in meinem Büro und habe parallel diese Sendung gesehen.
In dieser Sendung sagte der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Herr Windhorst, dass die Ärzte doch die Abrechnungen am Ende des ersten Quartals abwarten sollten; dann würden die Ärzte sehen, was diese Honorarreform wirklich bringe. Darauf hat sich Herr Plasberg ganz verwundert die Augen gerieben und gefragt: Wie, sind das alles nur vorsorgliche Proteste? – Dazu gab es keinen Widerspruch, auch nicht von den dort Anwesenden.
Ich will jetzt einmal einen Vergleich aus dem Leben bringen. Es gibt für Beschäftigte in einem Industrie
zweig eine Tariferhöhung. Die Gewerkschaft sagt: Wir haben 8% ausgehandelt, aber es gibt viele Bestandteile. – Die Arbeitnehmer schauen auf ihre Abrechnung, sagen: „Hör mal, wir haben aber nur 3% mehr Gehalt“ und treten in einen wilden Streik. Wie wäre da die Reaktion der Öffentlichkeit, meine Damen und Herren? Ich glaube, auch da muss man bei der Realität bleiben.
Nach der Sitzung der Bewertungskommission am letzten Dienstag muss sich auch der interessierte Beobachter erstaunt die Augen reiben, dass nicht 3 Milliarden €, sondern auf einmal 3,9 Milliarden € – also fast 4 Milliarden € – mehr zur Verfügung stehen. Das sind keine virtuellen Rechnungen, sondern das ist der Tatsache geschuldet, dass man zunächst die Ausgangszahlen von 2007 genommen hat und jetzt die Ausgangszahlen von 2008 nimmt.
Es gibt Wege – der Minister hat einen genannt –, die wir durchaus unterstützen. Die SchleswigHolsteiner, die angesprochen worden sind, haben im Prinzip einen Weg gefunden: im Rahmen einer Konvergenzphase die Zuwächse und die Verluste in Höhe von 5 % und 10 % zu begrenzen. Diesen Weg gehen jetzt die KVen. Ihren eigenen Anteil an dieser Misere hat der Minister überzeugend dargestellt.
Eine solche Konvergenzphase bietet sich im Übrigen auch mit Blick auf das Verhältnis der Länder untereinander an. Wir sind gerne bereit, diesen Weg mitzugehen.
Eine Abstimmung der KVen in Nordrhein-Westfalen halten wir für zwingend geboten. Sie müssen ihren Job wirklich machen. Das ist der Auftrag, der an die Funktionäre geht.
Neben aller Moderation – das will ich zum Abschluss sagen –, Unterstützung und Nachsteuerungsbedarf, der auch auf der Ebene der Politik liegt, müssen die Ärzte, die ihre Pflicht tun, vor denjenigen beschützt werden, die ihre Partikularinteressen versuchen durchzusetzen. Auch vonseiten der Politik muss im Interesse der Versicherten unseres Gesundheitssystems ein deutliches Wort dazu gesagt werden. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will zu Anfang ein paar Stichworte nennen, die heute die Presse bestimmen: Armutszeugnis, Jobcenter-Debakel zulasten der Ärmsten, harter Schlag gegen die Jobcenter, Kommunen bestürzt über das Scheitern der Jobcenter-Reform.
Einen Presseartikel will ich Ihnen nicht vorenthalten. Er stammt aus der „Financial Times Deutschland“, also einer Zeitung, die nicht zu den sozialpolitischen Leib- und Magenblättern gehört. Der Artikel trägt den Titel: „Albtraum für Arbeitslose!“
Ich will mit Genehmigung der Präsidentin – muss ich die Genehmigung, diese Floskel, eigentlich einholen?; das klären wir mal in der Geschäftsordnung – zitieren:
Es ist ein Glück, nicht arbeitslos zu werden. Ein ganz besonderes Glück aber ist es derzeit, nicht Hartz-IV-Empfänger
eine Begrifflichkeit, die ich nicht so liebe –
zu werden. Denn nichts scheint die Politik mehr zu reizen, als diese gesellschaftliche Gruppe, mit Angehörigen immerhin sieben Millionen Menschen stark, zum Experimentierfeld für neue Ideen, für taktische Spielchen zu missbrauchen. Dies geschieht vorzugsweise dann, wenn keiner sie gebrauchen kann, am wenigsten die Betroffenen selbst, also mitten in der Krise – jetzt.
So weit die „Financial Times Deutschland“.
Ich weiß nicht – ich vermag es auch nicht zu deuten –, was die Spitzen und die CDU/CSU-Fraktion geritten hat, zu entscheiden, die Reform der Jobcenter vor die Wand zu fahren. Das, was mit den 7 Millionen Menschen und den insgesamt 55.000 Beschäftigten passiert, war jedenfalls nicht Leitmotiv dieser Entscheidung der CDU/CSU-Fraktion.
Es ist – ich muss es deutlich sagen; man ist ja kaum noch in der Lage, die starken Worte, die der Arbeitsminister hier schon gebraucht hat, zu toppen – eine reine Chaosstrategie, die die CDU/CSUFraktion des Bundes hier fährt.
Auch die nun veröffentlichte Argumentation halte ich überhaupt nicht für stimmig. Einmal wird erklärt, die Verfassung nicht ändern zu wollen, weil man die Verfassung nicht einer bestimmten Organisationsform anpassen dürfe. Der andere Argumentationsstrang ist, mitten in der Krise dürfe man keine neue Organisationsform schaffen. Was gilt denn nun? Wer die Verfassung nicht ändert, der schafft eine neue Organisationsform, der schafft Unruhe, Unruhe in einer Zeit, in der wir sie nicht gebrauchen können. Also noch mal: Wer die Verfassung bei dieser Frage nicht ändern will, der trifft eine Regelung, die insbesondere zulasten der Betroffenen geht.
Jetzt will ich nicht deuten, ob dort machttaktische Spielchen innerhalb der CDU, der Blick auf einen möglichen Koalitionspartner FDP, maßgeblich sind. Ich will mal sachlich vermuten, es wären doch grundsätzliche Erwägungen dieser sogenannten Föderalismusfundamentalisten. Nur: In der Föderalismuskommission haben wir das auseinandergezogen, und jetzt wollt ihr das wieder zusammenführen.
Ich erinnere an die Diskussion, die wir gestern zu Anfang geführt haben, nämlich unter anderem über die Erkenntnis in der Sozialpolitik und in der Ar
mutsbekämpfung, dass die unterschiedlichen Zweige von sozialen Sicherungssystemen auf der Ebene der Kommune zusammenarbeiten müssen, um Armut überhaupt wirksam bekämpfen zu können. Das ist doch ein Lehrsatz, der im Prinzip von allen, auch parteiübergreifend, getragen wird.
Über die Arbeitsmarktpolitik hinaus gilt dieses Prinzip für viele andere Bereiche. Wir haben es bei der Diskussion über die Pflegestützpunkte erlebt. Wir haben heute die Vielzahl von Schnittstellen im Bereich der Eingliederungshilfe gesehen. All das sind Bereiche, bei denen wir sagen: Wenn wir effektiv behinderte Menschen, bestimmte Personengruppen versorgen müssen, müssen wir eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Zweige der Sozialversicherung mit den staatlichen Ebenen – auch der Ebene der Kommunen – organisieren. Das ist doch Erkenntnisstand in diesem Land.
Das hat sich noch nicht bis zu den Föderalismusfundamentalisten auf der Bundesebene rumgesprochen – bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht! Aber es wird die Zeit kommen, wo auch bei Herrn Kauder, bei Herrn Röttgen und bei anderen diese Erkenntnis ankommt.
Ich vermisse leider – das will ich nicht verschweigen – die Positionierung der CDU des Landes. Sie hat sich eben nicht positioniert, wie es die SPD getan hat, die sich sehr frühzeitig für eine Verfassungsänderung ausgesprochen hat, um eine solche Organisationsform möglich zu machen.
Folgendes möchte ich noch ausführen, weil ich nicht nur als Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag tätig bin, sondern auch in meiner Kommune Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der örtlichen Arbeitsgemeinschaft bin: Ich habe am Montag ein Gespräch mit den Personalräten. Ich weiß nicht, was ich denen sagen soll. Ich weiß nur, dass der jetzige Stand dazu führt, dass die Beschäftigten – nicht nur in Bielefeld, sondern überall im Lande – aus nachvollziehbaren Gründen – auf die hohe Zahl der Befristungen ist hier schon Bezug genommen worden – schauen, ob sie in die Agentur für Arbeit, ob sie in die Kommune gehen bzw. wieder zurückgehen können.
Die befristeten Arbeitsverhältnisse werden auslaufen. Damit wird sich die Leistung für die Betroffenen verschlechtern – nicht erst 2010, sondern ab morgen. Das ist die bittere Realität, die wir zur Kenntnis zu nehmen haben.
Wir wissen auch – diese Frage ist sehr oft kontrovers diskutiert worden –: Manchmal sind viel zu schnell und zu voreilig Wertungen vorgenommen worden. Aber aufgrund vieler Untersuchungen wissen wir, dass 50 % der Menschen, die im Leistungsbezug stehen, seit 2005 fast kontinuierlich im Leistungsbezug sind und dass diesen Menschen nur durch eine konzentrierte Form der Bündelung
zwischen sozialpolitischen, örtlich verankerten Maßnahmen und Arbeitsmarktpolitik eine Perspektive gegeben werden kann. Ich sage es noch mal: Ich glaube, diese Erkenntnis hat sich auf Bundesebene noch nicht rumgesprochen.
Zu dem Thema, das Kollege Post erwähnt hat: Wir Sozialdemokraten sind für ein Agieren auf Augenhöhe. Gerade bei mir steht es wohl nicht in Zweifel, dass ich auch der Bundesebene in bestimmten zentralistischen Fragen meine Meinung zur Kenntnis gegeben habe. Aber ganz bemerkenswert ist doch auch, dass der, der heute Namenstag hat, im Ausschuss selbst erklärt hat: Das ist nicht so sehr eine Frage von Parteipolitik, sondern auch von Ebenen. – Auf der zentralen Ebene, auf der er auch schon tätig war, gibt es eben eine andere Denke.
Da gibt es also viel zu tun. Ich finde, manchmal wird auch eine Monstranz vor sich hergetragen. Das geschieht in der Frage „Arbeitsgemeinschaften oder Optionskommunen?“
Da sage ich Ihnen ganz deutlich: Es gibt keine Erfahrungswerte, nach denen das eine Organisationsmodell a priori besser wäre als das andere. Es kommt vielmehr darauf an, wie es auf der kommunalen Ebene gelingt, Sozialpolitik und Arbeitsmarktpolitik zu verschränken.
In den Landkreisen, in denen kommunale Sozialpolitik vorher nicht im wesentlichen Umfang gemacht worden ist, gelingt das wenig. In Arbeitsgemeinschaften, in denen eine kommunale Sozialpolitik seit vielen Jahren Tradition ist, gelingt dies eben besser. Es kommt insbesondere auf die Menschen an, die es vor Ort umsetzen.
Ich meine, dass dieser Streit ideologisch überhöht und praktisch ohne Auswirkung ist.
Von daher, Frau Kollegin Steffens, bleiben wir dabei, die Landesregierung aufzufordern, eine Bundesratsinitiative zu starten.