Guten Morgen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich heiße Sie sehr herzlich willkommen zu unserer 123. Sitzung des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Selbstverständlich gilt mein Gruß auch den Zuschauerinnen und Zuschauern auf den Tribünen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich 17 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Frau Ingrid Pieper-von Heiden von der FDPFraktion feiert heute ihren Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch vom Landtag Nordrhein-Westfalen!
1 Statt Arbeitsverweigerung und Krisenschauspielerei – NRW braucht endlich eine Landesregierung, die in der Krise handelt
Finanz- und Wirtschaftskrise wirkt sich auf NRW-Arbeitsmarkt aus – Nordrhein-Westfalen braucht ein eigenes Konjunkturprogramm
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der SPD haben mit Schreiben vom 4. Mai 2009 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu den genannten aktuellen Fragen der Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herrn Abgeordneten Priggen das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir diskutieren heute nicht zum ersten Mal – aus meiner Sicht ist es aber wieder absolut notwendig – ein Thema, das sehr viele Menschen in diesem Land, in der gesamten Bundesrepublik beschäftigt.
Uns liegen seit letzter Woche die neuen Arbeitsmarktzahlen vor. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es erstmals seit 1993 keinen saisonbedingten Aufschwung gibt, also keine Abnahme der Arbeitslosigkeit, sondern dass die Arbeitslosigkeit im April erstmals steigt. Das hatten wir in den letzten 15, 16 Jahren nicht. Wir haben es jetzt. Wenn man berücksichtigt, dass in diesen Zahlen auch hunderttausendfache Kurzarbeit enthalten ist, macht das ein Stück weit deutlich, wie bedrohlich die Situation ist.
Ebenfalls in der letzten Woche gab es eine korrigierte Wachstumsprognose der Bundesregierung. Sie geht jetzt davon aus, dass es im gesamten Jahr 2009 ein negatives Wachstum von 6 % gibt. Auch das ist eine Zahl, die wir so noch nie gehört haben. Ich kann mich erinnern, dass ich mich selber über Herrn Norbert Walter geärgert habe, als er im Frühjahr sagte: Es gibt mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 % ein negatives Wachstum von 5 %. – Man hat gedacht, man versteht den Mann nicht. Nun muss man aber Abbitte tun, denn er hat durchaus richtig gelegen. Die Bundesregierung geht von minus 6 % aus.
Das Bedrohliche ist, dass andere Zahlen daran gekoppelt sind. Wir wissen, dass mit einer erheblichen Zunahme der Arbeitslosigkeit gerechnet wird. Es wird davon ausgegangen, dass die Zunahme in diesem Jahr beträchtlich ist und dass wir im nächsten Jahr wieder bei 5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland insgesamt stehen. Das ist das Bedrohliche daran. Darauf müsste mit Maßnahmen reagiert werden.
Ich habe wie wahrscheinlich viele Kollegen in den letzten Monaten Gespräche mit Unternehmen in Nordrhein-Westfalen über die Situation in den Betrieben geführt, einfach um zu erfahren, wie es bei den Betrieben konkret aussieht. Wir haben diese Gespräche mit Zulieferfirmen aus der Automobilindustrie bis in die letzten Tage hinein geführt, weil die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern natürlich ein sehr wichtiger Bereich ist. Wir haben aber auch mit anderen Unternehmen gesprochen.
Alle sagen einem unisono: Es gibt beginnend im November einen Abschwung bei den Auftragseingängen in einer Größenordnung von 30 bis 40 %. Es gibt keine Erholung. Die Firmen sagen: Minus 5 %, minus 10 % können wir durch intensive eigene Sparprogramme auffangen. – Aber jeder weiß: Minus 30 % bei den Auftragseingängen kann man in den normalen Strukturen nicht auffangen.
Deswegen machen die Firmen das, was sie machen müssen, nämlich Programme, bei denen sie alle innerbetrieblichen Möglichkeiten ausnutzen. Sie haben – und das war auch richtig – die Kurzarbeitsmöglichkeiten genutzt. Aber wir wissen auch, dass das nicht endlos geht.
Vor allen Dingen die Gespräche mit den Automobilzulieferern, mit den Gewerkschaften und mit Opel haben uns gezeigt: Es gibt in der Automobilindustrie nicht nur eine Wirtschaftskrise, sondern auch eine Strukturkrise. Alle gehen davon aus, dass es auch nach Bewältigung der Krise nicht wieder so sein wird wie vorher. Wir werden nicht wieder auf den Beschäftigungsstand kommen wie vorher. Auch wenn die Rettungsbemühungen um Opel erfolgreich sind – was wir alle nur hoffen können –, kann niemand davon ausgehen, dass in dem gesamten Bereich in den nächsten Jahren wieder das Beschäftigungspotenzial erreicht wird, das wir in den letzten Jahren hatten.
Die Vertreter zum Beispiel von Opel sagen, dass man eine Fertigungskapazität für 1,6 Millionen Fahrzeuge hat und man, wenn es gut läuft, 1,1 Millionen Fahrzeuge verkauft. Es sind also Überkapazitäten aufgebaut worden. Auch die Vertreter der Autoteilezulieferer gehen davon aus, dass sie, wenn es gut läuft, wieder etwa 80 % des Absatzniveaus von vorher erreichen können. Wir müssen uns also darauf einstellen, dass – auch wenn es gut läuft – Beschäftigung in diesen Bereichen im Saldo abgebaut werden muss.
Wir müssen außerdem zur Kenntnis nehmen, dass die von der Bundesregierung eingeleitete Maßnahme der Abwrackprämie – so nett sie für den einen oder anderen sein mag – nur ein Strohfeuer ist.
Alle Firmen und Gewerkschaften bestätigen, dass sie letztlich nicht hilft. Es werden 5 Milliarden € ausgegeben – wir wissen noch nicht einmal, ob das reicht – mit dem Effekt, dass der Absatzeinbruch danach umso größer wird.
Wie reagiert unsere Landesregierung auf diese Situation? Die Landesregierung ist nicht ahnungslos. Sie hat bessere Informationsquellen als wir und wird entsprechende Gespräche geführt haben. Der Ministerpräsident hat schon im September letzten Jahres vor einer drohenden Rezession gewarnt. Ich zitiere ihn: „Wer eine Rezession vermeiden will, der muss es am Anfang tun und nicht erst, wenn der Abschwung voll eingetreten ist.“ Es gab also einen entsprechenden Kenntnisstand.
Nordrhein-Westfalen muss die Bundesprogramme – so unsinnig sie in Teilen sein mögen – immer mitfinanzieren. Wir hängen also mit drin. Es geht darum, Arbeitsplatzvolumen in neuen Bereichen aufzubauen und zu stabilisieren, wenn wir wissen, dass es in anderen Bereichen zu Strukturänderungen kommen wird. Aber an der Stelle hören wir von dieser Landesregierung überhaupt nichts. Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass die Landesregierung
von Nordrhein-Westfalen, das 18 Millionen Einwohner hat und eine der industriestärksten Regionen in Europa ist, bei der Frage, was man konkret machen kann, um neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen zu schaffen, öffentlich nicht in Erscheinung tritt.
Die Regierung hat keine Stimme in Berlin, was eigentlich unvorstellbar ist. Der Ministerpräsident lehnt sich in seiner öffentlichen Performance – nicht ohne einen gewissen Erfolg – gerne an seinen Vorvorvorgänger an. Aber unter einer Regierung Rau wäre in einer solchen Krise anders gehandelt worden.
Es wären Programme und Maßnahmen diskutiert worden, und man hätte sich darüber streiten können, welche vernünftig sind. Aber dass die Regierung des größten Industrielandes, NordrheinWestfalens, wegtaucht und wir bei der Diskussion der Maßnahmen in Berlin keine Rolle spielen, jedenfalls keine öffentlich wahrnehmbare – gleich werde ich wieder hören, dass man im Hintergrund sehr erfolgreich ist –, wäre früher nicht denkbar gewesen. Früher wurde über solche Fragen öffentlich diskutiert und politisch gerungen.
Wir alle wissen: Die Berliner bereiten die nächsten Maßnahmen vor, um sich damit über die Bundestagswahlen zu retten. Wir wissen auch, dass es Vorläufe braucht. Aber es wird weitere Maßnahmen geben müssen, und diese werden wieder zulasten des Landes gehen und keine positiven Effekte erzeugen, weil sie zu spät kommen und die Landesregierung an der Stelle untätig ist.
Deswegen brauchen wir eine Positionierung der Landesregierung. Wir wollen heute hören, was die Landesregierung im Hinblick auf die bedrohlich ansteigenden Arbeitslosenzahlen zu tun gedenkt, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ewald Groth [GRÜNE]: Nordrhein-Westfalen war einmal ein stolzes Land!)
Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Für die SPD-Fraktion erhält der Herr Abgeordnete Eiskirch das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Nordrhein-Westfalen steckt tief im Strudel der weltweiten Wirtschaftskrise – Kollege Priggen hat das eben ausführlich beschrieben –, und es gibt drei Gründe, warum NRW stärker leidet als andere Regionen.
Erstens. NRW ist stärker von Exporten abhängig als andere. Das heißt, in einem schwierigen globalen wirtschaftlichen Umfeld ist NRW auch am stärksten vom Rückgang der Exporte betroffen.
Zweitens. Der Anteil der in NRW hergestellten Produkte, die wir als zyklisch bezeichnen, ist gleichfalls höher als etwa in ländlich strukturierten Gebieten. Wir alle wissen um die Sorgen der Beschäftigten bei Opel, bei ThyssenKrupp – die Meldungen werden nicht besser, was das betrifft –, aber auch bei den vielen mittelständischen Unternehmen. Maschinenbau, Stahlerzeugung und Chemie sind einige der Stärken „Made in NRW“. Diese Branchen leiden derzeit besonders, sodass auch von dieser Seite die Sogwirkung des Konjunktureinbruchs verstärkt wird – mit all ihren Auswirkungen auf die mittelständische Wirtschaft und insbesondere die industrienahen Dienstleistungsbereiche.
um im Rahmen ihrer Möglichkeiten dem verschärften wirtschaftlichen Einbruch entgegenzusteuern. Kollege Priggen hat das bereits ausgeführt. Von dieser Landesregierung, von dieser Wirtschaftsministerin gehen keine Impulse aus. Hier in NRW dürfen wir Sozialdemokraten zwar nicht mitbestimmen, aber in Berlin – so manchmal mein Eindruck – holen wir mehr für NRW heraus als die Landesregierung selbst.
In Schockstarre starrt die Ministerin auf die Rezession. Die Instrumente, denen man eine antizyklische Wirkung nachsagt, werden von dieser Landesregierung nicht genutzt. Das muss man feststellen.
Kolleginnen und Kollegen, wir haben zweifelsohne keine hausgemachte Krise, aber mit und in dieser Landesregierung wird nicht gegen die Krise angearbeitet. FDP und CDU gefallen sich in ordnungspolitischen Debatten, statt dort zu helfen, wo es brennt. Die „Privat vor Staat“-Ideologie ist nicht nur an den internationalen Finanzmärkten gescheitert, sie verstärkt auch die Krise hier in NordrheinWestfalen, weil sie die unantastbare Fahne ist, die diese Landesregierung vor sich her trägt.
Unberührt von den Realitäten in diesem Land – Herr Kollege Papke bestätigt das – hält diese Landesregierung an ihrer Marktgläubigkeit fest. Bei FDP und CDU steht der Markt im Mittelpunkt und nicht der Mensch.